Entscheidungsstichwort (Thema)

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei Büroversehen; zur Herstellung der Ausschüttungsbelastung bei verdeckten Gewinnausschüttungen

 

Leitsatz (NV)

1. Gibt ein Rechtsanwalt seiner zuverlässigen Bürokraft die Anweisung, in einer von ihm bereits unterzeichneten Revisionsschrift, die nur aus einem Blatt besteht, die Gerichtsbezeichnung zu ändern, so braucht er die Ausführung seiner Anweisung nicht zu kontrollieren (Anschluß an BGH-Beschluß vom 4. November 1981 VIII ZB 59, 60/81, NJW 1982, 2670).

2. Die Rechtmäßigkeit einer vom FA auf Grund von verdeckten Gewinnausschüttungen angesetzten Ausschüttungsbelastung i. S. des § 27 Abs. 1 KStG 1977 kann nur dann revisionsrechtlich geprüft werden, wenn das FG die für die Ausschüttung verwendeten Teilbeträge des Eigenkapitals in seinem Urteil in tatsächlicher Hinsicht festgestellt hat (§ 118 Abs. 2 FGO).

 

Normenkette

KStG 1977 § 8 Abs. 3, § 27 ff.; FGO § 56 Abs. 1

 

Verfahrensgang

FG Nürnberg

 

Tatbestand

Die Klägerin legte die Revision gegen das FG-Urteil (fristgerecht) beim BFH ein, der sie an das FG weiterleitete, wo sie verspätet einging. Deshalb beantragte die Klägerin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, wobei sie glaubhaft machte, daß ihr Prozeßbevollmächtigter den Fehler vor Absendung bemerkt und seine Bürovorsteherin mit der Korrektur des Adressaten beauftragt hatte. Die Bürovorsteherin hatte die Weisung im Drange der Geschäfte nicht beachtet.

Materiell-rechtlich hatte die Klägerin, eine GmbH, Schulden des Ehemannes der beherrschenden Gesellschafterin (K) übernommen und sie in den Bilanzen als Forderungen gegenüber dem Ehemann (E) ausgewiesen. Da der Ehemann jedoch überschuldet war, nahm das FA verdeckte Gewinnausschüttungen an. Es buchte die Forderungen gegenüber dem Ehemann aus und erhöhte das Einkommen statt dessen um den gleichen Betrag als verdeckte Gewinnausschüttung. Außerdem ließ das FA eine Rückstellung außer Ansatz, die die Klägerin gebildet hatte, weil das FA den Erwerb von Anlagevermögen des früheren Einzelunternehmens von E gemäß § 3 Nr. 1 AnfG wegen einer Steuerforderung in Höhe von 98 326,75 DM angefochten hatte. Einspruch und Klage blieben ohne Erfolg.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist zulässig und begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zwecks anderweitiger Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).

A 1. Nach § 115 Abs. 1 FGO i. V. mit Art. 1 Nr. 5 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs (BFHEntlG) vom 8. Juli 1975 (BGBl I 1975, 1861, BStBl I 1975, 932) in der Fassung des Gesetzes zur Beschleunigung verwaltungsgerichtlicher und finanzgerichtlicher Verfahren vom 4. Juli 1985 (BGBl I 1985, 1274, BStBl I 1985, 496) steht den Beteiligten gegen das Urteil eines FG die Revision zu, wenn sie zugelassen wurde. Die Revision ist bei dem FG innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils oder nach Zustellung des Beschlusses über die Zulassung der Revision (§ 115 Abs. 5 FGO) schriftlich einzulegen und innerhalb eines weiteren Monats zu begründen.

2. Im Streitfall ist die Revision statthaft, weil sie vom BFH zugelassen wurde. Der Beschluß über die Zulassung der Revision wurde der Klägerin am 21. August 1986 zugestellt. Die Frist, innerhalb derer sie die Revision einzulegen gehalten war, lief deshalb am Montag, dem 22. September 1986, ab (§ 54 Abs. 1 und 2 FGO, § 222 Abs. 1 und 2 der Zivilprozeßordnung - ZPO -, § 188 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches - BGB -). Innerhalb dieser Frist ging keine Revision der Klägerin beim FG ein. Die Einlegung der Revision am 22. September 1986 beim BFH genügte nicht den in § 120 Abs. 1 Satz 1 FGO aufgestellten Voraussetzungen. Sie wahrte deshalb die Revisionsfrist nicht (vgl. BFH-Beschluß vom 15. Januar 1973 VIII R 14/72, BFHE 108, 18, BStBl II 1973, 246, m. w. N.). Die an das FG weitergeleitete Revisionsschrift ging dort erst am 24. September 1986 und damit verspätet ein.

3. Der Klägerin ist jedoch wegen der Versäumung der Revisionsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren (§ 56 Abs. 1 FGO). Sie war im Sinne der Vorschrift ohne eigenes Verschulden gehindert, die Revisionsfrist einzuhalten. Zwar muß sie sich das Verschulden ihres Bevollmächtigten wie eigenes zurechnen lassen (§ 155 FGO i. V. m. § 85 Abs. 2 ZPO). Von einem Verschulden des Bevollmächtigten ist jedoch nur dann auszugehen, wenn dieser schuldhaft eine ihn persönlich treffende Sorgfaltspflicht verletzt und die Fristversäumnis auf der Verletzung beruht. Ist dagegen die Fristversäumung ausschließlich auf das Verschulden einer von dem Bevollmächtigten angestellten Hilfsperson zurückzuführen, so muß die Klägerin sich dieses Verschulden nicht zurechnen lassen.

Im Streitfall trifft den Bevollmächtigten der Klägerin an der verspäteten Revisionseinlegung kein Verschulden. Zwar trägt er die allgemeine Verantwortung dafür, daß die Revisionsschrift rechtzeitig beim FG einging. Deshalb mußte er sich bei deren Unterzeichnung davon überzeugen, daß sie zutreffend adressiert war (vgl. Beschluß des Bundesgerichtshofs - BGH - vom 9. Oktober 1980 VII ZB 17/80, Versicherungsrecht - VersR - 1981, 63). Dieser Verpflichtung ist der Bevollmächtigte jedoch, wie er einerseits anwaltlich versichert und wie es sich andererseits aus der eidesstattlichen Versicherung der Bürovorsteherin ergibt, nachgekommen. Er hat die falsche Adressierung der Revisionsschrift an den BFH bemerkt und seiner Bürovorsteherin Anweisung gegeben, die Adressatenbezeichnung zu ändern und die Revisionsschrift an das FG zu richten.

Der Bevollmächtigte der Klägerin war nicht verpflichtet, die Revisionsschrift erst nach der für erforderlich gehaltenen Korrektur zu unterzeichnen bzw. sich die Revisionsschrift nach durchgeführter Korrektur noch einmal vorlegen zu lassen. Ebenso wie ein Rechtsanwalt seiner Sorgfaltspflicht genügt, wenn er eine zuverlässige Angestellte allgemein damit betraut, alle ausgehenden Schriftsätze daraufhin zu überprüfen, ob sie unterschrieben sind (vgl. BGH-Beschluß vom 15. Dezember 1978 V ZB 16/78, VersR 1979, 285), reicht es aus, daß er einer zuverlässigen Angestellten die allgemeine Anweisung erteilt, eine einfache Korrektur in der Adressierung eines Revisionsschriftsatzes vorzunehmen und diesen alsdann abzusenden. Dies gilt im Streitfall um so mehr, als die Revisionsschrift nur aus einem einzigen Blatt bestand und ausschließlich die Adressierung zu korrigieren war. Kommt die Bürovorsteherin der erteilten Weisung nicht nach, so trifft den Rechtsanwalt deshalb kein persönliches Verschulden (vgl. BGH-Beschluß vom 4. November 1981 VIII ZB 59, 60/81, Neue Juristische Wochenschrift - NJW - 1982, 2670).

4. Die Revision ist auch nicht insoweit unzulässig, als sie das die Klage wegen Körperschaftsteuer 1978 abweisende Urteil betrifft. Insoweit ergibt sich aus der Revisionsbegründung die Behauptung einer Beschwer der Klägerin. Unbeschadet der Frage, wann und unter welchen Voraussetzungen der Wegfall der sog. Ausschüttungsbelastung gemäß §§ 27 ff. KStG 1977 eine Beschwer i. S. des § 40 Abs. 2 FGO begründet, versteht der Senat die Revisionsbegründung der Klägerin dahin, daß sie - ggfs. auch unabhängig von der Annahme einer verdeckten Gewinnausschüttung - die Berücksichtigung einer Rückstellung für eine ungewisse Verbindlichkeit gegenüber dem den Erwerb von Anlagevermögen des früheren Einzelunternehmens gemäß § 3 Nr. 1 AnfG anfechtenden FA in Höhe von 98 326,75 DM begehrt. Die entsprechende Rückstellung würde den Gewinn 1978 mit der Folge mindern, daß auch die tarifliche Körperschaftsteuer um 56 v. H. von 98 326 DM niedriger festzusetzen wäre. Aus dem Vorbringen ergibt sich damit die Geltendmachung einer Beschwer.

B 1. Die von der Klägerin gerügten Verfahrensmängel greifen nicht durch. Dies bedarf nur hinsichtlich der behaupteten Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör einer Begründung (Art. 1 Nr. 8 BFHEntlG). Das FG hat den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör schon deshalb nicht verletzt, weil der erteilte Hinweis die Klägerin nicht hinderte, alles vorzutragen, was aus ihrer Sicht entscheidungserheblich sein konnte.

2. Die Revision ist schon deshalb begründet, weil das FG übersehen hat, daß es für die Ermittlung der Einkommen 1978 und 1979 der Klägerin gleichgültig ist, ob die Beträge in Höhe von 43 819,74 DM (für 1978) und von 40 330 DM (für 1979) als betrieblich veranlaßte Forderungen gegenüber E oder aber als verdeckte Gewinnausschüttungen anzusetzen sind. Die Nichtberücksichtigung der Beträge im Rahmen der Gewinnermittlung und ihr gleichzeitiger Ansatz als verdeckte Gewinnausschüttungen heben sich im Rahmen der Einkommensermittlung wechselseitig auf. Die Streitfrage, ob in Höhe der genannten Beträge verdeckte Gewinnausschüttungen anzunehmen sind, wirkt sich nur auf die Herstellung der Ausschüttungsbelastung gemäß §§ 27 ff. KStG aus. Um insoweit eine revisionsrechtliche Überprüfung der Vorentscheidung zu ermöglichen, hätte das FG die zu den maßgeblichen Stichtagen zur Verfügung stehenden EK-Bestände und ihre Verwendung in tatsächlicher Hinsicht feststellen müssen. Nur dann wäre dem erkennenden Senat die Prüfung möglich, ob die Körperschaftsteuer-Erhöhungen und -Minderungen 1978 und 1979 vom FA zutreffend berechnet wurden. Da die Vorentscheidung die insoweit erforderlichen tatsächlichen Feststellungen nicht enthält, trägt sie die getroffene Entscheidung nicht. Dies ist ein von Amts wegen zu berücksichtigender materieller Fehler der Vorentscheidung, der zu deren Aufhebung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG führt, damit dieses Gelegenheit erhält, die fehlenden tatsächlichen Feststellungen nachzuholen. Auf das BFH-Urteil vom 20. August 1986 I R 87/83 (BFHE 147, 521, BStBl II 1987, 75) wird Bezug genommen.

3. Im zweiten Rechtszug wird das FG auch prüfen müssen, ob die Klägerin nicht auf Grund des Duldungsbescheides des FA vom 20. April 1978 eine Rückstellung in Höhe von 98 326,75 DM hätte bilden müssen, die erst dann aufzulösen war, als feststand, daß das FA die Klägerin wegen des genannten Betrages aus dem Duldungsbescheid nicht in Anspruch nehmen würde. Mit der Rückstellung könnte eine (weitere) verdeckte Gewinnausschüttung korrespondieren, die in der Kaufpreiszahlung an E zu sehen sein könnte, wenn die Klägerin von E Vermögensgegenstände erworben haben sollte, die mit dem Risiko der Anfechtung gemäß § 3 Nr. 1 AnfG behaftet waren und für die deshalb ein ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter einen Risikoabschlag im Kaufpreis verlangt haben würde. Selbst wenn der diesbezügliche Kaufvertrag schon im Jahre 1977 erfüllt worden und damit das Risiko der Anfechtung auf die Klägerin übergegangen sein sollte, so könnte doch die Rückstellung aus Gründen des Bilanzzusammenhangs für das Jahr 1978 nachzuholen sein (vgl. BFH-Großer Senat, Beschluß vom 29. November 1965 GrS 1/65 S, BFHE 84, 392, BStBl III 1966, 142).

 

Fundstellen

Haufe-Index 415291

BFH/NV 1988, 395

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