Entscheidungsstichwort (Thema)

Zulassungsfreie Revision -- Nicht vorschriftsmäßige Besetzung des Gerichts

 

Leitsatz (NV)

Ist ein Präsidialrichter mit Amtshaftungsansprüchen eines Klägers gegen das Gericht befaßt, so ist er in gerichtlichen Verfahren des Klägers, die einen anderen Streitgegenstand betreffen, nicht von der Beschlußfassung wegen Mitwirkung an einem vorangegangenen Verwaltungsverfahren ausgeschlossen.

 

Normenkette

FGO § 116 Abs. 1 Nr. 2, § 51 Abs. 2

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) gab für Januar und Februar 1989 Umsatzsteuervoranmeldungen ab, denen der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt -- FA --) folgte. Der Kläger entrichtete einen Teilbetrag auf die von ihm angemeldete Umsatzsteuer und erklärte darüber hinaus die Aufrechnung. Seiner Auffassung nach standen ihm Ansprüche gegen das FA zu, u. a. berühmte er sich eines Umsatzsteuererstattungsanspruchs 1987.

Hinsichtlich der Umsatzsteuer 1987 hatte der Kläger unter dem 19. April 1988 eine Umsatzsteuererklärung abgegeben. Mit Schreiben vom 30. Januar 1989 begehrte er die Berücksichtigung weiterer Vorsteuern. Das FA veranlagte den Kläger mit Bescheid vom 12. Juni 1989, wobei es die im Januar 1989 geltend gemachten weiteren Vorsteuern außer Ansatz ließ. Nach der dem Kläger erteilten Abrechnungsverfügung vom 12. Juli 1989 waren von ihm noch fast 2 400 DM zu zahlen. Auf Antrag des Klägers wurde die Vollziehung des Umsatzsteuerbescheides mit Verfügung des FA vom 16. Juni 1989 in der Vollziehung aus gesetzt. Gegen die Abrechnungsverfügung hat der Kläger nach erfolglosem Beschwerdeverfahren Klage erhoben. Außerdem legte er gegen den Umsatzsteuerbescheid 1987 Einspruch ein. Mit Schreiben vom 12. Juni 1989 hatte der Kläger hinsichtlich der Umsatzsteuervoranmeldungsbeträge 1/89 und 2/89 vorsorglich die Aufrechnung mit weiteren ihm seiner Auffassung nach gegen das FA zustehenden Ansprüchen erklärt.

Unter dem 14. August 1989 sandte der Kläger ein Schreiben an das FA und die Ober finanzdirektion (OFD), das die OFD als Beschwerde wertete und mit Entscheidung vom 11. Dezember 1989 als unzulässig verwarf.

Gegen diese Beschwerdeentscheidung erhob der Kläger am 19. Dezember 1989 Klage. Unter dem 25. Januar 1990 ergingen an den Kläger Abrechnungsbescheide zur Umsatzsteuer 1986 bis 1988, die Gegenstand der Verfahren ... und ... sind. Außerdem erließ das FA gegenüber dem Kläger unter dem 26. Januar 1990 einen Abrechnungsbescheid zur Umsatzsteuer 1/89 und 2/89, gegen den der Kläger sich ebenfalls finanzgerichtlich wandte.

In der Sache machte der Kläger in dem anhängigen Verfahren geltend, er habe keine Beschwerde eingelegt. In der Beschwerdeentscheidung werde über eine von der OFD erfundene Beschwerde entschieden.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab. Es lehnte die vom Kläger geltend gemachten Rügen gegen das gerichtliche Verfahren wegen fehlerhafter Besetzung des Gerichts, Verletzung des gesetzlichen Richters, Verletzung rechtlichen Gehörs, nicht ordnungsgemäßer Gewährung von Akteneinsicht, Verletzung des Prinzips des fairen Verfahrens, nicht erfolgter Terminsaufhebung, -verlegung, -ver tagung, Nichterledigung von Anträgen auf Aussetzung des Verfahrens, auf Beiziehung weiterer Akten, auf Beweiserhebung, auf Sachverhaltsermittlung, auf Vorabentscheidung und anderes mehr ab. Außerdem führte das FG aus, die OFD sei zu Recht davon ausgegangen, daß der Kläger eine Beschwerde erhoben habe. Dies ergebe sich aus der eindeutigen Formulierung in dem klägerischen Schreiben vom 14. August 1989. Der als Beschwerde bezeichnete Rechtsbehelf könne auch nicht etwa als Antrag auf Erteilung eines Abrechnungsbescheids ausgelegt werden, weil der Kläger mit seinem Schreiben vom 14. August 1989 diesen gleichzeitig, also zusätzlich, beantragt habe. Die Beschwerde sei auch zutreffend als unzulässig verworfen worden. Das FA habe hinsichtlich der Aufrechnung des Klägers im Zeitpunkt der Beschwerdeerhebung keinen Verwaltungsakt erlassen gehabt. Insbesondere sei auch die vom Kläger erklärte Aufrechnung nicht durch einen Verwaltungsakt des FA konkludent abgelehnt worden. Das FG führte in seiner Begründung ergänzend an, daß die Klage auch deswegen keinen Erfolg haben könne, weil hinsichtlich der streitbefangenen Steuern und der Aufrechnung des Klägers inzwischen Abrechnungsbescheide ergangen seien und die Abrechnungsbescheidverfahren nach § 218 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) gegenüber Beschwerdeverfahren hinsichtlich Abrechnungsverfügungen und auch bezüglich streitiger Aufrechnungen vorrangig seien.

Der Kläger hat gegen das Urteil des FG Nichtzulassungsbeschwerde und gleichzeitig Revision eingelegt. Mit der Revision rügt der Kläger, die Entscheidung des FG sei mit wesentlichen Verfahrensmängeln i. S. von § 116 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) behaftet. Das FG sei nicht vorschriftsmäßig besetzt gewesen (§ 116 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 FGO). Die Richterin am Finanzgericht A sei von der Beschlußfassung ausgeschlossen gewesen, da sie an der Entscheidung bereits im Verwaltungsverfahren beteiligt gewesen sei. Die Ermittlung des gesetzlichen Richters sei ihm -- dem Kläger -- durch das FG vereitelt worden. Trotz Antrags sei ihm die Besetzung des Spruchkörpers vor der mündlichen Verhandlung nicht mitgeteilt worden. Insbesondere habe er nicht die ordnungsgemäße Heranziehung der ehrenamtlichen Richter prüfen können, da ihm am Tag der mündlichen Verhandlung zur Prüfung zahlreicher Karteikarten nur 20 Minuten eingeräumt worden seien. Jedenfalls liege ein Verstoß gegen den Geschäftsverteilungsplan des FG vor, da der Senat des FG nur für Abrechnungsbescheide zuständig sei. Auch sei das Wahlverfahren der ehrenamtlichen Richter rechtswidrig gewesen, da die Vorschlagsliste nur Verbandsmitglieder enthalten habe. Des weiteren habe nach der mündlichen Verhandlung keine Beratung stattgefunden. Das Urteil habe vielmehr bereits vor der mündlichen Verhandlung festgestanden. Den FG-Akten sei zu entnehmen, daß der Urteilstenor schon vorher abgesetzt worden sei. Das Urteil des FG sei nicht mit Gründen versehen (§ 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO). Es gehe nicht auf das Begehren des Klägers ein; selbständige Angriffs- und Verteidigungsmittel (Ermessensfehler bei der Verwaltung, Auslegung von Willenserklärungen) seien mit Stillschweigen übergangen worden. Der Sachverhalt sei fehlerhaft und unvollständig, wesentliches Vorbringen des Klägers werde im Tatbestand nicht erwähnt und sei nicht beachtet worden. Die Entscheidungsgründe seien formelhaft, eine Überprüfung des Urteils sei nahezu unmöglich, da es keine überprüfbaren Rechtssätze enthalte. Dem FG sei eine fehlerhafte Rechtsanwendung vorzuwerfen, da es den wirklichen Willen des Klägers nicht richtig ausgelegt und auch die von ihm dargelegte Befangenheit der Verwaltungsbediensteten sowie deren fehlerhafte Ausübung des Verwaltungsermessens nicht beachtet habe.

Im übrigen rügt der Kläger weitere Verfahrensmängel, die er auch mit der Nichtzulassungsbeschwerde geltend gemacht hat (Verletzung des rechtlichen Gehörs, verhinderte Akteneinsicht, Verletzung des Willkürverbots sowie weiteren Verfassungsrechts durch fehlerhafte Prozeßführung).

Der Kläger beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und den Rechtsstreit an das FG zurückzuverweisen.

Die Klage war zunächst beim 15. Senat des FG geführt und durch Urteil abgewiesen worden. Auf die dagegen erhobene Revision des Klägers hat der Bundesfinanzhof (BFH) das Urteil aufgehoben und die Sache an den 14. Senat des FG zurückverwiesen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unzulässig; sie ist gemäß § 126 Abs. 1 FGO durch Beschluß zu verwerfen.

1. Gemäß Art. 1 Nr. 5 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs findet abweichend von § 115 Abs. 1 FGO die Revision nur statt, wenn das FG oder auf die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der BFH sie zugelassen hat oder wenn ein Fall der zulassungsfreien Revision gemäß § 116 FGO gegeben ist. Das FG hat im Streitfall die Revision nicht zugelassen; die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers wurde durch Beschluß des erkennenden Senats vom heutigen Tage als unbegründet zurückgewiesen. Gründe, die eine zulassungsfreie Revision nach § 116 FGO gerechtfertigt erscheinen lassen, liegen nicht vor. Zwar hat der Kläger die Rüge nicht vorschriftsmäßiger Besetzung des Gerichts und das Fehlen von Entscheidungsgründen und damit wesentliche Verfahrensmängel nach § 116 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 5 FGO geltend gemacht. Verfahrensmängel i. S. des § 116 Abs. 1 FGO sind jedoch nur dann ordnungsgemäß gerügt, wenn die zur Begründung vorgetragenen Tatsachen, ihre Richtigkeit unterstellt, die Mängel ergeben, d. h. wenn sie schlüssig vorgetragen sind (ständige Rechtsprechung, vgl. Senatsbeschluß vom 19. Januar 1993 VII R 121/92, BFH/NV 1994, 40 m. w. N.). Daran fehlt es im Streitfall.

2. Mit den Verfahrensrügen gemäß § 116 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 FGO wird geltend gemacht, das erkennende Gericht sei bei seiner Entscheidung nicht vorschriftsmäßig besetzt gewesen bzw. ein kraft Gesetzes ausgeschlossener Richter habe bei der Entscheidung mitgewirkt.

a) Die ordnungsgemäße Geltendmachung dieser Rüge setzt voraus, daß konkrete Anhaltspunkte für die Fehlerhaftigkeit der Besetzung des FG dargelegt werden (BFH-Urteil vom 30. Oktober 1974 I R 40/72, BFHE 114, 85, BStBl II 1975, 232). Dazu muß der Kläger gegebenenfalls eigene Ermittlungen anstellen und auf der Grund lage der ihm erteilten Auskünfte oder der ihm möglichen Einsicht in die Regelungen über die Geschäftsverteilung Tatsachen darlegen, die seiner Meinung nach den Besetzungsmangel begründen (BFH-Beschluß vom 18. März 1987 V R 96/86, BFH/NV 1987, 591 m. w. N.).

Ein Verfahrensfehler i. S. des § 116 Abs. 1 Nr. 1 FGO ist bei unrichtiger Anwendung einer Vorschrift, die die Besetzung des Gerichts betrifft, außerdem nur dann anzuerkennen, wenn sich der Gesetzesverstoß zugleich als Verletzung des in Art. 101 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes niedergelegten Gebots des gesetzlichen Richters darstellt (BFH-Beschluß vom 18. August 1992 VIII R 9/92, BFHE 168, 508, BStBl II 1993, 55, und Urteil vom 17. Januar 1989 VII R 187/85, BFH/NV 1989, 532, jeweils mit umfangreichen Nachweisen der Rechtsprechung anderer oberster Bundesgerichte). Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) verstößt nur eine gerichtliche Entscheidung gegen das Gebot des gesetzlichen Richters, die von willkürlichen Erwägungen bestimmt ist. Von Willkür kann nur dann die Rede sein, wenn die Entscheidung sich soweit von dem verfassungsrechtlichen Grundsatz des gesetzlichen Richters entfernt hat, daß sie nicht mehr zu rechtfertigen ist (BVerfG-Beschluß vom 23. Juni 1981 2 BvR 1107/77 u. a., BVerfGE 58, 1, 45).

b) Der Vortrag des Klägers reicht nicht aus, um daraus eine schlüssig begründete Besetzungsrüge entnehmen zu können.

Der Kläger ist zu Unrecht der Ansicht, die Richterin am Finanzgericht A sei von der Beschlußfassung ausgeschlossen gewesen (§ 116 Abs. 1 Nr. 2 FGO). Nach § 51 Abs. 2 FGO ist von der Ausübung des Amtes als Richter ausgeschlossen, wer bei dem vorausgegangenen Verwaltungsverfahren mitgewirkt hat. § 51 Abs. 2 FGO ergänzt den in § 41 Nr. 6 der Zivilprozeßordnung (ZPO) genannten Ausschließungsgrund. Es soll auch derjenige als Richter von der Entscheidung ausgeschlossen sein, dessen Mitwirken an der im Verwaltungsverfahren getroffenen Entscheidung zu der Befürchtung Anlaß bietet, er habe sich in der Sache festgelegt und könne seine richterliche Entscheidung nicht mehr mit der gebotenen Objektivität treffen (BFH-Urteile vom 14. Juli 1988 IV R 74/87, BFH/NV 1989, 441; vom 15. Juli 1987 X R 15/81, BFH/NV 1988, 446, und vom 25. April 1978 VII R 7/78, BFHE 125, 33, BStBl II 1978, 401). Der Kläger rügt, daß die genannte beisitzende Richterin als Präsidialrichterin mit der Bearbeitung eines von ihm geltend gemachten Amtshaftungsanspruchs gegenüber dem FG befaßt war. Der Kläger verlangt Ersatz der Kosten, die ihm im Zusammenhang mit obsiegenden Richterablehnungsverfahren entstanden sind, die u. a. auch im Zusammenhang mit dem anhängigen Verfahren stehen. Die Bearbeitung dieser Amtshaftungsansprüche ist jedoch kein Verwaltungsverfahren, das für die Sachbehandlung im anhängigen Verfahren von "finaler Verbindlichkeit" (vgl. BFH/NV 1989, 441) sein könnte. Hierzu zählen z. B. Maßnahmen der Aufsichtsbehörde, die Teilnahme an Erörterungen der Sache als Verhandlungsleiter, die bera tende Betätigung in der Sache oder die Anordnung einer Außenprüfung (vgl. die Nachweise in BFH/NV 1989, 441). Diese Tätigkeiten müssen aber jeweils in einem vorausgegangenen Verfahren angefallen sein. Sofern es sich um ein anderes Verfahren handelt, liegt der Ausschließungsgrund nicht vor (Senatsbeschluß vom 21. Juli 1975 VII B 25/75, BFHE 116, 453, BStBl II 1975, 856). Im Streitfall ist die Bearbeitung von Amtshaftungsansprüchen keine Maßnahme, die im Zusammenhang mit dem Streitgegenstand des anhängigen Verfahrens steht, nämlich der Rechtmäßigkeit der Beschwerdeentscheidung der OFD. Das Beschwerdeverfahren und die spätere Behandlung von Amtshaftungsansprüchen gegenüber dem FG sind getrennt verlaufene Verfahren.

Der Einwand des Klägers, ihm sei die Besetzung der Richterbank nicht vorab mitgeteilt worden, ist im Hinblick auf die Rüge eines Verfahrensverstoßes gemäß § 116 Abs. 1 Nr. 1 FGO unerheblich. Dazu hätte der Kläger in seiner Revisionsbegründung zumindest noch vortragen müssen, gegen welche Richter er welche Einwände habe. Die konkrete Besetzung des Gerichts wird von ihm jedoch nicht näher gerügt. Auch gegen die ehrenamtlichen Richter hat er in seiner Revisionsbegründung keine konkreten Einwendungen vorgebracht. Zur Begründung der Rüge reicht es nicht aus vorzutragen, er habe die ordnungsgemäße Heranziehung der ehrenamtlichen Richter vor der mündlichen Verhandlung nicht prüfen können. Bei einer solchen Sachlage hätte er nach der mündlichen Verhandlung Ermittlungen anstellen und die ermittelten Tatsachen vortragen müssen. Der Kläger behauptet insoweit nicht, daß das FG ihn daran gehindert hat, nach der Verhandlung etwa die Unterlagen über die Wahl und Heranziehung der ehrenamtlichen Richter weiter zu prüfen.

Auch die Einwände des Klägers gegen die Zuständigkeit des FG-Senats sind nicht schlüssig begründet. Das Verfahren wurde vom beschließenden Senat dem 14. Senat des FG zugewiesen, nachdem der Kläger erfolgreich ein Ablehnungsgesuch gegen einen Richter des ursprünglich mit dem Streitfall befaßten 15. Senat des FG vorgebracht hatte (Senatsurteil vom 26. November 1991 VII R 24/91, nicht veröffentlicht).

Die Einwände bezüglich der Wahl der ehrenamtlichen Richter reichen ebenfalls nicht aus, um eine Besetzungsrüge zu begründen. Der Kläger macht sinngemäß geltend, die Vorschlagsliste der ehrenamtlichen Richter (§ 25 FGO) sei deshalb nicht ordnungsgemäß aufgestellt worden, weil sie nur Verbandsmitglieder enthalte. Nach § 25 FGO soll der Präsident des FG, der die Vorschlagsliste für die Wahl der ehrenamtlichen Richter aufstellt, die Berufsvertretungen zuvor hören. Diese Vorschrift schreibt aber nicht vor, daß in der Vorschlagsliste alle Bevölkerungsgruppen gleichmäßig zu berücksichtigen sind. Es kann dahingestellt bleiben, ob die Vorschrift des § 36 Abs. 2 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG), nach der die Vorschlagsliste für Schöffen, die bei der Verhandlung und Entscheidung in Strafsachen mitwirken, "alle Gruppen der Bevölkerung nach Geschlecht, Alter, Beruf und sozialer Stellung angemessen berücksichtigen" soll, sinn gemäß auf die Vorschlagsliste für ehrenamtliche Richter anzuwenden ist, die bei der Urteilsfindung in finanzgerichtlichen Sachen mitwirken (§ 155 FGO). Denn ein Verstoß gegen diese Sollvorschrift würde keinen Einfluß auf die Ordnungsmäßigkeit der Wahl haben (BFH-Beschluß vom 4. März 1987 II R 47/86, BFHE 149, 23, BStBl II 1987, 438; Urteil in BFH/NV 1989, 532, und Beschluß vom 31. Juli 1989 VIII R 41/86, BFH/NV 1990, 511). Der weitere Einwand des Klägers, das FG habe ohne Beratung entschieden und der Urteilstenor sei bereits vor der mündlichen Verhandlung abgesetzt worden, begründet ebenfalls nicht schlüssig die Verfahrensrüge des § 116 Abs. 1 Nr. 1 FGO. Soweit der Kläger geltend macht, das Protokoll der mündlichen Verhandlung weise keine Beratung aus, ist dieser Einwand unerheblich, da der davon betroffene Vorgang nicht zum Inhalt des Protokolls i. S. des § 94 FGO i. V. m. § 160 ZPO gehört. Er kann auch schon deswegen nicht in das Protokoll aufgenommen werden, weil die Beratung regelmäßig nach Schluß der mündlichen Verhandlung (vgl. § 93 Abs. 3 Satz 1 FGO), auf jeden Fall aber außerhalb dieser Sitzung (vgl. § 52 FGO i. V. m. §§ 192 bis 197 GVG) erfolgt.

Das weitere Vorbringen des Klägers, der Urteilstenor sei bereits vor der mündlichen Verhandlung schriftlich abgesetzt worden, enthält schon deshalb keine schlüssige Begründung einer Verfahrensrüge, weil es nicht rechtswidrig ist, wenn der Bericht erstatter die Urteilsformel als Beschlußvorschlag vor der mündlichen Verhandlung erstellt. Erst die Unterschriften zumindest der Berufsrichter machten den Vorschlag zum Urteil (vgl. Gräber/von Groll, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., § 105 Anm. 6). Der Kläger hat aber nicht vorgetragen, daß die Berufsrichter das Urteil bereits vor der Verhandlung unterzeichnet hätten.

3. Die Verfahrensrüge nach § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO betrifft das Fehlen der rechtlichen Begründung des Urteils.

a) Gemäß § 105 Abs. 2 Nr. 5 FGO müssen Urteile begründet werden. Die Wiedergabe der Entscheidungsgründe dient der Mitteilung der wesentlichen rechtlichen Erwägungen, die aus der Sicht des Gerichts für die getroffene Entscheidung maßgebend waren. Ein Fehlen von Entscheidungsgründen liegt deshalb nur vor, wenn den Beteiligten die Möglichkeit entzogen ist, die getroffene Entscheidung auf ihre Richtigkeit und Rechtmäßigkeit hin zu überprüfen (BFH-Urteil vom 23. Januar 1985 I R 292/81, BFHE 143, 325, BStBl II 1985, 417). Das ist insbesondere der Fall, wenn nicht erkennbar ist, welcher Sachverhalt der Entscheidung zugrunde liegt, oder wenn nicht ersichtlich ist, auf welche rechtlichen Erwägungen sich die Entscheidung stützt (BFHE 143, 325). Nach der Rechtsprechung des BFH fehlen die Entscheidungsgründe auch dann, wenn das FG einen selbständigen prozessualen Anspruch oder ein selbständiges Angriffs- oder Verteidigungsmittel mit Stillschweigen übergangen hat (vgl. BFH-Beschluß vom 28. April 1993 II R 123/91, BFH/NV 1994, 46, und Urteil vom 12. April 1991 III R 181/90, BFHE 164, 179, BStBl II 1991, 638 m. w. N.). Unter selbständigen Ansprüchen und selbständigen Angriffs- und Verteidigungsmitteln sind nur die eigenständigen Klagegründe und solche Angriffs- und Verteidigungsmittel zu verstehen, die den vollständigen Tatbestand einer mit selbständiger Wirkung ausgestatteten Rechtsnorm bilden (BFH- Beschluß vom 9. Februar 1977 I R 136/76, BFHE 121, 298, BStBl II 1977, 351).

b) Trotz ihrer Ausführlichkeit bezeichnen die Ausführungen des Klägers in seiner Revisionsbegründungsschrift nicht die den Anforderungen des § 120 Abs. 2 Satz 2 letzter Halbsatz FGO genügenden Tatsachen, die einen wesentlichen Begründungsmangel der Vorentscheidung schlüssig ergeben. Soweit der Kläger geltend macht, das FG habe die tatsächlichen Grundlagen der Entscheidung im Urteil nicht ausreichend oder nicht richtig dargestellt, ergibt sich daraus noch kein Verfahrensmangel i. S. des § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO. Ein solcher liegt nur vor, wenn eine hinreichende rechtliche Begründung fehlt, nicht jedoch schon dann, wenn Darstellungen im Tatbestand fehlen oder unzureichend sind (BFH- Beschlüsse vom 18. Januar 1993 X R 5/92, BFH/NV 1993, 610, und vom 29. April 1991 IV R 22/90, BFH/NV 1991, 698 m. w. N.).

Die Einwände des Klägers, das Urteil gehe nicht auf sein Begehren ein und in den Gründen werde erhebliches Vorbringen nicht beachtet, reichen zur Darlegung eines Begründungsmangels i. S. des § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO ebenfalls nicht aus. Selbst eine lückenhafte rechtliche Begründung stellt keinen Verfahrensmangel i. S. des § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO dar (BFH-Beschluß vom 9. Juni 1988 VI R 77/86, BFH/NV 1989, 179). Das FG braucht sich nicht mit jeder rechtlichen Erwägung auseinanderzusetzen, die ein Beteiligter vorbringt, um den Einwand zu vermeiden, die Entscheidung sei nicht im Sinne des Gesetzes mit Gründen versehen (BFH-Beschluß vom 2. Februar 1987 III R 131/86, BFH/NV 1987, 311). Auch bei einer gegebenenfalls unvollständigen, unzureichenden oder sonst fehlerhaften Begründung liegt keine "nicht mit Gründen versehene Entscheidung" i. S. von § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO vor, sofern noch zu erkennen ist, welche Überlegungen für das Gericht maßgeblich waren (BFH-Beschlüsse vom 5. Februar 1988 VI R 65/86, BFH/NV 1988, 583, und in BFH/NV 1989, 179 m. w. N.). Diese Voraussetzung kann sogar dann erfüllt sein, wenn das FG sich nicht ausdrücklich zu einer bestimmten Frage geäußert hat (BFH- Urteil vom 15. April 1986 VIII R 325/84, BFHE 147, 101, BStBl II 1987, 195). Die Beteiligten müssen lediglich durch die Entscheidung Kenntnis davon erhalten, auf welchen Feststellungen, Erkenntnissen oder rechtlichen Überlegungen das Urteil beruht (BFH-Beschluß vom 15. April 1992 III R 31/91, BFH/NV 1993, 367). Im Streitfall hat sich das FG im übrigen mit der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Beschwerdeentscheidung in seinen Entscheidungsgründen auseinandergesetzt. Daß es nicht auf jedes Vorbringen des Klägers eingegangen ist, führt nicht dazu, daß seine Entscheidung nicht mit Gründen versehen ist.

Das FG hat das Schreiben vom 14. August 1989 seinem Wortlaut gemäß dahin ausgelegt, daß der Kläger damit Beschwerde i. S. des § 349 AO 1977 eingelegt hat, die mangels eines anfechtbaren Verwaltungsakts unzulässig war. Es hat ferner die Beschwerde gegenüber einem Antrag auf Erteilung eines Abrechnungsbescheids abgegrenzt, den es nach dem Antragsschreiben als "gleichzeitig", d. h. zusätzlich gestellt angesehen hat. Selbst wenn diese Auslegung des FG nicht zutreffend sein sollte, stellt es keinen Begründungsmangel dar, wenn das Gericht auf die vom Kläger gewünschte Deutung seines Antragsschreibens nicht eingegangen ist.

Die vom Kläger vorgebrachte Rüge, die Entscheidungsgründe seien formelhaft, reicht ebenfalls nicht aus, um einen Verfahrensmangel i. S. des § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO schlüssig zu bezeichnen. Wenn die Begründung aus inhaltsleeren Floskeln besteht, kann zwar ein solcher Mangel vorliegen (BFH-Beschluß in BFH/NV 1994, 46; Gräber/Ruban, a.a.O., 3. Aufl., § 119 Anm. 24). Der Kläger bezieht sein Vorbringen aber ersichtlich auf die vom FG getroffenen Aussagen zum gerichtlichen Verfahren (Akteneinsicht, Beiziehung weiterer Akten, Beweiserhebung, Terminierung, Aussetzung, Vorabentscheidung). Wenn diese auch knapp gehalten sind, so stellen sie jedoch keine inhaltsleeren Floskeln dar. Vielmehr konnte der Kläger erkennen, daß die von ihm vorgebrachten Rügen und eingebrachten Anträge aus Sicht des FG unbegründet waren.

Selbst wenn aber die Richtigkeit des klägerischen Vorbringens unterstellt wird, läge noch kein Verfahrensmangel i. S. des § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO vor. Eine fehlende Begründung der Entscheidung des FG kann nur in Betracht kommen, wenn und soweit das sachliche Begehren des Klägers und die damit zusammenhängenden Angriffs- und Verteidigungsmittel betroffen sind (BFH-Beschluß vom 5. Dezember 1986 VI R 58/86, BFH/NV 1987, 175 zur Begründung der Kostenentscheidung). Der Einwand des Klägers, das FG habe selbständige Angriffs-und Verteidigungsmittel mit Stillschweigen übergangen, indem es nicht auf die Befangenheit der Verwaltungsbediensteten, die fehlerhafte Ermessensausübung und Auslegung seines Begehrens eingegangen sei, ist ebenfalls nicht schlüssig begründet. Unter selbständigen Ansprüchen und selbständigen Angriffs- oder Verteidigungsmitteln sind nur die eigenständigen Klagegründe und solche Angriffs- und Verteidigungsmittel zu verstehen, die den vollständigen Tatbestand einer mit selbständiger Wirkung ausgestatteten Rechtsnorm bilden (BFH-Beschlüsse in BFH/NV 1994, 46, und in BFHE 121, 298, BStBl II 1977, 351). Das Vorbringen des Klägers stellt nur unselbständige Begründungselemente dar, die die von ihm geltend gemachte Rechtswidrigkeit der Beschwerdeentscheidung belegen sollen, nicht aber selbständige Angriffs- oder Verteidigungsmittel im dargestellten Sinn. Auf die behauptete Befangenheit der Verwaltungsbediensteten und die fehlerhafte Ermessensausübung kommt es nach der den Entscheidungsgründen zugrundeliegenden Rechtsauffassung des FG nicht an. Entscheidend ist für die Verfahrensrüge nur, ob erkennbar ist, welche Überlegungen für das Gericht maßgeblich waren (BFHE 121, 298, BStBl II 1977, 351). Diese Voraussetzung kann sogar dann vorliegen, wenn das FG sich nicht ausdrücklich zu einer bestimmten Frage geäußert hat (BFH-Urteil in BFHE 147, 101, BStBl II 1987, 195). Diesen Anforderungen genügt das Urteil. Das FG hat die vom FA und von der OFD vorgenommene Auslegung des Schreibens des Klägers vom 14. August 1989 gebilligt. Die Nennung bestimmter Rechtsvorschriften ist nicht erforderlich. Im Streitfall reicht aus, daß die Rechtsansichten erkennbar werden.

Daß das Urteil im Streitfall eine ausreichende Begründung enthält, gilt im übrigen um so mehr, als das FG seine Entscheidung ergänzend auf das Vorrangverhältnis der Verfahren über die inzwischen ergangenen Abrechnungsbescheide gegenüber dem vorliegenden Klagebegehren gestützt hat. Dabei ist es für den Verfahrensmangel nach § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO unerheblich, ob das FG aus dem Vorrang des Verfahrens nach § 218 Abs. 2 AO 1977 die zutreffenden rechtlichen Schlußfolgerungen für das Klageverfahren gezogen hat.

Insofern hat der Kläger nicht schlüssig gerügt, daß das angefochtene Urteil die wesentlichen Entscheidungsgründe nicht erkennen lasse. Vielmehr wendet er sich gegen die im Urteil angegebenen Gründe, die für die Überzeugung des FG leitend waren, daß die Beschwerdeentscheidung rechtmäßig war.

4. Die vom Kläger weiterhin behaupteten Verfahrensfehler (Verletzung des rechtlichen Gehörs, verhinderte Akteneinsicht, erschwerte Prozeßführung usw.) fallen nicht unter die in § 116 Abs. 1 FGO abschließend aufgezählten Verfahrensmängel (BFH-Beschluß vom 3. Februar 1993 IV R 4/92, BFH/NV 1994, 42 m. w. N.). Sie können die zulassungsfreie Revision nicht eröffnen. Mit seinem sonstigen Vorbringen insbesondere hinsichtlich der Auslegung seines Schreibens vom 14. August 1989 wendet der Kläger sich gegen die vom FG getroffene Sachentscheidung. Die in Form von Verfahrensrügen gekleideten Rügen der Verletzung des materiellen Rechts vermögen jedoch nicht die zulassungsfreie Revision zu begründen (BFH-Beschluß in BFHE 121, 298, BStBl II 1977, 351, und Urteil vom 6. März 1985 II R 240/83, BFHE 143, 393, BStBl II 1985, 494). Es liegt auch kein Verfahrensmangel i. S. des § 116 Abs. 1 FGO vor, wenn das FG bei der rechtlichen Würdigung des die Entscheidung bildenden Sachverhalts einen bestimmten rechtlichen Gesichtspunkt übergangen haben sollte (BFH-Beschluß vom 18. Februar 1993 VI R 23/92, BFH/NV 1993, 552).

 

Fundstellen

Haufe-Index 420118

BFH/NV 1995, 406

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