Leitsatz (amtlich)

Setzt ein nachträglich ergangener Gewinnfeststellungsbescheid den Gewinn in derselben Höhe fest, die im vorausgegangenen Einkommensteuerbescheid berücksichtigt wurde, kann gegenüber dem Einkommensteuerbescheid nicht mehr geltend gemacht werden, das FA habe den Gewinn in unzulässiger Weise ermittelt; den Gewinn betreffende Einwendungen können nur gegenüber dem Feststellungsbescheid erhoben werden.

 

Normenkette

AO 1977 § 155 Abs. 2, § 182 Abs. 1, § 351 Abs. 2

 

Verfahrensgang

FG Rheinland-Pfalz

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) bewirtschaftet gemeinsam mit Angehörigen einen Ackerund Weinbaubetrieb; außerdem vertreibt er Bier. Auf Grund seiner Steuererklärungen war der Kläger für die Jahre 1973 bis 1975 nicht oder mit null DM zur Einkommensteuer veranlagt worden. Eine Betriebsprüfung führte zu gewissen Steuernachforderungen für diese Jahre. In der Folge wurde eine weitere Prüfung wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung durchgeführt. Hierbei wurde festgestellt, daß der Kläger in erheblichem Umfang bisher nicht erklärte und versteuerte Faß- und Flaschenweinverkäufe, zum Teil unter fremdem Namen, getätigt hatte. Außerdem ergaben sich Anhaltspunkte für bisher ebenfalls nicht erklärte Bierverkäufe. Im Anschluß an diese Feststellungen schätzte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) die Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft sowie aus Gewerbebetrieb für den Zeitraum 1973 bis 1975 sowie auch für die Jahre 1976 und 1977. Das FA berichtigte deshalb im Jahre 1979 die Einkommensteuerbescheide 1973 bis 1975 und nahm für 1976 und 1977 Erstveranlagungen vor. Die Steuerbescheide und der Einspruchsbescheid wurden an den Kläger, nicht auch an seine Ehefrau gerichtet.

Mit seiner Klage machte der Kläger vor allem geltend, daß sein Sohn seit dem 1. Juli 1976 Gesellschafter und Mitunternehmer gewesen sei; außerdem griff er die Prüfungsfeststellungen als unrichtig an. Im finanzgerichtlichen Verfahren stellte sich heraus, daß die Weinberge überwiegend im Miteigentum des Klägers und seiner Ehefrau standen. Das FA stellt daraufhin im Juli 1983 die Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft für die Ehegatten als Mitunternehmer gesondert und einheitlich fest, und zwar mit den Beträgen, die schon bei den Einkommensteuerveranlagungen berücksichtigt worden waren. Die Bescheide sind angefochten worden.

Das Finanzgericht (FG) hob die angefochtenen Einkommensteuerbescheide aus steuerverfahrensrechtlichen Gründen auf.

Mit seiner Revision rügt das FA fehlerhafte Anwendung der Abgabenordnung (AO 1977).

 

Entscheidungsgründe

Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.

1. Die Vorinstanz hat die an den Kläger gerichteten Einkommensteuerbescheide aufgehoben, weil das FA den erforderlichen Erlaß von einheitlichen Gewinnfeststellungsbescheiden hinsichtlich der gemeinsamen Einkünfte der Eheleute aus Land- und Forstwirtschaft verkannt und deshalb endgültige Ermittlungen zur Höhe dieser Einkünfte im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung angestellt habe. Zwar erlaube § 155 Abs. 2 i. V. m. § 162 Abs. 3 AO 1977 i. d. F. des Änderungsgesetzes vom 20. August 1980 (BGBl I 1980, 1545) dem FA, den Einkommensteuerbescheid (Folgebescheid) schon vor dem Ergehen des Gewinnfeststellungsbescheids (Grundlagenbescheid) zu erlassen; dies könne jedoch nur im Vorgriff auf den Grundlagenbescheid, mithin im Wege der Schätzung (§ 162 Abs. 3 AO 1977 n. F.) geschehen. Abschließende Ermittlungen seien dem FA versagt. Ähnliche Erwägungen liegen dem Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 26. Juli 1983 VIII R 28/79 (BFHE 139, 335, BStBl II 1984, 290 ) zugrunde.

Der Senat braucht hierauf nicht einzugehen. Denn im Streitfall hat sich die Rechtslage dadurch geändert, daß während des finanzgerichtlichen Verfahrens die Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft gesondert festgestellt worden sind.

2. Nach § 182 Abs. 1 AO 1977 sind Feststellungsbescheide für Folgebescheide bindend, soweit die getroffenen Feststellungen für diese Folgebescheide Bedeutung haben, und zwar auch dann, wenn die Feststellungsbescheide - wie im Streitfall - noch nicht unanfechtbar sind. Diese Bindungswirkung hat zur Folge, daß entsprechend den getroffenen Feststellungen ein Steuerbescheid zu erlassen ist, wenn ein Feststellungsbescheid erlassen wurde, und daß ein Steuerbescheid zu ändern ist, wenn der Feststellungsbescheid geändert wurde (§ 175 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977). Sie bewirkt auch, daß die Entscheidungen im Feststellungsbescheid nur durch Anfechtung dieses Bescheids, nicht auch durch Anfechtung des Steuerbescheids angegriffen werden können (§ 351 Abs. 2 AO 1977).

Alles dies gilt auch, wenn die Finanzbehörde zunächst einen Steuerbescheid erlassen hat und in der Folge den Feststellungsbescheid nachholt (vgl. BFH-Beschluß vom 19. Oktober 1978 IV B 34/77, BFHE 125, 510, BStBl II 1978, 632 , mit Rechtsprechungsnachweisen). An diesem bereits unter der Geltung der Reichsabgabenordnung (AO) bestehenden Rechtszustand hat die AO 1977 nichts geändert (vgl. Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 11. Aufl., § 175 Anm. 2). Das Änderungsgesetz vom 20. August 1980 bringt nur zum Ausdruck, daß der Folgebescheid vor dem Grundlagenbescheid ergehen darf und daß dem FA in diesem Fall bei Erlaß des Folgebescheids eine eigene, wenn auch nach Meinung des FG eingeschränkte Ermittlungskompetenz zukommt.

Hätte danach die Finanzbehörde einen Feststellungsbescheid erlassen, der für die Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft einen anderen Betrag auswies als er bisher im Verfahren der Steuerfestsetzung vorläufig zugrunde gelegt wurde, und hätte das FA den Steuerbescheid dem angepaßt, so hätte der Kläger nicht mehr geltend machen können, die Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft seien im zunächst ergangenen Steuerbescheid unzutreffend ermittelt worden und der Steuerbescheid sei deswegen rechtswidrig. Über die Höhe der Einkünfte wäre nunmehr allein im Feststellungsbescheid befunden, die den Steuerbescheid erlassende Finanzbehörde hätte insoweit keine Ermittlungskompetenz mehr. Dementsprechend hätte der Kläger das Ermittlungsergebnis nur im Verfahren gegen den Feststellungsbescheid beanstanden können. Nicht anders wäre zu entscheiden gewesen, wenn die Finanzbehörde zwar nachträglich einen Feststellungsbescheid erlassen, den Steuerbescheid aber nicht den abweichenden Feststellungen angepaßt hätte. In diesem Fall hätte der Kläger auf die Anpassung des Steuerbescheids drängen, Einwendungen gegen die Höhe der Einkünfte gemäß § 351 Abs. 2 AO 1977 aber nur gegenüber dem Feststellungsbescheid geltend machen können.

3. Der Streitfall unterscheidet sich von diesen angenommenen Gestaltungen dadurch, daß der nachträglich ergangene Feststellungsbescheid die Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft in derselben Höhe festsetzt, wie sie dem Steuerbescheid zugrunde gelegt worden waren. Für eine Anpassung des Steuerbescheids ist in diesem Fall kein Raum. Die AO 1977 sieht auch nicht vor, daß bei dieser Sachlage der Steuerbescheid aufgehoben und sogleich mit unverändertem Inhalt wieder erlassen wird; dies liefe auf eine sinnlose Förmelei hinaus.

Gleichwohl besteht die in § 182 Abs. 1 AO 1977 vorgesehene Bindungswirkung auch in diesem Fall. Deshalb können Einwendungen gegen die Höhe der Einkünfte gemäß § 351 Abs. 2 AO 1977 nur im Verfahren gegen den Feststellungsbescheid und nicht mehr gegenüber dem Steuerbescheid erhoben werden. Einwendungen, die die Unzulässigkeit des Ansatzes der inzwischen gesondert festgestellten Einkünfte im klageweise angefochtenen Steuerbescheid betreffen, sind nunmehr prozessual überholt. Sie können nicht mehr zur Aufhebung des Steuerbescheids führen. Die vom FG gleichwohl ausgesprochene Aufhebung des Steuerbescheids hätte, wie hervorgehoben, nur zur Folge, daß der Bescheid im Hinblick auf den inzwischen ergangenen Feststellungsbescheid sogleich mit unverändertem Inhalt wieder ergehen müßte. Dies kann nicht der Sinn eines geordneten Rechtsschutzverfahrens sein.

Das FG wird, sofern gegen den Erlaß der angefochtenen Steuerbescheide nicht durchgreifende andere Bedenken bestehen, nunmehr das Ergebnis des Feststellungsverfahrens abwarten und ggf. das vorliegende Verfahren aussetzen müssen (vgl. BFH-Beschluß vom 27. September 1972 I B 27/72, BFHE 107, 8, BStBl II 1973, 24 ; Urteil vom 3. Februar 1976 VIII R 29/71, BFHE 118, 135, BStBl II 1976, 396 ). Soweit für den Kläger nicht vom Feststellungsverfahren betroffene Einkünfte angesetzt worden sind, ist das FG an eigenen Ermittlungen nicht gehindert.

 

Fundstellen

Haufe-Index 426023

BStBl II 1985, 3

BFHE 1985, 96

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