Leitsatz (amtlich)

1. Mit Rücksicht auf das Grundrecht der Pressefreiheit bedarf es bei jeder gegen die Presse gerichteten Maßnahme der Steueraufsicht (§ 201 AO) einer Abwägung zwischen den Erfordernissen einer freien Presse und den Belangen der Finanzbehörden.

2. Der Verleger einer Tageszeitung darf die Auskunft auf ein unter Bezugnahme auf §§ 201, 175 AO gestütztes Ersuchen des FA, den Inserenten einer Chiffreanzeige zu benennen, nicht unter Hinweis auf das Zeugnisverweigerungsrecht, das in § 22 Abs. 1 des Hamburgischen Pressegesetzes vom 29. Januar 1965 (Hamburgisches Gesetzund Verordnungsblatt I 1965 S. 15) den Presseangehörigen eingeräumt ist, verweigern.

 

Normenkette

GG Art. 5; AO §§ 201, 175; HmbPrG § 22 Abs. 1

 

Nachgehend

BVerfG (Beschluss vom 30.10.1975; Aktenzeichen 1 BvR 15/74)

 

Gründe

Die Revision ist begründet.

Das FA hat zu Recht die Angabe des Inserenten der hier in Rede stehenden Anzeige verlangt.

1. Nach § 201 Abs. 1 AO haben die FÄ darüber zu wachen, ob durch Steuerflucht oder in sonstiger Weise zu Unrecht Steuereinnahmen verkürzt werden. § 201 AO begründet eine allgemeine Steueraufsicht mit der Folge, daß das FA nach § 175 AO auch von dritten Personen Auskunft zum Zweck der Aufdeckung unbekannter Steuerfälle fordern kann. Es genügt die Möglichkeit, daß Steuereinnahmen in der Vergangenheit verkürzt worden sind oder in Zukunft verkürzt werden. § 201 AO ist eine Ermessensvorschrift. Sie gibt den FÄ weitgehende Befugnisse, die für den einzelnen außerordentlich einschneidend sein können. Rechtsstaatliche Grundsätze erfordern es daher, daß die Steueraufsicht im Einzelfall nicht willkürlich und uferlos und unter Außerachtlassung des Grundsatzes von Recht und Billigkeit ausgeübt wird (§ 2 StAnpG). Das hat der BFH in seinen Entscheidungen vom 22. November 1951 IV 337/50 U (BFHE 56, 65, BStBl III 1952, 27), vom 7. Februar 1952 IV 430/51 S (BFHE 56, 122, BStBl III 1952, 52) und vom 1. Juli 1959 II 99/56 U (BFHE 69, 409, BStBl III 1959, 413) betont.

Die genannte Rechtsprechung des BFH ging noch davon aus, daß ein begründeter Anhalt oder Anlaß für die Annahme einer Steuerverkürzung oder Steuerflucht - diese Voraussetzung hatte der RFH in dem Gutachten vom 20. Mai 1933 GrS D 4/32 (RFHE 33, 248, RStBl 1933, 520) zunächst verlangt, dann aber in dem Urteil vom 24. April 1936 IV A 17/36 (RFHE 39, 228, RStBl 1936, 536) diese einschränkende Auslegung des § 201 AO wieder aufgegeben - nicht vorzuliegen braucht, um ein derartiges Auskunftsersuchen zu rechtfertigen. In dem Beschluß des Großen Senats vom 13. Februar 1968 GrS 5/67 (BFHE 91, 351, BStBl II 1968, 365) hat der BFH seine Auffassung geändert und sich der älteren Rechtsprechung des RFH wieder angeschlossen. Er führt aus, aus der Überwachungsfunktion des § 201 Abs. 1 AO ergebe sich nicht nur die Rechtfertigung, sondern auch die Begrenzung der Steueraufsicht. Durch Wortlaut und Systematik sei die Anwendung des § 201 AO eingeengt. Es müsse nach den gesamten Umständen ein begründeter Anlaß für eine Steueraufsichtsmaßnahme bestehen. Dieser liege vor, wenn auf Grund konkreter Momente oder auf Grund allgemeiner Erfahrung eine Anordnung bestimmter Art geboten sei. Da lediglich eine Überwachungsaufgabe erfüllt werde, sei nicht etwa ein Tatverdacht, wie er bei Einleitung eines Strafverfahrens erforderlich sei, vorauszusetzen, sondern es genüge, daß die Möglichkeit einer Steuerverkürzung in Betracht komme.

In Übereinstimmung mit dem Urteil II 99/56 U ist der erkennende Senat der Auffassung, daß bei einem solchen im Rahmen der Steueraufsicht begründeten Verlangen des FA weder eine Verletzung der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) noch eine Verletzung des Grundrechts auf die freie Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2 Abs. 1 GG) noch ein Verstoß gegen die Freiheit der Berufsausübung (Art. 12 Abs. 1 GG) vorliegt.

2. Der BFH hat allerdings in seinen Entscheidungen, soweit sie die Angabe des Inserenten einer Chiffreanzeige zum Gegenstand hatten, keine Ausführungen zu der Frage gemacht, ob und inwieweit ein auf §§ 201, 175 AO gestütztes Auskunftsersuchen des FA mit dem Grundrecht der Pressefreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG) in Einklang steht. Das ist insbesondere in der Hinsicht von Bedeutung, ob die Presse unter Berufung auf das Grundrecht der Pressefreiheit das Chiffregeheimnis auch gegenüber der Finanzverwaltung wahren darf, zumal ihr nach den Vorschriften der §§ 175 ff. AO ein Auskunftsverweigerungsrecht nicht ausdrücklich eingeräumt worden ist.

Das Grundrecht der Pressefreiheit, das nach der Entscheidung des BVerfG vom 4. April 1967 1 BvR 414/64 (BVerfGE 21, 271 [277]) auch für juristische Personen gilt, gibt dem freiheitlichen Rechtsstaat das Gepräge. Es ist mehr als nur ein Unterfall der garantierten freien Meinungsäußerung (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG), da darüber hinaus durch das Grundrecht der Pressefreiheit die institutionelle Eigenständigkeit der Presse gewährleistet ist (Entscheidung des BVerfG vom 6. Oktober 1959 1 BvL 118/53, BVerfGE 10, 118 [121]). Die Presse kann die ihr zukommende wichtige Funktion der Information, Kontrolle und Kritik sowie der Mitwirkung bei der Bildung der öffentlichen Meinung sachgerecht nur ausüben, wenn ihre äußere und innere Freiheit gesichert ist (Löffler, Presserecht, 2. Aufl., Bd.I, 5. Kapitel, Rdnr. 3). Die Pressefreiheit reicht deshalb, worauf das FG zu Recht hingewiesen hat, von der Beschaffung der Information bis zur Verbreitung der Nachrichten und Meinungen (Entscheidungen des BVerfG 1 BvL 118/53, vom 28. Februar 1961, 2 BvG 1, 2/60, BVerfGE 12, 205 [260]; vom 5. August 1966 1 BvR 586/62 usw., BVerfGE 20, 162 [176]). Hierzu gehört ein gewisser Schutz des Vertrauensverhältnisses zwischen Presse und privatem Informanten. Die Presse kann auf private Mitteilungen nicht verzichten. Diese Informationsquelle fließt nur dann ergiebig, wenn sich der Informant grundsätzlich darauf verlassen kann, daß das "Redaktionsgeheimnis" gewahrt wird.

Nach der Entscheidung des BVerfG 1 BvR 414/64 [278] umfaßt die Pressefreiheit auch den Anzeigenteil einer Zeitung; denn eine Anzeige ist ebenfalls eine Nachricht, auch wenn in ihr nur unbekannte Leser aufgefordert werden, Angebote zum Abschluß eines Vertrags über den in der Anzeige bezeichneten Gegenstand zu machen. Die Presse informiert hier, wie bei der Weitergabe von Nachrichten, über bestimmte Sachverhalte oder zeigt wirtschaftliche Möglichkeiten auf. Das gehört nach Auffassung des BVerfG zu den typischen Aufgaben der Presse. Es weist in diesem Zusammenhang ausdrücklich darauf hin, daß auch der Anzeigenteil geeignet sei, die Anliegen inserierender Stellen zu offenbaren. Es könnten daraus gewisse Schlüsse auf die kulturelle, politische und wirtschaftliche Lage im Verbreitungsgebiet der Zeitung gezogen werden. Aus diesem Grund neige gerade ein der Pressefreiheit abgeneigter Staat dazu, auch den Anzeigenteil einer Zeitung zu kontrollieren. Das Auskunftsersuchen des FA, den Inserenten einer Chiffreanzeige zu benennen, berührt somit das durch Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG geschützte Grundrecht der Pressefreiheit.

Nun bestimmt aber Art. 5 Abs. 2 GG, daß die Grundrechte der Meinungs- und Pressefreiheit ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze finden. Zu dem Bereich der allgemeinen Gesetze gehören die Vorschriften der Reichsabgabenordnung über die Steueraufsicht und die damit in enger Beziehung stehenden Vorschriften über die Auskunftspflichten Dritter, hier insbesondere der §§ 201, 175 ff. Diese Vorschriften richten sich nicht allein gegen die Presse, sondern gegen jedermann. Hieraus könnte gefolgert werden, der Geltungsbereich der Grundrechte der freien Meinungsäußerung und der Pressefreiheit sei von vornherein auf den Bereich beschränkt, den ihm die Gerichte durch die Auslegung der allgemeinen Gesetze noch belassen. Diese Auffassung hat das BVerfG nicht gebilligt (Entscheidungen vom 15. Januar 1958 1 BvR 400/51, BVerfGE 7, 198 [207], und 1 BvR 586/62 usw. [177]). Nach dessen Rechtsprechung müssen die allgemeinen Gesetze in ihrer das Grundrecht beschränkenden Wirkung ihrerseits im Lichte der Bedeutung dieses Grundrechts gesehen und so ausgelegt werden, daß der besondere Wertgehalt dieses Grundrechts gewahrt bleibt. Die gegenseitige Beziehung zwischen Grundrecht und "allgemeinem Gesetz" darf daher nicht als einseitige Beschränkung der Geltungskraft des Grundrechts durch die "allgemeinen Gesetze" aufgefaßt werden. Es findet vielmehr eine Wechselwirkung in dem Sinn statt, daß die "allgemeinen Gesetze" zwar dem Wortlaut nach dem Grundrecht Schranken setzen, ihrerseits aber aus der Kenntnis der wertsetzenden Bedeutung dieses Grundrechts im freiheitlichen demokratischen Staat ausgelegt und in ihrer das Grundrecht begrenzenden Wirkung selbst wieder eingeschränkt werden müssen.

Mit Rücksicht auf das Grundrecht der Pressefreiheit bedarf es daher bei jeder gegen die Presse gerichteten Maßnahme einer Abwägung mit den Erfordernissen einer freien Presse. Grundsätzlich hat der Gesetzgeber diesen Konflikt zu lösen (BVerfG-Entscheidung 1 DvR 586/62 usw. [187]). Trägt das Gesetz diesem Erfordernis nicht oder nur beschränkt Rechnung, ist es Aufgabe des Richters, die gebotene Abwägung mit der wertsetzenden Bedeutung des Grundrechts der Pressefreiheit vorzunehmen. Hierbei muß die Auslegung und Anwendung der allgemeinen Gesetze der vollen Wirkungskraft des Grundrechts Raum lassen. Die Güterabwägung ist nicht abstrakt vorzunehmen, sondern die Besonderheiten des einzelnen Falles sind einzubeziehen, und es muß der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit berücksichtigt werden (BVerfG-Entscheidung 1 BvR 586/62 usw. [213]).

3. Der heute geltende § 201 AO ist als § 201a auf Grund der Notverordnung des Reichspräsidenten vom 1. Dezember 1930 (RGBl I, 517 [556]) in die Reichsabgabenordnung eingefügt worden. Diese Notverordnung bezweckte nach der ihr gegebenen Überschrift die Sicherung von Wirtschaft und Finanzen. Becker (StuW 1931 Sp. 554) spricht von einem Notstandsrecht, das den FÄ in Zeiten unerhörter Not bisher unerhörte Mittel an die Hand geben wollte, um der Verkürzung der Steuereinnahmen vorzubeugen. Gleichwohl war der steuerrechtliche Teil dieser Notverordnung nicht etwa von nur vorübergehender Bedeutung. Die Notverordnung brachte auf diesem Gebiet eine umfassende Vereinheitlichung und Vereinfachung des Steuerrechts mit sich und änderte die Reichsabgabenordnung grundlegend, so daß diese nunmehr zu einer Art Steuergrundgesetz des Reiches geworden war (Becker, StuW 1931 Sp. 38, 42).

Unmittelbarer Zweck des § 201 AO ist somit, wie schon aus dem Wortlaut des Abs. 1 dieser Vorschrift hervorgeht, die Sicherstellung der Steuereinnahmen. Diese bilden die Haupteinnahmequellen des modernen Staates. Ohne gesicherte Staatseinnahmen ist der heutige Staat funktionsunfähig. Die finanzielle Sicherheit des Staates ist daher ein den Grundrechten gleichwertiges und schutzwürdiges Gemeinschaftsgut. Ferner soll § 201 AO der Finanzverwaltung den Vollzug der Steuergesetze hinsichtlich aller eine Steuer auslösenden Tatbestände ermöglichen. Die Vorschriften der Steueraufsicht dienen damit gleichzeitig der gerechten Verteilung der Steuerlasten und tragen dazu bei, den Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung zu verwirklichen. Dieser Grundsatz hat Verfassungsrang (BFH-Urteil vom 30. Januar 1969 V 149/64, BFHE 95, 236, BStBl II 1969, 409). Es sind somit mehrere höherwertige schutzwürdige Rechtsgüter vorhanden, die dem Grundrecht der Pressefreiheit zumindest gleichwertig sind.

Unter Berücksichtigung dieser Gesichtspunkte kann die Presse nicht schlechthin von der Anwendung der Vorschriften der AO über die Steueraufsicht, hier insbesondere der §§ 201, 175 ff., freigestellt werden. Wie das BVerfG in der schon mehrfach erwähnten Entscheidung 1 BvR 586/62 usw. [216]) ausgesprochen hat, ist das Korrelat der Pressefreiheit eine verantwortungsbewußt arbeitende Presse. Ihr ist eine Mitverantwortung für die Sicherheit des Staatswesens aufgegeben. Sie kann daher nicht aus der Mitverantwortung für den Bestand und das Wohlergehen des Staates entlassen werden, mögen sich die Presseorgane im einzelnen unterschiedliche Ziele setzen und sie mit verschiedenen Mitteln und publizistischen Methoden verfolgen.

Wird, wie im vorliegenden Fall, in einer Tageszeitung ein größerer Posten Industriediamenten zu einem ungewöhnlich niedrigen Preis - hier dem halben Börsenpreis - mittels einer Chiffreanzeige zum Verkauf angeboten, liegt es auf der Hand, daß dieses Verkaufsgeschäft möglicherweise der Besteuerung entzogen wird. Das FA ist verpflichtet, diesem ihm unbekannten Steuerfall nachzugehen. Hat es daher einen besonderen Anlaß, den Inserenten einer Chiffreanzeige zu erfahren, darf die Auskunft nicht unter Berufung auf das Grundrecht der Pressefreiheit verweigert werden. Mit Recht weist das FA in seiner Revisionsbegründung auf die Folgen hin, die sich ergeben, wenn ihm die Ermittlung unbekannter Steuerfälle mit Rücksicht auf ein Chiffregeheimnis weitgehend versagt sein sollte. Der Ausweg, daß der Zeitungsverlag das Auskunftsersuchen, ohne es selbst zu beantworten, an den nur ihm namentlich bekannten Inserenten weitergibt und es diesem überläßt, sich mit dem FA in Verbindung zu setzen, ist völlig unzureichend. Es steht dann im freien Belieben des Inserenten, ob er sich dem FA offenbaren will.

4. Die Klägerin hält nun unter Berufung auf ein Landesgesetz, hier auf § 22 Abs. 1 HmbPrG, die Auskunftsverweigerung ihrer Rechtsvorgängerin für statthaft. Nach dieser Bestimmung kann derjenige das Zeugnis über die Person des Verfassers, Einsenders oder Gewährsmannes von Beiträgen und Unterlagen sowie über die ihm anvertrauten Tatsachen verweigern, der bei der Herstellung, Veröffentlichung oder Verbreitung eines periodischen Druckwerks mitgewirkt hat. Ein gleiches Zeugnisverweigerungsrecht gilt für Rundfunkangehörige. Damit hat ein Landesgesetz der Presse ein umfassendes Zeugnisverweigerungsrecht eingeräumt, das sich nicht nur auf den redaktionellen Teil, sondern auch auf den Anzeigenteil einer Zeitung erstreckt. Das FG hat sich der Ansicht der Klägerin angeschlossen und ausgeführt, daß das Zeugnisverweigerungsrecht nach § 22 Abs. 1 HmbPrG nicht nur auf das gerichtliche Verfahren beschränkt ist, sondern auch gegenüber den Finanzbehörden gilt, wenn diese im Steueraufsichtsverfahren unter Stützung auf die §§ 201, 175 AO von einem Presseorgan Auskunft über den Inserenten einer Chiffreanzeige verlangen; es meint also, daß bei Kollision dieser Vorschriften die landesrechtliche Norm gegenüber der bundesrechtlichen Norm, deren Geltung auf Art. 125 GG beruht, durchgreife.

Dieser Auffassung vermag sich der erkennende Senat nicht anzuschließen. § 22 Abs. 1 HmbPrG spricht von der Befugnis eines näher umrissenen Personenkreises, das "Zeugnis" über bestimmte Personen und Tatsachen zu verweigern. Die Verwendung des Wortes "Zeugnis" macht deutlich, daß das in dieser Bestimmung eingeräumte Zeugnisverweigerungsrecht nur in solchen Verfahren Anwendung finden kann, in denen eine gesetzliche Zeugnispflicht besteht. Das sind aber grundsätzlich nur die gerichtlichen Verfahren. Der Zusammenhang mit den übrigen Bestimmungen in § 22 HmbPrG - dem Verbot der Beschlagnahme von Schriftstücken und Unterlagen, wenn sie zum Zweck der Ermittlung der Informanten der Presseorgane geschieht (Abs. 2), sowie dem Verbot auf dieses Ziel gerichteter Durchsuchungen (Abs. 3) - läßt eindeutig erkennen, daß das durch ein Landesgesetz der Presse eingeräumte Zeugnisverweigerungsrecht seinem Sinn und Zweck nach vornehmlich im Strafverfahren und in Verfahren, auf die die strafprozessualen Regeln Anwendung finden, von Bedeutung ist. Eine Befugnis, unter den gleichen Voraussetzungen etwa eine "Auskunft" gegenüber den Finanzbehörden in einem Steueraufsichtsverfahren zu verweigern, ist dem Wortlaut dieser Bestimmung nicht zu entnehmen.

Eine "Auskunft" kann entgegen der Auffassung des FG einem im gerichtlichen Verfahren abzulegenden "Zeugnis" nicht gleichgesetzt werden. Der Begriff "Auskunft" ist vom Gesetzgeber der AO in § 175 bewußt gewählt worden, um darauf hinzuweisen, daß es sich hier nicht um eine formelle Zeugenaussage, etwa im Sinn des Straf- oder Zivilprozesses, handelt. Bei der Auskunft nach der AO genügen einfachere Formen der Bekundung des Wissens über bestimmte Tatsachen (Tipke-Kruse, Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Kommentar, 2. bis 5. Aufl., § 182 AO Anm. 7). Im Interesse möglichst geringer Belästigung der Auskunftsperson soll die Auskunft grundsätzlich schriftlich erbeten und erteilt werden (§ 175 Abs. 2 AO). Eine Auskunftsperson kann zwar nach § 182 Abs. 1 AO angehalten werden, die Wahrheit ihrer Aussage durch Eid zu bekräftigen. Wie sich aber aus dem in dieser Vorschrift angeführten § 209 ergibt, ist der Eid hier nur das letzte Mittel zur Aufklärung eines Sachverhalts. Eidliche Bekräftigungen sollen nur gefordert werden, wenn andere Mittel zur Erforschung der Wahrheit nicht vorhanden sind.

Um das Gewissen der Auskunftsperson im Interesse einer möglichst wahrheitsgemäßen Aussage anzuspannen, sah sich der Gesetzgeber der AO ferner veranlaßt, in § 182 Abs. 3 ausdrücklich auszusprechen, daß die Auskunftsperson als Zeuge im Sinne des Strafgesetzbuches "gilt". Diese strafrechtliche Gleichstellung einer Auskunftsperson mit einem Zeugen ließ sich somit nur auf dem Wege einer Unterstellung (Fiktion) erreichen. Die Zuhilfenahme einer Fiktion deutet hier jedoch gleichfalls darauf hin, daß der Gesetzgeber der AO unter einer Auskunftsperson nicht das gleiche wie unter einem im gerichtlichen Verfahren zur Ablegung eines "Zeugnisses" verpflichteten Zeugen verstanden hat.

Außerdem ist der Kreis der nach § 175 AO Auskunftspflichtigen weiter gezogen als der der Zeugnispflichtigen, beispielsweise in der Zivilprozeßordnung. Zeugnispflichtig und damit zeugnisfähig sind hier nur natürliche Personen. Auskunftspflichtig nach der Reichsabgabenordnung sind aber neben den natürlichen Personen auch alle juristischen Personen des privaten und öffentlichen Rechts, Gesellschaften, Anstalten, Berufsverbände und Berufsvertretungen sowie Behörden. Auf die bürgerlich-rechtliche Rechtsfähigkeit kommt es nicht an. Behörden, Verbände und sonstige Mehrheitsgebilde erteilen die Auskunft durch den Vorsteher oder durch die Geschäfts- oder Betriebsleitung. Ihrem Gegenstand nach ist die Offenbarungspflicht gegenüber den FÄ auf steuerliche Sachverhalte eingeschränkt, hier ist sie aber viel umfassender als gegenüber anderen Behörden. Das Recht der FÄ, auch von dritten Personen Auskünfte zu verlangen, hat nicht etwa den alleinigen Zweck, steuerstrafrechtliche Tatbestände aufzudecken oder die Grundlagen für die Einleitung eines Steuerstrafverfahrens zu liefern. Auf der anderen Seite dürfen die Bediensteten der Finanzverwaltung die ihnen aufgrund des Auskunftsrechts nach § 175 AO bekanntgewordenen Verhältnisse eines Steuerpflichtigen nicht unbefugt offenbaren. Sie sind über die Pflicht zur Amtsverschwiegenheit hinaus gehalten, das Steuergeheimnis zu wahren (§ 22 AO).

Wegen dieser aufgezeigten Besonderheiten kann nicht davon ausgegangen werden, daß der Hamburgische Gesetzgeber in § 22 HmbPrG mit der Befugnis der Presseangehörigen, hinsichtlich der ihnen anvertrauten Tatsachen das Zeugnis zu verweigern, zugleich auch ein Auskunftsverweigerungsrecht für Presseangehörige im Steuerermittlungs- oder Steueraufsichtsverfahren hat einführen wollen. Der erkennende Senat kann nicht unterstellen, daß dem Hamburgischen Gesetzgeber die schon seit Jahrzehnten bestehende Regelung der Auskunftspflichten dritter Personen im Steuerermittlungs- und Steueraufsichtsverfahren unbekannt gewesen sei. Auch die Motive, die den Landesgesetzgeber zur Regelung des Zeugnisverweigerungsrechts in einem Pressegesetz veranlaßt haben, geben nichts dafür her, daß dieses Recht auch in dem Verfahren nach § 175 AO Anwendung finden solle. Aus der vom FG angeführten Begründung zu § 23 des Entwurfs des Hamburgischen Pressegesetzes vom 17. Dezember 1963 (Mitteilungen des Senats an die Bürgerschaft Nr. 322 in "Verhandlungen zwischen Senat und Bürgerschaft", Jahrgang 1963 S. 845 [862]) ergibt sich lediglich, daß der Landesgesetzgeber die bisherige Regelung des Zeugnisverweigerungsrechts der Presseangehörigen auf dem Gebiet des Strafverfahrens und des Zivilprozesses als unbefriedigend angesehen hat und diese Lücken im Landespressegesetz geschlossen werden sollten.

Der erkennende Senat kann bei dem Schweigen des Gesetzes und wichtiger Gesetzgebungsmaterialien nicht ohne weiteres davon ausgehen, daß ein Landesgesetzgeber eigenständig in den Regelungsbereich der als Bundesrecht fortgeltenden AO (vgl. Art. 108, 125 GG) hat eingreifen wollen und möglicherweise in Kauf genommen hat, seine Gesetzgebungskompetenz zu überschreiten. Daher führt eine Auslegung des § 22 HmbPrG, die keinen Anlaß für die Unterstellung einer solchen Absicht sicht, dazu, daß das dort den Presseangehörigen eingeräumte Zeugnisverweigerungsrecht sich nicht auf die im Steueraufsichts- oder Steuerermittlungsverfahren verlangten Auskünfte der Finanzbehörden erstreckt.

Ergibt sich somit aus verschiedenen Gründen, daß das nach § 22 HmbPrG den Angehörigen der Presse eingeräumte Zeugnisverweigerungsrecht nicht in dem Verwaltungsverfahren nach §§ 201, 175 ff. AO Platz greift, brauchte der erkennende Senat nicht mehr auf die in der Literatur heftig umstrittene Frage einzugehen, ob das Zeugnisverweigerungsrecht der Presseangehörigen ausschließlich zur Materie des Presserechts gehört, das weitgehend der Gesetzgebungskompetenz der Länder unterliegt.

5. Das FA war nach alledem befugt, unter Bezugnahme auf die genannten Vorschriften der AO ein Auskunftsersuchen an die Klägerin hinsichtlich des Inserenten der hier in Rede stehenden Chiffreanzeige zu richten. Da sich die Klägerin geweigert hatte, diesem Ersuchen nachzukommen, konnte das FA seiner Aufforderung mit der Androhung eines Erzwingungsgeldes Nachdruck verleihen (§ 202 AO). Das Auskunftsersuchen genügt auch den Anforderungen, die der BFH in dem Urteil vom 27. April 1955 II 27/54 S (BFHE 60, 468, BStBl III 1955, 178) an eine Maßnahme nach § 202 AO gestellt hat. In der Verfügung sind die Rechtsgtundlagen angegeben. Außerdem ist auf eine vorangegangene Besprechung bei der OFD mit den Rechtsvertretern der Klägerin verwiesen. Desgleichen hat die Verwaltung in der späteren Beschwerdeentscheidung nochmals ausführlich die tatsächlichen und rechtlichen Grundlagen für das Auskunftsersuchen dargelegt.

Ergibt sich somit, daß das Auskunftsersuchen des FA nicht rechtswidrig war und die Klägerin nicht in ihren Rechten verletzt hat, war die Vorentscheidung, die zu einem anderen Ergebnis gelangt ist, aufzuheben und die Klage abzuweisen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 70753

BStBl II 1974, 172

BFHE 1974, 468

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