Entscheidungsstichwort (Thema)

Einräumung eines Nutzungsrechts an einem Einfamilienhaus zugunsten eines minderjährigen Kindes; Zurechnung der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung; zum Gestaltungsmißbrauch i. S. v. § 42 AO 1977

 

Leitsatz (NV)

Bestellen Eltern ihrem minderjährigen Kind (zivilrechtlich wirksam) ein schuldrechtliches Nutzungsrecht an einem Einfamilienhaus, welches das Kind -- vertreten durch die Eltern -- an fremde Dritte vermietet, sind die Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung dem Kind zuzurechnen. Es handelt sich nicht um einen Fall des Mißbrauchs von rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten i. S. v. § 42 AO 1977.

 

Normenkette

AO 1977 § 42; EStG § 21 Abs. 1 Nr. 1

 

Verfahrensgang

FG Köln

 

Tatbestand

Die Kläger und Revisionskläger (Kläger), zur Einkommensteuer zusammen veranlagte Eheleute, räumten mit schriftlichem Vertrag vom 26. Oktober des Streitjahres (1988) ihrer durch einen Ergänzungspfleger vertretenen minderjährigen Tochter unentgeltlich ein Nutzungsrecht an einem ihnen gehörenden Einfamilienhaus zunächst für die Zeit vom 1. November 1988 bis zum 31. August 1991 ein. Das Nutzungsrecht verlängerte sich jeweils um ein weiteres Jahr, wenn es nicht mit einer Frist von sechs Monaten zum 31. August gekündigt wurde. Die Tochter sollte nach dem Vertrag die Mieteinnahmen aus dem Haus erhalten und alle öffentlichen und privaten, nicht unmittelbar vom Mieter bezahlten Lasten tragen, solange das Nutzungsrecht bestand. Das Amtsgericht hielt eine vormundschaftsgerichtliche Genehmigung der Vereinbarung für nicht erforderlich.

Die Kläger vermieteten das Haus ab 1. November 1988 im Namen ihrer Tochter an fremde Dritte. Die Miete war nach dem Vertrag auf ein Konto der Tochter zu entrichten.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt -- FA --) rechnete die Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung aus dem Haus auch für November und Dezember 1988 den Klägern zu.

Einspruch und Klage blieben erfolglos. Das Finanzgericht (FG) führte aus, die Kläger hätten zwar das Nutzungsrecht zivilrechtlich wirksam eingeräumt. Ihre Tochter sei ab November 1988 Vermieterin geworden. Die Gestaltung sei aber rechtsmißbräuchlich. Angemessen wäre es gewesen, wenn die Kläger ihrer Tochter nicht das Nutzungsrecht eingeräumt, sondern Geldmittel aus versteuertem Vermögen für ihre zukünftige Ausbildung zugewandt hätten.

Mit der Revision rügen die Kläger Verletzung von § 2 Abs. 1 Nr. 6, § 12 Nr. 2, § 21 Abs. 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) und § 42 der Abgabenordnung (AO 1977). Nach ihrer Ansicht sind die Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung aus dem Haus für November und Dezember 1988 ihrer Tochter zuzurechnen.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Der während des Revisionsverfahrens ergangene geänderte Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr wurde auf Antrag der Kläger gemäß § 68 der Finanzgerichtsordnung (FGO) Gegenstand des Verfahrens.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Die Vorentscheidung ist aufzuheben und die Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2, § 127 FGO).

1. Das FG hat die Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung aus dem Haus für November und Dezember 1988 zu Unrecht den Klägern zugerechnet. Die Einkünfte für diesen Zeitraum erzielten nicht diese, sondern ihre Tochter.

a) Den Tatbestand der Einkunftsart Vermietung und Verpachtung erfüllt, wer die rechtliche oder tatsächliche Macht hat, eines der in § 21 Abs. 1 EStG genannten Wirtschaftsgüter anderen entgeltlich auf Zeit zur Nutzung zu überlassen. Er muß regelmäßig Vermieter oder Verpächter und damit Träger der Rechte und Pflichten aus dem Mietvertrag oder Pachtvertrag sein (Senatsurteil vom 31. Oktober 1989 IX R 216/84, BFHE 159, 319, BStBl II 1992; 506, m. w. N.).

Bestellen Eltern ihren minderjährigen Kindern den Nießbrauch an einem Grundstück, so können die Kinder den Tatbestand der Einkunftserzielung nur verwirklichen, wenn das Nutzungsverhältnis bürgerlich-rechtlich wirksam begründet worden ist. Die zivilrechtliche Wirksamkeit des Vertrages ist erforderlich, um eine klare Trennung der Verwaltung des eigenen Vermögens und der des Kindesvermögens zu gewährleisten. Erlangen die minderjährigen Kinder durch das Bestellen des Nießbrauchs nicht lediglich einen rechtlichen Vorteil oder haben sie das siebente Lebensjahr noch nicht vollendet, so müssen sie bei der Begründung des Nutzungsrechts durch einen Ergänzungspfleger vertreten werden (Senatsurteile vom 19. März 1991 IX R 247/87, BFH/NV 1991, 744, und in BFHE 159, 319, BStBl II 1992, 506).

b) Die Tochter der Kläger hatte im November und Dezember des Streitjahres aufgrund des unter Mitwirkung eines Ergänzungspflegers eingeräumten Nutzungsrechts die rechtliche Macht, das Grundstück anderen entgeltlich auf Zeit zur Nutzung zu überlassen. Daß das Nutzungsrecht nicht in das Grundbuch eingetragen wurde, steht einer Zurechnung der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung nach § 21 Abs. 1 Nr. 1 EStG nicht entgegen. Auch eine nur schuldrechtlich gesicherte Rechtsposition kann zu einer solchen Zurechnung führen (Senatsurteil vom 15. April 1986 IX R 52/83, BFHE 146, 415, BStBl II 1986, 605, m. w. N.). Bedeutungslos ist ferner, daß das Nutzungsrecht nicht unbefristet bestellt wurde. Auch der nur befristet Nutzungsberechtigte kann Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung erzielen (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 18. Oktober 1990 IV R 36/90, BFHE 162, 321, BStBl II 1991, 205, unter d, m. w. N.). Ob und gegebenenfalls welche Anforderungen an die Dauer des Nutzungsrechts zu stellen sind, braucht nicht entschieden zu werden. Jedenfalls reicht die im Streitfall vereinbarte Dauer von zunächst nahezu drei Jahren aus (vgl. zur Verwaltungsauffassung Tz. 53 des Schreibens des Bundesministers der Finanzen vom 15. November 1984, BStBl I 1984, 561).

Die Kläger konnten den Mietvertrag aufgrund des ihnen zustehenden Vermögenssorgerechts (§ 1626 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches) wirksam im Namen ihrer Tochter abschließen. Ein Ergänzungspfleger brauchte bei dem Vertragsabschluß nicht mitzuwirken (BFH-Urteil vom 13. Mai 1980 VIII R 128/78, BFHE 131, 216, BStBl II 1981, 299).

c) Die Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung für November und Dezember 1988 können den Klägern auch nicht mit der Begründung zugerechnet werden, die Voraussetzungen des § 42 AO 1977 lägen vor.

Nach dieser Vorschrift kann durch einen Mißbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts das Steuergesetz nicht umgangen werden. Liegt ein solcher Mißbrauch vor, so entsteht der Steueranspruch so, wie er bei einer den wirtschaftlichen Vorgängen angemessenen rechtlichen Gestaltung entsteht. Ein Gestaltungsmißbrauch ist gegeben, wenn eine rechtliche Gestaltung gewählt wird, die, gemessen an dem erstrebten Ziel, unangemessen ist, der Steuerminderung dienen soll und durch wirtschaftliche oder sonst beachtliche nichtsteuerliche Gründe nicht zu rechtfertigen ist (Senatsurteil vom 25. Januar 1994 IX R 97--98/90, BFHE 174, 386, BStBl II 1994, 738, m. w. N.).

Das Vorliegen dieser Voraussetzungen hat der BFH bejaht, wenn Eltern ein ihnen gehörendes Gebäude ihren Kindern unentgeltlich zur Nutzung überlassen und dann zurückgemietet haben; denn derjenige, der ein Gebäude für eigene Zwecke benötigt, bestellt nicht einem anderen ein unentgeltliches Nutzungsrecht daran, um es anschließend entgeltlich zurückzumieten. Eine solche unter fremden Dritten nicht denkbare rechtliche Gestaltung ist unangemessen. Sie dient allein dem Zweck, einkommensteuerrechtlich nicht abziehbare Unterhaltszahlungen (vgl. § 12 EStG) steuermindernd als Werbungskosten zu berücksichtigen (BFH-Urteil in BFHE 162, 321, BStBl II 1991, 205; vgl. auch Senatsurteil vom 6. Juli 1993 IX R 112/88, BFHE 171, 530, unter 2. a).

Der Streitfall betrifft keinen vergleichbaren Sachverhalt. Die minderjährige Tochter der Kläger hat -- vertreten durch diese -- aufgrund des ihr eingeräumten Nutzungsrechts das Einfamilienhaus an fremde Dritte vermietet. In solchen Fällen hat der BFH die Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung dem Kind zugerechnet und keinen Mißbrauch rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten angenommen (BFH-Urteile in BFHE 131, 216, BStBl II 1981, 299; in BFH/NV 1991, 744).

2. Da das FG von anderen Grundsätzen ausgegangen ist, ist die Vorentscheidung aufzuheben. Die Sache ist nicht spruchreif. Das FG wird die Höhe der den Klägern im Streitjahr zuzurechnenden Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung festzustellen haben.

 

Fundstellen

Haufe-Index 65443

BFH/NV 1996, 122

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