Entscheidungsstichwort (Thema)

Anbringen einer Klage beim Finanzamt

 

Leitsatz (NV)

1. Die Frist für die Erhebung einer Klage wird nur dann gewahrt, wenn diese innerhalb der Klagefrist derart in den Verfügungsbereich des Finanzamts gelangt, daß dieses davon Kenntnis nehmen kann.

2. Eine Rechtsbehelfsbelehrung, die im wesentlichen den Gesetzeswortlaut wiedergibt, ist vollständig und richtig.

3. Zur Frage der Wiedereinsetzung.

 

Normenkette

FGO § 47 Abs. 2, § 55 Abs. 2, § 56

 

Verfahrensgang

FG Baden-Württemberg

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) betrieb im Streitjahr 1977 eine Dreherei. Infolge einer Außenprüfung wurden die von ihm erklärten Einkünfte aus Gewerbebetrieb erhöht. Der Einspruch wurde durch Einspruchsentscheidung vom 25. März 1983 zurückgewiesen. Die Einspruchsentscheidung wurde dem Steuerberater des Klägers am 28. März 1983 mittels Postzustellungsurkunde zugestellt. In der beigefügten Rechtsbehelfsbelehrung wurde darauf hingewiesen, daß die Frist für die Erhebung der Klage einen Monat betrage. Weiter wurde ausgeführt: ,,Die Frist für die Erhebung der Klage gilt als gewahrt, wenn die Klage bei dem vorstehend bezeichneten Finanzamt innerhalb der Frist angebracht oder zur Niederschrift gegeben wird."

Mit Schreiben vom 28. April 1983 wurde Klage erhoben. Die an das Finanzgericht (FG) adressierte Klageschrift wurde an diesem Tag, einem Donnerstag, in einem unverschlossenen Fensterkuvert in den Hausbriefkasten des Beklagten und Revisionsklägers (Finanzamt - FA -) eingeworfen. Das FA brachte auf dem Umschlag den Eingangsstempel des 28. April 1983 an und leitete die Sendung mit der Kurierpost weiter an das FG, wo sie am Dienstag, dem 3. Mai 1983, einging. Zur sachlichen Begründung der Klage wurde vom Kläger eine berichtigte Einkommensteuererklärung 1977 vorgelegt.

Die Klage hatte mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1985, 401 veröffentlichten Gründen Erfolg. Mit der vom FG zugelassenen Revision rügt das FA die Verletzung des § 47 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Das FG weiche mit seinem Urteil von der ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) ab. Weder habe das FA die Stellung eines Empfangsboten noch könne die der Einspruchsentscheidung beigefügte Rechtsbehelfsbelehrung unrichtig oder unvollständig sein, da sie dem Gesetzeswortlaut entspreche.

Das FA beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage als unzulässig abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihm die Kosten zu erstatten, da der Prozeß aus grundsätzlichen Erwägungen geführt werde und ihn - den Kläger - nur sekundär betreffe.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Das angefochtene Urteil ist aufzuheben, da die Klage nicht rechtzeitig beim FA angebracht und damit verspätet beim FG erhoben wurde.

1. Nach § 47 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 64 Abs. 1 Satz 1 FGO ist eine Klage innerhalb der einmonatigen Klagefrist beim FG zu erheben. Nach § 47 Abs. 2 Satz 1 FGO gilt die Frist für die Erhebung einer Klage dann als gewahrt, wenn diese bei der Behörde, die die angefochtene Entscheidung erlassen hat, innerhalb der Frist angebracht oder zur Niederschrift gegeben wird. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH ist eine Klage dann i. S. des § 47 Abs. 2 Satz 1 FGO ,,angebracht", wenn sie derart in den Verfügungsbereich der Behörde gelangt, daß diese davon Kenntnis nehmen kann (zuletzt Urteil vom 8. April 1987 X R 67/81, BFHE 149, 415, BStBl II 1987, 575, m. w. N.). Dies ist nur dann der Fall, wenn der die Klageschrift enthaltende Briefumschlag erkennbar für das FA bestimmt ist. Die Klage ist jedoch dann nicht beim FA angebracht, wenn die Klageschrift lediglich in den räumlichen Machtbereich des FA gelangt ist, dieses aber weder unmittelbar noch mittelbar als Empfänger angesprochen wurde. Eine Ausnahme soll nur dann gelten, wenn das FA, möglicherweise unter Nichtbeachtung bestehender Verwaltungsanweisungen, den Brief öffnet und tatsächlich von der Klage Kenntnis nimmt (BFH-Urteil vom 26. August 1977 VI R 98/75, BFHE 123, 122, BStBl II 1977, 841).

Der Senat sieht keine Veranlassung, von dieser Rechtsprechung abzuweichen.

Entgegen der von der Vorinstanz in Übereinstimmung mit einem Teil der Literatur vertretenen Auffassung (s. beispielsweise Schroeder, Deutsches Steuerrecht 1982, 515; Claßen, Deutsche Steuer-Zeitung 1987, 68 f., jeweils m. w. N.) läßt sich der Wortlaut des Verbs ,,anbringen" nicht lediglich mit herbeibringen, abgeben oder einwerfen umschreiben. Dem FG ist zwar zuzustimmen, daß mit ,,anbringen" unterschiedliche Tätigkeiten umschrieben werden können, wie beispielsweise befestigen, herbeibringen oder vorbringen etc. (s. Brockhaus-Wahrig, Deutsches Wörterbuch 1980; Duden, Das Bedeutungswörterbuch, 2. Aufl., 1985); nach dem Wortlaut des § 47 Abs. 2 FGO ist die Klage jedoch ,,bei" der Behörde anzubringen. Durch die Verwendung der Präposition ,,bei" im Gesetzestext erhält der Begriff ,,anbringen" neben seinem räumlichen Moment eine zusätzliche, auf den Empfänger hin ausgerichtete, finale Bedeutung, die nicht mit einem bloßen Abgeben oder Einwerfen umschrieben werden kann. Ein Schreiben wird nur dann beim Empfänger angebracht, wenn darauf abgezielt wird, daß dieser Kenntnis vom Inhalt erhält. Entsprechend ist eine Klage beim FA nur dann ordnungsgemäß angebracht, wenn die Behörde zumindest mittelbar angesprochen wird und wenn darauf abgezielt ist, diese von der Klageerhebung in Kenntnis zu setzen.

Im Gegensatz zur Ansicht der Vorinstanz ergibt sich auch aus der Entstehungsgeschichte des § 47 Abs. 2 FGO nichts anderes; insbesondere sollte gerade keine analoge Regelung zu § 91 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) geschaffen werden. Weder in den Erläuterungen zum Entwurf der FGO (BTDrucks IV/1446 S. 51) noch in der Stellungnahme des Rechtsausschusses (BTDrucks IV/3523) wird auf § 91 SGG verwiesen. Vielmehr wird in den Erläuterungen zu den §§ 60 bis 62 des FGO-Entwurfs, die sich mit Anbringung und Form der Klage befassen, lediglich auf § 249 der Reichsabgabenordnung (AO) sowie auf die §§ 90, 92 SGG und §§ 81, 82 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) verwiesen. § 91 SGG ist bei der Verweisung ausdrücklich ausgenommen und in § 249 Abs. 3 AO, der sich in seiner 1963 gültigen Fassung mit der Anbringung von Rechtsmitteln befaßt, wird diese in dem oben beschriebenen Sinne verstanden (Tipke / Kruse, Reichsabgabenordnung - Finanzgerichtsordnung, Lieferung 1, April 1965, § 249 AO Rz. 4).

Auch ein Vergleich der Stellung des FA mit der von der Vorinstanz, in Anlehnung an Teile der Literatur, herangezogenen Rechtsfigur des Empfangsboten führt zu keinem anderen Ergebnis. Es ist schon fraglich, ob ein zivilrechtliches Rechtsinstitut überhaupt ohne weiteres auf prozeßrechtliche Sachverhalte übertragen werden kann. So kann beispielsweise eine zivilrechtliche Klage dann nicht an einen Empfangsboten zugestellt werden, wenn dieser Klagegegner der Partei ist, an die zugestellt werden soll (§ 181 der Zivilprozeßordnung - ZPO - i. V. m. § 185 ZPO); im Fall des § 47 Abs. 2 FGO wird jedoch gerade über den späteren Prozeßgegner eine Klage anhängig gemacht.

Selbst wenn man jedoch die Stellung, die das FA nach § 47 Abs. 2 FGO hat, dogmatisch als diejenige eines Empfangsboten bezeichnet, gelten für diese Stellung Besonderheiten. Die Pflicht, das empfangene Schreiben unverzüglich an das FG weiterzuleiten, besteht nach § 47 Abs. 2 FGO nur bei Klageschriften. Das FA hat mithin insoweit eine andere Stellung, als wenn sonstige Schreiben zur Weiterbeförderung in den Hausbriefkasten der Behörde eingeworfen werden. Um zu erkennen, ob sie im Rahmen des § 47 Abs. 2 FGO oder in sonstiger Weise (gleichsam als bloßer Briefträger) angesprochen wird, muß die Behörde daher Kenntnis davon erhalten, ob es sich um eine Klageschrift handelt. An dieser Kenntnisnahme ist sie jedoch gehindert, wenn das Schreiben nicht an sie adressiert ist.

Auch ein Vergleich der vom Gesetzgeber in den §§ 47 Abs. 2 FGO, 64 Abs. 1 Satz 2 FGO und § 357 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) gewählten unterschiedlichen Formulierungen bezüglich der Einlegung eines Rechtsmittels zur Niederschrift führt, entgegen der Vorinstanz, zu keinem anderen Ergebnis. Es ist zwar richtig, daß sowohl § 64 Abs. 1 Satz 2 FGO als auch § 357 Abs. 1 AO 1977 die Einlegung zur Niederschrift bei der zur Entscheidung über das Rechtsmittel berufenen Stelle regeln, während in § 47 Abs. 2 FGO die Niederschrift einer Klage beim FA angesprochen wird. Aus den unterschiedlichen Formulierungen kann jedoch nicht geschlossen werden, daß bei § 47 Abs. 2 FGO die Klage nicht im Rechtssinne zugehen, sondern nur körperlich einem Empfangsboten gegenüber abgegeben werden müsse. Vielmehr beinhaltet die Abgabe eines Rechtsmittels zur Niederschrift, daß die die Niederschrift vornehmende Stelle Kenntnis vom Inhalt erhält. Insofern spricht der Gesetzeszusammenhang eindeutig dafür, daß die in § 47 Abs. 2 FGO geregelten Vorgänge, nämlich einmal die Anbringung einer Klage und zum zweiten die Niederschrift, auf eine innere Zielrichtung abstellen und das Bestreben des Absenders voraussetzen, daß die Klageschrift von demjenigen, der mit ihr befaßt wird, als solche erkannt wird (vgl. BFHE 149, 415, BStBl II 1987, 575).

Die Klageschrift war somit nicht ordnungsgemäß beim FA angebracht, da dieses nicht als Empfänger angesprochen war und nach den Feststellungen des FG auch keine tatsächliche Kenntnis vom Inhalt des Briefumschlages genommen hat. Aus der Tatsache, daß das Fensterkuvert unverschlossen war, kann nicht geschlossen werden, daß der Kläger die Kenntnisnahme des Inhalts durch das FA wollte. Vielmehr ist die Behörde auch bei einem unverschlossenen, an einen anderen adressierten Umschlag nicht ohne weiteres berechtigt, sich von dessen Inhalt Kenntnis zu verschaffen. Im Gegenteil ist davon auszugehen, daß der Absender eine inhaltliche Kenntnisnahme durch nichtbenannte Dritte gerade nicht will. Ansonsten würde er dies eindeutig zum Ausdruck bringen (BFH-Urteil vom 7. August 1985 I R 131/83, BFH / NV 1986, 168).

Die Klage wurde am 3. Mai 1983 und mithin verspätet erhoben. Der Ablauf der Rechtsbehelfsfrist war dabei nicht durch eine fehlerhafte oder unvollständige Rechtsbehelfsbelehrung gehemmt. Diese stimmt vielmehr mit dem Gesetzeswortlaut überein. Entsprechend beruht die Fristversäumnis nicht auf einer unrichtigen Rechtsbehelfsbelehrung, sondern auf einem falschen Verständnis des Begriffs ,,anbringen" (BFH-Urteil in BFH / NV 1986, 168).

Die Klage ist daher unzulässig. Der Senat kann durcherkennen, da eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht in Betracht kommt. Unabhängig davon, daß ein Wiedereinsetzungsantrag nur innerhalb einer bestimmten Frist gestellt werden kann, scheitert er im vorliegenden Fall daran, daß der Bevollmächtigte des Klägers die Klagefrist schuldhaft versäumt hat und dieses Verschulden dem Kläger zuzurechnen ist (§ 155 FGO i. V. m. § 85 Abs. 2 ZPO). Wenn ein Steuerberater am letzten Tag der Klagefrist einen lediglich an das FG adressierten Briefumschlag in den Hausbriefkasten des FA wirft, kann er nicht davon ausgehen, daß das FA dieses für einen anderen bestimmte Schreiben zur Kenntnis nimmt (vgl. BFH-Urteil in BFH / NV 1986, 168, unter 2.). Insofern hätte es die im Verkehr erforderliche Sorgfalt verlangt, daß der Berater den rechtzeitigen Eingang der Klage sicherstellt, beispielsweise dadurch, daß er eine Niederschrift beim FA veranlaßt oder die Klageschrift an einen Bediensteten des FA persönlich übergibt mit dem gleichzeitigen Hinweis darauf, daß Klage erhoben wird.

Auf die Revision ist das Urteil des FG daher aufzuheben und die Klage abzuweisen (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 FGO).

2. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 135 Abs. 1 FGO. Eine Erstattung der Kosten des Klägers ist nicht möglich, da auch Grundsatzentscheidungen des BFH anhand konkreter Einzelfälle entschieden werden und die Kosten dem unterliegenden Verfahrensbeteiligten aufzuerlegen sind.

 

Fundstellen

Haufe-Index 416301

BFH/NV 1989, 649

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