Entscheidungsstichwort (Thema)

Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer

 

Leitsatz (amtlich)

Die Beschränkung des Abzugs der Fahrtkosten von Arbeitnehmern zwischen Wohnung und Arbeitsstätte nach § 26 Abs. 1 EStDV 1957 gilt nicht, wenn ein Arbeitnehmer zwei Arbeitsverhältnisse hat, bei denen die Arbeitsstätten an verschiedenen Orten sind, die weiter als 40 km voneinander entfernt sind. Wohnt der Arbeitnehmer an dem einen Arbeitsort - dies kann auch der Arbeitsort des Arbeitsverhältnisses mit den geringeren Bezügen sein -, so sind die Fahrtkosten von der Wohnung zu dem anderen Arbeitsort nach § 26 Abs. 2 EStDV 1957 abzugelten.

Zum Begriff der "zwingenden persönlichen Gründe" im Sinne von § 26 Abs. 1 EStDV.

 

Normenkette

EStG § 9 Ziff. 4, § 9/1/4; LStDV §§ 26, 20/2/2

 

Tatbestand

Die Steuerpflichtige wohnte im Jahre 1957 in A. und war damals Amtsrechtsrätin in B. Gleichzeitig war sie Vorsitzende des Umlegungsausschusses der Stadt A. Von ihrer Wohnung in A. fuhr sie mit einem eigenen Kraftfahrzeug nach B. Zur Abgeltung der Fahrtkosten machte sie in ihrer Einkommensteuererklärung einen Pauschbetrag nach § 26 EStDV 1957 für eine Entfernung von 65 km als Werbungskosten geltend. Das Finanzamt berücksichtigte bei der Einkommensteuerveranlagung diese Kosten nur für eine Entfernung von 40 km, da es der Auffassung war, die Steuerpflichtige habe ihren Wohnsitz in A. nicht aus zwingenden persönlichen Gründen beibehalten. Ihr Einspruch wurde insoweit als unbegründet zurückgewiesen.

Die Berufung hatte in diesem Punkt Erfolg. Das Finanzgericht nahm im Gegensatz zum Finanzamt an, die Steuerpflichtige habe ihren Wohnsitz aus zwingenden persönlichen Gründen in A. gehabt. Daß sie in A. in einem Hause gewohnt habe, an dem sie Miteigentum besitze und deshalb günstig und preiswert habe wohnen können, sei zwar nicht von Bedeutung. Da sie jedoch in A. als Vorsitzende des Umlegungsausschusses eine Nebentätigkeit ausübe, aus der sie nicht unbeträchliche Einnahmen (3.495 DM im Jahr 1957) gehabt habe und sie diese Stellung nur habe bekleiden können, wenn sie in A. wohne, sei ihr ein Wohnungswechsel nach B. nicht zuzumuten gewesen. Im übrigen sei auch beachtlich, daß die Steuerpflichtige die Absicht gehabt habe, ihre Tätigkeit in B. aufzugeben und ein Notariat in A. zu übernehmen. Auf Grund dieser Umstände seien die Gründe für die Beibehaltung ihrer Wohnung in A. als zwingend anzuerkennen. Da sie unstreitig an 230 Tagen von A. nach B. gefahren sei, seien die Fahrtaufwendungen für 65 km mit 7.475 DM zu berücksichtigen.

Der Vorsteher des Finanzamts wendet sich mit der Rb. gegen die Auffassung des Finanzgerichts, die Steuerpflichtige habe aus zwingenden persönlichen Gründen ihren Wohnsitz in A. beibehalten. Wenn nach der vorgelegten Bescheinigung der Stadt A. auch feststehe, daß in den Umlegungsausschuß nur Personen mit Wohnsitz in A. gewählt werden könnten, so habe doch noch eine Bestätigung der Stadt A. eingeholt werden müssen, ob die Steuerpflichtige ihr Amt als Vorsitzende dieses Ausschusses durch eine Wohnsitzverlegung wirklich verloren haben würde. Die Ausübung einer Nebentätigkeit sei aber auf jeden Fall dann kein zwingender persönlicher Grund für die Beibehaltung eines Wohnsitzes, wenn ein Steuerpflichtiger - wie im Streitfall - im Ergebnis dadurch nur Verluste habe. Daß die Tätigkeit der Steuerpflichtigen in A. im öffentlichen Interesse liege und sie die Absicht habe, dort eine Notariatstätigkeit aufzunehmen, reiche nicht aus für die Annahme, sie habe ihren Wohnsitz in A. aus zwingenden persönlichen Gründen beibehalten.

 

Entscheidungsgründe

Die Rb. des Vorstehers des Finanzamts ist nicht begründet.

Fahrtkosten der Arbeitnehmer zwischen Wohnung und Arbeitsstätte sind nach § 9 Ziff. 4 Satz 1 EStG 1957 Werbungskosten. Sie werden nach Satz 2 dieser Vorschrift in Verbindung mit § 26 Abs. 2 EStDV 1957 mit einem Pauschbetrag für jeden km der Entfernung abgegolten, der bei Benutzung eines Kraftwagens 0,50 DM beträgt. Der Senat hat die Rechtsgültigkeit dieser Regelung in dem Urteil VI 159/58 S vom 18. März 1960 (BStBl 1960 III S. 255, Slg. Bd. 71 S. 21) grundsätzlich bejaht.

Der Vorsteher des Finanzamts hält aber im Streitfall diese Regelung nicht für anwendbar, weil sie nur für Entfernungen bis zu 40 km in Betracht komme, die Bgin. aber 65 km von ihrer Arbeitsstätte in B. entfernt wohne. § 26 Abs. 1 EStDV 1957 beschränkt die Berücksichtigung von Fahrtkosten allerdings, wenn Arbeitnehmer aus nicht zwingenden persönlichen Gründen weiter als 40 km von ihrer Arbeitsstätte entfernt wohnen. Gegen die Rechtsgültigkeit dieser Bestimmung bestehen gleichfalls keine Bedenken (Urteil des Bundesfinanzhofs VI 33/58 U vom 16. Mai 1958, BStBl 1958 III S. 303, Slg. Bd. 67 S. 81).

Im Streitfall ist zu beachten, daß die Steuerpflichtige zwei Arbeitsverhältnisse hatte. Sie war sowohl in dem 65 km von ihrer Wohnung entfernten B. als auch an ihrem Wohnort A. als Arbeitnehmerin tätig. Ob sie unter diesen Umständen in B. oder in A. wohnen wollte, muß grundsätzlich ihrer Entscheidung überlassen bleiben (Urteil des Bundesfinanzhofs VI 210/60 U vom 1. September 1961, BStBl 1961 III S. 547). Wenn sie sich entschloß in A. zu wohnen, so beruhte das nicht auf persönlichen, sondern auf beruflichen Gründen. Ob die Steuerpflichtige aus ihrer Tätigkeit in A. höhere oder niedrigere Einnahmen als aus ihrem Arbeitsverhältnis in B. hatte, ist demgegenüber nicht wesentlich. Entscheidend ist vielmehr, daß sie an ihrem Wohnort A. ein zweites Arbeitsverhältnis hatte, das noch dazu voraussetzte, daß sie an diesem Ort wohnte. Damit entfällt die in § 26 Abs. 1 EStDV 1957 enthaltene Einschränkung bei der Berücksichtigung von Fahrtkosten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte.

Zu dem gleichen Ergebnis kommt man übrigens auch bei Würdigung der persönlichen Verhältnisse der Steuerpflichtigen. Daß die Steuerpflichtige in A. Miteigentümerin des von ihr bewohnten Hauses war und daß sie dort mit ihrer 82jährigen Mutter zusammenlebt, würde zwar allein nicht für die Annahme ausreichen, daß sie aus zwingenden persönlichen Gründen ihre Wohnung in A. beibehielt. Da sie aber außerdem die Absicht hatte, in absehbarer Zeit ihr Arbeitsverhältnis in B. aufzugeben und in A. eine Notariatspraxis zu übernehmen und ihre Tätigkeit bei dem Umlegungsausschuß in A. diesem Zukunftsplan förderlich war, lagen für sie auch wichtige, persönliche Gründe vor, in A. zu wohnen.

Geht man davon aus, daß § 26 Abs. 1 EStDV 1957 keine Anwendung finden kann, so bestehen keine Bedenken gegen die Pauschalierung der Fahrtauslagen der Steuerpflichtigen für ihre Fahrten von ihrer Wohnung in A. zu ihrer Arbeitsstätte in B. nach § 26 Abs. 2 EStDV 1957. Diese Vorschrift soll im Interesse der Vereinfachung grundsätzlich in allen Fällen angewendet werden, in denen Kosten für die Fahrten eines Arbeitnehmers zwischen Wohnung und Arbeitsstätte als Werbungskosten in Betracht kommen. Das Urteil des Senats VI 2/59 U vom 17. April 1959 (BStBl 1959 III S. 245, Slg. Bd. 68 S. 643) steht dem nicht entgegen. Die Steuerpflichtige hat zwar wie in dem dort entschiedenen Fall mehrere Dienstverhältnisse gehabt. Sie fuhr aber nicht an einem Arbeitstag nacheinander zu ihren mehreren Dienststellen, sondern von ihrer Wohnung entweder nach B. oder zu ihrer Dienststelle in A. Unter diesen Umständen bereitet die Anwendung des § 26 Abs. 2 EStDV 1957 keine Schwierigkeiten. Die Anwendung der Pauschsätze entspricht vielmehr der Vereinfachungsabsicht des Gesetzgebers.

 

Fundstellen

Haufe-Index 410397

BStBl III 1962, 191

BFHE 1962, 510

BFHE 74, 510

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