Entscheidungsstichwort (Thema)

Beginn der Fünfjahresfrist bei reparaturbedürftigem Einfamilienhaus

 

Leitsatz (NV)

1. Gegenstand der Grunderwerbsteuerbefreiung nach § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GrEStEigWoG konnte auch ein Einfamilienhaus sein, das bei Erwerb nicht (mehr) bezugsfertig war.

2. Die Fünfjahresfrist, innerhalb derer der Erwerber oder andere im Gesetz näher beschriebene Personen das Haus ein Jahr lang ununterbrochen bewohnen mußten, begann mit dem Erwerb auch dann, wenn das Haus zu diesem Zeitpunkt nicht (mehr) bezugsfertig war.

3. Es widerspricht nicht dem verfassungsrechtlichen Gebot der Gleichbehandlung, den Erwerb eines noch nicht fertiggestellten und damit noch nicht bewohnbaren Gebäudes anders zu beurteilen als den Erwerb von Gebäuden, die bereits fertiggestellt waren, aber wegen Reparaturbedürftigkeit zum Erwerbszeitpunkt nicht bewohnbar waren.

 

Normenkette

GrEStEigWoG § 1 Abs. 1 Sätze 1-2; GG Art. 3 Abs. 1

 

Verfahrensgang

FG Baden-Württemberg

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) erwarb am . . . Februar 1980 das mit einem Einfamilienhaus bebaute Grundstück zu einem Kaufpreis von . . . DM. Das Haus stand beim Erwerb bereits zwei Jahre leer. Durch einen unmittelbar nach dem Erwerb erlittenen Rohrbruch wurden sämtliche Räume auf der Westseite des Gebäudes aufgrund des Wasserschadens völlig unbewohnbar.

Nach Beendigung der Renovierungsarbeiten zog der Kläger im Dezember 1984 in das Haus ein.

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) gewährte zunächst mit Bescheid vom 14. Mai 1980 gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des Grunderwerbsteuerbefreiungsgesetzes beim Erwerb von Einfamilienhäusern, Zweifamilienhäusern und Eigentumswohnungen vom 11. Juli 1977 - GrEStEigWoG - (BStBl I 1977, 365) den Freibetrag von 250 000 DM und setzte die Grunderwerbsteuer auf . . . DM fest. Mit Bescheid vom 10. September 1984 setzte das FA Grunderwerbsteuer von . . . DM zuzüglich Zinsen nach § 3 Abs. 2 GrEStEigWoG von . . . DM fest.

Die Änderung erfolgte, da der Beklagte die Auffassung vertrat, der steuerbegünstigte Zweck sei nicht verwirklicht worden, weil der Kläger das Gebäude nicht innerhalb von fünf Jahren nach dem Erwerb ein Jahr lang ununterbrochen selbst genutzt habe.

Der Einspruch blieb erfolglos.

Das Finanzgericht (FG) hob den geänderten Grunderwerbsteuerbescheid und die Einspruchsentscheidung auf die Klage hin auf. Die Revision ließ das FG zu.

Mit der Revision rügt das FA Verletzung von § 1 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 1 letzter Satz GrEStEigWoG.

Der Kläger beantragt sinngemäß, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet.

1. Die Vorentscheidung ist aufzuheben; sie verletzt § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i. V. m. § 1 Abs. 1 Satz 2 GrEStEigWoG.

Zutreffend ist das FG zwar davon ausgegangen, daß das vom Kläger erworbene Einfamilienhaus Gegenstand der Steuerbefreiung nach § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GrEStEigWoG sein konnte, auch wenn es nicht (mehr) bezugsfähig war. Die genannte Steuerbefreiungsvorschrift stellte nicht darauf ab, ob das Gebäude im Zeitpunkt des Erwerbs zum Wohnen geeignet war. Maßgebend war vielmehr, ob es binnen fünf Jahren seit dem Erwerb von den im Gesetz näher beschriebenen Personen ein Jahr lang ununterbrochen bewohnt wurde (Beschluß des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 27. Mai 1987 II B 21/87, BFH/NV 1987, 805, m. w. N.).

Nicht zu folgen ist jedoch der Auffassung des FG, § 1 Abs. 1 Satz 2 GrEStEigWoG sei dahingehend auszulegen, daß der Beginn der Fünfjahresfrist bis zum Zeitpunkt der Bezugsfähigkeit hinausgeschoben werde, wenn das Gebäude wegen erheblicher baulicher Mängel im Zeitpunkt des Erwerbs nicht mehr bewohnt werde und nicht beziehbar sei. Durch die genannte Vorschrift wurde der Fristbeginn nicht schlechthin hinausgeschoben, wenn das Gebäude zu Wohnzwecken nicht bezogen werden konnte, sondern nur dann, wenn das Gebäude nicht bezogen werden konnte, weil es im Zeitpunkt des Erwerbs noch nicht erstmals fertiggestellt war. Die Fünfjahresfrist begann nämlich entweder mit dem Erwerb oder, wenn im Zeitpunkt des Erwerbs das Gebäude noch nicht fertiggestellt war, mit der Bezugsfertigkeit. Der erkennende Senat hat hieraus gefolgert, daß nur bei neu errichteten, im Zeitpunkt des Erwerbs noch nicht fertiggestellten Gebäuden die Fünfjahresfrist des § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GrEStEigWoG erst mit Bezugsfertigkeit beginne (Beschluß in BFH/NV 1987, 805).

Das verfassungsrechtliche Gebot der Gleichbehandlung (Art. 3 des Grundgesetzes - GG -) erfordert keine andere Beurteilung. Es ist nicht willkürlich, den Erwerb eines noch nicht fertiggestellten Neubaues und somit eines bisher noch nicht bewohnbaren Gebäudes anders zu beurteilen als den Erwerb von Gebäuden, die bereits fertiggestellt waren, aber wegen Reparaturbedürftigkeit derzeit nicht bewohnbar sind. Im letztgenannten Fall hat es der Erwerber regelmäßig in der Hand, das Gebäude so rechtzeitig in einen Zustand zu versetzen, daß er es innerhalb der Fünfjahresfrist ein Jahr lang bewohnen kann. Wird hingegen ein neu errichtetes Gebäude erworben, so hängt die Möglichkeit des Erwerbers, das Gebäude innerhalb der Fünfjahresfrist ein Jahr lang zu bewohnen, ggf. davon ab, ob der Veräußerer, der das Grundstück dem Erwerber mit dem unfertigen Gebäude bereits übergeben hat, seine Verpflichtung, das Gebäude fertigzustellen, zeitgerecht erfüllt oder aber die Fertigstellung verzögert. Im Streitfall kann es offenbleiben, wie zu entscheiden ist, wenn - ausnahmsweise - ein bei Abschluß des Kaufvertrages nicht mehr bewohnbares Gebäude vom Veräußerer wieder herzustellen ist, also das Grundstück mit (wieder-)bewohnbarem Gebäude Gegenstand des Erwerbsvorgangs ist.

2. Die Sache ist spruchreif. Die Klage gegen den Grunderwerbsteuerbescheid vom 10. September 1984 wird abgewiesen.

Zu Recht hat das FA gemäß § 3 GrEStEigWoG nachträglich die Steuerbefreiung aus § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GrEStEigWoG versagt und die Grunderwerbsteuer ohne Berücksichtigung eines Freibetrags nebst Zinsen festgesetzt. Der Kläger hat die Voraussetzungen der Steuerbefreiung nicht erfüllt, weil er das Einfamilienhaus innerhalb der Fünfjahresfrist weniger als ein Jahr lang bewohnt hat; er hat es erst am . . . Dezember 1984 bezogen, die Fünfjahresfrist ist im Februar 1985 abgelaufen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 417570

BFH/NV 1991, 483

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