Leitsatz (amtlich)

Ein Verein, dessen Zweck die Hilfeleistung in Lohnsteuersachen ist, ist nicht befugt, in der Einkommensteuersache eines Mitglieds im eigenen Namen Klage zu erheben. Dies gilt auch, wenn das Mitglied seinen angeblichen Erstattungsanspruch auf überzahlte Einkommensteuer an den Verein abgetreten oder diesen zur Einziehung des Erstattungsbetrages ermächtigt hat.

 

Normenkette

FGO § 40

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist ein eingetragener Verein, dessen Zweck in der steuerlichen Beratung von Arbeitnehmern besteht. Zu seinen Mitgliedern gehören die Steuerpflichtigen B. die - vertreten durch den Kläger - gegen den Einkommensteuerbescheid 1969 erfolglos Einspruch einlegten. Während der Klagefrist traten die Steuerpflichtigen "ihren Erstattungsanspruch aus im Jahre 1969 zuviel gezahlter ESt" an den Kläger ab und teilten dies dem Beklagten und Revisionsbeklagten (FA) mit. Hierauf erhob der Kläger im eigenen Namen Anfechtungsklage gegen den an die Steuerpflichtigen gerichteten Einkommensteuerbescheid in Gestalt der Einspruchsentscheidung.

Das FG hielt die Klage mangels Klagebefugnis für unzulässig. Es führte zur Begründung seiner Entscheidung, die in EFG 1972, 132, veröffentlicht ist, aus: Eine Klagebefugnis stehe dem Kläger nicht schon deshalb zu, weil es zu seinen satzungsmäßigen Aufgaben gehöre, seinen Mitgliedern in Lohnsteuersachen Hilfe zu leisten. Die Hilfeleistung in Steuersachen lasse die Rechtsposition der Lohnsteuerpflichtigen unberührt und begründe nicht die Befugnis des Vereins, die Belange seiner Mitglieder im eigenen Namen geltend zu machen. Auch im Hinblick auf die Abtretung des Erstattungsanspruchs an den Kläger sei dieser nicht als klagebefugt anzusehen. Im Streitfall könne offenbleiben, ob mit der Abtretung des Erstattungsanspruchs nach § 159 AO die gesamte Rechtsstellung der Steuerpflichtigen aus dem Steuerschuldverhältnis auf den Abtretungsempfänger mit der Folge übergegangen sei, daß dieser zur Anfechtung des gegen die Steuerpflichtigen erlassenen Steuerbescheides befugt sei. Die Abtretung des Erstattungsanspruchs habe im Streitfall eine vollständige Übertragung der Rechtsstellung der Steuerpflichtigen auf den Kläger nicht bewirkt. Denn der Kläger sei nach den Vereinbarungen verpflichtet gewesen, im Falle seines Obsiegens den Erstattungsbetrag an die Steuerpflichtigen abzuführen. Es habe mithin eine bloße Inkassozession vorgelegen, die keine vollständige Rechtsübertragung auf den Abtretungsempfänger bewirkt habe. Durch diese Rechtsgestaltung habe dem Kläger die Befugnis eingeräumt werden sollen, die Rechte der Steuerpflichtigen im eigenen Namen geltend zu machen. Hierin liege eine gewillkürte Prozeßtandschaft, die jedoch sowohl in Zivilprozessen als auch in Verwaltungsrechtsstreitigkeiten ein berechtigtes Interesse des Prozeßtandschafters voraussetze. Ein berechtigtes Interesse in diesem Sinne habe beim Kläger nicht vorgelegen. Seine Aufgaben beschränkten sich auf die Hilfeleistung in Lohnsteuersachen (§ 107 a Abs. 3 Nr. 4 b AO). Ein eigenes Interesse des Klägers, Lohnsteuerfragen auch dann im Rechtsmittelverfahren klären zu lassen, wenn die Steuerpflichtigen selbst das Gericht nicht anrufen wollten, lasse sich auf die Regelung des § 107 a Abs. 3 Nr. 4 b AO nicht stützen. Ein berechtigtes Interesse des Klägers lasse sich im Streitfall auch nicht mit kostenrechtlichen Gesichtspunkten begründen. Im Zivilprozeß sei anerkannt, daß eine gewillkürte Prozeßtandschaft unzulässig sei, wenn sie bezwecke, den Prozeßgegner in besonderer Weise mit Verfahrenskosten zu belasten (Urteile des BGH vom 29. Mai 1961 VII ZR 46/60, BGHZ 35, 180 [183], und vom 28. November 1962 V ZR 9/61, BGHZ 38, 281 [287]). Dieser Grundsatz sei auch im Steuerrechtsstreit anwendbar.

Mit der Revision rügt der Kläger Verletzung von Bundesrecht. Durch den ablehnenden Bescheid des FA sei er in eigenen Rechten verletzt. Das FG habe die Abtretung zu Unrecht als eine bloße Einziehungsermächtigung angesehen. Diese Annahme entspreche nicht der Interessenlage. Die Steuerpflichtigen hätten ihm ihren Erstattungsanspruch mit allen Wirkungen nach § 159 AO i. V. m. § 398 BGB abgetreten. Es habe sich dabei um eine Vollabtretung gehandelt. Hierdurch sei der Kläger Inhaber des Erstattungsanspruchs geworden und somit - auch für das Rechtsmittelverfahren - an die Stelle des Steuerpflichtigen getreten. Auf die Voraussetzungen für die Annahme einer gewillkürten Prozeßstandschaft komme es im Streitfall nicht an. Mithin sei auch die Frage nach einem berechtigten Interesse des Klägers ohne Bedeutung. Die Bedenken des FG gegen einen Gläubigerwechsel im Steuerrechtsverhältnis seien nicht berechtigt.

Der Kläger beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet.

Zu Recht hat das FG die Klage als unzulässig abgewiesen. Nach § 40 Abs. 2 FGO ist, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, eine Klage nur zulässig, wenn der Kläger geltend macht, durch den angefochtenen Verwaltungsakt in seinen Rechten verletzt zu sein. Diese Vorschrift, die einen allgemeinen Grundsatz des Verwaltungsprozeßrechts wiedergibt, soll gewährleisten, daß Verfügungen einer Verwaltungsbehörde zur Regelung eines Einzelfalles auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts nur von denjenigen mit der Klage angefochten werden können, die durch einen Verwaltungsakt unmittelbar in ihrer Rechtsstellung betroffen sind. Hierdurch soll, wie das FG zutreffend ausgeführt hat, sowohl die Popularklage als auch die Klage von Personen ausgeschlossen werden, die zwar ein gewisses Interesse an den durch den Verwaltungsakt geregelten Beziehungen haben, selbst durch den angefochtenen Verwaltungsakt jedoch nicht in einer Weise betroffen sind, die sich als eine Verletzung eigener Rechte darstellen könnte.

1. Nach diesen Grundsätzen steht dem Kläger, wie das FG zutreffend dargelegt hat, eine Klagebefugnis nicht schon deshalb zu, weil es zu seinen satzungsgemäßen Aufgaben gehört, seinen Mitgliedern in Lohnsteuersachen Hilfe zu leisten. Dabei läßt es der Senat offen, ob die Rechtsauffassung der Vorinstanz, das verwaltungsgerichtliche Verfahren kenne keine allgemeine Prozeßstandschaft von Vereinigungen, die diese zur prozessualen Wahrnehmung der Rechte ihrer Mitglieder im eigenen Namen ermächtigten, in dieser Allgemeinheit heute noch zutrifft (vg. Urteil des BVerwG vom 3. Dezember 1959 I C 76/56, Monatsschrift für Deutsches Recht 1960 S. 338; Bettermann, Zur Verbandsklage, Zeitschrift für Zivilprozeß 85, 133; Faber, Die Verbandsklage im Verwaltungsprozeß, 1972). Im Streitfall erschöpft sich die satzungsgemäße Aufgabe des Klägers in Übereinstimmung mit § 107 a Abs. 3 Nr. 4 b AO in der Hilfeleistung in Lohnsteuersachen seiner Mitglieder und läßt das Steuerschuldverhältnis zwischen den Mitgliedern und den FÄ grundsätzlich unberührt. Eigene Rechte des Klägers, die durch die Einkommensteuerveranlagung seiner Mitglieder verletzt sein könnten, sind nicht ersichtlich.

2. Der Kläger kann sich zur Begründung seiner eigenen Klagebefugnis auch nicht auf die Abtretung eines etwaigen Erstattungsanspruchs berufen. Dabei kann der Senat offenlassen, ob es sich bei dieser Abtretung - wie der Kläger meint - um eine Vollabtretung oder - wovon wohl die Vorinstanz ausgegangen ist - lediglich um eine Einziehungsermächtigung gehandelt hat. Sowohl beim Vorliegen einer Vollabtretung als auch beim Vorliegen einer Einziehungsermächtigung ist eine eigene Klagebefugnis des Klägers nicht zu bejahen.

a) Geht man im Streitfall mit dem Kläger von einer Vollabtretung des Erstattungsanspruchs aus, so konnte diese eine Klagebefugnis des Klägers aus eigenem Recht im Verfahren der Steuerpflichtigen wegen deren Veranlagung zur Einkommensteuer 1969 nicht bewirken. Die nach § 159 AO an sich zulässige Abtretung eines Erstattungsanspruchs hat nicht zur Folge, daß hierdurch die gesamte Rechtsstellung des Steuerpflichtigen aus dem dem Erstattungsanspruch zugrunde liegenden Steuerschuldverhältnis auf den Abtretungsempfänger übergeht und dieser zur Anfechtung der gegen den Steuerpflichtigen ergangenen Verfügungen berechtigt ist (Urteil des RFH vom 24. Januar 1922 V A 282/21, RFHE 8, 157 [160]; Riewald in Becker-Riewald-Koch, Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Kommentar, § 159 AO Anm. 5; v. Wallis in Hübschmann-Hepp-Spitaler, Kommentar zur Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, § 159 AO Anm. 5; anderer Ansicht Tipke-Kruse, Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Kommentar, § 159 AO Anm. 3). Mit der wirksamen Abtretung eines Anspruchs auf Erstattung überzahlter Steuern tritt der Abtretungsempfänger nur insoweit an die Stelle des bisherigen Gläubigers, als dessen Rechtsposition übertragbar ist. Übertragbar ist nur der reine Zahlungsanspruch, mithin die Rechtsstellung, die der Gläubiger eines Erstattungsanspruchs im Erhebungsverfahren hat. Dagegen kann die Rechtsposition, die ein Erstattungsberechtigter in seiner Eigenschaft als Steuerschuldner oder Steuerpflichtiger im Steuerfestsetzungsverfahren hat, wegen des besonderen Charakters des Steuerschuldverhältnisses nicht auf den Abtretungsempfänger übergehen. Im Steuerfestsetzungsverfahren ist die Rechtsstellung des Steuerpflichtigen so eng mit seiner Person verbunden, daß ein Übergang der Rechte und Pflichten des Steuerpflichtigen auf einen Dritten im Wege der Abtretung ausgeschlossen ist. So ist das Steuerschuldverhältnis, soweit es um die Steuerfestsetzung geht, durch besondere, nicht übertragbare persönliche Erklärungs-, Aufklärungs-, Mitwirkungs- und Duldungspflichten des Steuerpflichtigen gekennzeichnet. Diese Pflichten bestehen sowohl im Interesse des Steuerpflichtigen als auch des Steuergläubigers an der Emittlung der Steuerschuld in zutreffender Höhe. Aus diesen Pflichten darf der Steuerschuldner im Interesse einer zutreffenden Besteuerung - auch im Rechtsbehelfsverfahren - nicht entlassen werden. Würde der Steuerschuldner nicht in dem Steuerschuldverhältnis festgehalten, könnte das FA seine Pflicht nicht erfüllen, die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse zu ermitteln, die für die Steuerpflicht und die Bemessung der Steuer wesentlich sind. Aus dieser Erwägung heraus hat der Senat bereits im Urteil vom 19. Dezember 1960 VI 92/60 U (BFHE 72, 465, BStBl III 1961, 170) entschieden, daß in der Abtretung des Erstattungsanspruchs nicht auch die Abtretung des Rechts liegt, eine Berichtigungsveranlagung zu beantragen. Ähnliche Überlegungen liegen der Entscheidung vom 15. Juni 1973 VI R 400/69 (BFHE 110, 26, BStBl II 1973, 784) zugrunde, in der der Senat den Pfändungsgläubiger eines angeblichen Lohnsteuererstattungsanspruchs nur für ermächtigt ansah, den Antrag auf Durchführung des Lohnsteuer-Jahresausgleichs zu stellen, soweit diesem Antrag verfahrensrechtliche - insbesondere fristwahrende - Bedeutung zukommt. Ist mithin nach § 159 AO übertragbar lediglich die Rechtsstellung des Gläubigers im Erhebungsverfahren, so ist die Abtretung eines Erstattungsanspruchs auf das Verfahren zur Feststellung der Steuerschuld ohne Einfluß. Die Klagebefugnis gegen Verfügungen des FA im Steuerfestsetzungsverfahren bleibt mithin auch bei Vollabtretung eines Erstattungsanspruchs beim Steuerpflichtigen.

b) Geht man mit dem FG davon aus, daß es sich bei der Abtretung des Erstattungsanspruchs lediglich um eine Einziehungsermächtigung handelte, läßt sich die Klagebefugnis des Klägers auch nicht aus dem Gesichtspunkt der gewillkürten Prozeßstandschaft bejahen. Das FG hat angenommen, daß die Steuerpflichtigen den Kläger im Streitfall durch die Abtretung rechtsgeschäftlich ermächtigt hatten, deren Recht im Veranlagungsverfahren 1969 im eigenen Namen vor dem FG geltend zu machen. Eine gewillkürte Prozeßstandschaft wird zwar sowohl im Zivilprozeß, wo dieses Rechtsinstitut entwickelt wurde (vgl. Blomeyer, Zivilprozeßrecht, 1963, § 41 III; Baumbach-Lauterbach, Zivilprozeßordnung, 32. Aufl., Grundzüge 4, B, C vor § 50; Rosenberg-Schwab, Zivilprozeßrecht, 11. Aufl., § 46 III), als auch im Verwaltungsrechtsstreit zugelassen (Urteile des BVerwG vom 30. November 1955 V C 127/55, BVerwGE 2, 355, und vom 13. März 1964 VII C 123/63, Deutsches Verwaltungsblatt 1964 S. 821; Ule, Verwaltungsprozeßrecht, 5. Aufl., § 33 I; Schunck-de Clerck, Gesetz über das Bundesverwaltungsgericht, § 42 VwGO Anm. 2 d S. 227; anderer Ansicht Redeker-von Oertzen, Verwaltungsgerichtsordnung 4. Aufl., § 42 Anm. 18). Der Senat braucht im Streitfall nicht dazu Stellung zu nehmen, ob es im Steuerprozeß überhaupt zulässig ist, daß ein materielles Recht nicht von dem Rechtsträger selbst, sondern von einem hierzu rechtsgeschäftlich ermächtigten Dritten als Prozeßstandschafter geltend gemacht wird (bejahend Ziemer-Birkholz, Finanzgerichtsordnung, § 40 Anm. 97 ff.; Ziemer-Haarmann, Einspruch, Beschwerde und Klage in Steuersachen, Band I Anm. 653 ff.). Eine gewillkürte Prozeßstandschaft kommt jedenfalls insoweit nicht in Betracht, als der Rechtsträger über sein materielles Recht nicht wirksam verfügen kann, weil dieses Recht nicht übertragbar ist (Rosenberg-Schwab, a. a. O., § 46 III 1). Wie oben dargelegt, waren die Steuerpflichtigen im Streitfall nicht befugt, über ihre Rechtsstellung im Steuerfestsetzungsverfahren zu verfügen. Mithin scheitert die Annahme einer gewillkürten Prozeßstandschaft hier daran, daß die Steuerpflichtigen insoweit über ihren angeblichen Anspruch aus der Einkommensteuerveranlagung 1969 nicht wirksam verfügen konnten. Auf die Frage, ob der Kläger im Streitfall ein berechtigtes eigenes Interesse daran hatte, den Erstattungsanspruch der Steuerpflichtigen im eigenen Namen geltend zu machen, kommt es für die Entscheidung der Streitsache nicht an.

 

Fundstellen

Haufe-Index 71466

BStBl II 1975, 669

BFHE 1975, 413

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