Leitsatz (amtlich)

Ist ein Steuerbescheid, der zwei Steuerfestsetzungen enthält, während des Revisionsverfahrens in der Weise geändert oder ersetzt worden, daß durch einen Änderungsbescheid die eine Steuerfestsetzung aufgehoben und die andere lediglich inhaltlich wiederholt wurde, so wird gleichwohl der Änderungsbescheid auf Antrag des Klägers gemäß § 68 FGO Gegenstand des Verfahrens. Hinsichtlich der aufgehobenen Steuerfestsetzung hat sich der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt.

 

Normenkette

FGO §§ 68, 123 S. 2, § 127

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ließ am 21. Oktober und 15. Dezember 1965 Sorghumhirse aus den USA aufgrund der Einfuhrgenehmigungen der Einfuhr- und Vorratsstelle für Getreide und Futtermittel (EVSt Getr) abschöpfungsfrei zum freien Verkehr abfertigen. Die EVSt Getr widerrief die gewährte Erstattung in Form der abschöpfungsfreien Einfuhr am 8. Dezember 1966. Nach erfolglosem Einspruch erhob die Klägerin Klage beim FG gegen den Widerrufsbescheid. Dieses setzte die Vollziehung des Widerrufsbescheids durch Beschluß vom 27. Oktober 1967 aus. Aufgrund des Widerrufs der Erstattung hatte das ZA zu den beiden Zollanmeldungen Nr. 746 und 2544 Abschöpfung und Ausgleichsteuer mit Bescheid vom 27. Dezember 1966 nachgefordert. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (HZA) teilte der Klägerin auf deren Antrag, das Einspruchsverfahren auszusetzen, mit, daß er ihre Einsprüche erst bearbeiten könne, wenn das Rechtsbehelfsverfahren gegen den Widerrufsbescheid der EVSt Getr rechtskräftig abgeschlossen sei. Am 15. November 1967 erhob die Klägerin Klage gemäß § 46 FGO, weil seit der Einspruchseinlegung mehr als sechs Monate vergangen seien, ohne daß das HZA über den Rechtsbehelf entschieden habe.

Das FG wies die Klage als unzulässig ab, weil der Klägerin ein zureichender Grund im Sinne des § 46 Abs. 1 FGO mitgeteilt worden sei.

Während des Verfahrens über die dagegen eingelegte Revision nahm das HZA die zur Zollanmeldung Nr. 746 erhobene Abgabenfestsetzung (Abschöpfung und anteilige Ausgleichsteuer) mit Steueränderungsbescheid vom 2. April 1973 zurück und wiederholte die Abgabenfestsetzung zur Zollanmeldung Nr. 2544. Mit Schriftsatz vom 5. April 1973 beantragte die Klägerin gemäß §§ 68 und 123 Satz 2 FGO, diesen Steueränderungsbescheid zum Gegenstand des Verfahrens zu machen. Mit einem weiteren Schriftsatz vom gleichen Tag legte sie vorsorglich gegen den Steueränderungsbescheid Einspruch ein. Soweit die Klägerin durch den Steueränderungsbescheid klaglos gestellt wurde, erklärten die Beteiligten übereinstimmend den Rechtsstreit für in der Hauptsache erledigt und beantragten jeweils, die Kosten des Verfahrens insoweit dem anderen Beteiligten aufzuerlegen.

Im übrigen beantragt die Klägerin, den Finanzstreit auszusetzen, hilfsweise, die Sache an das FG zurückzuverweisen.

Das HZA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen, hilfsweise die Sache an das FG zurückzuverweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung.

1. Wie der erkennende Senat mit dem Urteil vom 13. November 1973 VII R 32/71 (BStBl II 1974, 111) entschieden hat, bleibt für eine Erledigungserklärung hinsichtlich des Betrags, um den der Kläger durch einen Änderungsbescheid klaglos gestellt wurde, kein Raum, wenn der während des Revisionsverfahrens geänderte Steuerbescheid auf Antrag des Klägers gemäß § 68 FGO Gegenstand des Verfahrens geworden ist. Das kann jedoch nicht gelten, wenn - wie im Streitfalle - in einem Nachforderungsbescheid die Abgaben für zwei steuerliche Vorgänge angefordert werden und im Änderungsbescheid die eine Abgabenfestsetzung zurückgenommen und die andere lediglich inhaltlich wiederholt wird. Denn in diesem Fall ist der angegriffene ursprüngliche Verwaltungsakt teilbar insoweit, als er zwei Steuerfestsetzungen enthält, so daß durch die Aufhebung der einen Steuerfestsetzung auch eine Teilerledigung eintreten kann (vgl. v. Wallis-List in Hübschmann-Hepp-Spitaler, Kommentar zur Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, 1.-6. Aufl., Anm. 6 ff. zu § 72 FGO; Ziemer-Birkholz, Finanzgerichtsordnung, Anm. 42 ff. zu § 72). Denn mit der Aufhebung der einen Steuerfestsetzung erledigt sich der Rechtsstreit hinsichtlich des betreffenden Steuerfalles. Die insoweit gebotene Entscheidung über die Kosten (§ 138 FGO) ist jedoch nicht durch besonderen Beschluß zu treffen, sondern in dem Urteil, das über den nicht erledigten Teil des Rechtsstreits entscheidet (vgl. Baumbach-Lauterbach, Zivilprozeßordnung, 31. Aufl., Anm. 3 B zu § 91 a).

2. Unbeschadet dieser Teilerledigung ist der Steueränderungsbescheid Gegenstand des Verfahrens geworden. Ein Änderungsbescheid wird gemäß § 68 FGO auf Antrag des Klägers Gegenstand des Verfahrens aufgrund des Umstands, daß der ursprüngliche Verwaltungsakt durch einen anderen Verwaltungsakt geändert oder ersetzt worden ist. Nach dem Wortlaut des § 68 FGO ist nicht gefordert, daß die in dem ursprünglichen Verwaltungsakt enthaltene Festsetzung und Anforderung von Abgaben materiell geändert oder ersetzt worden sind. Dies ist verfahrensrechtlich dadurch gerechtfertigt, daß der Änderungsbescheid als neuer Verwaltungsakt besteht und von seiten des Klägers nur durch Einlegung eines Rechtsbehelfs beseitigt werden kann. § 68 FGO geht davon aus, daß das FA seine vollen, sich aus dem Steuerverwaltungsrecht ergebenden Befugnisse in bezug auf den Verfahrensgegenstand während des finanzgerichtlichen Verfahrens behält und den angegriffenen Verwaltungsakt ändern oder ersetzen kann. Zum Ausgleich und zugleich zur Vereinfachung wird es dem Kläger ermöglicht, den Änderungsbescheid in das schwebende Verfahren einzuführen, ohne daß es des in § 44 Abs. 1 FGO vorgeschriebenen Vorverfahrens bedarf (vgl. Beschluß des BFH vom 8. November 1971 GrS 9/70, BFHE 103, 549, BStBl II 1972, 219). Dabei kommt es wie bei der Frage, ob der Antrag nach § 68 FGO innerhalb eines Monats nach Zustellung des Änderungsbescheids zu stellen ist, nicht darauf an, welche Bedeutung den Begriffen "Änderung" und "Ersetzung" in den allgemeinen abgabenrechtlichen Verfahrensvorschriften beizulegen ist (vgl. Ziemer-Birkholz, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl., Rdnr. 2 zu § 68), ob also der ursprüngliche Verwaltungsakt inhaltlich durch den neuen geändert oder ersetzt worden ist, wie Tipke in Tipke-Kruse, Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Kommentar, 2.-5. Aufl., Anm. 3 zu § 68 FGO annimmt. Entscheidend ist allein die prozeßrechtliche Frage, ob ein mit Rechtsbehelfen angreifbarer Verwaltungsakt den ursprünglichen Verwaltungsakt formell geändert oder ersetzt hat, so daß dem Kläger im Falle seines Antrags gemäß § 68 FGO ein gesondertes Rechtsbehelfsverfahren hinsichtlich des Änderungsbescheids erspart wird. Der Vereinfachungszweck des § 68 FGO würde nicht erreicht, wenn im Streitfalle der Änderungsbescheid lediglich als Wiederholung der Abgabenfestsetzung hinsichtlich der Zollanmeldung Nr. 2544 und im übrigen als Aufhebung der Abgabenfestsetzung hinsichtlich der Zollanmeldung Nr. 746 angesehen und daraus gefolgert würde, daß im Fall der Zollanmeldung Nr. 2544 eine inhaltliche Änderung nicht vorliege und daher der Antrag nach § 68 FGO nicht zulässig sei, während sich der Rechtsstreit aufgrund der abgegebenen übereinstimmenden Erklärungen der Beteiligten hinsichtlich der Zollanmeldung Nr. 746 erledigt habe.

Allerdings war eine Klage aufgrund des § 46 Abs. 1 FGO gegen den ursprünglichen Steuerbescheid nicht zulässig, weil das HZA der Klägerin einen zureichenden Grund für das Nichtergehen der Einspruchsentscheidung mitgeteilt hatte, nämlich, daß diese von der Entscheidung über die Rechtsmäßigkeit des Widerrufsbescheids der EVSt Getr abhängig sei (siehe BFH-Beschluß vom 31. August 1971 VII R 36/70, BFHE 103, 38, BStBl II 1972, 20). Das steht jedoch einer Sachentscheidung über den Änderungsbescheid nicht im Wege. Sinn und Zweck der in § 68 FGO getroffenen Regelung ist es, einerseits dem HZA zu ermöglichen, den angefochtenen Verwaltungsakt auch nach Klageerhebung durch einen anderen Verwaltungsakt zu ändern oder zu ersetzen, und andererseits den Kläger dadurch verfahrensrechtlich nicht schlechter zu stellen. Deshalb entfällt - wie erwähnt - hinsichtlich des zum Verfahrensgegenstand gewordenen Änderungsbescheids das nach § 44 FGO vorgeschriebene Vorverfahren und damit auch die Klagemöglichkeit nach § 46 FGO, wonach bei Verzögerung der Einspruchsentscheidung durch das HZA ohne zureichenden Grund die Klage ohne vorherigen Abschluß des Vorverfahrens zulässig ist (vgl. BFH-Urteil vom 26. März 1969 V 171/65, BFHE 96, 28, BStBl II 1969, 524; v. Wallis-List in Hübschmann-Hepp-Spitaler, Kommentar zur Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, 1.-6. Aufl., Anm. 2 und 6a zu § 123 FGO). Es kommt daher zwar auf die im Streitfall nicht zweifelhafte Zulässigkeit der Revision an, nicht aber darauf, ob gegen den neuen Bescheid eine Klage nach § 46 FGO zulässig wäre. Ebenso ist es unerheblich, daß die Klägerin gegen diesen Bescheid gleichzeitig Einspruch eingelegt hat und ob das HZA über den Einspruch entscheiden kann oder auch dieser Entscheidung der hinsichtlich des ursprünglichen Bescheides mitgeteilte Grund entgegensteht. Nach alledem ist darüber zu befinden, ob der Gegenstand des Verfahrens gewordene Änderungsbescheid rechtmäßig ist. Ist während des Revisionsverfahrens ein neuer Verwaltungsakt Gegenstand des Verfahrens geworden, kann der BFH gemäß § 127 FGO die Vorentscheidung aufheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückverweisen. Es war im Streitfall geboten, von dieser Möglichkeit Gebrauch zu machen, da die Entscheidung über die Rechtmäßigkeit des Änderungsbescheids von der Entscheidung über den Widerruf der Erstattung abhängt, so daß die Sache z. Zt. nicht entscheidungsreif ist, und das FG auch noch keine Gelegenheit hatte, über die streitige Abgabenforderung sachlich zu entscheiden.

3. Dem FG war auch die Entscheidung über die Kosten zu übertragen (§ 143 Abs. 2 FGO); diese hat sich auch auf den erledigten Teil des Rechtsstreits zu erstrecken. Der Streitwert wurde nach § 140 Abs. 3 FGO festgesetzt.

 

Fundstellen

Haufe-Index 70730

BStBl II 1974, 113

BFHE 1974, 13

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