Leitsatz (amtlich)

Die Kapitalrenten für Witwen und Waisen aus der Ärzteversicherung unterliegen der Vermögensteuer auf den 1. Januar 1953. Diese Heranziehung verstößt nicht gegen Art. 3, 6, 14 GG.

 

Normenkette

BewG § 67 Nr. 4; VStG §§ 4, 11; FGO § 74; GG Art. 3, 6, 14, 100

 

Tatbestand

Streitig ist, ob der Kapitalwert von Renten, die an Hinterbliebene eines Arztes aus der berufständischen Pflichtversicherung gezahlt werden, zum "sonstigen Vermögen" gehört.

Die klagenden Eheleute sind zur Vermögensteuer auf den 1. Januar 1953 zusammen u. a. mit zwei Töchtern aus der ersten Ehe der Ehefrau durch berichtigte Bescheide veranlagt worden. Die beiden Töchter (Stieftöchter des Ehemannes) sind in den Jahren 1935 und 1940, die Ehefrau ist im Jahre 1909 geboren. Diese war in erster Ehe mit einem Arzt verheiratet. Nach dessen Tode steht ihr auf Lebenszeit von der Deutschen Ärzteversicherung eine jährliche Rente und den beiden Töchtern bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres eine jährliche Waisenrente zu.

Das FA hat bei der Vermögensteuerhauptveranlagung auf den 1. Januar 1953 die Kapitalwerte der Rentenansprüche der Ehefrau und der jüngeren Tochter gemäß § 67 Nr. 4 in Verbindung mit §§ 15, 16 BewG in der Fassung des Gesetzes zur Bewertung des Vermögens für die Kalenderjahre 1949 bis 1951 vom 16. Januar 1952 (BStBl I 1952, 35) als sonstiges Vermögen angesetzt. Der Kaptialwert der Rente der älteren Tochter blieb wegen einer Laufzeit von weniger als 10 Jahren außer Ansatz.

Die Revisionskläger legten gegen den Vermögensteuerbescheid Einspruch und Berufung ein. Die Rechtsmittel richteten sich nur gegen die Heranziehung der beiden Kapitalwerte, und zwar mit folgender Begründung: Der Kapitalwert sei außer Ansatz zu lassen, bzw. das Verfahren gemäß Art. 100 GG auszusetzen und die Entscheidung des BVerfG einzuholen. Es sei nicht gerechtfertigt, Rentenempfänger aus der Ärzteversicherung im Gegensatz zu sonstigen Rentenempfängern zur Vermögensteuer heranzuziehen. Die ärztliche Tätigkeit für die Krankenkassen, verbunden mit dem Zwang, der Ärzteversicherung beizutreten, sei der eines Lohnempfängers mit entsprechenden Versicherungsansprüchen gleichzusetzen. Die Beträge seien von der Krankenkasse einbehalten und an die Ärzteversicherung unmittelbar abgeführt worden, genauso wie sonstige Arbeitnehmeranteile an die Sozialversicherung abgeführt würden. Es werde nicht bestritten, "daß die Veranlagung zur Vermögensteuer den zur Zeit gültigen gesetzlichen Vorschriften entspricht". Wenn jedoch die Vorschriften des BewG zur Besteuerung der fraglichen Renten zwängen, seien sie mit Art. 3 und 6 GG unvereinbar, durch die die Gleichheit aller vor dem Gesetz garantiert, sowie Ehe und Familie unter den besonderen Schutz der staatlichen Ordnung gestellt würden.

Einspruch und Berufung blieben ebenso wie eine Petitionseingabe an den Landtag ohne Erfolg.

Das FG führte aus, nach § 67 Nr. 4 BewG a. F. gehörten die Kapitalwerte der der Ehefrau und der jüngeren Tochter auf Grund der berufständischen Pflichtversicherung des verstorbenen Ehemannes bzw. Vaters zustehenden Renten zum sonstigen Vermögen. Die Befreiungsvorschrift des § 68 Nr. 2 BewG a. F. für Ansprüche aus reichsgesetzlicher Versicherung gelte nicht für Ansprüche aus Rentenversicherungen der freien Berufe, auch wenn diese zwangsweise abgeschlossen worden seien. Ebenso handle es sich nicht um befreite Ansprüche aus einem früheren Arbeits- oder Dienstverhältnis im Sinne des § 68 Nr. 1 und 3 BewG a. F., da ein Kassenarzt seine Tätigkeit selbständig ausübe. Das FG sei an das Gesetz gebunden. Es liege auch keine Verletzung des Art. 3 Abs. 1 GG vor. Der Gesetzgeber sei durch den Gleichheitsgrundsatz nicht gehindert, natürlichen oder sozialen Unterschieden und verschiedenen Tatbeständen durch unterschiedliche Behandlung Rechnung zu tragen, also Ansprüche aus Arbeitnehmerrenten anders zu behandeln, als solche aus der Rentenversicherung freier Berufe. Ein Verstoß gegen die Garantie der Ehe und Familie durch die Vermögensbesteuerung der Ansprüche aus ärztlicher Rentenversicherung sei nicht ersichtlich. Infolge der Bejahung der Verfassungsmäßigkeit sei für die beantragte Aussetzung des Verfahrens und Einholung der Entscheidung des BVerfG nach Art. 100 GG kein Raum. Ein Billigkeitserlaß der Vermögensteuer nach § 131 AO sei nicht Gegenstand des Gerichtsverfahrens. Inzwischen habe der Gesetzgeber durch die Änderung und Ergänzung des § 68 BewG (Art. 8 Nr. 2 des Gesetzes zur Änderung steuerrechtlicher Vorschriften vom 26. Juli 1957 - BGBl I 1957, 848 -: § 68 Nr. 6a BewG, und Art. 8 Nrn. 5 und 6 StÄndG vom 13. Juli 1961 - BGBl I 1961, 981 -: Änderung des § 67 und Neufassung des § 68 Nr. 3 BewG) die privaten Versicherungs- und Versorgungsansprüche weitgehend den Ansprüchen aus der Sozialversicherung angeglichen, jedoch erst ab der Vermögensteuerhauptveranlagung 1957 bzw. 1960.

Gegen das Urteil legten die Revisionskläger Rechtsbeschwerde ein und baten, die Angelegenheit "der Einfachheit halber sofort an das Bundesverfassungsgericht weiterleiten zu wollen". Sie beantragten demgemäß, die Entscheidung des BVerfG über die Verfassungswidrigkeit einzuholen, ob die Heranziehung der Kapitalwerte aus der berufständischen ärztlichen Versicherung gegen Art. 3 GG verstoße. Demzufolge seien auch die oben genannten Steueränderungsgesetze ergangen. Art. 6 Abs. 1 GG sei deshalb von Bedeutung, weil der Revisionskläger zu 1) die beiden Töchter in seinen Haushalt aufgenommen habe. Hilfsweise beantragten sie, "festzustellen, daß die Kapitalwerte von Renten ... aus der berufständischen Versicherung unter ... § 67 Abs. 6b BewG fallen".

Das FA (Revisionsbeklagter) beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Die im Jahre 1963 eingelegte Rechtsbeschwerde ist gemäß der am 1. Januar 1966 in Kraft getretenen FGO vom 6. Oktober 1965 (BGBl I, 1477) als Revision zu behandeln. Ihre Zulässigkeit richtet sich nach § 286 AO a. F. (§ 184 FGO). Das FG hatte die Rechtsbeschwerde wegen grundsätzlicher Bedeutung der Streitsache zugelassen.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Die Revision ist unbegründet.

Das FA hat zutreffend in Übereinstimmung mit dem Urteil des FG die Kapitalwerte der von der Ärzteversicherung gezahlten Renten der Revisionsklägerin zu 2) und der jüngeren Tochter bei der Vermögensermittlung auf den 1. Januar 1953 zur Vermögensteuer herangezogen. Nach § 11 VStG erfolgte die Haushaltsbesteuerung der Ehegatten zusammen mit den beiden Töchtern, die das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hatten. Bemessungsgrundlage ist nach § 4 VStG das Gesamtvermögen der unbeschränkt Steuerpflichtigen, das mit dem Wert anzusetzen ist, der sich nach den §§ 73 bis 77 BewG a. F. unter Beachtung des LAG ergibt. Somit kommt gemäß §§ 19, 73 BewG der § 67 (Abs. 1) Nr. 4 BewG a. F. zur Anwendung. Danach gehört zum sonstigen Vermögen der Kapitalwert von Rechten auf Renten und andere wiederkehrende Leistungen unter der Voraussetzung einer hier gegebenen Dauer auf Lebenszeit oder von mindestens zehn Jahren. Die in Frage stehenden Versorgungsansprüche fallen nicht unter eine Freistellung nach § 68 BewG a. F. Die Nrn. 1 und 3 dieser Vorschrift greifen nicht ein, da die zur ihrer Anwendung erforderliche Beziehung zu einem früheren Arbeits- oder Dienstverhältnis fehlt. Das FG hat zutreffend ausgeführt, daß ein Kassenarzt gegenüber dem Kassenpatienten keine unselbständige Tätigkeit, sondern eine selbständige Tätigkeit als Angehöriger eines freien Berufes ausübt. Der Senat hält den Standpunkt des RFH, der ein Arbeits- oder Dienstverhältnis des Kassenarztes zu den Kassenpatienten verneinte (siehe die bereits vom FG angeführten Urteile des RFH III A 131/36 vom 8. Oktober 1936, RStBl 1936, 1126/1128, und III 113/39 vom 28. September 1939, RStBl 1940, 414), für zutreffend; die zwangsweise Zugehörigkeit zur Ärzteversicherung hat mit der Einordnung in die freie Berufstätigkeit oder in ein Angestelltenverhältnis nichts zu tun, sondern soll lediglich der Altersversorgung gerade des freiberuflichen Arztes dienen. Angestellte oder beamtete Ärzte der Krankenkasse bedürfen einer solchen Versicherung in der Regel nicht.

Es handelt sich bei den beiden Renten weder um Ansprüche aus einer reichsgesetzlichen Versicherung im Sinne des § 68 Nr. 2 BewG a. F. noch um Ansprüche auf gesetzliche Versorgungsbezüge (Nr. 4). Das erste ergibt sich ohne weiteres aus dem Wortlaut und wird zudem durch die Neufassung des StÄndG 1961 vom 13. Juli 1961 klargestellt, die ihrerseits keine Neuregelung, sondern lediglich eine dem gegenwärtigen Sozialversicherungsrecht angepaßte redaktionelle Neuformulierung darstellt (so Gürsching-Stenger, Bewertungsgesetz und Vermögensteuergesetz 1961, § 68 BewG Anm. 1).

Die Nichtanwendbarkeit des § 68 Nr. 4 BewG a. F. auf Renten der kassenärztlichen Vereinigung an den Kassenarzt sowie dessen Witwe und Waisen hat der Senat in dem Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) III 2/62 vom 17. Mai 1966 (BFH 86, 374, BStBl III 1966, 500) entschieden. Danach kommen als Ansprüche auf gesetzliche Versorgungsbezüge nur solche in Betracht, die sich unmittelbar aus dem Gesetz oder einer auf Grund eines Gesetzes ergangenen Rechtsverordnung ergeben. Das ist hier nicht der Fall. An den Grundsätzen des angeführten Urteils hält der Senat fest.

In der gesetzlichen Regelung sieht der Senat keinen Verstoß gegen das GG. Wie er in mehreren Entscheidungen ausführte, haben Angehörige der freien Berufe, die keinen Anspruch auf Sozialversicherung oder Pension besitzen, keinen ausgleichenden Anspruch auf höhere Freibeträge, als sie das VStG und das BewG in den einzelnen Vorschriften vorsehen (so BFH-Urteil III 139/60 vom 13. November 1964, Steuerrechtsprechung in Karteiform- StRK - Vermögensteuergesetz, § 4, Rechtsspruch 10, HFR 1965, 394, und die dort angeführte Rechtsprechung). In der Auslegung, daß Renten, die auf einer früheren freiberuflichen Tätigkeit beruhen, nicht zu begünstigen sind, liegt kein Verstoß gegen Art. 3 GG. Arbeitnehmer und freiberuflich Tätige sind unterschiedliche Berufsgruppen mit unterschiedlichen Einkunftsarten und infolgedessen unterschiedlicher Altersversorgung. Der Gesetzgeber konnte daher ohne Verstoß gegen das GG die Regelung, wie sie im BewG und im VStG in der am Stichtag gültigen Fassung enthalten ist, treffen. Er konnte auch durch die Neufassung des § 68 Nr. 3 BewG im StÄndG 1961 die mit der Einführung des § 68 Nr. 6a BewG begonnene Entwicklung auf Freistellung der privaten Versicherungsbezüge fortsetzen, ohne damit die Verfassungswidrigkeit der früheren Vorschriften zum Ausdruck zu bringen. Dies ergibt sich schon daraus, daß die Änderung nicht unbeschränkt rückwirkend gilt, sondern erst ab der Vermögensteuerhauptveranlagung auf den 1. Januar 1960.

Ein Verstoß gegen Art. 6 GG ist ebenfalls nicht gegeben. Art. 6 Abs. 1 GG stellt Ehe und Familie unter den besonderen Schutz der staatlichen Ordnung. Dieser Schutz erstreckt sich vor allem darauf, daß beide Institute in ihrem ethischen und kulturellen Inhalt erhalten werden (so Bonner Kommentar, Stand: 18. Lieferung, Art. 6 Erläuterungen). Die Aufnahme der Töchter aus erster Ehe in die Familie der Revisionskläger hat mit der Besteuerung der Renten nichts zu tun. Die sogenannte Haushaltsbesteuerung gemäß § 11 VStG ist hier nicht als verfassungswidrig angegriffen worden. Zudem hat das FG in tatsächlicher Hinsicht festgestellt, daß sich die Zusammenveranlagung im Streitfall nicht zum Nachteil, sondern zum Vorteil der Betroffenen ausgewirkt hat.

Ebenso hat es der Senat in ständiger Rechtsprechung abgelehnt, den selbständig Tätigen zur Sicherung der Altersversorgung einen im VStG und BewG nicht vorgesehenen Freibetrag einzuräumen; er hat einen Verstoß in der dortigen Regelung gegen das GG, insbesondere gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 GG und gegen die Eigentumsgarantie des Art. 14 GG verneint (Hinweis auf den Beschluß III B 32/67 vom 15. September 1967, BFH 90, 209, BStBl II 1968, 46 und die dort angeführte Rechtsprechung).

Da der Senat die genannten Bestimmungen des BewG und des VStG nicht für verfassungswidrig hält, entfällt der Antrag der Revisionskläger, das Verfahren nach Art. 100 GG auszusetzen und die Entscheidung des BVerfG einzuholen oder nach § 74 FGO auszusetzen. Die Steuergerichte brauchen Verfahren nicht auszusetzen, wenn sie ein anzuwendendes Steuergesetz, dessen Unvereinbarkeit mit dem GG in Verfassungsbeschwerden über ähnliche oder gleiche Rechtsfragen geltend gemacht ist, für gültig halten (Urteil des BFH IV 264/65 vom 29. Juli 1966, BFH 86, 671, BStBl III 1966, 629, und die dort angeführten weiteren Entscheidungen). Infolgedessen bestand hier weder für das FG noch besteht für den BFH Veranlassung zur beantragten Aussetzung. Daß die Rechtslage bei anhängigen abstrakten Normenkontrollverfahren (Art. 93 Abs. 1 GG in Verbindung mit § 13 Nr. 6 und § 76 BVerfGG) anders sein kann (vgl. Beschluß II B 8/67 vom 1. August 1967, BFH 89, 178, BStBl III 1967, 562), ist für den Streitfall ohne Bedeutung, da diese Voraussetzung nicht vorliegt.

Der Hilfsantrag auf Feststellung ist aus den gleichen Gründen sachlich unberechtigt wie der Hauptantrag. § 67 Abs. 1 Nr. 6b BewG späterer Fassung ist durch das StÄndG vom 13. Juli 1961 mit erstmaliger Anwendung bei der Vermögensteuerhauptveranlagung 1960 eingeführt worden, so daß sich hier eine sachlich-rechtliche Erörterung dieser Vorschrift erübrigt. Dieses Begehren verstößt bereits gegen § 41 Abs. 2 FGO, wonach die Feststellung nicht begehrt werden kann, wenn der Kläger seine Rechte durch Gestaltungs- oder Leistungsklagen verfolgen kann, wie es die Revisionskläger auch getan haben.

 

Fundstellen

Haufe-Index 412809

BStBl II 1968, 171

BFHE 1968, 511

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