Entscheidungsstichwort (Thema)

Schätzung des Gewinns als Überschuß der Betriebseinnahmen über die Betriebsausgaben

 

Leitsatz (NV)

Ist ein Gewerbetreibender nicht buchführungspflichtig, erstellt er keine Eröffnungsbilanz und richtet er keine kaufmännische Buchführung ein, sondern zeichnet er nur die Betriebseinnahmen auf und sammelt Belege über die Betriebsausgaben, so hat er dadurch sein Wahlrecht dahin ausgeübt, daß er die Gewinne nach § 4 Abs. 3 EStG ermittelt.

 

Normenkette

EStG § 4 Abs. 1, 3

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) war in den Streitjahren 1972 bis 1975 als selbständiger Handelsvertreter tätig. Als Geschäftsinhaber trat zunächst die Ehefrau des Klägers auf; der Kläger gab sich als deren Angestellter aus. In einer schriftlichen Vereinbarung vom 3. Mai 1972 erklärten der Kläger und seine Ehefrau, sie seien sich darin einig, daß die Firma dem Kläger zustehe. Am 1. Oktober 1972 meldete der Kläger ein Gewerbe auf seinen Namen an.

Der Kläger gab für die Streitjahre 1972 bis 1975 zunächst keine Steuererklärungen ab. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) erließ Einkommensteuerbescheide für 1972 bis 1975; darin waren die Besteuerungsgrundlagen geschätzt. Der Kläger reichte nunmehr Einkommensteuererklärungen und Jahresabschlüsse für 1974 und 1975 ein, die im Januar bzw. Dezember 1978 erstellt waren; darin waren seine Provisionseinnahmen für 1974 mit . . . DM und für 1975 mit . . . DM angegeben und für beide Jahre jeweils ein Verlust aus Gewerbebetrieb ausgewiesen.

Im Jahre 1979 führte das FA eine Außenprüfung durch. Der Prüfer stellte u. a. fest, daß der Kläger bis Ende 1975 keine Bücher geführt hatte, daß die Jahresabschlüsse 1974 und 1975 anhand von Belegen aufgestellt worden waren und daß die darin ausgewiesenen Provisionseinnahmen bei weitem nicht den nachweislich vereinnahmten Provisionen entsprachen. Der Prüfer vertrat unter Hinweis auf das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 2. März 1978 IV R 45/73 (BFHE 125, 45, BStBl II 1978, 431) die Auffassung, daß der Gewinn des Klägers für die Streitjahre anhand der vorgefundenen Unterlagen als Überschuß der Betriebseinnahmen über die Betriebsausgaben (§ 4 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes - EStG -) zu schätzen sei, weil der Kläger nicht buchführungspflichtig gewesen sei. Der Prüfer ermittelte die Betriebseinnahmen anhand der Bankkontenauszüge, der Provisionsabrechnungen, der Provisionsbücher und des Schriftverkehrs; zu den auf diese Weise festgestellten Einnahmen schätzte er bestimmte Beträge hinzu.

Die Betriebsausgaben schätzte der Prüfer für die Jahre 1972 bis 1974 pauschal auf jeweils 25 v. H. der angesetzten Betriebseinnahmen. Für 1975 ging er von den Belegen des Klägers aus, nahm aber wegen deren Unzulänglichkeit Abschläge bei den Reisekosten vor; die Bewirtungsspesen behandelte er als nicht abzugsfähig, weil die Aufzeichnungsvorschriften nicht beachtet worden seien.

Auf dieser Grundlage erließ das FA geänderte Einkommensteuerbescheide für 1972 bis 1975.

Hiergegen legte der Kläger Einspruch ein. Er ließ nunmehr nachträglich Buchführung und Jahresabschlüsse für die Streitjahre erstellen; auch darin waren jedoch die Betriebseinnahmen nicht vollständig erfaßt.

In der Einspruchsentscheidung ging das FA grundsätzlich von den Ergebnissen der nachträglich erstellten Jahresabschlüsse aus. Es ermittelte den Gewinn aber gemäß § 4 Abs. 3 EStG und nahm an, daß der Kläger zumindest ab 3. Mai 1972 Betriebsinhaber gewesen sei und deshalb bestimmte Provisionszahlungen einer Firma F in 1972 ihm zuzurechnen seien. Außerdem erhöhte das FA die in den nachträglich erstellten Jahresabschlüssen ausgewiesenen Betriebseinnahhmen um Sicherheitszuschläge von je 5 000 DM für 1972 bis 1974 und 4 000 DM für 1975. Die Betriebsausgaben setzte es für 1972 mit dem vom Prüfer geschätzten Pauschalbetrag an. Für 1973 bis 1975 kürzte es die in den Jahresabschlüssen ausgewiesenen Betriebsausgaben um die Aufwendungen für Bewirtung und Geschenke, um die Rückstellungen für Buchführungskosten, um 30 v. H. der Reisekosten und (unter Gegenrechnung einer Absetzung für Abnutzung - AfA -) um die Aufwendungen für geringwertige Wirtschaftsgüter.

Auf dieser Grundlage setzte das FA in den Einspruchsentscheidungen die Einkommensteuer für 1972 auf 7 260 DM, für 1973 auf 26 864 DM, für 1974 auf 21 283 DM und für 1975 auf 18 741 DM fest.

Mit der Klage beantragte der Kläger, die Einkommensteuer für 1972 auf null DM, für 1973 auf 16 068 DM, für 1974 auf 11 320 DM und für 1975 auf 8 877 DM herabzusetzen. Die Klage hatte nur insoweit Erfolg, als das Finanzgericht (FG) die Betriebsausgaben in verschiedenen Punkten höher ansetzte und demgemäß die Einkommensteuer für 1973 auf 23 175 DM, für 1974 auf 18 108 DM und für 1975 auf 16 930 DM herabsetzte.

Mit der Revision beantragt der Kläger, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Einkommensteuer entsprechend dem Klageantrag festzusetzen.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet.

1. Dem FG ist darin zu folgen, daß das FA der Besteuerung des Klägers für die Streitjahre zu Recht jeweils einen Gewinn zugrunde gelegt hat, der nicht nach den Grundsätzen des Vermögensvergleichs (§ 4 Abs. 1 EStG), sondern als Überschuß der Betriebseinnahmen über die Betriebsausgaben ermittelt und ergänzend geschätzt ist.

a) Die Vorentscheidung geht davon aus, daß der Kläger in den Streitjahren nicht buchführungspflichtig gewesen sei; er sei weder im Handelsregister eingetragen gewesen, noch habe er die Voraussetzungen der §§ 160 f. der Reichsabgabenordnung (AO) erfüllt.

Dieser rechtliche Ausgangspunkt ist insofern mißverständlich formuliert, als eine Buchführungspflicht nach den Vorschriften des Handelsgesetzbuches (HGB) nicht ausnahmslos eine Eintragung in das Handelsregister voraussetzt. Der Kläger war als Handelsvertreter in einem Grundhandelsgewerbe tätig (§ 1 Abs. 2 Nr. 7 HGB); er war demgemäß - unabhängig von der Eintragung in das Handelsregister - sog. Mußkaufmann und als solcher nur dann nicht buchführungspflichtig, wenn er Minderkaufmann war, d. h., wenn sein Gewerbebetrieb einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb nicht erforderte (§ 4 Abs. 1 HGB i. V. m. § 38 Abs. 1 HBG a. F.). Im Hinblick darauf, daß ein Vollkaufmann verpflichtet ist, seine Firma zur Eintragung in das Handelsregister anzumelden (§ 29 HGB), sind die Feststellungen des FG, der Kläger sei nicht im Handelsregister eingetragen gewesen, jedoch dahin zu verstehen, daß der Kläger als Minderkaufmann nicht eintragungspflichtig gewesen ist. In der Tat begründet das Fehlen einer Eintragung ins Handelsregister eine tatsächliche Vermutung dafür, daß der Kläger nur Minderkaufmann war; der Kläger hat vor dem FG keine Tatsachen vorgetragen, die geeignet waren, diese Vermutung zu widerlegen. Demgemäß wird auch mit der Revision nicht geltend gemacht, der Kläger sei buchführungspflichtig gewesen.

b) Da der Kläger nicht buchführungspflichtig war, hat er das Recht, zwischen einer Ermittlung des Gewinns nach § 4 Abs. 1 oder § 4 Abs. 3 EStG zu wählen. Das FG hat angenommen, der Kläger habe dadurch sein Wahlrecht im Sinne der Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG ausgeübt, daß er keine Eröffnungsbilanz aufgestellt und keine kaufmännische Buchführung eingerichtet, sondern lediglich - und auch das nur unvollständig - seine Betriebseinnahmen aufgezeichnet und Belege über die Betriebsausgaben gesammelt habe. Diese Würdigung ist nicht zu beanstanden.

Wie der IV. Senat des BFH mehrfach entschieden hat, übt ein Steuerpflichtiger sein Wahlrecht zwischen der Gewinnermittlung durch Vermögensvergleich oder Überschußrechnung ,,mit der Einrichtung oder Nichteinrichtung der erforderlichen Buchführung aus". Hat er keine Eröffnungsbilanz aufgestellt und keine den Stand des Vermögens bereits während des laufenden Jahres darstellende Buchführung eingerichtet, sondern nur die Betriebseinnahmen und Betriebsausgaben aufgezeichnet, so hat er sich aufgrund der von ihm gewählten Gestaltung für die Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG entschieden; sein späteres Verlangen, der Besteuerung einen nach § 4 Abs. 1 EStG zu ermittelnden Gewinn zugrunde zu legen, ist eine unzulässige nachträgliche Änderung der Gewinnermittlungsart (BFH-Urteile vom 29. April 1982 IV R 95/79, BFHE 136, 94, BStBl II 1982, 593; vom 2. März 1978 IV R 45/73, BFHE 125, 45, BStBl II 1978, 431; vom 19. Januar 1967 IV 12/63, BFHE 88, 47, BStBl III 1967, 288). Dem schließt sich der erkennende Senat an.

Allerdings läßt sich, wie der VIII. Senat des BFH und ihm folgend der erkennende Senat entschieden haben, die Nichteinrichtung einer kaufmännischen Buchführung dann nicht als Ausübung des Wahlrechts im Sinne einer Gewinnermittlung durch Überschußrechnung werten, wenn sich der Steuerpflichtige nicht bewußt ist, daß er gewerblich tätig und demgemäß verpflichtet ist, für die Zwecke der Besteuerung seinen Gewinn zu ermitteln und zu erklären (BFH-Urteile vom 30. September 1980 VIII R 201/78, BFHE 132, 228, BStBl II 1981, 301; vom 11. Dezember 1987 III R 204/84, nicht veröffentlicht). Hiervon kann im Streitfall jedoch keine Rede sein. Der Kläger wußte, daß er Gewerbetreibender ist und seine Einkünfte aus Gewerbebetrieb zu versteuern hat. Aus der für den Senat als Revisionsgericht bindenden tatsächlichen Feststellung, daß der Kläger während der Streitjahre noch keine kaufmännische Buchführung eingerichtet hat, aber seine Betriebseinnahmen, wenn auch unvollständig, aufgezeichnet hat, durfte das FG die rechtliche Schlußfolgerung ziehen, der Kläger habe sich für eine Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG entschieden, die er durch die spätere Bilanzierung nicht mehr habe rückgängig machen können.

Daß der Kläger möglicherweise, wie die Revision geltend macht, in seinen Umsatzsteuervoranmeldungen die vereinbarten, und nicht die vereinnahmten Entgelte (unvollständig) erklärt hat, zwingt schon im Hinblick darauf, daß die sog. Sollversteuerung umsatzsteuerrechtlich die Regel ist (vgl. §§ 16, 20 des Umsatzsteuergesetzes - UStG -), und daß die unvollständige Aufzeichnung der vereinbarten Entgelte für eine Gewinnermittlung durch Vermögensvergleich bei weitem nicht ausreicht, noch nicht zu der Annahme, der Kläger habe sich für eine Gewinnermittlung durch Vermögensvergleich entschieden.

2. Das FG hat nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme die Überzeugung gewonnen, daß der Kläger von Anfang an und somit während des ganzen Streitjahres 1972 allein Inhaber der Handelsvertretung gewesen und die Provisionszahlung der Firma F daher ihm als Entgelt für seine gewerbliche Tätigkeit zugeflossen ist. Diese tatsächliche Feststellung ist für den Senat bindend, da zulässige und begründete Verfahrensrügen nicht erhoben sind. Der Angriff der Revision, über den Streitgegenstand sei bereits anderweitig rechtskräftig entschieden, geht - unabhängig davon, ob es sich dabei um neues tatsächliches Vorbringen handelt - fehl. Selbst wenn zugunsten der Revision unterstellt wird, daß das FG in einem Rechtsstreit zwischen der geschiedenen Ehefrau des Klägers und dem FA B in einem Urteil vom 30. Oktober 1978 von einer gewerblichen Tätigkeit der Ehefrau bis 25. Oktober 1972 ausgegangen ist, erweist sich dies für das vorliegende Verfahren schon deshalb als unerheblich, weil rechtskräftige Urteile nur die Beteiligten binden (§ 110 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -), der Kläger aber offensichtlich am damaligen Rechtsstreit nicht beteiligt war. Hiervon abgesehen, verkennt die Revision, daß grundsätzlich nur der Regelungsgehalt des streitbefangenen Verwaltungsaktes, nicht aber seine Begründung und die Entscheidungsgründe des ihn bestätigenden FG-Urteils in Rechtskraft erwachsen.

3. Dem FG ist auch darin zu folgen, daß das FA berechtigt war, die ermittelten Betriebseinnahmen um maßvolle Sicherheitszuschläge zu erhöhen.

Der Kläger ist seiner gesetzlichen Pflicht nicht nachgekommen, seine Betriebseinnahmen vollständig, richtig und zeitgerecht aufzuzeichnen (§ 22 UStG i. V. m. § 162 Abs. 2 AO bzw. § 146 Abs. 1 der Abgabenordnung - AO 1977 -; vgl. auch BFH-Urteil vom 2. März 1982 VIII R 225/80, BFHE 136, 28, 33, BStBl II 1984, 504). FA und FG waren daher gehalten, die Besteuerungsgrundlagen, soweit sie nicht zu ermitteln waren, ergänzend zu schätzen (§ 162 AO 1977). Wenn das FG aus dem Verhalten des Klägers (ursprünglich keine Steuererklärungen; später zu niedrig erklärte Provisionseinnahmen) den Schluß gezogen hat, daß der Kläger nicht alle Unterlagen über seine Provisionseinnahmen in den Streitjahren aufgehoben hat und diese daher nicht vollständig zu ermitteln waren, so ist dies eine mögliche Tatsachenwürdigung, die für den Senat bindend ist; sie kann allein mit der Behauptung, der Kläger habe Provisionen nur von buchführungspflichtigen Unternehmen auf unbarem Wege erhalten, nicht in Frage gestellt werden.

4. Zu Recht hat das FG die Aufwendungen für Entgelte und Geschenke mangels zeitnah geführter gesonderter Aufzeichnungen nicht zum Abzug zugelassen. Der erkennende Senat hat bereits mehrfach entschieden, daß § 4 Abs. 6 EStG (§ 4 Abs. 7 EStG n. F.) nicht nur, wie die Revision meint, eine getrennte, sondern auch eine zeitnahe Eintragung der Aufwendungen auf einem besonderen Konto oder vergleichbaren anderen Aufzeichnungen verlangt (BFH-Urteile vom 26. Februar 1988 III R 20/85, BFHE 152, 509, und vom 22. Januar 1988 III R 171/82, BFHE 152, 341).

5. Das FG ist im Hinblick auf die Mängel der Reisekostenabrechnungen des Klägers in freier Beweiswürdigung zu der Überzeugung gekommen, daß von den gebuchten Reisekosten 25 v. H. tatsächlich nicht angefallen sind oder nicht betrieblich veranlaßt waren. Diese tatsächliche Feststellung ist für den Senat bindend, da zulässige und begründete Verfahrensrügen nicht erhoben und Verstöße gegen Sätze der allgemeinen Lebenserfahrung oder gegen Denkgesetze nicht ersichtlich sind. Der von der Revon der Revision behauptete Satz der Lebenserfahrung, ,,daß nicht 25 v. H. des menschlichen Tuns fehlerhaft sei", besagt nichts zu der allein entscheidungserheblichen Frage, in welchem Umfang die vom Kläger als betriebliche Reisekosten deklarierten Beträge Betriebsausgaben sind. Soweit sich der Sachverhalt insoweit als nicht mehr hinreichend aufklärbar erweist, muß dies dem Kläger zum Nachteil gereichen, da dieser die objektive Feststellungslast dafür trägt, daß Aufwendungen in bestimmter Höhe entstanden sind und diese auch betrieblich veranlaßt waren.

 

Fundstellen

Haufe-Index 415786

BFH/NV 1990, 17

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