Leitsatz (amtlich)

Der Halter eines Luftfahrtgeräts ist nicht berechtigt, vor Ablauf der zulässigen Betriebszeit Rückstellungen für die Verpflichtung zur Grund- oder Teilüberholung des Luftfahrtgeräts zu bilden.

 

Orientierungssatz

1. § 152 Abs. 7 AktG 1965, der die Bildung von Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten regelt, enthält eine handelsrechtlich und damit auch steuerrechtlich zu beachtende Passivierungspflicht. Zu den davon erfaßten Verbindlichkeiten gehören auch solche öffentlich-rechtlicher Art. Voraussetzung für die Passivierung einer öffentlich-rechtlichen Verbindlichkeit ist jedoch, daß sie zu diesem Zeitpunkt entweder dem Grunde nach entstanden oder, sofern es sich um eine künftig entstehende Verbindlichkeit handelt, wirtschaftlich im abgelaufenen oder in den vorangegangenen Wirtschaftsjahren verursacht worden ist (vgl. BFH-Rechtsprechung).

2. Ein Antrag auf Änderung der Bilanz nach § 4 Abs. 2 S. 2 EStG muß, soweit nicht sonstige Berichtigungsmöglichkeiten vorliegen, bis zur Bestandskraft der Veranlagung des Streitjahres und --sofern der Rechtsstreit bei Gericht anhängig ist-- bis zur Entscheidung durch das FG als Tatsacheninstanz erfolgen (vgl. BFH-Urteil vom 1.2.1966 I 275/62). Die Ausübung des Wahlrechts hinsichtlich eines niedrigeren Bilanzansatzes (hier: Ansatz des niedrigeren Teilwerts) nach den genannten Zeitpunkten stellt keine neue Tatsache i.S. von § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977, sondern eine Verfahrenshandlung dar (vgl. BFH-Urteil vom 28.9.1984 VI R 48/82).

3. Ein neuer Tatsachenvortrag kann in der Revisionsinstanz keine Berücksichtigung finden. Eine abweichende Sachverhaltsdarstellung ist für sich nicht geeignet, die Bindung der Revisionsinstanz an den vom FG festgestellten Sachverhalt zu beseitigen (vgl. BFH-Rechtsprechung).

 

Normenkette

EStG § 5 Abs. 1; HGB § 249 Abs. 1; AktG § 152 Abs. 7 Fassung: 1965-09-06; EStG § 4 Abs. 2 S. 2; AO 1977 § 173 Abs. 1 Nr. 2; FGO § 118 Abs. 2

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), eine GmbH & Co. KG, betreibt ein Lufttransportunternehmen mit betriebseigenen Hubschraubern. Gemäß § 7 der Betriebsordnung für Luftfahrtgerät (LuftBO) und § 30 der Prüfordnung für Luftfahrtgerät (LuftGerPO) ist die Klägerin verpflichtet, nach einer bestimmten Zahl von Flugstunden die Antriebsmotoren und Fahrgastzellen einer Überholung und Nachprüfung zu unterziehen. Die Klägerin bildete in ihren Bilanzen ab 1972 für die Verpflichtung zur Überholung Rückstellungen, die sie nach dem Verhältnis der im Wirtschaftsjahr tatsächlich zurückgelegten zu den jeweils zulässigen Flugstunden für Antriebsaggregate und Fahrgastzellen errechnete.

Entsprechend den bundeseinheitlichen Verwaltungsanweisungen der obersten Finanzbehörden der Länder (vgl. Schreiben des Bundesministers für Wirtschaft und Finanzen --BMWF-- vom 5.Oktober 1971 -F/IV-B 2-S 2137, Der Betrieb --DB-- 1971, 1987) erkannte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) nach Abschluß einer Betriebsprüfung die Rückstellungen in dem geänderten Gewinnfeststellungsbescheid 1975 vom 11.Juni 1980 nicht an.

Einspruch und Klage blieben ohne Erfolg.

Mit der Revision rügt die Klägerin die Verletzung formellen und materiellen Rechts.

Entgegen dem vom Finanzgericht (FG) festgestellten Sachverhalt habe die Klägerin Rückstellungen nicht für die Überholung ihrer Luftfahrtgeräte (§ 7 LuftBO), sondern für die Wartung nach § 6 LuftBO gebildet. Dabei handle es sich nicht um eine Kontrolle der einzelnen Teile der Luftfahrtgeräte, sondern um eine Überprüfung der "Struktur" der Hubschrauber insgesamt, die aus Sicherheitsgründen spätestens nach 2 400 Flugstunden vorzunehmen sei. Da der dabei entstehende Aufwand jeder einzelnen Flugstunde zugerechnet werden könne, konkretisiere sich die Verpflichtung zur Überprüfung der Fluggeräte unabhängig vom Erreichen der höchstzulässigen Betriebszeit an jedem Bilanzstichtag.

Die Klägerin beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet.

1. Die Klägerin war nach den handelsrechtlichen Grundsätzen ordnungsgemäßer Buchführung nicht verpflichtet, in ihrer Handelsbilanz zum 31.Dezember 1975 eine Rückstellung für die nach diesem Stichtag entstehende Verpflichtung zur Überholung der Hubschrauber zu bilden und demgemäß auch nicht berechtigt, in ihrer Steuerbilanz des Streitjahres eine entsprechende Rückstellung auszuweisen.

Die Bildung von Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten ist in § 152 Abs.7 des Aktiengesetzes 1965 (AktG 1965) geregelt (vgl. jetzt § 249 Abs.1 Satz 1 des Handelsgesetzbuches neuer Fassung --HGB n.F.--). Die Vorschrift enthält insoweit einen Grundsatz ordnungsgemäßer Bilanzierung und statuiert --entgegen ihrem Wortlaut-- eine handelsrechtlich und damit auch steuerlich zu beachtende Passivierungspflicht (Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 1.August 1984 I R 88/80, BFHE 142, 226, BStBl II 1985, 44 mit weiteren Nachweisen). Zu den davon erfaßten Verbindlichkeiten gehören nach gefestigter Rechtsprechung des BFH auch solche öffentlich-rechtlicher Art, ungeachtet dessen, ob diese auf Geld oder einen anderen Leistungsinhalt gerichtet sind (Urteil des BFH vom 26.Oktober 1977 I R 148/75, BFHE 123, 547, BStBL II 1978, 97). Voraussetzung für die Passivierung einer öffentlich-rechtlichen Verbindlichkeit ist jedoch, daß sie

a) am Bilanzstichtag hinreichend konkretisiert und

b) zu diesem Zeitpunkt entweder dem Grunde nach entstanden

oder, sofern es sich um eine künftig entstehende

Verbindlichkeit handelt, wirtschaftlich im abgelaufenen oder

in den vorangegangenen Wirtschaftsjahren verursacht worden

ist (Urteile des BFH vom 19.Mai 1983 IV R 205/79, BFHE 139,

41, BStBl II 1983, 670; vom 20.Januar 1983 IV R 168/81, BFHE

137, 489, BStBl II 1983, 375).

Ob die Voraussetzungen zu a) erfüllt sind, bedarf keiner Entscheidung, da jedenfalls diejenigen zu b) nicht vorliegen.

Nach allgemeinen Grundsätzen, die auch im öffentlichen Recht Gültigkeit beanspruchen, entstehen Ansprüche und Verpflichtungen zu dem Zeitpunkt, zu dem die sie begründenden Tatbestandselemente erfüllt sind (Johannsen in Das Bürgerliche Gesetzbuch, Kommentar, herausgegeben von Mitgliedern des Bundesgerichtshofes --BGB-RGRK--, Bd.1, 12.Aufl. 1982, § 198 Rdnr.2; Wolff/Bachhof, Verwaltungsrecht I, 9.Aufl. 1974, § 40, S.287, S.294 f.). Die Verpflichtung zur Grund- oder Teilüberholung von Luftfahrtgeräten entsteht somit erst dann, wenn die festgelegte Betriebszeit erreicht wird.

Die wirtschaftliche Verursachung einer Verbindlichkeit im abgelaufenen Wirtschaftsjahr oder in den Vorjahren setzt voraus, daß --ungeachtet der rechtlichen Gleichwertigkeit aller Tatbestandsmerkmale einer Verbindlichkeit-- die wirtschaftlich wesentlichen Tatbestandsmerkmale erfüllt sind und das Entstehen der Verbindlichkeit nur noch von wirtschaftlich unwesentlichen Tatbestandsmerkmalen abhängt (ständige Rechtsprechung des BFH, Urteil in BFHE 142, 226, BStBl II 1985, 44). Maßgebend ist demnach nicht das in der Betriebswirtschaftslehre entwickelte Verursachungsprinzip im Sinne der Verwirklichung einzelner Umstände, die eine spätere Entstehung der Verbindlichkeit nach sich ziehen können (Adler/Dürich/Schmaltz, Rechnungslegung und Prüfung der Aktiengesellschaft, 4.Aufl., Bd.1, 1968, § 152 Tz.96, 110), sondern die wirtschaftliche Wertung des Einzelfalles im Lichte der rechtlichen Struktur des Tatbestands, mit dessen Erfüllung die Verbindlichkeit entsteht.

Die Verpflichtung der Klägerin zur Überholung ihrer Hubschrauber nach § 7 LuftBO war am 31.Dezember 1975 wirtschaftlich nicht verursacht. Denn wesentliches Merkmal der Überholungsverpflichtung ist --vom Fall der Überholung aufgrund festgestellter Mängel abgesehen-- das Erreichen der zulässigen Betriebszeit, die den typischerweise auftretenden Ermüdungs- und Abnützungserscheinungen des Luftfahrtgeräts Rechnung trägt (Hofmann, Luftverkehrs-Verordnungen, Kommentar, 1971, S.403). Angesichts der Unteilbarkeit dieses Tatbestandsmerkmals kann vor Erreichen der zulässigen Betriebszeit von einer wesentlichen Verursachung der Verbindlichkeit nicht gesprochen werden. Über die rechtliche Struktur der Verbindlichkeit, die nicht in Teilschritten entsteht, sondern bis zum Ablauf der Betriebszeit "ihrer Entstehung harrt", kann sich die Beurteilung der wirtschaftlichen Verursachung nicht hinwegsetzen, sondern diese ist vielmehr in jene einzubetten. Insbesondere kann die wirtschaftliche Verursachung nicht dazu führen, einzelnen oder der Summe mehrerer Zeiteinheiten die Qualität der Verwirklichung des Tatbestandes "im wesentlichen" zu verleihen, wenn dafür die Entstehungsstruktur des rechtlichen Verpflichtungstatbestandes keinen Anhalt bietet.

Mit dieser Beurteilung setzt sich der Senat nicht in Widerspruch zu den Entscheidungen des BFH betreffend die Bildung von Rückstellungen für die Verpflichtung eines Arbeitgebers zur Zahlung von Weihnachtsgratifikationen und Jubiläumszuwendungen an betriebsangehörige Arbeitnehmer (Urteile des BFH vom 26.Juni 1980 IV R 35/74, BFHE 130, 533, BStBl II 1980, 506; vom 5.Februar 1987 IV R 81/84, BFHE 149, 55). Der BFH hat in beiden Urteilen Rückstellungen für den am jeweiligen Bilanzstichtag "verdienten Teil" der Arbeitnehmeransprüche zugelassen und mit der Begründung, daß die Voraussetzungen für die Verpflichtungen kontinuierlich, nämlich im Zeitablauf, geschaffen werden, auf die Prüfung der Verursachung der wesentlichen Tatbestandsmerkmale im abgelaufenen oder den vorangegangenen Wirtschaftsjahren verzichtet. Rechtsgrund dieser Entscheidungen ist nach Ansicht des Senats jedoch nicht nur die zeitproportionale und in ihren Teilschritten gleichwertige Verwirklichung des rechtlichen Verpflichtungstatbestands, sondern vor allem, daß die Erfüllung der --entstandenen-- Verpflichtung ihren wirtschaftlichen und rechtlichen Bezugspunkt in der Vergangenheit findet. Die Erfüllung der Verpflichtung muß demnach nicht nur an Vergangenes anknüpfen, sondern auch Vergangenes abgelten.

Hieran fehlt es bei der Verpflichtung der Klägerin zur Überholung ihrer Luftfahrtgeräte. Denn bis zur Erreichung der zulässigen Betriebszeiten entspricht ihr Betrieb den luftfahrttechnischen Bestimmungen. Erst wenn die Klägerin über diesen Zeitraum hinaus den Betrieb der Luftfahrtgeräte fortsetzen will, muß sie die genannten Kontrollen durchführen. Die Erfüllung dieser Verpflichtungen legitimiert somit nicht den Betrieb des Luftfahrtgeräts in der Vergangenheit, sondern ermöglicht denjenigen in der Zukunft. Dem entspricht es, daß die Verpflichtung zur Überholung und Nachprüfung des Luftfahrtgeräts erst nach Ablauf der zulässigen Betriebszeit entsteht und --wie bereits erwähnt-- der Aufrechterhaltung der Lufttüchtigkeit dient. Der Umstand, daß die Tatbestandsvoraussetzungen für die Überprüfung im Zeitverlauf geschaffen werden, ist deshalb Anlaß, nicht jedoch Ursache, der --zukunftsgerichteten-- Überprüfung.

2. Der Senat braucht bereits aus verfahrensrechtlichen Gründen nicht der Frage nachzugehen, ob die Klägerin dazu berechtigt sein könnte, eine Abschreibung auf einen --gegenüber den um die Absetzungen für Abnutzung (AfA) gekürzten Anschaffungskosten-- niedrigeren Teilwert nach § 6 Abs.1 Nr.1 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) vorzunehmen.

Bei vorübergehenden Wertminderungen abnutzbarer Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens steht dem Steuerpflichtigen ein handelsrechtliches Wahlrecht zur Teilwertabschreibung zu, das steuerlich zu beachten ist (§ 154 Abs.2 Satz 1, 1.Halbsatz AktG a.F. i.V.m. §§ 5, 6 Abs.1 Nr.1 Satz 2 EStG). In der Bilanz des Streitjahres ist eine Teilwertabschreibung nicht vorgenommen worden. Eine Änderung der Bilanz ist nach ihrer Einreichung beim FA gemäß § 4 Abs.2 Satz 2 EStG nur mit dessen Zustimmung möglich. Sie muß, soweit nicht sonstige Berichtigungsmöglichkeiten vorliegen (z.B. § 164 Abs.2, § 173 der Abgabenordnung --AO 1977--), bis zur Bestandskraft der Veranlagung des Streitjahres und --sofern der Rechtsstreit bei Gericht anhängig ist-- bis zur Entscheidung durch das FG als Tatsacheninstanz erfolgen (Urteil des BFH vom 1.Februar 1966 I 275/62, BFHE 85, 307, BStBl III 1966, 321; Schmidt/Heinicke, EStG, 6.Aufl., 1987, § 4 Anm.144b). Die Ausübung des Wahlrechts nach den genannten Zeitpunkten stellt insbesondere keine neue Tatsache i.S. von § 173 Abs.1 Nr.2 AO 1977, sondern eine Verfahrenshandlung dar (Urteil des BFH vom 28.September 1984 VI R 48/82, BFHE 141, 532, BStBl II 1985, 117).

3. Die Rüge der Klägerin, das FG habe den Sachvortrag im erstinstanzlichen Verfahren nicht beachtet und somit wesentliche Teile des Verfahrens nicht gewürdigt, geht fehl.

Das FG ist in Übereinstimmung mit den Feststellungen der Betriebsprüfung, der Einspruchsentscheidung des FA sowie dem unstreitigen Vortrag der Parteien im ersten Rechtszug davon ausgegangen, daß die Klägerin Rückstellungen für ihre Verpflichtung zur Überholung der Antriebsmotoren und Fahrgastzellen nach § 7 LuftBO gebildet hat. Für die Rüge der Klägerin, das FG habe seine Überzeugung nicht aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnen (dazu Gräber, Finanzgerichtsordnung, Kommentar, 1977, § 118 Anm.10), ist deshalb keinerlei Grundlage ersichtlich. Soweit die Klägerin vorträgt, daß den geltend gemachten Rückstellungen die Verpflichtung zur Wartung des Luftfahrtgeräts insgesamt zugrunde liege, handelt es sich um einen neuen Tatsachenvortrag, der in der Revisionsinstanz keine Berücksichtigung findet (Urteile des BFH vom 20.Mai 1969 II 25/61, BFHE 96, 129, BStBl II 1969, 550; vom 23.Juli 1981 IV R 156/76, BFHE 133, 421, BStBl II 1981, 672). Eine abweichende Sachverhaltsdarstellung ist für sich nicht geeignet, die Bindung der Revisionsinstanz an den vom FG festgestellten Sachverhalt zu beseitigen (Urteile des BFH vom 8.März 1978 I R 63/76, NV; vom 15.Februar 1978 I R 107/75, NV).

 

Fundstellen

Haufe-Index 61738

BStBl II 1987, 848

BFHE 150, 140

BFHE 1987, 140

BB 1987, 1985

BB 1987, 1985-1987 (ST)

DB 1987, 2075-2076 (ST)

DStR 1987, 559-559 (ST)

HFR 1987, 565-566 (ST)

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