Entscheidungsstichwort (Thema)

Zum Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme; Nachhaltigkeit als Voraussetzung gewerblicher Tätigkeit

 

Leitsatz (NV)

1. Verletzung des Grundsatzes der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme durch Übergehen entscheidungserheblicher Beweisanträge, durch Absehen von der Erhebung des unmittelbaren Beweises und durch Vorwegnahme der Beweiswürdigung.

2. Das Merkmal der Nachhaltigkeit verlangt nicht, daß hinsichtlich jeder einzelnen Tätigkeit die Gewinnerzielungsabsicht zu prüfen ist.

 

Normenkette

FGO § 118 Abs. 3; EStG § 15 Abs. 2

 

Tatbestand

Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind Steuerberater. Der Kläger war u. a. Gesellschafter und Geschäftsführer der I Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungs- GmbH (I), die Bauherren- und Sanierungsmodelle abwickelte. Zwei Vorhaben wurden durchgeführt. Für das Sanierungsobjekt B übernahm der Kläger am 2. August 1979 eine selbstschuldnerische Bürgschaft zugunsten eines von der I vertretenen Erwerbers gegenüber der finanzierenden Bank in Höhe von ... DM und erhielt dafür eine Avalprovision von 2 %, die er als "sonstige Einkünfte" deklarierte. Für das Sanierungsprojekt E bürgte er am 16. Juli 1980 für eine Summe von ... DM gemeinsam mit einem Mitgesellschafter der I, ohne eine Provision zu erhalten. Der Kläger wurde 1985 und 1986 aus der ersten Bürgschaft in Anspruch genommen. Mit Schreiben vom 6. Juni 1989 beantragte er nachträglich die Berücksichtigung von Bürgschaftszahlungen in Höhe von insgesamt ... DM.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt -- FA --) berücksichtigte weder die Bürgschaftsverluste noch damit in Zusammenhang stehende Zinsen. Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab: Hinsichtlich der Bürgschaftsleistungen liege keine gewerbliche Tätigkeit vor, da der Kläger nicht nachhaltig gehandelt habe. Der Kläger habe lediglich einmal gegen Entgelt gebürgt. Die weitere Bürgschaft (Objekt E) könne die Wiederholungsabsicht schon deshalb nicht belegen, "weil der Kläger für diese keine Provision erhalten hat, und er sie folglich ohne Gewinnerzielungsabsicht, also nicht gewerbsmäßig, geleistet hat". Gegen die Wiederholungsabsicht spreche, daß er seit 1979 gebürgt, aber seitdem noch kein Gewerbe angemeldet habe. Die Deklaration der Avalprovision wirke als weiteres Indiz. Die von den Klägern vorgetragenen Gründe für ein solches Verhalten, nämlich Nachlässigkeit wegen Arbeitsüberlastung, könnten den Senat auch deshalb nicht überzeugen, weil die Kläger diese Tätigkeit des Bürgens erstmals als gewerblich bezeichnet hätten, als sie zu ihren Gunsten Verluste hätten geltend machen wollen. Auch die vorgelegten Bestätigungen der X-Bank, des Herrn Y und der Steuerberatungsgesellschaft Z hätten den Senat nicht von der Nachhaltigkeit überzeugen können. Aus den Schreiben gingen keine Tatsachen hervor, die belegten, in welcher Höhe, für welche Projekte und mit welchem Gewinn der Kläger hätte bürgen sollen. Diese Schreiben ließen es durchaus als möglich erscheinen, daß er weitere Bürgschaften erwogen hätte; sie ließen jedoch nicht zwingend darauf schließen, daß er tatsächlich beabsichtigt habe, zukünftig mit Gewinnerzielungsabsicht zu bürgen. Nach alledem habe der Senat keine solchen Tatsachen feststellen können, in denen sich die Nachhaltigkeit objektiv manifestiere. Die Feststellungslast treffe insoweit die Kläger. Sie hätten substantiiert und hinreichend vortragen müssen, welche konkreten Absichten der Kläger gehabt habe. Die zahlreichen Anlagen gäben insbesondere keinen Aufschluß darüber, in welcher Höhe und zu welchen Konditionen (z. B. Avalprovisionen) der Kläger habe bürgen wollen. Die geltend gemachten Aufwendungen könnten auch nicht als Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit berücksichtigt werden. Nach Auffassung des Senats fehle der objektive Zusammenhang zwischen der Bürgschaft und der Geschäftsführertätigkeit des Klägers bei der I.

Mit der Revision rügen die Kläger Verletzung formellen und materiellen Rechts. In verfahrensrechtlicher Hinsicht nehmen sie Bezug auf die Gründe des Beschlusses des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 18. April 1994 XI B 46/93. Materiell-rechtlich rügen sie, daß FA und FG die steuerliche Beachtlichkeit des erlittenen Verlustes aus der streitigen Bürgschaft nicht anerkannt hätten. Die Tätigkeit des Klägers sei nachhaltig gewesen. Von einer nachhaltigen Tätigkeit sei selbst dann auszugehen, wenn nur ein Geschäft abgeschlossen werde, wenn aus erkennbarem äußeren Anschein auf den Willen eines Steuerpflichtigen geschlossen werden könne, er werde ein gleichartiges Geschäft bei sich bietender Gelegenheit wiederholen. Der Kläger habe sich 1979 mit mehreren Personen zusammengetan, um in relativ großem Umfang für Kredite zu bürgen, mit denen der Erwerb von zu sanierenden Altbauten habe finanziert werden sollen. Es sei darum gegangen, Altbauten zu erwerben, in Wohneigentum aufzuteilen und die generalsanierten Wohnungen zu veräußern. Der Kläger habe zur Gewährleistung der Finanzierungen, nach Verhandlungen mit mehreren Banken schließlich mit der X-Bank vereinbart, daß er jährlich über ein Kredit volumen von ... Mio DM gegen Hingabe unwiderruflicher Bürgschaften verfügen könne.

Eine Gemeinschaft sei nicht zustande gekommen; als Bürge habe der Kläger allein tätig werden sollen. Die Gemeinschaft der zur Abwicklung des Sanierungsmodells eingeschalteten Personen habe er nicht als solche i. S. des § 180 der Abgabenordnung (AO 1977) angesehen. Die "Teilungsabrede" vom 18. Juli 1980 habe sich nur auf die Sanierungsprojekte bezogen, in die die Herren Y, Z und der Kläger als Zwischenerwerber eingeschaltet gewesen seien.

Die Kläger beantragen sinngemäß, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils der Klage stattzugeben.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Folge man dem Vortrag des Klägers, daß seine Leistungen im Rahmen eines Gemeinschaftsverhältnisses erbracht worden seien, müßte über den Abzug der Bürgschaftsleistungen im Feststellungverfahren entschieden werden. Dafür spräche auch die Vereinbarung vom 18. Juli 1980.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet; sie führt gemäß § 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG; das Urteil des FG ist verfahrensfehlerhaft zustande gekommen.

1. Die Kläger rügen zu Recht Verfahrensmängel. Das FG hat den Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme verletzt, indem es entscheidungserhebliche Beweisanträge übergangen, von der Er hebung des unmittelbaren Beweises abgesehen und unzulässigerweise die Beweiswürdigung vorweggenommen hat (vgl. BFH-Urteile vom 6. Februar 1985 II R 12/84, BFH/NV 1985, 41; vom 15. Januar 1986 II R 14/84, BFH/NV 1987, 302; vom 12. Juni 1991 III R 106/87, BFHE 164, 396, BStBl II 1991, 806). Das Gericht hätte sich hinsichtlich der dem Merkmal "Nachhaltigkeit" zugrundeliegenden Tatsachen nicht mit den eingereichten schriftlichen Äußerungen der von den Klägern benannten Personen zufriedengeben dürfen; dies gilt insbesondere auch deshalb, weil nach der eigenen Beurteilung des FG die vorgelegten Schreiben es durchaus als möglich erscheinen lassen, daß der Kläger weitere Bürgschaften erwogen hatte. Das bloß mittelbare Beweismittel kann zulässigerweise nur verwendet werden, wenn die Erhebung des unmittelbaren Beweises unmöglich, unzulässig oder unzumutbar erscheint. Erst wenn das FG nach Vernehmung der Zeugen zu keiner eindeutigen Sachverhalts erkenntnis gekommen wäre, hätte es auf die Feststellungslast abstellen dürfen.

2. Wegen der Auslegung des Begriffs der Nachhaltigkeit wird hingewiesen auf die BFH-Urteile vom 28. April 1977 IV R 98/73 (BFHE 122, 462, BStBl II 1977, 728), vom 30. Juni 1993 XI R 38, 39/91 (BFH/NV 1994, 20), BFH-Beschluß vom 18. Februar 1994 XI B 46/93 (BFH/NV 1994, 792). Nachhaltig ist eine Tätigkeit, wenn sie auf Wiederholung angelegt ist, d. h. wenn sie von der Absicht getragen ist, sie zu wiederholen und daraus eine selbständige Erwerbsquelle zu machen (subjektives Tatbestandselement) und sie sich objektiv als nachhaltig darstellt (objektives Tat bestandselement), z. B. durch die tatsäch liche Wiederholung der Tätigkeit. Demgegenüber will das FG nur solche Tätigkeiten als nachhaltig beurteilen, die mit Gewinn erzielungsabsicht unternommen werden; diese Beurteilung entspricht nicht der Auffassung des BFH.

3. Schließlich wird das FG auch der Frage nachgehen müssen, ob die Bürgschaftszahlungen im Rahmen eines Gemeinschaftsverhältnisses geleistet worden sind. In diesem Fall könnten die Zahlungen nur in einem Verfahren der gesonderten und einheitlichen Feststellung berücksichtigt werden (§§ 179, 180 AO 1977); ggf. wäre das Verfahren gemäß § 74 FGO auszusetzen (vgl. Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., 1993, § 74, Rz. 12 m. w. N.).

 

Fundstellen

Haufe-Index 420517

BFH/NV 1995, 787

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