Leitsatz (amtlich)

Für eingeklagte Ansprüche auf Auszahlung gemeinschaftsrechtlicher Ausfuhrvergünstigungen können in entsprechender Anwendung der §§ 288, 291 BGB Prozeßzinsen in Höhe von 4 v.H. verlangt werden; §§ 236, 238 AO 1977 sind nicht anwendbar.

 

Orientierungssatz

Es verstößt nicht gegen den Gleichheitssatz, daß die Prozeßzinsen bei Steuern und Steuervergütungen (§§ 236, 238 AO 1977) höher sind (6 v.H.) als die Prozeßzinsen, die für Ansprüche auf Zahlung von EG-Ausfuhrvergünstigungen (Subventionen) gefordert werden können (4 v.H.). Es ist nicht willkürlich, zur Höhe des Zinssatzes unterschiedlich zu entscheiden, je nachdem, ob es sich um rückständige Leistungen des Staates oder um von Begünstigten zu Unrecht empfangene Subventionsbeträge handelt.

 

Normenkette

AO 1977 §§ 236, 238; BGB §§ 288, 291; GG Art. 3 Abs. 1

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) beantragte mit ihren Klagen, den Beklagten und Revisionsbeklagten (Hauptzollamt --HZA--) zur Zahlung von 4 780 426,45 DM und 1 752 853,25 DM nebst jeweils 6 v.H. Zinsen zu verurteilen. Unstreitig hatten der Klägerin Ansprüche auf Ausfuhrerstattung und Währungsausgleichsbeträge (WAB) in der genannten Höhe zugestanden. Das HZA hatte gegen die der Klägerin zustehenden Ansprüche auf diese Ausfuhrvergünstigungen mit Rückforderungsansprüchen aus zu Unrecht gewährten Beihilfen und Zinsen in gleicher Höhe aufgerechnet. Während des Verfahrens vor dem Finanzgericht (FG) teilte das HZA mit, daß wegen Teilbeträgen in Höhe von 23 601,75 DM und 46 910,73 DM eine wirksame Aufrechnung nicht vorgelegen habe. Gleichzeitig erklärte es, daß es die genannten Beträge zuzüglich 4 v.H. Prozeßzinsen an die Klägerin auszahlen werde. Die Beteiligten haben insoweit die Hauptsache für erledigt erklärt. Die Klägerin meint aber, ihr stünden 6 v.H. Prozeßzinsen zu, und beantragte vor dem FG, das HZA zur Zahlung von weiteren 2 v.H. Prozeßzinsen auf die genannten Beträge für die Zeit seit 15.Juli 1983 bis zum Tage der Gutschrift der Beträge am 7.November und 31.Oktober 1983 zu verpflichten.

Das FG verband die Klagen miteinander und wies sie im wesentlichen mit folgender Begründung ab:

Prozeßzinsen für zu Unrecht vorenthaltene Ausfuhrvergünstigungen des Gemeinschaftsrechts könnten in sinngemäßer Anwendung der §§ 291, 288 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) nur in Höhe von 4 v.H. Jahreszinsen beansprucht werden (Urteile des FG Hamburg vom 25.August 1977 IV 55,73/76 H, Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 1978, 29; vom 7.November 1978 IV 58/76 H, EFG 1979, 188, und vom 11.September 1979 IV 9/79 H, EFG 1980, 90). Das FG halte an dieser Auffassung auch nach erneuter Prüfung fest. Es sei der Klägerin zuzugeben, daß ein Zinssatz von 4 v.H. keine angemessene Verzinsung darstelle. Dieser Gesichtspunkt sei aber nicht geeignet, der Klägerin zu einem höheren Zinssatz zu verhelfen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet. Wie das FG zu Recht entschieden hat, stehen der Klägerin für die ihr zu Unrecht vorenthaltenen Ausfuhrvergünstigungen des Gemeinschaftsrechts nur Prozeßzinsen in Höhe von 4 v.H. für das Jahr zu.

1. Die von der Klägerin beanspruchte Verzinsung ihres Anspruchs auf Gewährung von Ausfuhrerstattungen und WAB scheidet nicht schon deswegen aus, weil Forderungen auf Gewährung dieser Ausfuhrvergünstigungen nach § 16 Abs.3 EWG-AusfuhrerstattungsVerordnung (Vorschriftensammlung der Bundesfinanzverwaltung --VSF-- M 3560) bzw. nach § 8 Abs.3 Ausfuhr-Währungsausgleichs-Verordnung (VSF M 0940) unverzinslich sind. Diese Vorschriften betreffen das Verwaltungsverfahren bei der Gewährung der Ausfuhrvergünstigungen und ordnen insoweit die Unverzinslichkeit der Ansprüche an. Sie regeln aber nicht die Frage, ob insoweit Prozeßzinsen zu gewähren sind (BFHE 111, 286, BStBl II 1974, 408; vgl. auch Urteil des Bundesverwaltungsgerichts --BVerwG-- vom 20.Dezember 1960 II C 120.59, BVerwGE 11, 314, 318, das einem Kläger einen Zinsanspruch in entsprechender Anwendung des § 291 BGB trotz des Umstandes zugestanden hat, daß in § 4 Abs.2 des Besoldungsgesetzes von Rheinland-Pfalz ein Zinsanspruch ausgeschlossen war).

2. Das Gemeinschaftsrecht enthält keine Rechtsnorm, die den von der Klägerin geltend gemachten Zinsanspruch zugesteht. Eine solche Rechtsnorm kann also nur dem nationalen Recht entnommen werden (vgl. auch BFHE 111, 286, BStBl II 1974, 408).

3. Auch das nationale Recht sieht Prozeßzinsen in dem von der Klägerin geltend gemachten Umfang nicht vor.

a) Nach ständiger Rechtsprechung von BVerwG, Bundessozialgericht (BSG) und Bundesgerichtshof (BGH) sind die im bürgerlichen Recht geltenden Rechtsgrundsätze über die Zubilligung von Prozeßzinsen auch im öffentlichen Recht anzuwenden; danach wird ein Anspruch auf Prozeßzinsen in sinngemäßer Anwendung des § 291 BGB bejaht, wenn unmittelbar auf Leistung einer Geldforderung geklagt wird (vgl. BGH-Urteil vom 11.Juni 1970 VII ZR 41/69, Neue Juristische Wochenschrift --NJW-- 1970, 1637 mit Hinweisen auf die Rechtsprechung von BGH, BVerwG und BSG; BVerwG-Urteil vom 9.November 1976 III C 56.75, BVerwGE 51, 287, 288). Die Verzinsung beträgt aber nach dem ebenfalls entsprechend anwendbaren § 288 Abs.1 BGB nur 4 v.H. für das Jahr. Diese hat das HZA der Klägerin bereits zugestanden. Eine höhere Verzinsung sehen die Rechtsgrundsätze des bürgerlichen Rechts nicht vor.

b) Nach den §§ 236, 238 AO 1977 betragen die Prozeßzinsen für zu erstattende Beträge 6 v.H. pro Jahr. Diese Vorschriften gelten aber nur für Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 233 Satz 1 AO 1977; vgl. auch § 236 Abs.1 Satz 1 und § 1 Abs.1 AO 1977). Die auf Gemeinschaftsrecht beruhenden Ansprüche auf Gewährung von Ausfuhrvergünstigungen ergeben sich nicht aus einem Steuerverhältnis, sondern sind Subventionen (vgl. Senatsurteil vom 2.November 1982 VII R 61/80, BFHE 137, 107, 112). Eine unmittelbare Anwendung der §§ 236, 238 AO 1977 scheidet daher aus.

Auch eine entsprechende Anwendung dieser Regeln kommt nicht in Betracht. Die §§ 236, 238 AO 1977 sind eine Spezialregelung, die sich auf Steuern und Steuervergütungen beschränkt. Diese kann auf öffentlich-rechtliche Geldleistungen nicht allgemein ausgedehnt werden (vgl. BFHE 137, 107, 112; BVerwG-Urteil vom 18.Mai 1973 VII C 21.72, NJW 1973, 1854, allerdings mit Bezug auf § 111 FGO, der Vorgängervorschrift der §§ 236, 238 AO 1977). Die Beziehungen zwischen Steuergläubiger und Steuerschuldner sind so spezifischer Natur, daß aus der Regelung der AO 1977, die auf diesen Beziehungen beruht, kein allgemeiner Rechtsgrundsatz für andere öffentlich-rechtliche Geldforderungen abgeleitet werden kann (so auch Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 12.Aufl., § 236 AO 1977 Anm.2; Schwarz, Abgabenordnung, § 236 Anm.2; Koch, Abgabenordnung - AO 1977, 3.Aufl., § 233 Anm.3; a.A. v.Wallis in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, 8.Aufl., § 236 AO 1977 Anm.5, und Kühn/Kutter/Hofmann, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 15.Aufl., § 236 AO 1977 Anm.2, beide jeweils unter Hinweis auf das Senatsurteil in BFHE 111, 286, BStBl II 1974, 408).

Etwas anderes ist auch dem Urteil in BFHE 111, 286, BStBl II 1974, 408 nicht zu entnehmen. Das gilt schon deswegen, weil § 111 FGO, zu dem dieses Urteil ergangen ist, inzwischen durch Art.4 Nr.3 des Dritten Gesetzes zur Änderung des Steuerberatungsgesetzes vom 24.Juni 1975 (BGBl I 1975, 1509) aufgehoben worden ist. Die Auffassung des Senats in diesem Urteil, die Grundsätze des § 111 FGO könnten auch auf Prozeßzinsen angewendet werden, die in einem finanzgerichtlichen Verfahren über einen Ausfuhrerstattungsanspruch geltend gemacht werden, beruhte im wesentlichen auf der Beziehung, die die Ausfuhrerstattungen mit den Abschöpfungen (und damit mit dem Abgabenrecht) verbindet. Diese Argumentation war durch den Umstand gerechtfertigt, daß § 111 FGO eine Regelung im Rahmen der FGO war, die nach der Zulassung des Finanzrechtswegs auch für gemeinschaftsrechtliche Ausfuhrvergünstigungen in gleicher Weise für diese als auch für Abschöpfungen galt. An dieser aus der Systematik des § 111 FGO abzuleitenden Klammer fehlt es aber seit der Aufhebung dieser Vorschrift und der Übernahme der Regelung zunächst in das Steuersäumnisgesetz (StSäumG) und dann in die AO 1977. Dadurch hat der Gesetzgeber klargestellt, daß es sich hier um eine Spezialregelung für Steuern und Steuervergütungen handelt, die einer entsprechenden Anwendung auf andere öffentlich-rechtliche Geldleistungen nicht zugänglich ist. Eine Ausdehnung der Regelung der §§ 236, 238 AO 1977 auf gemeinschaftsrechtliche Ausfuhrvergünstigungen ist daher nicht (mehr) möglich. Überdies ist die Verknüpfung dieser Vergünstigungen mit den Abschöpfungen, auf die der Senat in dem zitierten Urteil abgehoben hat, mehr äußerlich-systematischer Natur. Materiell bestehen erhebliche Unterschiede zwischen den dem Schutz des Binnenmarktes dienenden Abschöpfungen, die Steuern sind (§ 3 Abs.1 AO 1977), und den Ausfuhrerstattungen und WAB, die Subventionen darstellen und dazu dienen sollen, den Absatz der auf dem Gemeinschaftsmarkt angefallenen landwirtschaftlichen Überschüsse auf dem Weltmarkt zu ermöglichen.

4. Das FG weist zu Recht darauf hin, daß ein Jahreszinssatz des § 288 Abs.1 Satz 1 BGB von 4 v.H. derzeit keine angemessene Verzinsung ist, dieser Umstand der Klägerin aber nicht zu einem Rechtsanspruch auf höhere Prozeßzinsen verhilft. Eine Erhöhung dieses Zinssatzes im Wege richterlicher Rechtsfortbildung ist nicht zulässig. Dagegen spricht schon, daß auch § 44 Abs.1 des Sozialgesetzbuches I (SGB) eine Verzinsung in Höhe von nur 4 v.H. vorsieht. Überdies kann von einem allgemeinen Rechtsgrundsatz auf (angemessene) Verzinsung rückständiger Leistungen des Staates nicht ausgegangen werden (vgl. Beschluß des Bundesverfassungsgerichts --BVerfG-- vom 19.September 1977 1 BvR 571/76, Steuerrechtsprechung in Karteiform --StRK--, Investitionszulagengesetz 1969, § 1, Rechtsspruch 10; Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 31.Oktober 1974 IV R 160/69, BFHE 114, 397, 401, BStBl II 1975, 370).

Es verstößt auch nicht gegen den Gleichheitssatz, daß die Prozeßzinsen bei Steuern und Steuervergütungen nach §§ 236, 238 AO 1977 höher sind als die Prozeßzinsen, die die Klägerin für ihre Ansprüche auf Zahlung gemeinschaftsrechtlicher Ausfuhrvergünstigungen zu fordern berechtigt ist. Denn, wie bereits ausgeführt, bestehen zwischen diesen Ausfuhrvergünstigungen und Steuern sowie Steuervergütungen wesentliche Unterschiede, die eine unterschiedliche gesetzliche Regelung rechtfertigen (vgl. den zitierten BVerfG-Beschluß). Ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz ergibt sich auch nicht daraus, daß zu Unrecht empfangene und daher zurückzuzahlende WAB und Ausfuhrerstattungen vom Empfänger höher als mit 4 v.H. zu verzinsen sind (§ 11 Abs.2 Ausfuhr-Währungsausgleichs-Verordnung, § 20 Abs.2 EWG-Ausfuhrerstattungs-Verordnung). Es ist nicht willkürlich, die Frage, ob und in welcher Höhe rückständige Leistungen des Staates zu verzinsen sind, anders zu entscheiden, als die Frage, welchem Zinssatz die vom Begünstigten zu Unrecht empfangenen Subventionsbeträge zu unterwerfen sind (vgl. auch Urteil des Senats vom 20.Januar 1976 VII R 76/73, BFHE 118, 265, 269 ff.).

Da die unterschiedlichen Regelungen des deutschen Rechts hinsichtlich des Anspruchs auf Zahlung von Prozeßzinsen mit dem Gleichheitssatz vereinbar sind, kann sich die Klägerin nicht mit Erfolg auf das gemeinschaftsrechtliche Diskriminierungsverbot berufen, welchen Inhalt dieses Verbot auch immer haben mag. Denn auch das gemeinschaftsrechtliche Diskriminierungsverbot ist ein Ausfluß des Gleichheitssatzes. Etwas anderes kann auch nicht aus dem Urteil in EuGHE 1983, 2633 entnommen werden. In diesem Urteil hat der EuGH entschieden, daß die Rückforderung von Beträgen, die aufgrund von Gemeinschaftsregeln zu Unrecht als Beihilfen gezahlt wurden, durch die nationalen Behörden sich beim gegenwärtigen Entwicklungsstand des Gemeinschaftsrechts nach den Vorschriften und Modalitäten des nationalen Rechts richtet, vorbehaltlich der Grenzen, die das Gemeinschaftsrecht einer solchen Anwendung des nationalen Rechts setzt. Zu diesen Grenzen gehört nach Ansicht des EuGH z.B., daß bei der Anwendung nationalen Rechts keine Unterschiede im Vergleich zu Verfahren gemacht werden, in denen über gleichartige, aber rein nationale Rechtsstreitigkeiten entschieden wird. Das bedeutet nicht, wie die Klägerin anzunehmen scheint, daß bei differenzierenden nationalen Regelungen dann, wenn diese wie z.B. hier bei der Gewährung von gemeinschaftsrechtlichen Ausfuhrvergünstigungen zur Anwendung kommen, jeweils Anspruch auf die Anwendung der günstigsten nationalen Regelung besteht. Vielmehr sind die vom EuGH genannten Grenzen, die das Gemeinschaftsrecht in einem solchen Fall dem nationalen Recht setzt, nur dann überschritten, falls die günstigste nationale Regelung bei der Gewährung gemeinschaftsrechtlicher Geldleistungen auch dann nicht angewendet wird, wenn im Einzelfall die speziellen Voraussetzungen für diese Regelung gegeben sind (vgl. auch Urteile des erkennenden Senats vom 18.Oktober 1983 VII R 26/77 und VII R 26/78, BFHE 139, 461 und 466, mit Hinweisen auf die Rechtsprechung des EuGH zu der Frage, inwieweit differenzierende Regelungen des nationalen Gesetzgebers auf dem Gebiet der Branntweinsteuer mit dem gemeinschaftlichen Diskriminierungsverbot des Art.95 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft vereinbar sind).

 

Fundstellen

Haufe-Index 61951

BStBl II 1987, 368

BFHE 149, 15

BFHE 1987, 15

BB 1987, 892

BB 1987, 892-892 (T)

DB 1987, 1130-1130 (T)

HFR 1987, 340-341 (ST)

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