Entscheidungsstichwort (Thema)

Verfahrensrecht/Abgabenordnung

 

Leitsatz (amtlich)

Wird ein mit der Berufung angegriffener Einkommensteuerbescheid während des Berufungsverfahrens von dem Finanzamt nach § 218 Abs. 4 AO geändert, so tritt der änderungsbescheid für das Berufungsverfahren an die Stelle des ersten Bescheids.

 

Normenkette

AO § 218 Abs. 4; FGO § 68

 

Tatbestand

Der Bf. hatte als Redaktionsdirektor ein Gehalt von monatlich 5.000 DM und eine Tantieme bezogen, die mit mindestens 50.000 DM jährlich festgesetzt war. Für den Fall seines Ausscheidens hatte er, sofern das Ausscheiden nicht von ihm zu vertreten war, ein Recht auf eine lebenslängliche Versorgungsrente. Ende 1959 wurde das Dienstverhältnis gelöst. Der Arbeitgeber verzichtete auf die Prüfung, ob das Ausscheiden auf einem von dem Bf. zu vertretenden Grunde beruhte und billigte dem Bf. eine lebenslängliche Rente von monatlich 3.000 DM zu. Dabei stellte er dem Bf. frei, statt der Rente die Auszahlung eines entsprechenden Kapitals in zwei Raten zu wählen, und zwar die erste Rate Mitte 1960 und die zweite fünf Jahre später.

Unter Vorlage dieses Schreibens bat der Bf. das für seinen Arbeitgeber zuständige Betriebsfinanzamt (Lohnsteuerstelle) um Auskunft, ob, wenn er die erste Rate sich auszahlen lasse, diese Rate nach § 34 Abs. 1 und 2 EStG tariflich begünstigt sei. Das Finanzamt leitete die Anfrage an das für den Bf. zuständige Wohnsitzfinanzamt, das, nachdem es die angeforderten Unterlagen (Schriftwechsel usw.) geprüft hatte, dem Bf. die Auskunft gab, daß die Rate tarifbegünstigt sei. Unter Berufung auf diese Auskunft teilte das Finanzamt für Körperschaften auch dem Arbeitgeber mit, daß die Zahlung tarifbegünstigt sei. Einige Tage vorher, aber zeitlich nach der Auskunft des Wohnsitzfinanzamts an den Bf., war die erste Rate von 300.000 DM an den Bf. ausgezahlt worden.

Bei der Einkommensteuerveranlagung 1960 begünstigte das Finanzamt die Rate entgegen seiner Auskunft nicht, indem es sich auf das inzwischen ergangene Urteil des Bundesfinanzhofs VI 106/59 U vom 4. November 1960 (BStBl 1960 III S. 512, Slg. Bd. 71 S. 702) berief.

Mit der Sprungberufung machte der Bf. geltend, das Finanzamt habe von seiner Auskunft nicht abgehen können; im übrigen träfen nicht die Voraussetzungen zu, von denen das Urteil des Bundesfinanzhofs ausgehe.

Nach der Einlegung der Sprungberufung änderte das Finanzamt den angefochtenen Bescheid nach § 218 Abs. 4 AO, weil inzwischen Feststellungsbescheide (ß 215 AO) ergangen waren, aus denen sich Verluste des Bf. aus dessen Beteiligungen an zwei Reedereien ergaben. Auf Grund der Erörterungen in der mündlichen Verhandlung vor dem Finanzgericht focht der Bf. auch den geänderten Bescheid mit der Sprungberufung an; wegen der Versäumung der inzwischen abgelaufenen Rechtsmittelfrist bat er um Nachsicht.

Das Finanzgericht hielt die Sprungberufung gegen den ursprünglichen Einkommensteuerbescheid für gegenstandslos und die Sprungberufung gegen den geänderten Bescheid für verspätet; Gründe für Nachsichtgewährung hielt es nicht für gegeben. Im einzelnen führte es aus: Das mit der Sprungberufung gegen den ersten Einkommensteuerbescheid vom 8. November 1961 verfolgte Ziel, diesen durch ein Urteil des Finanzgerichts dahin zu ändern, daß die Rate von 300.000 DM begünstigt besteuert werde, sei nicht mehr zu verwirklichen, weil das Finanzamt diesen Bescheid aufgehoben habe; dieser Bescheid sei nämlich durch den ordnungsgemäß zugestellten und mit einer Rechtsmittelbelehrung versehenen Einkommensteuerbescheid vom 28. November 1962 ersetzt worden. Der zweite Bescheid hätte zwar nicht ergehen dürfen, weil, nachdem der ursprüngliche Bescheid angefochten gewesen sei, das Finanzgericht entweder durch Bestätigung oder durch änderung des Steuerbescheides die richtige Steuer hätte festsetzen müssen. Das Finanzamt sei jedoch für die Veranlagung nach Einlegung der Berufung nicht völlig unzuständig gewesen in dem Sinne, daß sein änderungsbescheid nichtig gewesen wäre. Da der Steuerbescheid vom 8. November 1961 - zwar unzulässig - durch Erlaß des zweiten Steuerbescheides geändert und ersetzt worden und der zweite Steuerbescheid nicht nichtig gewesen sei, so hätte der Bf. den zweiten Bescheid anfechten müssen, um ihn nicht mit allen Folgewirkungen rechtskräftig werden zu lassen. Es sei ein allgemeiner Grundsatz des öffentlichen Rechts, daß auch unzulässige Verwaltungsakte trotz ihrer Fehlerhaftigkeit im Zweifel nur anfechtbar seien. Schlechthin nichtig seien fehlerhafte Verwaltungsakte nur ausnahmsweise, z. B. wenn sie von einer sachlich völlig unzuständigen Stelle erlassen seien. Im übrigen seien die Verwaltungsakte, also auch Steuerbescheide, als hoheitliche Akte, auch wenn sie wegen anhaftender Mängel anfechtbar seien, für die Betroffenen bis zur Aufhebung verbindlich und rechtswirksam (Urteil des Reichsfinanzhofs VI A 1806/31 vom 4. November 1931, RStBl 1932 S. 3). Allerdings habe der Reichsfinanzhof einmal einen vom Finanzamt erlassenen Steuerbescheid für nichtig erklärt, als gegen einen vorläufigen Steuerbescheid Berufung eingelegt gewesen sei, das Finanzamt aber während des laufenden Rechtsmittelverfahrens den vorläufigen Bescheid ohne änderungen für endgültig erklärt habe (Urteil des Reichsfinanzhofs VI A 1367/32 vom 20. September 1932, RStBl 1932 S. 921). Dem sei jedoch nicht zu folgen. Denn auch nach der Einlegung der Berufung bleibe das Finanzamt die für die Steuerveranlagung zuständige Verwaltungsbehörde. Das Finanzgericht sei eine Einrichtung der Gerichtsbarkeit und nicht der Verwaltung. Diese rechtsstaatliche Grundordnung werde durch das auch in der Finanzgerichtsbarkeit herrschende Amtsprinzip und dadurch, daß das Gericht die richtige Steuer festzusetzen habe, nicht angetastet; immer bleibe das Finanzgericht ein unabhängiges Gericht mit der Aufgabe, Rechtsstreitigkeiten zwischen den Bürgern und dem Staat zu entscheiden, also Maßnahmen der Verwaltung als Gericht zu überprüfen und richtigzustellen. Das Finanzamt sei daher auch bei der Endgültigerklärung eines Steuerbescheides, wenn gegen den vorläufigen Steuerbescheid die Berufung schwebe, nicht absolut sachlich unzuständig, jedenfalls nicht in dem Sinne, daß der endgültige Steuerbescheid offensichtlich den Stempel der Nichtigkeit an sich trage. Nach allem sei die gegen den ersten Steuerbescheid eingelegte Sprungberufung durch den Erlaß des änderungsbescheids gegenstandslos geworden. Allerdings sei die Berufung damit nicht im Sinne des Bf. erledigt gewesen. Der § 34 EStG sei auch im änderungsbescheid nicht berücksichtigt worden, so daß der Streit zwischen den Beteiligten nicht entschieden worden sei, obwohl der Bf. das Finanzgericht gerade angerufen habe, um eine solche Entscheidung herbeizuführen. Trotzdem könne der erste Steuerbescheid nicht mehr geändert werden. Man könnte zwar daran denken, die gegen den ersten Bescheid eingelegte Berufung als auch gegen den änderungsbescheid gerichtet zu behandeln. Dies sei aber nicht möglich, weil gegen einen noch nicht erlassenen Verwaltungsakt kein Rechtsmittel eingelegt werden könne (Urteil des Bundesfinanzhofs I 237/60 S vom 9. Mai 1961, BStBl 1961 III S. 445, Slg. Bd. 73 S. 491). Nachdem der änderungsbescheid vom 28. November 1962 zugestellt worden sei, habe aber der Bf. nicht - jedenfalls nicht innerhalb der neuen Rechtsmittelfrist - eine Erklärung abgegeben, daß er den änderungsbescheid geändert haben wolle. Erst auf die Ladung vom 28. Februar 1963 zur mündlichen Verhandlung vom 19. März 1963 habe er wieder von sich hören lassen. Er und sein Steuerberater hätten aber den zweiten Bescheid als einen von der zuständigen Steuerbehörde erlassenen Steuerbescheid erkennen und innerhalb der Rechtsmittelfrist anfechten können. Es sei durchaus denkbar, daß ein Steuerpflichtiger aus irgendwelchen überlegungen den neuen Steuerbescheid nicht anfechten wolle und das gegen den ersten Bescheid eingelegte Rechtsmittel für erledigt betrachte. Wenn § 234 AO bestimme, daß Steuerbescheide, die frühere Steuerbescheide änderten, selbständig anfechtbar seien, soweit die änderung reiche, so könne man daraus nicht den Umkehrschluß ziehe, daß neue Steuerbescheide nur angefochten zu werden brauchten, soweit sie einen bereits angefochtenen früheren Steuerbescheid änderten. Könne demnach die Berufung gegen den (ersten) Einkommensteuerbescheid 1960 vom 8. November 1961 nicht auch als Berufung gegen den (zweiten) änderungsbescheid vom 28. November 1962 gewertet werden, so sei der (zweite) änderungsbescheid durch die in der mündlichen Verhandlung am 19. März 1963 eingelegte Sprungberufung erst verspätet angefochten worden; die Rechtsmittelfrist sei bereits am 2. Januar 1963 abgelaufen gewesen. Nachsicht könne nicht gewährt werden, weil den Bf. selbst und seinen Steuerberater nach den Umständen des Falles ein Verschulden an der Versäumung der Rechtsmittelfrist treffe.

Mit seiner Rb. rügt der Bf. Verletzung des bestehenden Rechts. Nach seiner Ansicht ist, weil es sich bei dem zweiten Bescheid um einen änderungsbescheid nach § 218 Abs. 4 AO handele, der erste Bescheid nicht aufgehoben worden; im übrigen habe er, nachdem er den ersten Bescheid angefochten habe, einen Anspruch auf Entscheidung über das eingelegte Rechtsmittel. Wenn ein angefochtener Bescheid während des Rechtsmittelverfahrens geändert werde, sei ohne weiteres der geänderte Bescheid in das Verfahren einzubeziehen. Wie aus seinem Aussetzungsantrag gegenüber dem ersten Bescheid und dem durch den neuen Bescheid angeforderten Mehrbetrag hervorgehe, habe er sich beschwert gefühlt; darin liege eine Rechtsmitteleinlegung auch gegen den geänderten Bescheid. Auf jeden Fall sei ihm Nachsicht zu gewähren, weil ihn bei der Kompliziertheit der Verfahrenslage kein Verschulden an der Versäumung der Rechtsmittelfrist treffe.

 

Entscheidungsgründe

Die Rb. muß zur Aufhebung der Vorentscheidung führen.

Der Senat hält mit dem Finanzgericht den gemäß § 218 Abs. 4 AO ergangenen und an die Stelle des ersten Bescheids getretenen änderungsbescheid nicht für nichtig, sondern nur für anfechtbar. Er ist aber - im Gegensatz zum Finanzgericht - der Auffassung, daß der zweite Bescheid nicht wegen verspäteter Anfechtung in Rechtskraft erwachsen ist.

Die Frage, ob das Finanzamt einen angefochtenen Bescheid auch während des Berufungsverfahrens noch berichtigen oder ändern darf, hat den Bundesfinanzhof wiederholt beschäftigt. In dem Urteil IV 461/52 U vom 10. April 1953 (BStBl 1953 III S. 149, Slg. Bd. 57 S. 381) führt der IV. Senat aus, daß die Zurücknahme oder änderung eines Steuerbescheids nach § 94 AO unzulässig sei, solange gegen den Bescheid ein Rechtsmittel schwebe; der Steuerpflichtige habe einen Anspruch darauf, daß über das eingelegte Rechtsmittel entschieden werde. In den Urteilen II 258/59 vom 29. November 1961 (Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung - HFR - 1962 S. 116) und V 42/60 vom 26. Juli 1962 (HFR 1963 S. 157) haben der II. und der V. Senat ausgesprochen, eine Berichtigung nach § 222 AO sei unzulässig, solange ein Rechtsmittelverfahren anhängig sei; das Finanzamt müsse als Einspruchsbehörde die neuen Tatsachen bei der Einspruchsentscheidung berücksichtigen oder, wenn die Sache vor dem Finanzgericht schwebe, die Berücksichtigung der neuen Tatsache durch das Finanzgericht anregen.

Mit dem Urteil IV 461/52 U a. a. O. geht auch der erkennende Senat davon aus, daß der Steuerpflichtige einen Anspruch darauf hat, daß über ein von ihm eingelegtes Rechtsmittel entschieden wird. Das bedeutet jedoch nicht, daß diese Entscheidung unbedingt durch eine Rechtsmittelentscheidung getroffen werden muß. Wie sich aus § 94 Abs. 2 AO ergibt, kann z. B. ein Einspruch auch dadurch "erledigt" werden, daß das Finanzamt einen dem Rechtsmittelantrag voll entsprechenden Bescheid erläßt und erklärt, daß der Bund oder das Land die Kosten des Rechtsmittelverfahrens trägt. Wie in § 94 Abs. 2 Satz 1 AO ausdrücklich hervorgehoben wird, kann das Finanzamt selbst dann noch nach § 94 Abs. 1 AO verfahren, wenn der Steuerpflichtige bereits Berufung eingelegt hat. Nach § 94 Abs. 1 Ziff. 2 AO ist, wie sich aus dem "soweit einem Antrag des Steuerpflichtigen der Sache nach entsprochen wird" ergibt, auch ein dem Antrag nur zum Teil Rechnung tragender änderungsbescheid zulässig. Das gegen den ursprünglichen Bescheid eingelegte Rechtsmittel hat dann zwar, weil dem Rechtsmittelantrag nicht voll entsprochen worden ist, durch den änderungsbescheid nicht "in der Hauptsache seine Erledigung gefunden"; infolgedessen muß über das Rechtsmittel nach wie vor entschieden werden. Trotzdem kann ein derartiges Verfahren des Finanzamts sinnvoll sein, um die Punkte deutlich hervortreten zu lassen, über die noch zu entscheiden ist.

Wenn nach den Urteilen des Bundesfinanzhofs II 258/59 und V 42/60 a. a. O. für das Finanzamt die Berichtigung angefochtener Bescheide nach § 222 AO schlechthin unzulässig ist, so kann das jedenfalls für änderungsbescheide nach § 218 Abs. 4 AO nicht ohne weiteres in gleicher Weise gelten. Denn nach dieser Vorschrift sind, wenn die in einem Feststellungsbescheid (ß 215 AO) enthaltene Feststellung geändert worden ist, die auf dem bisherigen Feststellungsbescheid beruhenden Steuerbescheide von Amts wegen zu ändern. Daß änderungen nach § 218 Abs. 4 AO während eines Rechtsmittelverfahrens gegen den ursprünglichen Bescheid ausgeschlossen sein sollen, ist dem Gesetz nicht zu entnehmen. Es ist hier zu bedenken, daß die Punkte, um deren änderung es geht, nur in einem Rechtsmittelverfahren gegen den Feststellungsbescheid (vgl. § 218 Abs. 4 letzter Satz AO), nicht aber in dem Rechtsmittelverfahren gegen den Steuerbescheid angefochten werden können. Das spricht dafür, daß der Steuerbescheid auch in dem gegen ihn eingeleiteten Rechtsmittelverfahren geändert werden kann. Für diese Auffassung spricht ferner die Erwägung, daß es sonst lange Zeit dauern könnte, bis die sich aus dem - vielleicht gar nicht bestrittenen oder rechtskräftigen - Feststellungsbescheid ergebenden Folgerungen zugunsten oder zuungunsten des Steuerpflichtigen gezogen werden können. Es ist zwar richtig, daß mit der Einlegung der Berufung nur noch das Finanzgericht über das Rechtsmittel zu entscheiden hat. Damit ist aber nicht gesagt, daß das Finanzamt sich hinsichtlich des Streitgegenstands, d. h. des gegen den Steuerpflichtigen geltend gemachten Einkommensteueranspruchs, jeder Verfügung enthalten müsse. Aus der Rechtshängigkeit ergibt sich nicht etwa, daß das Finanzamt den angefochtenen Bescheid überhaupt nicht mehr aufheben oder ändern dürfte (vgl. auch Eyermann-Fröhler, Verwaltungsgerichtsordnung, 1960, Anm. 2 zu § 79, S. 374).

Das Finanzamt hat, wenn während des Berufungsverfahrens gegen einen Einkommensteuerbescheid ein dem Einkommensteuerbescheid zugrunde liegender Feststellungsbescheid geändert wird, drei Möglichkeiten: Es kann abwarten, bis der Rechtsstreit wegen des Einkommensteuerbescheids erledigt ist, und kann dann einen geänderten Einkommensteuerbescheid gemäß § 218 Abs. 4 AO erlassen. Es kann aber auch die Tatsache der änderung des Feststellungsbescheids dem Finanzgericht mitteilen, damit das Finanzgericht bei der Berechnung der Einkommensteuer die änderung berücksichtigt. Es kann schließlich aber auch selbst - wie im Streitfall - während des Berufungsverfahrens die Folgerungen aus der änderung des Feststellungsbescheids ziehen und einen geänderten Einkommensteuerbescheid gemäß § 218 Abs. 4 AO erlassen. Welchen der drei Wege das Finanzamt wählt, ist eine Ermessensfrage. Den Ausgang des Berufungsverfahrens abzuwarten, kann sich z. B. empfehlen, wenn der geänderte Feststellungsbescheid selbst mit Rechtsmitteln angegriffen ist. Jedenfalls ist es aber nicht schlechthin unzweckmäßig oder gar unzulässig für das Finanzamt, einen angefochtenen Steuerbescheid hinsichtlich der auf einem Feststellungsbescheid beruhenden Punkte gemäß § 218 Abs. 4 AO zu ändern, wenn gegen den Einkommensteuerbescheid bereits das Berufungsverfahren schwebte, als der geänderte Feststellungsbescheid einging.

Hat das Finanzamt - wie im Streitfall - den angefochtenen (ursprünglichen) Einkommensteuerbescheid durch einen nach § 218 Abs. 4 AO geänderten Bescheid ersetzt, so tritt dieser änderungsbescheid an die Stelle des angefochtenen Einkommensteuerbescheids. Man könnte in diesen Fällen hinsichtlich des Schicksals des anhängigen Berufungsverfahrens - ähnlich wie das Finanzgericht - annehmen, daß der geänderte Bescheid von neuem anfechtbar und das den früheren Einkommensteuerbescheid betreffende Verfahren wegen des Wegfalls des früheren Einkommensteuerbescheids in der Hauptsache erledigt ist (vgl. Eyermann-Fröhler, a. a. O., Anm. 39 zu § 113, S. 483). Diese Lösung mag zwar für das Verwaltungsgerichtsverfahren zutreffen, da § 79 Abs. 1 Ziff. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) als den Gegenstand der Anfechtungsklage den Verwaltungsakt als solchen bezeichnet, andererseits aber auch nach § 91 VwGO die Möglichkeit einer änderung der Klage kennt. Für den Steuerprozeß bildet den Gegenstand der Steueranspruch selbst, über den das Gericht nach § 243 Abs. 2 und 3 AO zu entscheiden hat, ohne durch den Antrag des Steuerpflichtigen oder an die Feststellung der Steuerschuld in dem Steuerbescheid gebunden zu sein.

Unter diesen Umständen scheint es den Vorschriften des Steuerprozeßrechts und auch den Interessen der Beteiligten am besten zu entsprechen, daß man den an die Stelle des angefochtenen Einkommensteuerbescheids getretenen änderungsbescheid hinfort als Gegenstand des Rechtsmittelverfahrens behandelt. Wenn das Finanzgericht diese auch von ihm in Betracht gezogene Lösung unter Berufung auf § 246 Abs. 2 AO ablehnt, so ist doch zu beachten, daß die Vorschrift des § 246 Abs. 2 AO, nach der lediglich ein bereits ergangener Bescheid angegriffen werden kann, nur die Fälle regelt, in denen Rechtsmittel erst eingelegt werden; die Vorschrift regelt aber nicht die Zweifelsfrage, ob ein ordnungsmäßig in Gang gesetztes Rechtsmittelverfahren, während dessen Verlauf der angefochtene Bescheid geändert wird, nicht auch den änderungsbescheid umfaßt, wenn es bei beiden Bescheiden um dieselben Streitpunkte geht.

Eine gewisse Schwierigkeit liegt allerdings darin, daß bei der Lösung des Senats über den änderungsbescheid nicht zunächst im Einspruchsverfahren entschieden wird. Diesem Bedenken kommt aber für Fälle der vorliegenden Art keine Bedeutung zu, weil die eigentlichen Streitpunkte durch den änderungsbescheid nicht betroffen werden, die Beteiligten also hinsichtlich der Streitpunkte nicht entgegen ihrem Willen um eine Instanz gebracht werden.

Der Senat kommt nach allem zu dem Ergebnis, daß der von dem Finanzamt während des Berufungsverfahrens erlassene änderungsbescheid anstelle des angefochtenen Einkommensteuerbescheids Gegenstand des Berufungsverfahrens geworden ist. Das angefochtene Urteil, das auf einer anderen Rechtsauffassung beruht, war danach aufzuheben. Die nicht spruchreife Sache war an das Finanzgericht zur Entscheidung in der Sache selbst zurückzuverweisen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 411399

BStBl III 1965, 32

BFHE 1965, 93

BFHE 81, 93

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