Entscheidungsstichwort (Thema)

Grunderwerbsteuer/Kfz-Steuer/sonstige Verkehrsteuern Sonstiges Einkommensteuer/Lohnsteuer/Kirchensteuer

 

Leitsatz (amtlich)

Die Inanspruchnahme des Veräußerers eines Grundstücks als Gesamtschuldner stellt in aller Regel einen Verstoß gegen die für die Ausübung des Ermessens maßgebenden Grundsätze von Recht und Billigkeit dar, wenn das Finanzamt die Einziehung der zunächst entsprechend der Regelung im Grundstückskaufvertrage nur von dem Erwerber geforderten Grunderwerbsteuer schuldhaft verzögert und dieser inzwischen zahlungsunfähig geworden ist. Der gegenteiligen Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs (vgl. u. a. das Urteil II A 148/33 vom 1. April 1933 - RStBl 1933 S. 396 -) kann nicht mehr gefolgt werden.

 

Normenkette

GrEStG § 15 Nr. 1; GrEStDV §§ 8-9; StAnpG § 2 Abs. 2, § 7/1, § 7/3

 

Tatbestand

Der Bf. veräußerte durch notariellen Vertrag vom 3. Mai 1954 für einen Kaufpreis von 21.500 DM ein in der Stadt H. gelegenes Trümmergrundstück an den Bauunternehmer B. Die Grunderwerbsteuer übernahm der Erwerber. Die Genehmigung zu der Grundstücksveräußerung wurde am 10. Mai 1954 erteilt.

Der Bauunternehmer B. gab gemäß § 4 des niedersächsischen Gesetzes über die Befreiung des sozialen Wohnungsbaus von der Grunderwerbsteuer vom 2. Juli 1952 (Niedersächsisches Gesetz- und Verordnungsblatt 1952 S. 53, BStBl 1952 II S. 74) die Versicherung ab, innerhalb von fünf Jahren auf dem Grundstück ein Wohngebäude entsprechend den Richtlinien des sozialen Wohnungsbaus zu errichten. Daraufhin wurde durch Verfügung des Finanzamts vom 4. Juni 1954 gemäß dem Antrage des Erwerbers B. der Erwerbsvorgang als von der Grunderwerbsteuer befreit angesehen und diesem die Unbedenklichkeitsbescheinigung ausgehändigt.

Nach vorgenommener Bebauung verkaufte der Bauunternehmer B. durch Vertrag vom 19. November 1955 / 8. Dezember 1955 das Grundstück an einen Dritten.

In den Grunderwerbsteuerakten des Streitfalles befindet sich auf der Rückseite des erwähnten Freistellungsbescheides vom 4. Juni 1954 ein weder mit Datum noch mit Unterschrift versehener schriftlicher Hinweis: "Grundsteuervergünstigung ist nicht gewährt (Bewertungsakten)." Offenbar auf Grund dieses Hinweises erließ das Finanzamt unter dem 13. August 1957 einen Grunderwerbsteuerbescheid nur gegen den Bauunternehmer B. (Erwerber), in dem es die Grunderwerbsteuern für den Vertrag vom 3. Mai 1954 auf 1.505 DM (= 7 v. H. von 21.500 DM) festsetzte, die bis zum 20. September 1957 zu entrichten waren. Dem Bf. (Veräußerer) wurde der Steuerbescheid nicht bekanntgegeben. Soweit es die dem Senat vorgelegten Akten des Finanzamts erkennen lassen, hat der Erwerber B., der gegen den Steuerbescheid kein Rechtsmittel eingelegt hatte, erstmals am 10. März 1958 Stundung beantragt unter Hinweis auf ausstehende Zahlungen, die er seiner Angabe nach von Ministerialinstanzen zu erwarten hatte; die Stundung wurde bewilligt. Entsprechenden Stundungsanträgen hat das Finanzamt noch dreimal stattgegeben, zuletzt durch Verfügung vom 7. November 1958 bis zum 10. Januar 1959. Erst im Laufe des Jahres 1959 sind Vollstreckungsmaßnahmen durchgeführt worden, die ohne Erfolg blieben.

Nachdem vorher der Bf. (Veräußerer) von den Stundungen und von den vergeblichen Einziehungsversuchen nicht unterrichtet worden war, nahm das Finanzamt ihn durch Bescheid vom 18. August 1959 - unter Beifügung einer Abschrift des Steuerbescheides vom 13. August 1957 - als Gesamtschuldner unter Bezugnahme auf § 15 Ziff. 1 GrEStG auf Zahlung der Grunderwerbsteuer von 1.505 DM in Anspruch.

Der dagegen erhobene Einspruch blieb ohne Erfolg. Die gegen die Einspruchsentscheidung eingelegte Berufung wurde durch das mit der Rb. angefochtene Urteil des Finanzgerichts als unbegründet zurückgewiesen.

 

Entscheidungsgründe

Die Rb. führt zur Aufhebung der Vorentscheidung, der Einspruchsentscheidung und des Bescheides vom 18. August 1959.

Das Finanzgericht geht im einleitenden Absatz der eigentlichen Begründung seines Urteils davon aus, daß, wenn die Inanspruchnahme eines Beteiligten (des Erwerbers) nicht zum Erfolg führt, das Finanzamt die Steuer von dem anderen Beteiligten (dem Veräußerer) nicht nur anfordern kann, sondern auch einziehen muß. Dagegen hat der erkennende Senat in dem Urteil II 33/58 U vom 21. Dezember 1961 (BStBl 1962 III S. 160), an dem festgehalten wird, unter Bezugnahme auf § 7 des Steueranpassungsgesetzes (StAnpG) ausgesprochen, daß die Frage der Inanspruchnahme des Zweitbeteiligten in solchen Fällen eine Ermessensentscheidung ist (vgl. besonders den Rechtssatz 1 des angeführten Urteils des Bundesfinanzhofs). Die angefochtene Entscheidung, die diesen Grundsätzen nicht entspricht, unterliegt daher schon aus diesem Grunde der Aufhebung.

Der erkennende Senat hat in dem Urteil II 33/58 U vom 21. Dezember 1961 die Entscheidung maßgebend darauf abgestellt, daß die Inanspruchnahme der Veräußerin als Gesamtschuldnerin deshalb einen Ermessensfehlgebrauch darstellte, weil das Finanzamt ohne Anhörung der Veräußerin und ohne daß es sich eine Sicherheit bestellen ließ, in Verletzung seiner Sorgfaltspflicht gegenüber der Veräußerin dem Erwerber eine Unbedenklichkeitsbescheinigung erteilt und ihm dadurch die Möglichkeit gegeben hatte, das erworbene Grundstück weiterzuveräußern. Die entscheidende Abstellung auf die Erteilung der Unbedenklichkeitsbescheinigung in diesem Zusammenhang (vgl. auch den zweiten Satz des Rechtssatzes 2 des Urteils II 33/58 U) kann aber nur für solche Fälle in Betracht kommen, in denen wie in dem damaligen Streitfall eine Verpflichtung zur Erteilung einer Unbedenklichkeitsbescheinigung nicht gegeben war. Anders liegt es in dem jetzt zur Entscheidung stehenden Rechtsstreit. Nach § 189 d Abs. 3 Satz 1 AO - entsprechend § 9 Abs. 2 Satz 1 GrEStDV - hat das Finanzamt die Unbedenklichkeitsbescheinigung u. a. zu erteilen, wenn Steuerfreiheit gegeben ist. Diese Voraussetzung war im Streitfall nach § 1 des oben angeführten niedersächsischen Gesetzes vom 2. Juli 1952 zur Zeit der Erteilung der Unbedenklichkeitsbescheinigung (4. Juni 1954) erfüllt, nachdem der Erwerber B. die erwähnte, im § 4 a. a. O. vorgesehene Versicherung abgegeben hatte, das Grundstück innerhalb von fünf Jahren mit einem Gebäude mit grundsteuerbegünstigten Wohnungen zu bebauen (vgl. für die Pflicht des Finanzamts, in solchen Fällen ohne Rücksicht auf etwa entgegenstehende Interessen des Veräußerers dem Erwerber die Unbedenklichkeitsbescheinigung zu erteilen, insoweit das Urteil des erkennenden Senats II 160/60 U vom 4. Mai 1962, BStBl 1962 III S. 314).

Danach ist in Abweichung von der Auffassung der Rb. dem Finanzgericht im Ergebnis darin zuzustimmen, daß die Inanspruchnahme des Bf. nicht deshalb gegen Treu und Glauben verstößt - oder anders beurteilt, einen Ermessensfehlgebrauch darstellt , weil das Finanzamt dem Erwerber B. durch die Erteilung der Unbedenklichkeitsbescheinigung, zu der es verpflichtet war, die Weiterveräußerung des Grundstückes an einen Dritten ermöglichte und dadurch eine Sicherheit für die später etwa erforderlich werdende Erhebung von Grunderwerbsteuer aus der Hand gab.

Im Streitfall ist die Grunderwerbsteuerpflicht erst in dem Zeitpunkt entstanden, in dem der Erwerber B. entsprechend der Annahme der Vorinstanzen das Grundstück mit nicht (oder nicht in ausreichendem Maße mit) grundsteuerbegünstigten Wohnungen bebaute und dadurch den steuerbegünstigten Zweck aufgab (ß 5 Satz 2 des bezeichneten niedersächsischen Gesetzes). Da dies nach der Feststellung des Finanzgerichts im Jahre 1954 oder 1955 geschehen sein mußte, wäre an sich die Inanspruchnahme des Bf. als Zweitschuldner für die noch nicht verjährte Steuer durch den Bescheid vom 18. August 1959 zulässig, wenn sie sich nicht aus anderen Gründen als Ermessensfehlgebrauch erweisen würde.

Nach dem ersten Satz des Rechtssatzes 2 des Urteils II 33/58 U ist ein Ermessensfehlgebrauch gegeben, wenn die veräußernde Partei erst mehr als vier Jahre nach Abschluß des Kaufvertrages als Gesamtschuldnerin herangezogen wird, obwohl die Beitreibung gegen die erwerbende Partei ohne Wissen und ohne Benachrichtigung der veräußernden Partei immer wieder ausgesetzt worden ist und inzwischen in den Vermögensverhältnissen der erwerbenden Partei erhebliche Verschlechterungen eingetreten sind. Der Senat hat in den Gründen des angeführten Urteils allerdings die allgemeine Entscheidung der Frage dahingestellt gelassen, ob der früheren Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs - nach der eine Heranziehung des Veräußerers zur Grunderwerbsteuer sogar auch dann zulässig sein sollte, wenn das Finanzamt die Einziehung der zunächst vom Erwerber geforderten Steuer schuldhaft verzögert und dieser inzwischen zahlungsunfähig geworden ist (vgl. u. a. das Urteil des Reichsfinanzhofs II A 148/33 vom 1. April 1933, RStBl 1933 S. 396) - auch heute noch gefolgt werden kann.

Der Senat ist nach im Streitfall erforderlicher erneuter Prüfung zu der Auffassung gelangt, diese Frage - im Ergebnis in übereinstimmung mit Satz 1 des Rechtssatzes 2 des Urteils II 33/58 U - zu verneinen. Hat das Finanzamt die Einziehung der zunächst - entsprechend der Regelung im Kaufvertrage - von dem Erwerber geforderten Grunderwerbsteuer schuldhaft verzögert und ist dieser in der Zwischenzeit zahlungsunfähig geworden, dann verstößt es in aller Regel gegen die für die Ausübung des Ermessens nach heutiger Auslegung des § 2 Abs. 2 StAnpG maßgebenden Grundsätze von Recht und Billigkeit (vgl. dazu u. a. den Beschluß des Bundesfinanzhofs II 56/57 U vom 11. Juni 1958, BStBl 1958 III S. 339 f., Slg. Bd. 67 S. 178, mit weiteren Zitaten, und das Urteil III 207/57 U vom 13. Juni 1958, BStBl 1958 III S. 356 f., Slg. Bd. 67 S. 219), wenn das Finanzamt in einem solchen Fall den Veräußerer als Gesamtschuldner in Anspruch nimmt, zumal diesem durch das Verhalten des Finanzamts die Möglichkeit genommen ist, von seinem Rückgriffsrecht gegen den Erwerber rechtzeitig Gebrauch zu machen.

Das Finanzgericht vertritt in dem angefochtenen Urteil im Ergebnis die Auffassung, daß dem Finanzamt eine Ermessensverletzung bei seinen Maßnahmen nicht zur Last fällt. Dieser Ansicht der Vorinstanz kann jedoch nicht gefolgt werden.

Allerdings ist der Vorentscheidung insofern zuzustimmen, als sie eine Verpflichtung des Finanzamts verneint. Bei Bekanntwerden der Weiterveräußerung des Grundstückes (Vertrag vom 19. November / 8. Dezember 1955) den zur überwachung vorgemerkten Steuerfall sofort daraufhin zu überprüfen, ob das am 3. Mai 1954 verkaufte Grundstück mit Wohnungen im Sinne des sozialen Wohnungsbaus bebaut worden war oder nicht. Anders liegt es aber, wenn der Grunderwerbsteuerstelle des Finanzamts auf andere Weise - etwa durch Vorlage der Bewertungsakten - positiv bekannt wird, daß der steuerbegünstigte Zweck aufgegeben ist. Bei einem solchen Sachverhalt darf das Finanzamt entgegen der Ansicht des Finanzgerichts den Fall nicht erst dann aufgreifen, wenn die überprüfung auf Grund der allgemeinen überwachung "an der Reihe" ist. Da die erwähnte Notiz aus den Bewertungsakten kein Datum enthält, hätte an sich das Finanzgericht prüfen müssen, wann das Finanzamt erstmalig von der Aufgabe des steuerbegünstigten Zweckes erfahren und ob es von diesem Zeitpunkt an seine Maßnahmen so rechtzeitig und einwandfrei getroffen hat, daß in der späteren Inanspruchnahme des Bf. kein Ermessensfehlgebrauch zu erblicken wäre. Einer Zurückverweisung an die Vorinstanz aus diesem Grunde bedarf es jedoch nicht, weil die Sache auf Grund nachfolgender Erwägungen spruchreif ist.

Nach der Regel des § 8 Abs. 2 Sätze 1 und 2 GrEStDV ist in den Fällen des § 15 Ziff. 1 GrEStG ein einheitlicher Steuerbescheid zu erteilen, der sich an den Erwerber und den Veräußerer als Gesamtschuldner richtet, und ist der Steuerbescheid jedem Gesamtschuldner bekanntzugeben. Allerdings darf das Finanzamt nach dem dritten Satz des Absatzes 2 des § 8 GrEStDV in Abweichung von der Regel den Steuerbescheid nach seinem Ermessen auch nur einem Gesamtschuldner bekanntgeben. Wenn von dieser Befugnis auch nur mit Vorsicht Gebrauch zu machen ist (vgl. Boruttau-Klein, Kommentar zum Grunderwerbsteuergesetz, 6. Auflage, Tz. 34 zu § 8 GrEStDV), so wird es doch, für sich betrachtet, nicht zu beanstanden sein, daß das Finanzamt den Steuerbescheid vom 13. August 1957 zunächst nur dem Bauunternehmer B. bekanntgab, weil dieser im Innenverhältnis die Steuer übernommen hatte. Nachdem dieser aber am Fälligkeitstage (20. September 1957) keine Zahlung leistete, mußte das Finanzamt darauf bedacht sein, den Bescheid unverzüglich auch dem Bf. (Veräußerer) als Gesamtschuldner zur Kenntnis zu bringen. Es mußte jedenfalls bei der Gewährung von Stundungen auf das Innenverhältnis der Gesamtschuldner, insbesondere auf das Rückgriffsrecht des Veräußerers gegen den Erwerber, Bedacht nehmen (vgl. Boruttau-Klein, a. a. O., Tz. 13 zu § 15 GrEStG, drittletzter Satz am Schluß). Dieser Verpflichtung ist das Finanzamt nicht nachgekommen, indem es die am 20. September 1957 fällige Steuer ohne Benachrichtigung des Bf. wiederholt stundete und erst im Laufe des Jahres 1959 Vollstreckungsmaßnahmen (ohne Erfolg) durchführte. Andererseits lag nach der Feststellung der Vorinstanz kein Anhaltspunkt dafür vor, daß der Erwerber B. bereits zur Zeit der Stundungen zahlungsunfähig war. Unter diesen Umständen stellt im Streitfall die Inanspruchnahme des Bf. als Gesamtschuldner durch den Bescheid vom 18. August 1959 - über fünf Jahre nach Abschluß des Kaufvertrages vom 3. Mai 1954 - einen Ermessensfehlgebrauch dar.

Danach rechtfertigt sich die getroffene Sachentscheidung.

 

Fundstellen

Haufe-Index 410476

BStBl III 1962, 315

BFHE 1963, 128

BFHE 75, 128

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