Leitsatz (amtlich)

Zur Feststellung und Bewertung eines zusätzlichen Entgelts neben dem Stücklohn für Polierleistungen bei Überlassung von Edelmetallabfällen durch den Auftraggeber.

 

Orientierungssatz

Eine umsatzsteuerpflichtige Überlassung von Bearbeitungsabfall (Schrott) als anteilige Gegenleistung des Auftraggebers für die Bearbeitungsleistung kann dann angenommen werden, wenn die Höhe des vereinbarten Stücklohns durch die Schrottüberlassung beeinflußt ist; die Annahme kann nicht allein aufgrund der Feststellung verneint werden, über den Verbleib des Abfalls sei eine besondere Vereinbarung nicht getroffen worden. Die Beeinflussung der Höhe des vereinbarten Barlohns durch die Überlassung der Abfälle an den Bearbeiter liegt um so näher, je wertvoller der dem Bearbeiter verbleibende Abfall ist (Festhaltung an BFH-Urteil vom 11.2.1960 V 98/58 U). Zur Bestimmung des Werts der Gegenleistung können Menge und Wert der überlassenen Abfälle grundsätzlich geschätzt werden.

 

Normenkette

UStG 1967 § 10 Abs. 1; UStG 1973 § 10 Abs. 1; UStG 1967 § 10 Abs. 3; UStG 1973 § 10 Abs. 3

 

Tatbestand

I. Der während des Revisionsverfahrens verstorbene Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) --dessen Ehefrau als Alleinerbin den Rechtsstreit weiterführt (Klägerin)-- führte in den Streitjahren 1972 bis 1974 Polierarbeiten im Werklohn für verschiedene Auftraggeber an deren Gold- und Silberwaren aus. Die Aufträge wurden mündlich erteilt. Für die Arbeiten war ein bestimmter Stücklohn (Barlohn) vereinbart. Der beim Polieren anfallende Materialabfall, das sog. Gekrätze, verblieb dem Kläger, ohne daß hierüber besondere Vereinbarungen getroffen waren.

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) vertrat nach einer Betriebsprüfung die Auffassung, wegen des nicht unbeträchtlichen Werts des Gekrätzes bestehe das Entgelt für die Arbeitsleistungen des Klägers nicht nur im vereinbarten Stücklohn, sondern auch im Wert des überlassenen Materialabfalls. Das FA berücksichtigte daher auch den Wert des Gekrätzes als zusätzlichen Werklohn bei der Festsetzung der Umsatzsteuer. Es schätzte den Wert des Gekrätzes anhand der Erlöse, die der Kläger beim Verkauf an die Scheideanstalt erzielte.

Die Einsprüche hatten keinen Erfolg.

Auf die Klage setzte das Finanzgericht (FG) antragsgemäß die Umsatzsteuern für 1972 bis 1974 um den vom FA hinzugeschätzten Wertanteil herab. Das FG vertrat die Auffassung, für jeden einzelnen Umsatz müsse auch wertmäßig genau feststellbar sein, welche Gegenleistung auf die erbrachte Leistung entfalle. Nach dem vom Gericht eingeholten Gutachten des Sachverständigen sei es zwar rein theoretisch denkbar, den beim Polieren entstehenden Materialabfall für jeden einzelnen Auftrag zu ermitteln; es sei aber nach Ansicht des Gutachters, der sich der Senat anschließe, ausgeschlossen, ohne großen technischen Aufwand die Abfallmenge für jeden einzelnen Auftrag zu ermitteln.

Mit der Revision rügt das FA Verletzung des § 10 Abs.1 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) 1967/1973. Es macht dazu geltend, das FG weiche vom Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 11.Februar 1960 V 98/58 U (BFHE 70, 399, BStBl III 1960, 149) ab. Das sog. Gekrätze sei zusätzlich zum vereinbarten Stücklohn Entgelt für die Polierarbeiten. Es bleibe mit Zustimmung der Auftraggeber beim Kläger. Die Gold- und Silberabfälle beeinflußten wegen ihres hohen Werts die Höhe des vereinbarten Barlohns; denn im Wirtschaftsleben werde regelmäßig nichts verschenkt. Da die Erlöse des Klägers aus dem Abfallverkauf etwa 20 v.H. seiner gesamten Erlöse betragen hätten, mache der beim einzelnen Auftrag anfallende Abfall wertmäßig etwa 1/4 des jeweiligen Barlohns aus. Wenn nach dem vom FG eingeholten Sachverständigengutachten eine genaue Ermittlung des Abfalls nach Menge und Wert je Polierauftrag nicht oder nur unter unverhältnismäßig hohem Aufwand erfolgen könne, so müsse im Weg sachgerechter Schätzung von Menge und Wert für den einzelnen Auftrag die Entgeltshöhe ermittelt werden (so BFHE 70, 399, BStBl III 1960, 149).

Auch aus § 10 Abs.2 Satz 2 UStG 1967/1973 ergebe sich, daß das Entgelt ggf. zu schätzen sei; denn beim Tausch oder tauschähnlichen Umsatz gelte der Wert jedes Umsatzes als Entgelt.

Das FA beantragt, das FG-Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen. Sie macht geltend, das FA habe die nach dem Urteil in BFHE 70, 399, BStBl III 1960, 149 erforderliche Voraussetzung, daß der Unternehmer ohne die Abfallüberlassung einen höheren Stücklohn gefordert hätte, nicht nachweisen können. Das sei allenfalls möglich, wenn der Unternehmer nur einen Auftraggeber habe, nicht aber, wenn jeweils nur einzelne Stücke zur Bearbeitung gegeben würden. Der Gutachter habe überzeugend dargetan, daß die Wirtschaftlichkeit jeder Meßmethode verneint werden müsse.

Auch schließe das starke Schwanken des Goldpreises die Annahme aus, das Gekrätze finde im einzelnen Stücklohn seinen Niederschlag; die vom FA vorgeschlagene und allein mögliche pauschale Bewertung zeige, daß im Einzelfall ein Leistungsaustausch nicht festgestellt werden könne. Schließlich ergebe die Auffassung des FA eine doppelte umsatzsteuerliche Erfassung des Gekrätzes beim Kläger, zumal er es beim Verkauf versteuert habe.

 

Entscheidungsgründe

II. Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs.3 Nr.2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).

Die sog. Stücklohnvereinbarung (und -zahlung) für die einzelnen Polierleistungen des Klägers schließt es nicht aus, daß der bei ihm verbleibende Polierabfall (Gold- und Silberabfall) zusätzliches Entgelt für seine Leistungen war.

1. Nach § 10 Abs.1 Satz 2 UStG 1967/1973 ist Entgelt alles, was der Empfänger einer Lieferung oder sonstigen Leistung (Leistungsempfänger) aufwendet, um die Leistung zu erhalten. Das erfordert zum einen die Feststellung, daß der Leistungsempfänger dem Leistenden etwas "für" die Leistung aufwendet, und zum anderen die (anschließende) Bewertung der Gegenleistung (BFH-Urteil vom 6.Juni 1984 V R 33/83, BFHE 141, 355, BStBl II 1984, 686).

Erhält der Leistende für seine Leistung (§ 10 Abs.1 UStG 1967/1973) neben Geld (Baraufwendungen) oder auch ohne solches Sachaufwendungen, so handelt es sich um Entgelt in Gestalt eines Tauschs oder tauschähnlichen Umsatzes (§ 3 Abs.12 UStG 1967/1973), dessen Wert nach § 10 Abs.3 Satz 2 UStG 1967/1973 zur Bestimmung der Bemessungsgrundlage i.S. von Absatz 1 der Vorschrift zu ermitteln ist.

Zusätzliche Sachaufwendungen an den Leistenden sind jedenfalls dann Entgelt, wenn Auftraggeber und leistender Unternehmer sich darüber einig sind, daß die Barvergütung (Stücklohn) kein hinreichender Gegenwert für die vereinbarte Werkleistung ist, sondern daß der Auftraggeber für die Werkleistung Barvergütung und Sachvergütung aufwendet (BFHE 141, 355, BStBl II 1984, 686).

Auch ohne solche Vereinbarung ist eine (zusätzliche) Sachaufwendung Entgelt, wenn der Leistungsempfänger (dessen Sicht insoweit maßgeblich ist) sie für die Leistung hingibt, auch wenn er sie nach Maßgabe einer Entgeltsvereinbarung nicht schuldet (vgl. dazu Weiß, Umsatzsteuer-Rundschau --UR-- 1986, 83 unter C I 3.e; BFH-Urteil vom 19.August 1971 V R 74/68, BFHE 103, 278, BStBl II 1972, 24 --Trinkgeld--). Wie der BFH (z.B. Urteil vom 25.November 1986 V R 109/78, BFHE 148, 351, BStBl II 1987, 228) ausgeführt hat, sind zusätzliche Aufwendungen dann Entgelt für eine Leistung, wenn sie aufgrund keines anderen Rechts- oder Anspruchsgrunds als dem der Leistung zugrunde liegenden erfolgen.

Für die rechtliche Beurteilung des Streitfalls hat sich das FA auch (im Ergebnis) zutreffend auf das BFH-Urteil in BFHE 70, 399, BStBl II 1960, 149 berufen. Danach kann eine umsatzsteuerpflichtige Überlassung von Bearbeitungsabfall (Schrott) als anteilige Gegenleistung des Auftraggebers für die Bearbeitungsleistung dann angenommen werden, wenn die Höhe des vereinbarten Stücklohns durch die Schrottüberlassung beeinflußt ist; die Annahme kann nicht allein aufgrund der Feststellung verneint werden, über den Verbleib des Abfalls sei eine besondere Vereinbarung nicht getroffen worden. Das vorbezeichnete Urteil betrifft zwar den vom Streitfall abweichenden Fall der Besteuerung des den Abfall überlassenden Unternehmers aufgrund dieser Tauschleistung; seine Aussage trifft aber ebenso für die Erfassung der Abfallüberlassung als Gegenleistung zu. Der Senat hält auch an der weiteren Erwägung dieses Urteils fest, daß die Beeinflussung der Höhe des vereinbarten Barlohns durch die Überlassung der Abfälle an den Bearbeiter --wenn auch nicht zwingend-- um so näher liegt, je wertvoller (nach Art und/oder Menge) der dem Bearbeiter verbleibende Abfall ist. Das erfordert in Fällen der vorliegenden Art weitergehende Ermittlungen, ob eine Entgeltskombination aus Barvergütung und Sachvergütung etwa stillschweigend oder aufgrund anerkannter Übung anzunehmen ist. Die Annahme liegt näher, wenn --wie der Kläger hervorhebt-- Leistungsbeziehungen mit nur einem oder wenigen "Hauptauftraggebern" --insbesondere solchen "aus der Branche"-- bestehen als bei Leistungsbeziehungen mit einer Vielzahl von Auftraggebern, insbesondere mit privater "Laufkundschaft" bei jeweils geringem Auftragsumfang. Fällt in den letztgenannten Fällen je Auftrag eine kaum meßbare Abfallmenge an, kann dies dafür sprechen, daß sie (auch wenn der Leistende, wie der Kläger, sie aufgrund seiner entsprechenden Vorrichtungen "auffängt") vom Auftraggeber nicht als zusätzliche Gegenleistung überlassen wird.

2. Das FG hat die vorgreifliche Frage, ob die Überlassung des Polierabfalls als zusätzliches Entgelt je Polierauftrag anzusehen ist, aufgrund seiner anderen Beurteilung des Falles nicht angeschnitten. Das FG-Urteil war daher aufzuheben. Die Sache war zurückzuverweisen, weil die bisherigen Feststellungen zu einer abschließenden Entscheidung durch den Senat nach den oben wiedergegebenen Erwägungen nicht ausreichen. Das FG begnügte sich insoweit mit der Feststellung, das sog. Gekrätze verbleibe beim Kläger, ohne daß hierüber besondere Vereinbarungen getroffen seien.

3. Der Senat konnte die Vorentscheidung nicht etwa deshalb bestätigen, weil sie sich aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 126 Abs.4 FGO). Dies wäre der Fall gewesen, wenn es mangels Bewertbarkeit der Gegenleistung an einem Entgelt fehlen würde. Die Feststellungen und rechtlichen Würdigungen des FG zur Bewertbarkeit der einzelnen Gegenleistungen reichen nicht aus, um diese Aussage zu treffen.

Das FG ging zwar zutreffend davon aus, daß für jede einzelne Werkleistung des Klägers die Gegenleistung bestimmbar sein müsse. Es hat --aufgrund des von ihm eingeholten Sachverständigengutachtens-- auch die theoretische Möglichkeit einer Mengenbestimmung des Abfalls je Leistung bejaht, aber die Durchführung solcher Ermittlungen wegen des erforderlichen großen technischen Aufwands für ausgeschlossen gehalten.

Das FA hält dem im Ergebnis zu Recht entgegen, daß zur Bestimmung des Werts der Gegenleistung der jeweiligen Auftraggeber Menge und Wert der überlassenen Abfälle grundsätzlich geschätzt werden können (BFHE 70, 399, BStBl III 1960, 149).

Sofern und soweit das FG zur Feststellung der Abfallüberlassung als zusätzliche anteilige Gegenleistung für die Bearbeitungsleistungen des Klägers kommen sollte, wird es auch dieser Frage nachzugehen haben. Daß im Schätzungsweg als Wert der einzelnen Gegenleistung ein Betrag angesetzt werden dürfte, der aus dem vom Kläger beim Verkauf der gesammelten Edelmetallabfälle erzielten Preis abgeleitet worden ist, erscheint sehr fraglich; denn der Erlös des Klägers beruht jedenfalls zum Teil auf seinen Maßnahmen zum Sammeln der (in Einzelfällen wohl kaum meßbaren) Polierabfälle und der Bestimmung von Menge und Zeitpunkt zum Verkauf, also auf wertbildenden Umständen, die erst der Kläger beigetragen hat (vgl. auch Plückebaum/Malitzky, Umsatzsteuergesetz, Kommentar, 10.Aufl., § 10 Rz.30).

 

Fundstellen

Haufe-Index 62186

BFH/NV 1989, 12

BStBl II 1989, 252

BFHE 155, 431

BFHE 1989, 431

BB 1989, 902-903 (LT1)

DB 1989, 761-762 (LT)

HFR 1989, 393 (LT)

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