Leitsatz (amtlich)

1. Die Begriffsbestimmung des Bauherrn in § 18 Abs. 1 EStDV 1958 gilt auch für § 7b EStG 1958. Zur Beurteilung der Bauherrneigenschaft bedarf es einer Gesamtwürdigung des Sachverhalts, bei der es insbesondere auf das umfassend zu verstehende Bauherrnwagnis ankommt (Anschluß an BFH-Urteil vom 28. November 1967 II 102/63, BFHE 90, 534, BStBl II 1968, 186). Wesentliche Einflußnahme auf die bauliche Gestaltung eines Eigenheims reicht - für sich allein genommen - zur Bejahung der Bauherrneigenschaft nicht aus.

2. Der Käufer eines Eigenheims, dem die erhöhten Absetzungen für Abnutzungen nach § 7b EStG als wirtschaftlichem Eigentümer (Ersterwerber) gewährt wurden, verliert diese Absetzungsbefugnis nicht rückwirkend, wenn es wegen Aufhebung des Kaufvertrags zu keiner Übertragung bürgerlich-rechtlichen Eigentums kommt (Abweichung von der BFH-Entscheidung vom 15. Oktober 1965 VI 192/65 U, BFHE, 83, 576, BStBl III 1965, 709). Die Gründe für die Vertragsaufhebung sind im allgemeinen unerheblich (Abweichung vom BFH-Urteil vom 30. September 1960 VI 240/58 U, BFHE 71, 577, BStBl III 1960, 465).

2. Wer ein Eigenheim zu Eigentum oder Erbbaurecht erwirbt, an dem bereits ein anderer wirtschaftliches Eigentum (Erbbaurecht) als Ersterwerber erlangt hatte, ist nicht Ersterwerber im Sinne des § 7b Abs. 3 EStG.

 

Normenkette

EStG 1958 § 7b; EStDV 1958 § 18 Abs. 1; StAnpG § 4 Abs. 3 Nr. 2

 

Tatbestand

Streitig ist, ob die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) als Ersterwerber eines Eigenheims nach § 7b Abs. 3 EStG absetzungsbefugt sind.

Die Kläger erwarben am 13. Januar 1964 von einer gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaft (Gesellschaft) ein Erbbaugrundstück mit einem Einfamilienhaus, das sie auch bezogen. Das Gebäude war unter Bauträgerschaft der Gesellschaft zunächst für andere Bewerber, die Eheleute J., errichtet worden, die es Ende 1960 bezogen, den Vertrag jedoch noch vor der Übertragung des Erbbaurechts im Einvernehmen mit der Gesellschaft rückgängig gemacht hatten. Der Beklagte und Revisionskläger (FA) hatte diesen für die Veranlagungszeiträume 1961 bis 1963 die erhöhte AfA nach § 7b EStG gewährt.

Den Antrag der Kläger in der Einkommensteuererklärung 1964 auf Zubilligung der erhöhten AfA lehnte das FA mit der Begründung ab, die Kläger seien nicht Ersterwerber im Sinne des § 7b Abs. 3 EStG. Denn die Eheleute J. hätten als wirtschaftliche Eigentümer und Bauherren das Gebäude hergestellt, seien jedoch nicht die erforderliche Verpflichtung eingegangen, es an natürliche Personen zu Eigentum zu übertragen. Die mit Zustimmung des FA erhobene Sprungklage hatte Erfolg. Das FG sah als Bauherrn die Gesellschaft an. Von ihr hätten die Kläger als Ersterwerber das Erbbaurecht am Eigenheim erlangt. Die Eheleute J. kämen wegen der Aufhebung des Kaufvertrags nicht mehr als Ersterwerber in Betracht (Hinweis auf die Entscheidung des BFH vom 15. Oktober 1965 VI 192/65 U, BFHE 83, 576, BStBl III 1965, 709).

Mit der Revision rügt das FA Verletzung des § 7b Abs. 3 EStG 1963, da das FG die rechtlichen und tatsächlichen Voraussetzungen für die Stellung des Bauherrn verkannt habe.

Das FA beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kläger beantragen, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision führt aus anderen als den geltend gemachten Gründen zur Aufhebung der Vorentscheidung und Klageabweisung.

Die Kläger können die erhöhte AfA nach § 7b Abs. 3 EStG nicht beanspruchen.

1. Der Senat tritt der Vorentscheidung insoweit bei, als sie der Gesellschaft, nicht den Eheleuten J., die Bauherreneigenschaft zugesprochen hat.

Nach § 18 Abs. 1 EStDV 1958 ist Bauherr, wer auf eigene Rechnung und Gefahr Wohnungen baut oder bauen läßt. Dieser Definition ist auch für den in § 7b Abs. 3 EStG 1958 verwendeten Begriff des Bauherrn Geltung beizumessen. Es kommt darauf an, wer wirtschaftlich die Stellung des Bauherrn innehat. Dies entscheidet sich nach dem Gesamtbild unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, Entgegen der Ansicht des FA ist auch einkommensteuerlich zunächst von der ernsthaft gewollten bürgerlich-rechtlichen Gestaltung auszugehen (BFH-Urteil vom 27. November 1962 VI 62/62 U, BFHE 76, 323, BStBl III 1963, 118). Von besonderer Bedeutung ist, ob der Bewerber oder das Wohnungsbauunternehmen das umfassend zu verstehende Bauherrenwagnis trägt (BFH-Entscheidung vom 28. November 1967 II 102/63, BFHE 90, 534, BStBl II 1968, 186) und wer rechtlich und tatsächlich die Planung und Ausführung des Bauvorhabens in der Hand hat (BFH-Entscheidung vom 22. Februar 1967 VI R 87/66, BFHE 88, 179, BStBl III 1967, 316, und Entscheidung des FG Bremen vom 27. Oktober 1967, EFG 1968, 164). Soweit die Revision der Entscheidung II 102/63 einkommensteuerliche Bedeutung abspricht, verkennt sie schon, daß der BFH auch dort ausdrücklich auf die Übereinstimmung mit dem Urteil des VI. Senats VI 62/62 U hingewiesen und auch § 11c Abs. 3 EStDV 1965 in Bezug genommen hat.

Im vorliegenden Fall hat die Vorinstanz festgestellt, daß die Gesellschaft im Rahmen eines größeren Bauvorhabens auf ihrem Grundstück (Erbbaurecht) vor Vertragsschluß mit den Eheleuten J. die Baugenehmigung im eigenen Namen beantragt und mit der Bauausführung begonnen hat, nachdem sie auch die Verträge mit den Bauhandwerkern im eigenen Namen abgeschlossen hatte. Nach der Vorentscheidung hat die Gesellschaft ferner die Fremdfinanzierungsmittel selbst unter Belastung ihres Erbbaurechts besorgt. Die mit der Herstellung des Gebäudes verbundenen Gefahren sind gemäß dem mit den Bewerbern J. abgeschlossenen Vertrag erst vom Tage der Bezugsfertigkeit an auf diese übergegangen. Diese Feststellungen der Vorinstanz sind rechtsfehlerfrei zustande gekommen und reichen aus, um ihr Ergebnis zu tragen. Die finanzgerichtliche Sachverhaltswürdigung braucht nur möglich, nicht zwingend zu sein.

Wenn das FG aus der Übernahme des Baukostenrisikos durch die Bewerber J. keine Schlüsse auf die Bauherreneigenschaft gezogen hat, so unterliegt dies, wie in dem BFH-Urteil II 102/63 näher ausgeführt ist, keinen rechtlichen Bedenken. Schließlich konnte die Vorinstanz auch dem Umstand, daß nicht unwesentliche Änderungswünsche der Eheleute J. - Verlegung des Haupteingangs von der Straßen- zur Giebelseite, Vergrößerung eines Anbaues und Einbau einer Tür an der Terrasse - berücksichtigt wurden, geringeres Gewicht im Rahmen der Gesamtwürdigung des Sachverhalts beimessen. Denn es trifft zu, daß allein eine über die normalen Möglichkeiten eines Mieters hinausgehende Einflußnahme auf die Baugestaltung den Bewerber noch nicht zum Bauherrn werden läßt, weil es, wie schon ausgeführt, auf die umfassende Abwägung aller Umstände ankommt. Aus der Entscheidung VI R 87/66 ergibt sich nichts anderes. Der BFH hat dort nur ausgesprochen, daß der Steuerpflichtige wirtschaftlicher Eigentümer sein könne, falls er wesentlichen Einfluß auf den Bau genommen habe. Das Urteil fährt außerdem fort, bei der Erstellung einer Vielzahl von Reihenhäusern, die nach einheitlichen Normen gebaut würden und bei denen das Siedlungsunternehmen alles auf den Verkauf nach der Bezugsfertigkeit abstelle, komme eine vom bürgerlichen Recht abweichende Annahme eines wirtschaftlichen Eigentums der Erwerber vor Bezug des Hauses nur ausnahmsweise unter besonderen Verhältnissen in Betracht. Entgegen der Revision liegt auch sonst keine Abweichung der Vorentscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des BFH vor. In dem Urteil vom 15. Mai 1953 IV 519/52 U (BFHE 57, 515, BStBl III 1953, 198) ist entscheidend darauf abgestellt worden, daß eine Baugenossenschaft für ihre Genossen Wohnhäuser baute (vgl. auch das BFH-Urteil VI 62/62 U). Die Entscheidung vom 12. April 1957 VI 35/56 U (BFHE 64, 518, BStBl III 1957, 193) betrifft einen besonders gelagerten Sachverhalt und die Frage der Zuordnung wirtschaftlichen Eigentums unter nahen Verwandten.

Dieses Ergebnis deckt sich mit der bürgerlich-rechtlichen Beurteilung, die ebenfalls meist zur Annahme eines sog. Bewerbervertrags gelangt, bei dem Bauherr das Wohnungsbauunternehmen ist (vgl. F. Mattern, Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum Eigenheim-Bewerbervertrag, Wertpapier-Mitteilungen 1972 S. 670).

2. Die Vorentscheidung hat jedoch zu Unrecht die Kläger als Ersterwerber nach § 7b Abs. 3 EStG angesehen. Denn Rechtsnachfolger des Bauherrn sind als erste die Eheleute J. geworden.

Wie in dem Urteil des erkennenden Senats vom gleichen Tage VIII R 90/70, BStBl II 1973, 591 näher ausgeführt wird, steht die Befugnis zur Absetzung nach § 7b EStG dem Ersterwerber zu, der wirtschaftlicher Eigentümer wird; auf die spätere Erlangung bürgerlichrechtlichen Eigentums kommt es entgegen der BFH-Entscheidung VI 192/65 U nicht an. Der Ersterwerber erlangt wirtschaftliches Eigentum, wenn Besitz, Gefahr, Nutzungen und Lasten auf ihn übergegangen sind. Veräußert er sein wirtschaftliches Eigentum vor Erlangung bürgerlich-rechtlichen Eigentums an andere Bewerber weiter, so fällt deshalb das wirtschaftliche Eigentum nicht gemäß § 4 Abs. 3 Nr. 2 StAnpG rückwirkend weg. Der Ersterwerber hat in diesem Falle vielmehr für die vergangenen Veranlagungszeiträume die erhöhte AfA nach § 7b EStG zu Recht in Anspruch genommen.

Diese Rechtsgrundsätze gelten auch für den Fall einer Vertragsaufhebung zwischen dem Ersterwerber und dem Bauherrn. Es kann dahingestellt bleiben, ob in einer Vertragsaufhebung wie im vorliegenden Sachverhalt bürgerlich-rechtlich ein Rücktritt mit schuldrechtlicher Rückwirkung liegt. Denn der Rücktritt hätte jedenfalls keine unmittelbar dingliche Rechtswirkung (BFH-Urteil vom 27. Oktober 1967 III R 43/67, BFHE 90, 515, BStBl II 1968, 116). In der Entscheidung vom 4. Dezember 1962 VI 125/62 U (BFHE 76, 333, BStBl III 1963, 122) ist auch der VI. Senat davon ausgegangen, daß sich am bürgerlichrechtlich vollzogenen Ersterwerb durch einen späteren Rücktritt nichts ändere. Der Ersterwerb wirtschaftlichen Eigentums ist ebenso zu beurteilen. Denn von der Rückgängigmachung eines Kaufvertrags bleibt das wirtschaftliche Eigentum des Käufers in den vorausgegangenen Veranlagungszeiträumen regelmäßig unberührt, wie der BFH für den Kaufanwärter als wirtschaftlichen Bauherrn bereits in der Entscheidung vom 30. September 1960 VI 240/58 U (BFHE 71, 577, BStBl III 1960, 465) ausgesprochen hat. Für eine hiervon abweichende Beurteilung des Ersterwerbers sind keine Gründe ersichtlich. Maßgebend ist auch hier der einkommensteuerliche Rechtsgrundsatz, daß sich ein einmal verwirklichter Steuertatbestand nicht mit Wirkung für die Vergangenheit aufheben läßt. Hiermit übereinstimmend hat der BFH im Urteil vom 17. August 1967 IV R 80/67 (BFHE 90, 341, BStBl II 1968, 93) zum Fall der Rückgabe eines entgeltlich erworbenen Gewerbebetriebs wegen Unwirksamkeit des Erwerbsvorgangs ausgesprochen, dieser Vorgang führe in der Regel nicht zu einer Berichtigung der Einkommensteuerveranlagung gemäß § 4 Abs. 3 Nr. 2 StAnpG, weil sich an der tatsächlichen gewerblichen Betätigung des Steuerpflichtigen in der Vergangenheit nichts geändert habe. Auf derselben Auffassung beruht die ständige BFH-Rechtsprechung, nach der bei Veranlagungssteuern das Stichtagsprinzip einer Anwendung des § 5 Abs. 5 StAnpG entgegensteht (Urteile vom 13. Dezember 1963 VI 22/61 S, BFHE 78, 477, BStBl III 1964, 184, und vom 18. Dezember 1970 III R 124/67, BFHE 101, 422, BStBl II 1971, 375). Was für den Sachverhalt eines nichtigen oder anfechtbaren Rechtsgeschäfts Rechtens ist, muß für den Rücktritt von einem gültigen Vertrag gleichermaßen gelten.

Die Gründe für den Rücktritt sind im allgemeinen unerheblich. Der im Urteil VI 240/58 U getroffenen Unterscheidung danach, ob es sich um ein erst nach Vollzug des Vertrages eingetretenes, nicht schon im Verhältnis der Vertragspartner begründetes Ereignis handele, kann der erkennende Senat nicht folgen. Eine Ausnahme kommt dagegen in Betracht, wenn aus den Gründen für die Vertragsaufhebung und deren Zeitpunkt ersichtlich wird, daß der Käufer entgegen der bisherigen Annahme niemals wirtschaftliches Eigentum erlangt hat.

Die Kläger können somit die erhöhte AfA nach § 7b EStG nicht beanspruchen, weil sie wirtschaftlich nur Zweiterwerber des Eigenheims sind. Die Sache ist entscheidungsreif (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 FGO). Die Klage war abzuweisen.

Die Anrufung des Großen Senats wegen Abweichung von den Urteilen VI 240/58 U und VI 192/65 U ist nicht geboten, da diese Entscheidungen vor Inkrafttreten der Finanzgerichtsordnung ergangen und nicht nach § 64 AO a. F. veröffentlicht sind (§ 184 Abs. 2 Nr. 5 FGO).

 

Fundstellen

Haufe-Index 70472

BStBl II 1973, 593

BFHE 1973, 257

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