Leitsatz (amtlich)

1. Kann im finanzgerichtlichen Verfahren der Sachverhalt deshalb nicht vollständig aufgeklärt werden, weil der Kläger seine Mitwirkungspflicht verletzt hat, so führt das nicht zu einer Entscheidung nach den Regeln der objektiven Beweislast (Feststellungslast), sondern zu einer Begrenzung der Sachaufklärungspflicht und zu einer Minderung des Beweismaßes.

2. Im Rahmen der Beweiswürdigung kann die Verletzung abgabenrechtlicher Mitwirkungspflichten auch zur Folge haben, daß aus dem Verhalten des Klägers (Steuerpflichtigen) für ihn nachteilige Schlüsse gezogen werden, die sich nicht auf bezifferbare Besteuerungsgrundlagen beschränken. Das gilt vor allem dann, wenn die Mitwirkungspflichten Tatsachen und Beweismittel aus der Wissens- und Einflußsphäre des Klägers (Steuerpflichtigen) betreffen.

 

Orientierungssatz

1. Kriterien und Ausmaß der Reduzierung von Sachaufklärungspflicht und Beweismaß lassen sich nur von Fall zu Fall bestimmen. Dabei können folgende Gesichtspunkte bedeutsam werden: der Grad der Pflichtverletzung; der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit; Erwägungen der Prozeßökonomie; der Gedanke der Zumutbarkeit, ggf. auch unter Berücksichtigung der Tatsache einer fachkundigen Vertretung; die gesteigerte Mitverantwortung aus vorangegangenem Tun; besondere Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang dem Gedanken der Beweisnähe zu (vgl. BFH-Rechtsprechung).

2. § 158 AO 1977 steht einer punktuellen Berichtigung des Buchführungswerkes nicht entgegen. Hier: Hinzurechnung von unaufgeklärten Kapitalzuführungen als Betriebseinnahmen bzw. steuerpflichtige Umsätze.

3. Nach den Regeln der objektiven Beweislast (Feststellungslast) geht die Unerweislichkeit entscheidungserheblicher steuerbegründender Tatsachen zu Lasten des FA, diejenige steuerbefreiender oder steuermindernder Tatsachen zu Lasten des Steuerpflichtigen (vgl. BFH-Urteil vom 5.11.1970 V R 71/67). Die Beweislastregeln knüpfen ausschließlich an die allgemeine verfahrensrechtliche Rollenverteilung unter den Beteiligten (als Kläger oder Beklagter) an und sind allein an deren normierten Interesse am Ausgang des Prozeßes ausgerichtet. Ein solches starres Verteilungsschema paßt nur, wenn ein entscheidungserheblicher Sachverhalt trotz Ausschöpfung aller zugänglichen und zumutbaren Ermittlungsmöglichkeiten nicht oder nicht vollständig aufgeklärt werden kann.

 

Normenkette

FGO §§ 76, 96, 155; ZPO § 444; AO 1977 § § 88 ff., §§ 88, 158, 162

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger), der den Gewinn nach § 5 des Einkommensteuergesetzes (EStG) ermittelt, betreibt seit 1.Mai 1976 in A einen Fleischgroßhandel als Einzelunternehmen.

Bei einer Außenprüfung stellte der Prüfer u.a. fest, daß der Kläger im Jahre 1977 30 000 DM und im Jahre 1978 50 000 DM auf sein betriebliches Bankkonto eingezahlt und diese Einzahlungen in seiner Buchführung als Einlagen behandelt hatte. Hierzu ermittelte der Prüfer weiter, daß der Kläger den Betrag von 30 000 DM von einem eigenen privaten Festgeldkonto aus überwiesen hatte, das nur zehn Tage bestanden hatte, und daß die 50 000 DM bar eingezahlt worden waren.

Auf die Frage nach der Herkunft der Gelder hatte der Kläger zunächst nur geantwortet, sie stammten "aus privaten Mitteln", und --als sich die Betriebsprüfungsstelle damit nicht zufriedengab-- ergänzend hinzugefügt, die Einnahmen stammten aus nichtselbständiger Arbeit und seit 1976 aus gewerblicher Betätigung. Außerdem habe er über "gewisse Sparguthaben" verfügt. Der Aufforderung, zur Prüfung dieses Vorbringens die privaten Bankauszüge vorzulegen, ist der Kläger nicht nachgekommen.

In der Schlußbesprechung erklärte der Kläger schließlich, von den Einlagen stammten 55 000 DM aus zinslosen, im Jahre 1979 zurückgezahlten Darlehen von Verwandten, und legte zwei Bescheinigungen vom 22.Juni 1983 vor, denenzufolge er, der Kläger, 30 000 DM von einem Herrn X und 25 000 DM von einem Herrn Y "geliehen" hatte.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) folgte dieser Darstellung nicht, sah die in Frage stehenden Beträge als Betriebseinnahmen an und erließ für die Streitjahre entsprechende Bescheide bzw. Änderungsbescheide.

Einspruch und Klage blieben erfolglos. Das Finanzgericht (FG) wies die Klage mit der Begründung ab, der Sachverhalt habe sich als unaufklärbar erwiesen und der Kläger habe den Rechtsnachteil hieraus zu tragen: Aufgrund der buchmäßigen Behandlung der Kapitalzuführungen durch den Kläger, wegen dessen unzureichenden und widerspruchsvollen Erklärungen hierzu sowie wegen der widersprüchlichen Aussagen der vom Kläger benannten Darlehensgeber gelangte das FG zu dem Ergebnis, der vom Kläger behauptete Geschehensablauf könne nicht mit dem erforderlichen Grad an Gewißheit als richtig angesehen werden.

Die Last der Nichterweislichkeit seiner Behauptungen habe der Kläger zu tragen. Hierbei könne nicht nach den allgemeinen für den Steuerprozeß geltenden Beweislastregeln verfahren werden. Der Kläger habe zu den ungeklärten Vermögenszuflüssen eine in mehrfacher Hinsicht außergewöhnliche Sachdarstellung gegeben und es versäumt, durch eindeutige und vollständige Aufzeichnungen über steuerlich relevante Vorgänge einen aussagekräftigen Ansatz für die Tatsachenwürdigung zu schaffen. Dieser Umstand liege in seinem Verantwortungsbereich. Nur ihm sei die Beweisführung zur Klärung des Sachverhalts möglich und zumutbar. Gerechtfertigt sei auch die Schlußfolgerung des FA, daß die in Frage stehenden Gelder aus Betriebseinnahmen stammten. Für eine Herkunft der Mittel aus anderen Einkunftsquellen gebe es keine überzeugenden Anhaltspunkte.

Mit der vom FG zugelassenen Revision rügt der Kläger Verletzung des § 90 der Abgabenordnung (AO 1977) und des § 96 der Finanzgerichtsordnung (FGO).

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet.

Das FG hat im Ergebnis zu Recht die vom FA in den angefochtenen Bescheiden vorgenommenen Hinzurechnungen bestätigt und in Höhe der für die Streitjahre festgestellten Kapitalzuführungen Betriebseinnahmen bzw. steuerpflichtige Umsätze angenommen. Diese Schlußfolgerung durfte das FG ziehen, obwohl die Herkunft der Gelder für die Einlagen unaufgeklärt geblieben ist, weil diese Ungewißheit im Sachverhalt allein darauf beruht, daß der Kläger die ihm obliegenden außergerichtlichen und gerichtlichen Mitwirkungspflichten verletzt hat. Ihre Rechtfertigung findet die Vorentscheidung hinsichtlich der tatbestandlichen Voraussetzungen in § 162 Abs.2 Satz 1 AO 1977, der gemäß § 96 Abs.1 Satz 1 2.Halbsatz FGO auch im finanzgerichtlichen Verfahren gilt. Danach ist u.a. dann zu schätzen, wenn der Steuerpflichtige über seine Angaben keine ausreichenden Erklärungen zu geben vermag oder weitere Auskunft verweigert. Hinsichtlich der Rechtsfolge der Hinzurechnung von Betriebseinnahmen und Umsätzen ergibt sich die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide aus § 162 Abs.2 Satz 1 AO 1977 unmittelbar bzw. aus einer rechtsanalogen Anwendung dieser Vorschrift und eines in § 444 der Zivilprozeßordnung (ZPO) enthaltenen allgemeinen Rechtsgedankens (i.V.m. § 155 FGO).

1. Eine Schätzung setzt voraus, daß die Besteuerungsgrundlagen nicht ermittelt oder nicht berechnet werden können (§ 96 Abs.1 Satz 1 2.Halbsatz FGO i.V.m. § 162 Abs.1 AO 1977). Das ist hier der Fall. Die Frage, woher die Mittel für die Einlagen stammen, kann letztlich nur der Kläger beantworten. Seine Mitwirkung hat keine Aufklärung gebracht.

2. Die Ungewißheit im Sachverhalt ist aus tatsächlichen wie aus rechtlichen Gründen als endgültig anzusehen.

Das führt jedoch nicht --wie der Kläger meint-- zu einer Entscheidung nach den Regeln der objektiven Beweislast (Feststellungslast). Nach diesen Regeln geht die Unerweislichkeit entscheidungserheblicher steuerbegründender Tatsachen zu Lasten der Finanzbehörde, diejenige steuerbefreiender oder steuermindernder Tatsachen zu Lasten des Steuerpflichtigen (Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 5.November 1970 V R 71/67, BFHE 101, 156, BStBl II 1971, 220, 224; seither ständige Rechtsprechung --weitere Nachweise bei Gräber, Finanzgerichtsordnung, 2.Aufl., 1987, § 96 Rz.23--). Danach würde im Streitfall der Ansatz von zusätzlichen Betriebseinnahmen oder Umsätzen allein daran scheitern, daß die hierzu erforderlichen steuerbegründenden Tatsachen nicht feststehen.

Die Beweislastregeln knüpfen ausschließlich an die allgemeine verfahrensrechtliche Rollenverteilung unter den Beteiligten (als Kläger oder Beklagter) an und sind allein an deren (materiell-rechtlich) normierten Interesse am Ausgang des Prozesses ausgerichtet (vgl. zur "Normentheorie" vor allem: Rosenberg/Schwab, Zivilprozeßrecht, 14.Aufl., 1986, 717). Ein solches starres Verteilungsschema (vgl. dazu vor allem: J.Martens, Steuer und Wirtschaft --StuW-- 1981, 322 ff., und Martin, Betriebs-Berater --BB-- 1986, 1021, 1028 ff., jeweils m.w.N.) paßt --als "ultima ratio"-- nur, wenn ein entscheidungserheblicher Sachverhalt trotz Ausschöpfung aller zugänglichen und zumutbaren Ermittlungsmöglichkeiten nicht oder nicht vollständig aufgeklärt werden kann, nicht aber dann, wenn die mangelhafte Sachaufklärung nur darauf beruht, daß der Rechtsuchende abgabenrechtliche Mitwirkungspflichten verletzt hat, die ihm gerade zu dem Zweck auferlegt sind, derartige Mängel zu vermeiden. In einem solchen Fall muß die Entscheidung die konkrete Verfahrenssituation berücksichtigen und dem Umstand Rechnung tragen, daß der Pflicht zur vollständigen und wahrheitsgemäßen Erklärung über tatsächliche Umstände (§ 76 Abs.1 Satz 3 FGO) eine Mitverantwortung für die Folgen entspricht, die eintreten, wenn das Ziel vollständiger Sachverhaltsermittlung nicht erreicht wird.

a) Schon den allgemeinen, im Steuerrechtsverhältnis wurzelnden Vorschriften, wie z.B. den §§ 88, 89 AO 1977 einerseits und den §§ 90 ff., 140 ff., 200 AO 1977 andererseits, ist der Grundsatz zu entnehmen, daß für die wahrheitsgemäße und vollständige Aufklärung abgabenrechtlich bedeutsamer Tatsachen Finanzbehörde und Steuerpflichtiger gemeinsam verantwortlich sind.

b) Besonders deutlich wird die Mitverantwortung des Steuerpflichtigen in der Regelung des § 162 Abs.2 Satz 1 AO 1977, die die Finanzbehörden (über § 96 Abs.1 Satz 1 2.Halbsatz FGO auch die FG im finanzgerichtlichen Verfahren) bei Verletzung bestimmter Mitwirkungspflichten zur Schätzung verpflichtet und es ihnen somit erlaubt, sich mit einem geringeren Grad an Überzeugung zu begnügen, als dies in der Regel (nach § 88 AO 1977 bzw. nach § 96 Abs.1 Satz 1 1.Halbsatz FGO) geboten ist (sog. Reduzierung des Beweismaßes; vgl. BFH-Urteil vom 13.März 1985 I R 7/81, BFHE 145, 502, BStBl II 1986, 318).

3. Aus der gemeinsamen Verantwortung von Steuerpflichtigem einerseits und Finanzbehörde sowie FG andererseits für die vollständige Sachaufklärung im Geltungsbereich des Abgabenrechts (vgl. Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 13.Aufl., 1988, § 88 AO 1977 Tz.1 und § 90 AO 1977 Tz.2) folgt u.a., daß sich dann, wenn ein Steuerpflichtiger ihm auferlegte allgemeine oder besondere Mitwirkungs-, Informations- oder Nachweispflichten verletzt, grundsätzlich die Ermittlungspflicht der Finanzbehörde (§ 88 Abs.1 AO 1977) oder des FG (§ 76 Abs.1 Sätze 2 bis 4 und § 96 Abs.1 Satz 1 FGO) entsprechend mindert. Kriterien und Ausmaß der Reduzierung von Sachaufklärungspflicht und Beweismaß (vgl. J.Martens, a.a.O., 326/327) lassen sich nicht generell festlegen, sondern nur von Fall zu Fall bestimmen. Dabei können folgende Gesichtspunkte --mit je nach den Umständen unterschiedlicher Gewichtung-- bedeutsam werden:

- der Grad der Pflichtverletzung (BFH-Urteil vom 9.Juli 1964 IV 151/63, Steuerrechtsprechung in Karteiform --StRK--, Reichsabgabenordnung, § 204, Rechtsspruch 58),

- der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (BFH-Urteile vom 23.Februar 1967 IV 344/65, BFHE 88, 134, BStBl III 1967, 322, und vom 31.August 1967 V 241/64, BFHE 89, 472, BStBl III 1967, 686; in diesem Zusammenhang auch Erwägungen der Prozeß ökonomie: BFH-Urteil vom 9.September 1986 VIII R 100/83, BFH/NV 1987, 105, 106),

- der Gedanke der Zumutbarkeit (BFH-Urteil vom 21.Januar 1976 I R 234/73, BFHE 118, 553, BStBl II 1976, 513, ggf. auch unter Berücksichtigung der Tatsache einer fachkundigen Vertretung: BFH-Urteil vom 3.November 1976 II R 43/67, BFHE 120, 549, BStBl II 1977, 159),

- die gesteigerte Mitverantwortung aus vorangegangenem Tun --z.B. bei außergewöhnlicher Sachverhaltsgestaltung oder "ungeordneten Verhältnissen" (BFH-Urteile vom 12.Juni 1975 IV R 10/72, BFHE 116, 341, BStBl II 1975, 853, und vom 7.Juli 1983 VII R 43/80, BFHE 138, 527, BStBl II 1983, 760; vgl. ferner: Ziemer/Haarmann/Lohse/Beermann, Rechtsschutz in Steuersachen, Tz.2523 ff. und 8122 ff.).

Besondere Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang dem Gedanken der Beweisnähe zu: Die Verantwortung des Steuerpflichtigen für die Aufklärung des Sachverhalts ist um so größer (die von Finanzbehörden und FG um so geringer), je mehr Tatsachen oder Beweismittel der von ihm beherrschten Informations- und/oder Tätigkeitssphäre angehören (vgl. BFH-Urteile in BFHE 138, 527, BStBl II 1983, 760, 761; vom 15.Juli 1986 VII R 145/85, BFHE 147, 208, BStBl II 1986, 857; vom 20.März 1987 III R 172/82, BFHE 149, 536, BStBl II 1987, 679, 680; vom 19.Juni 1985 I R 109/82, BFH/NV 1986, 249, 250; in BFH/NV 1987, 105, sowie Beschluß vom 9.Juli 1986 I B 36/86, BFHE 149, 375, BStBl II 1987, 487). Die gleiche Erwägung liegt der gesetzlichen Sonderregelung für die Abgrenzung von Sachaufklärungs- und Mitwirkungspflichten in § 90 Abs.2 AO 1977 zugrunde (mit Geltungsanordnung auch für das finanzgerichtliche Verfahren - § 76 Abs.1 Satz 4 FGO): Sie ist die gesetzliche Konkretisierung eines allgemeinen Prinzips, demzufolge sich die Verantwortung für die Sachaufklärung im Abgabenrecht maßgeblich nach den Möglichkeiten der Einflußnahme auf die Sachverhaltsgestaltung und Sachverhaltsermittlung bestimmt (vgl. zum Gesichtspunkt der Beweisnähe in § 90 Abs.2 AO 1977 u.a. die BFH- Urteile vom 20.Januar 1978 VI R 193/74, BFHE 124, 508, BStBl II 1978, 338; vom 14.Mai 1982 VI R 266/80, BFHE 139, 97, BStBl II 1982, 772; in BFHE 145, 502, BStBl II 1986, 318; in BFHE 149, 375, BStBl II 1987, 487, sowie in BFH/NV 1986, 249).

4. Die Verletzung abgabenrechtlicher Mitwirkungspflichten kann dann, wenn sie Tatsachen oder Beweismittel aus dem alleinigen Verantwortungsbereich des Steuerpflichtigen betrifft, sogar dazu führen, daß aus seinem Verhalten für ihn nachteilige Schlüsse gezogen werden. Solche Schlußfolgerungen können auch nicht bezifferbare Besteuerungsgrundlagen betreffen.

Die Befugnis hierzu ergibt sich aus § 162 Abs.2 Satz 1 AO 1977 i.V.m. § 96 Abs.1 Satz 1 FGO unmittelbar, wenn man unter "schätzen" im Sinne dieser Regelung jede Art des Schlußfolgerns mit vermindertem Überzeugungsgrad versteht (wie z.B. J. Martens, a.a.O., 328, und Martin, a.a.O., 1030); sie beruht auf einer rechtsanalogen Anwendung dieser Vorschriften und des allgemeinen Rechtsgedankens des § 444 ZPO i.V.m. § 155 FGO, wenn man "schätzen" nur auf bezifferbare Besteuerungsgrundlagen bezieht (so vor allem Söhn in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, 1977, § 88 AO 1977 Tz.80, und Tipke/Kruse, a.a.O., § 162 AO 1977 Tz.2, m.w.N.). Auch für diejenigen, welche die in § 162 Abs.2 Satz 1 AO 1977 vorgesehene Rechtsfolge in ihrem Wortsinn enger verstehen, besteht kein Zweifel daran, daß der "Beweisverderber" oder "Beweisvereitler" aus seinem Verhalten keinen Vorteil ziehen darf (Rechtsgedanke des § 444 ZPO i.V.m. § 155 FGO). Zur Vermeidung eines solchen Ergebnisses sind auch belastende Unterstellungen (vgl. vor allem Ziemer/Haarmann/Lohse/Beermann, a.a.O., Tz.3217 ff., m.w.N.) oder nachteilige Schlüsse im Rahmen der Beweiswürdigung gerechtfertigt (vgl. z.B. Söhn, a.a.O., Tz.89; Tipke/Kruse, a.a.O., § 88 AO 1977 Tz.9, § 96 FGO Tz.8 und 10; vgl. zum Ergebnis auch BFH-Urteile vom 17.Juli 1968 I 121/64, BFHE 93, 1, BStBl II 1968, 695; vom 20.Mai 1969 II 25/61, BFHE 96, 129, BStBl II 1969, 550; vom 12.Juni 1969 V 12/65, BFHE 96, 13, BStBl II 1969, 531; vom 13.November 1969 IV R 22/67, BFHE 97, 409, BStBl II 1970, 189; in BFHE 118, 553, BStBl II 1976, 513, und in BFHE 145, 502, BStBl II 1986, 318).

5. Das angefochtene Urteil entspricht im Ergebnis den zuvor dargelegten Grundsätzen.

a) Bestimmend für die Vorentscheidung war nicht der Gedanke der Beweislastverteilung.

Zwar heißt es in den Entscheidungsgründen, der Kläger habe den "Rechtsnachteil" aus der Unaufklärbarkeit (S.6 a.A.) bzw. die "Last der Unerweislichkeit" (S.8 a.E.) zu tragen. Das könnte --für sich allein gesehen-- für eine Entscheidung nach einer bestimmten (vom Grundsatz der Feststellungslast abweichenden) Beweislastregel sprechen, zumal auch der Zulassungsgrund (FG-Urteil S.10 a.E.) mit dem Fehlen einer "Beweislastregel" bzw. als "Rechtsfrage nach der Verteilung der Feststellungslast" in Fällen der hier streitigen Art umschrieben wurde. Daß diese Formulierungen jedoch die eigentliche Gedankenführung nur unscharf kennzeichnen, ergibt sich aus dem übrigen Inhalt der Urteilsbegründung. Danach ist das FG im Rahmen einer ausführlichen Beweiswürdigung (S.6 bis 8), die sich auch eingehend mit dem Verhalten des Klägers befaßt (S.6/7), zu dem Ergebnis gelangt, daß der Sachverhalt, gemessen an dem gemäß § 96 Abs.1 Satz 1 FGO in der Regel geforderten Überzeugungsgrad (vgl. Gräber, a.a.O., § 96 Rz.16) als unaufklärbar anzusehen ist. Es ist diesem Mangel dadurch begegnet, daß es (S.8 bis 10 zu Ziff.2) eine aus einer außergewöhnlichen Sachverhaltsgestaltung abgeleitete, nach den Einwirkungsmöglichkeiten des Klägers gewichtete Verletzung von Mitwirkungspflichten (S.9/10 der Urteilsbegründung) angenommen und hieraus zweierlei Folgerungen gezogen hat: zum einen eine Begrenzung der Sachaufklärungspflicht des FA und zum anderen eine entsprechende Minderung des Beweismaßes im Rahmen der Beweiswürdigung. Darin zeigt sich, daß das FG seine Entscheidung in Wirklichkeit nicht auf Beweislasterwägungen gestützt hat.

b) Das FG ist ferner zutreffend davon ausgegangen, daß die Lücke in der Sachaufklärung allein auf der Verletzung von Mitwirkungspflichten durch den Kläger beruht und überdies seine eigene Ermittlungspflicht erschöpft war.

aa) Die Mitwirkungspflicht des Klägers bestand vor allem darin, daß er die für die Besteuerung erheblichen Tatsachen vollständig und wahrheitsgemäß offenzulegen und die ihm bekannten Beweismittel anzugeben hatte (§ 90 Abs.1 Satz 2 AO 1977, § 76 Abs.1 Satz 2 FGO).

Diese Erklärungspflichten waren nicht etwa von vornherein deshalb gegenstandslos, weil es sich bei den Kapitalzufuhren um rein private Vorgänge gehandelt hätte. In diesem Zusammenhang kann dahingestellt bleiben, ob sich im Abgabenrecht zum Schutz der Privatsphäre des Steuerpflichtigen generelle Grenzen der Sachaufklärung und damit auch der Mitwirkung hieran festlegen lassen und nach welchen Kriterien das zu geschehen hätte. Diese Frage stellt sich hier deshalb nicht, weil es sich nach der buchmäßigen Behandlung der Ereignisse durch den fachkundig beratenen Kläger selbst um Wertbewegungen handelt, die zwar von seinem Privatvermögen ausgingen, aber in seinem Betriebsvermögen endeten und als Einlagen gemäß § 4 Abs.1 Satz 3 EStG 1977 bei der Gewinnermittlung unberücksichtigt geblieben waren. Ob die Voraussetzungen hierfür tatsächlich bestanden, unterlag grundsätzlich uneingeschränkt der Sachaufklärungspflicht von FA und FG sowie der Mitwirkungspflicht des Klägers. Eine Differenzierung nach Herkunft und Verwendung der Gelder, wie sie der Kläger befürwortet, ist jedenfalls in Fällen einer vom Steuerpflichtigen selbst hergestellten Verbindung zwischen Privat- und Betriebsvermögen nicht möglich.

In dieser Ausgangslage unterscheidet sich der Streitfall auch von der den Urteilen des I.Senats vom 28.Mai 1986 I R 265/83 (BFHE 147, 105, BStBl II 1986, 732) und vom 1.Juli 1987 I R 284-286/83 (BFH/NV 1988, 12) zugrunde liegenden Sachverhaltsgestaltung (dort ging es jeweils um private Sparkonten und die Herkunft der darauf verbuchten Guthaben).

bb) Der Kläger war zu verstärkter Mitwirkung verpflichtet: einmal --aus vorangegangenem Verhalten-- wegen der außergewöhnlichen Gestaltung der beiden Einlagevorgänge (Überweisung von einem Festgeldkonto, das nur zehn Tage lang bestand - Einzahlung eines relativ hohen Barbetrages) und seiner widersprüchlichen Angaben zur Herkunft der Mittel, zum anderen aus dem Gesichtspunkt der Beweisnähe, weil er allein in der Lage war, die erforderlichen Informationen zu geben.

cc) Der Kläger hat seine Pflicht zur vollständigen und wahrheitsgemäßen Offenlegung verletzt, indem er zunächst widersprüchliche Erklärungen zur Herkunft der Gelder abgab, später Angaben machte, die sich nach revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Würdigung des FG als unhaltbar erwiesen und sich schließlich weiterer Mitwirkung versagte. Ein (einleuchtender) Grund für dieses Verhalten ist nicht erkennbar.

dd) Unter diesen Umständen durfte das FG von weiterer Sachaufklärung absehen (vgl. BFH in BFHE 120, 549, BStBl II 1977, 159; Urteil vom 16.April 1980 I R 75/78, BFHE 133, 19, BStBl II 1981, 492, und in BFH/NV 1987, 105; Tipke/Kruse, a.a.O., § 90 AO 1977 Tz.5).

ee) Der Kläger kann sich nicht auf die formelle Ordnungsmäßigkeit seiner Buchführung berufen. Die Vorschrift des § 158 AO 1977 steht der Vorentscheidung nicht entgegen. Es geht nicht um eine Gesamtkorrektur des Buchführungswerkes, sondern um eine punktuelle Berichtigung. "Soweit" die Auswirkungen der Pflichtverletzung reichen, besteht Anlaß, die sachliche Richtigkeit der Buchführung zu beanstanden (§ 158 AO 1977, a.E.; vgl. Tipke/Kruse, a.a.O., § 158 AO 1977 Tz.2 a.E.).

c) Das FG durfte die ihm zugänglichen Tatsachen und Beweismittel dahin würdigen, daß die unaufgeklärten Kapitalzuführungen in den Streitjahren auf nicht versteuerten Einnahmen beruhten. Ohne Rechtsverstoß hat es dabei aus der Verletzung der Mitwirkungspflicht durch den Kläger für diesen nachteilige Schlußfolgerungen gezogen (siehe oben zu 4.). Diese lassen sich ergänzend auch auf die Erwägung stützen, daß das Verhalten des "Beweisverderbers" ein Indiz dafür ist, daß die Pflichtverletzung bezweckte, ein nachteiliges Ermittlungsergebnis zu vermeiden.

 

Fundstellen

Haufe-Index 62508

BFH/NV 1989, 20

BStBl II 1989, 462

BFHE 156, 38

BFHE 1989, 38

BB 1989, 1187-1189 (LT1-2)

DB 1990, 259 (ST)

DStR 1989, 387 (KT)

HFR 1989, 350 (LT)

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