Leitsatz (amtlich)

1. Steuerpflichtige mit doppeltem Wohnsitz erhalten die Berlinpräferenz nur, wenn sie sich überwiegend im Land Berlin aufhalten. Auf den formellen Vorgang der Veranlagung im Land Berlin kommt es dagegen nicht an.

2. Kann nicht festgestellt werden, daß der Steuerpflichtige mit doppeltem Wohnsitz überwiegend im Land Berlin gewohnt hat, so geht er der Berlinpräferenz verlustig.

 

Normenkette

StErlG § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 2; BHG § 21 Abs. 1 S. 1 Nr. 2

 

Tatbestand

Streitig ist, ob dem Kläger und Revisionskläger (Kläger) bei seiner Veranlagung zur Einkommensteuer für die Jahre 1963 bis 1965 die Berlinpräferenz zusteht.

Der Kläger unterhält einen Großhandel im Land Berlin, wo er auch seinen Wohnsitz hat. Im Jahre 1962 begründete er einen zweiten Wohnsitz in S. in der Bundesrepublik. Nach eigenen Angaben bereist der Kläger aus betrieblichen Gründen während drei bis vier Monaten die DDR. In seinen Einkommensteuererklärungen gab er den zweiten Wohnsitz an. Die Westberliner FÄ X und Y veranlagten ihn vorläufig entsprechend den Erklärungen und gewährten ihm antragsgemäß die Berlinpräferenz gemäß § 1 des Gesetzes über Steuererleichterungen und Arbeitnehmervergünstigungen in Berlin (West) vom 26. Juli 1962 - StErlG - (BGBl I 1962, 501, BStBl I 1962, 1006) bzw. § 21 des Berlinhilfegesetzes 1964 vom 19. August 1964 (BGBl I 1964, 674, BStBl I 1964, 509). Anläßlich einer Betriebsprüfung gelangte der Prüfer anhand der Benzinrechnungen des Klägers und anderer Unterlagen zu der Auffassung, daß sich der Kläger in den Jahren 1963 bis 1965 überwiegend in S aufgehalten habe, und zwar 1963 während 190 Tagen, 1964 während 163 Tagen und 1965 während 187 Tagen, wogegen er im Land Berlin im Jahre 1965 nur 41 Tage lang gewohnt habe. Aufgrund dieser Ermittlungen übersandte das zuletzt tätige FA Y die Akten des Klägers zuständigkeitshalber dem Beklagten und Revisionsbeklagten (FA). Dieser führte die endgültigen Veranlagungen nach dem Ergebnis der Betriebsprüfung durch und versagte dem Kläger für die Streitjahre die Berlinpräferenz.

Einspruch und Klage blieben erfolglos. Zur Begründung hat das FG im wesentlichen ausgeführt (Entscheidungen der Finanzgerichte 1973 S. 197 - EFG 1973, 197 -): Maßgebend für die Präferenz nach § 1 StErlG bzw. § 21 BHG sei bei mehrfachem Wohnsitz die Veranlagung zur Einkommensteuer bei einem FA in Berlin (West). Hierfür sei notwendig, daß das FA in Berlin (West) für den betreffenden Veranlagungszeitraum sachlich zuständig sei. Das aber sei gemäß § 73 a Abs. 3 Nr. 1 der Reichsabgabenordnung - AO - (a. F.) dann der Fall, wenn der Steuerpflichtige sich bei mehrfachem Wohnsitz vorwiegend in Westberlin aufhalte. Aus den Feststellungen des FA ergebe sich aber, daß der Kläger sich vorwiegend in S aufgehalten habe. Die Tage seiner Reisen außerhalb des Landes Berlin könnten der Zeit seines Aufenthaltes im Land Berlin nicht hinzugerechnet werden.

Hiergegen richtet sich die Revision mit folgender Begründung: Das FA habe keineswegs festgestellt, daß der Kläger überwiegend in S gewohnt habe. Die Telefon- und Benzinrechnungen ließen einen solchen Schluß nicht zu, weil die Rechnungen auch von der Ehefrau verursacht sein könnten. Auf jeden Fall seien die Feststellungen des Betriebsprüfers kein Beweis. Andererseits könne ein Gegenbeweis vom Kläger nicht gefordert werden, weil die Freizügigkeit durch das Grundgesetz (GG) garantiert sei. Im übrigen widerspreche die Forderung nach dem überwiegenden Aufenthalt im Land Berlin dem Sinn und Zweck des Gesetzes. Zudem sei die Veranlagung zur Einkommensteuer zumindest vorläufig im Land Berlin erfolgt. Dies müsse genügen. Der Kläger beantragt sinngemäß, das Urteil des FG München vom 21. November 1972 II 163/68 aufzuheben, und ihm für die Streitjahre 1963 bis 1965 die Steuerpräferenz nach § 1 StErlG bzw. § 21 BHG zu gewähren.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision hat keinen Erfolg. Dem Kläger steht die Präferenz gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StErlG 1962 bzw. § 21 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BHG 1964 (jetzt § 21 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 des Berlinförderungsgesetzes vom 29. Oktober 1970 - BerlinFG -) für die Streitjahre nicht zu, weil er bei mehrfachem Wohnsitz nicht im Land Berlin i. S. der Bestimmungen veranlagt worden ist.

Richtig ist, daß er im Land Berlin für die Streitjahre gemäß § 100 AO (a. F.) vorläufig veranlagt wurde. Hierbei handelt es sich jedoch nicht um Veranlagungen i. S. der Bestimmungen. Denn dem Gesetzgeber kommt es nicht auf den formellen Vorgang der Veranlagung an. Ausschlaggebend ist vielmehr, daß der Steuerpflichtige sich überwiegend im Land Berlin aufhält (vgl. Drucksache 1159 des Deutschen Bundestags, 2. Wahlperiode, S. 23, rechte Spalte, Abs. 2). Da aber für die Veranlagung zur Einkommensteuer bei mehrfachem Wohnsitz gemäß § 73 a Abs. 3 Nr. 1 AO a. F. (§ 19 Abs. 1 Satz 2 der Abgabenordnung - AO 1977 -) derjenige Wohnsitz für die örtliche Zuständigkeit des FA maßgebend ist, an dem sich der Steuerpflichtige vorwiegend aufhält, konnte der Gesetzgeber die Vergünstigung davon abhängig machen, daß der Steuerpflichtige bei einem FA in Berlin (West) zur Einkommensteuer veranlagt wird. Denn mit dieser Voraussetzung wurde erreicht, daß nur diejenigen Steuerpflichtigen mit mehrfachem Wohnsitz die Präferenz erhalten, die sich vorwiegend im Land Berlin aufhalten. Daran ändert nichts, daß dem Steuerpflichtigen mit mehrfachem Wohnsitz die Präferenz auch dann verbleibt, wenn er von einem örtlich nicht zuständigen FA in Berlin (West) zur Einkommensteuer veranlagt wird. Dann deckt lediglich die Bestandskraft des Bescheides den Fehler. Ist in einem solchen Fall aber die Änderung des Bescheides auch wegen der Präferenz möglich, so bleibt sie dem Steuerpflichtigen nicht erhalten. Dem FG ist auch darin zuzustimmen, daß es darauf ankommt, ob sich der Steuerpflichtige in demjenigen Jahr überwiegend im Land Berlin aufgehalten hat, für das er die Präferenz erhalten will. Ohne Bedeutung dagegen ist, wie die Verhältnisse in demjenigen Jahre liegen, in dem die Veranlagung stattfindet.

Das FG ist auch zutreffend davon ausgegangen, daß für die örtliche Zuständigkeit der FÄ des Landes Berlin für die Veranlagung zur Einkommensteuer bei mehrfachem Wohnsitz des Steuerpflichtigen die vorwiegende körperliche Anwesenheit des Steuerpflichtigen im Land Berlin erforderlich ist (vgl. Tipke-Kruse, Reichsabgabenordnung, Kommentar, I, 7. Aufl. Anm. 2 zu § 73 a AO a. F.). Die Tage, an denen sich der Kläger außerhalb des Landes Berlin und der Bundesrepublik Deutschland auf Reisen befunden hat, bleiben bei dem Vergleich der Dauer des Aufenthaltes in S und im Land Berlin demzufolge außer Betracht. Hiervon ausgehend hat das FG zutreffend festgestellt, daß sich der Kläger in den Streitjahren vorwiegend außerhalb des Landes Berlin aufgehalten hat, wenn die Feststellungen und die daraus gezogenen Schlußfolgerungen des FA als zutreffend unterstellt werden.

Ob die Feststellungen des FG seine Schlußfolgerungen rechtfertigen, ist Tatfrage, so daß der Senat an die Darlegungen hierzu nach § 118 Abs. 2 FGO gebunden ist, sofern nicht die vom Kläger dagegen vorgetragenen Gründe überzeugend sind. Der Kläger hat geltend gemacht, daß die Feststellungen für die Schlußfolgerung, er habe sich in den Streitjahren vorwiegend in S aufgehalten, nicht ausreichten. Das dürfte zutreffen. Denn die Benzin- und Telefonrechnungen stellen keinen unwiderleglichen Beweis dafür dar, daß sich der Kläger an den Tagen der Rechnungsdaten in S aufgehalten hat. Wie er zutreffend ausführte, können die Rechnungen auch seiner Ehefrau erteilt worden sein, auf deren überwiegenden Aufenthalt es nicht ankommt (§ 1 Abs. 1 Satz 2 StErlG; § 21 Abs. 1 Satz 2 BHG). Der Umstand der nicht ausreichenden Beweisbarkeit des vorwiegenden Aufenthalts des Klägers spricht jedoch entgegen seiner Auffassung nicht zu seinen Gunsten. In Fällen, in denen das Vorliegen steuererheblicher Tatsachen nicht nachweisbar ist, gilt auch im Steuerprozeß der Grundsatz der objektiven Beweislast, der sogenannten Feststellungslast (vgl. Urteil des BFH vom 5. November 1970 V R 71/67, Ziff. 4 und 5, BFHE 101, 156, BStBl II 1971, 220). Diesem Grundsatz zufolge hat das FA dafür einzustehen, wenn Tatsachen nicht feststellbar sind, die die Besteuerung oder die Erhöhung der Steuer begründen (vgl. Urteil des BFH V R 71/67). Dagegen muß der Steuerpflichtige gegen sich gelten lassen, daß Tatsachen nicht erweisbar sind, die eine steuerliche Vergünstigung oder Ermäßigung begründen (vgl. Urteil des BFH vom 24. Juni 1976 IV R 101/75, BFHE 119, 164, BStBl II 1976 562). Da es sich bei der Bestimmung des § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StErlG bzw. § 21 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BHG um die Regelung einer Vergünstigung handelt, die der Kläger in Anspruch nehmen will, wirkt es sich nach dem allgemeinen Grundsatz gegen ihn aus, wenn die Tatsachen, deren Vorhandensein die Voraussetzung für die Vergünstigung ist, trotz Bemühens nicht nachweisbar sind. Der Kläger hat also dafür einzustehen, d. h. er geht der Vergünstigung verlustig, wenn nicht nachweisbar ist, daß er sich in den Streitjahren überwiegend im Land Berlin aufgehalten hat. Dies gilt um so mehr, als es sich um höchst persönliche Verhältnisse des Klägers handelt, die ohne seine Mitwirkung nicht oder doch kaum aufklärbar sind. Wenn nun auch der Kläger lediglich darlegt, daß sein vorwiegender Aufenthalt in S nicht nachweisbar ist, so sind andererseits keine Tatsachen vom Kläger behauptet worden noch sonst ersichtlich, aus denen sich ergibt, daß er sich überwiegend im Land Berlin aufgehalten hat. Sein überwiegender Aufenthalt im Land Berlin als Voraussetzung für die Präferenz ist demzufolge nicht feststellbar, so daß er die Präferenz nicht erhalten kann. Der Hinweis des Klägers, daß er als Staatsbürger nicht verpflichtet sei, Auskunft über seinen Aufenthalt zu erteilen, liegt neben der Sache. Der Kläger wird nicht zur Verantwortung gezogen. Ihm wird lediglich der Steuervorteil versagt.

 

Fundstellen

Haufe-Index 72723

BStBl II 1978, 328

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