Leitsatz (amtlich)

1. Fehlt bei der Zustellung einer Entscheidung über den außergerichtlichen Rechtsbehelf durch die Post mit Zustellungsurkunde auf der zuzustellenden Sendung, das heißt auf dem Briefumschlag, die Angabe der Geschäftsnummer, so ist die Zustellung unwirksam.

2. Die Unwirksamkeit der Zustellung hat nicht zur Folge, daß die Entscheidung über den außergerichtlichen Rechtsbehelf selbst unwirksam ist. Sie führt nur dazu, daß der Lauf der Klagefrist nicht beginnt.

 

Normenkette

VwZG §§ 3, 9; FGO §§ 47, 53; AO § 91

 

Tatbestand

Die Revisionsklägerin (Steuerpflichtige), eine GmbH, legte gegen die Körperschaftsteuer-Bescheide 1961 bis 1965 erfolglos Einspruch ein. Sie erhob gegen die Einspruchsentscheidung, die ihr laut Zustellungsurkunde am 6. Januar 1967 zugestellt wurde, Klage, die am 7. Februar 1967 beim FG einging.

Das FG hat die Klage als unzulässig abgewiesen, weil sie mit einem Tag Verspätung erhoben worden sei. Die Klagefrist sei am Montag, dem 6. Februar 1967, abgelaufen. Dieser Tag - der Rosenmontag - sei kein allgemeiner Feiertag im Sinne der gesetzlichen Vorschriften über die Fristen. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand könne nicht gewährt werden. Denn die Versäumung der Klagefrist beruhte nicht auf einem Büroversehen, sondern auf einem Organisationsmangel im Büro des Prozeßbevollmächtigten und auf einem eigenen Verschulden des zuständigen Sachbearbeiters.

Mit der Revision rügt die Steuerpflichtige Verletzung der §§ 3, 7, 8 VwZG, § 195 Abs. 2, § 191 Nr. 3 ZPO, § 47 FGO. Die Steuerpflichtige meint, die Klagefrist sei nicht in Lauf gesetzt worden, weil die Zustellung der Einspruchsentscheidung aus mehreren Gründen unwirksam sei.

Die zuzustellende Sendung sei entgegen dem Gebot des § 3 Abs. 1 Satz 2 VwZG nicht mit einer Geschäftsnummer versehen gewesen. Bei der Angabe der Geschäftsnummer handle es sich um die einzige urkundliche Beziehung zwischen der Zustellungsurkunde und dem zuzustellenden Schriftstück, die die Übereinstimmung zwischen beiden gewährleiste. Fehle die Geschäftsnummer, so sei die Zustellung unwirksam.

Die Zustellung der Einspruchsentscheidung leide an weiteren Mängeln. Die Urkunde des Postbediensteten sei insoweit unrichtig, als sie die Übergabe der ihrer Geschäftsnummer nach bezeichneten Sendung bezeuge. Die Geschäftsnummer habe aber, wie ausgeführt, gefehlt. Ferner habe das FA die Sendung auf dem Briefumschlag an die Prozeßbevollmächtigten adressiert, während die Zustellungsurkunde die Steuerpflichtige als Anschrift enthalte. Die Zustellung an die GmbH und die Zustellung an die Prozeßbevollmächtigten müßten aber auseinandergehalten werden und dürften nicht vermischt werden. Aus diesem Mangel der Zustellung ergebe sich ein weiterer: Nach § 191 Nr. 3 ZPO müsse die Zustellungsurkunde die Bezeichnung der Person enthalten, an die zugestellt werden soll. Das sei hier nicht der Fall, weil der Briefumschlag an die Prozeßbevollmächtigten zugestellt werden sollte, während die Zustellungsurkunde die Steuerpflichtige selbst als Zustellungsempfängerin nenne.

Die Steuerpflichtige rügt außerdem den absoluten Revisionsgrund der nicht ordnungsmäßigen Besetzung des FG. Da die Richter am FG besoldungsmäßig nicht den Richtern am Oberlandesgericht (OLG) gleichgestellt gewesen seien, habe das FG nicht als "oberes Landesgericht" entschieden, wie es § 2 FGO vorschreibe.

Die Steuerpflichtige beantragt, unter Aufhebung der Vorentscheidung

a) in der Sache selbst zu entscheiden, die angefochtenen Steuerbescheide sowie die Einspruchsentscheidung aufzuheben und den begehrten Abzug der Betriebsausgaben anzuerkennen,

b) hilfsweise für den Fall, daß mangels Zustellung überhaupt keine Einspruchsentscheidung vorliege, festzustellen, daß die Einspruchsentscheidung nichtig sei,

c) hilfsweise für den Fall, daß die Sache noch nicht spruchreif sei, sie zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.

Der Revisionsbeklagte (das FA) beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.

Das FG hat zu Unrecht die Klage als unzulässig abgewiesen. Die Steuerpflichtige hat die Klagefrist von einem Monat (§ 47 FGO) nicht versäumt. Denn diese Frist begann mangels wirksamer Zustellung der Entscheidung über den außergerichtlichen Rechtsbehelf nicht am 6. Januar 1967 zu laufen. Die Frist zur Erhebung der Anfechtungsklage beginnt nach § 47 FGO mit der Bekanntgabe der Entscheidung über den außergerichtlichen Rechtsbehelf. Der Ausdruck "Bekanntgabe" bedeutet hier, wie sich aus § 53 FGO ergibt, die wirksame Zustellung nach den Vorschriften des VwZG. Daran fehlt es im Streitfall. Das FA hat den Weg der Zustellung durch die Post mit Zustellungsurkunde gewählt (§ 3 VwZG). Dafür ist vorgeschrieben, daß die Sendung mit der Anschrift des Empfängers und mit der Bezeichnung der absendenden Dienststelle, einer Geschäftsnummer und einem Vordruck für die Zustellungsurkunde zu versehen ist (§ 3 Abs. 1 Satz 2 VwZG). Im Streitfall trug der Briefumschlag, der die Einspruchsentscheidung enthielt, keine Geschäftsnummer. Die Steuerpflichtige hat das zwar im Revisionsverfahren erstmals geltend gemacht. Gleichwohl handelt es sich um kein neues Vorbringen. Denn der Briefumschlag lag bereits dem FG vor, wie sich aus der Niederschrift über die öffentliche Sitzung vom 26. Oktober 1967 ergibt.

Das OLG Nürnberg hat durch Urteil 4 U 154/62 vom 18. Januar 1963 (Neue Juristische Wochenschrift 1963 S. 1207) zu § 3 VwZG mit ausführlicher Begründung entschieden, daß eine Zustellung unwirksam ist, wenn die zuzustellende Sendung - bei Briefen der Briefumschlag - nicht mit einer Geschäftsnummer versehen ist. Der BGH hat in dem Urteil IV ZR 186/64 vom 23. Juni 1965 (Der Betrieb 1965 S. 1700) dem Urteil des OLG Nürnberg 4 U 154/62, a. a. O., zugestimmt und entschieden, daß auch die Angabe einer unrichtigen Geschäftsnummer auf dem zur Zustellung verwandten Briefumschlag die Zustellung unwirksam macht. Denn in diesem Fall sei keine Gewähr für die Nämlichkeit und den unveränderten Inhalt der Sendung gegeben. Schließlich ist auch das Bundesverwaltungsgericht mit Urteil III C 157/64 vom 24. November 1966 (Juristische Rundschau 1967 S. 112) der Rechtsauffassung des OLG Nürnberg gefolgt und hat es als einen unheilbaren Mangel bezeichnet, daß entgegen § 3 Abs. 1 Satz 2 VwZG auf dem Umschlag des zuzustellenden Briefs die Geschäftsnummer nicht angegeben sei.

Der Senat schließt sich dieser Rechtsprechung an. Die Zustellung der Einspruchsentscheidung nach § 3 VwZG war demnach unwirksam und setzte die Klagefrist nicht in Lauf. Eine Umdeutung der Zustellung nach § 3 VwZG in eine Bekanntgabe nach § 17 VwZG (vgl. Urteil des BFH VI 135/55 U vom 12. April 1957, BFH 65, 23, BStBl III 1957, 241) kommt hier schon deshalb nicht in Betracht, weil der Tag der Aufgabe zur Post auf der bei den Akten verbliebenen Urschrift des Schriftstücks nicht vermerkt ist, so daß der Tag der Bekanntgabe nach § 17 Abs. 2 VwZG nicht bestimmt werden könnte. Eine Heilung des Mangels nach § 9 Abs. 1 VwZG ist nicht möglich, da mit der Zustellung die Frist für die Erhebung der Klage begann (§ 9 Abs. 2 VwZG).

Die Unwirksamkeit der Zustellung nach § 3 VwZG hat nicht zur Folge, daß die Einspruchsentscheidung selbst rechtsunwirksam ist. Sie führt nur dazu, daß der Lauf der Klagefrist nicht beginnt (BFH-Urteile IV 181/56 U vom 4. Dezember 1958, BFH 68, 534, BStBl III 1959, 203; III 7/60 U vom 25. Oktober 1963, BFH 77, 764, BStBl III 1963, 600; V 156/64 U vom 22. April 1965, BFH 82, 615, BStBl III 1965, 468). Die Einspruchsentscheidung konnte daher von der Steuerpflichtigen mit der Klage angefochten werden.

Über diese Klage muß das FG nunmehr sachlich verhandeln und entscheiden. Dem Antrag der Steuerpflichtigen, daß der BFH in der Sache selbst entscheiden soll, kann nicht gefolgt werden. Denn der BFH kann nur über Rechtsfragen auf Grund eines vom FG festgestellten Sachverhalts urteilen (§ 118 FGO). Tatsächliche Feststellungen zu den sachlichen Fragen hat das FG aber noch nicht getroffen.

Auf die weitere Revisionsrüge der Steuerpflichtigen (nicht vorschriftsmäßige Besetzung des Gerichts) braucht der Senat nicht näher einzugehen. Er verweist dazu lediglich auf die Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts vom 14. Mai 1968 2 BvL 9/68-11/68 (HFR 1968, 322, BStBl II 1968, 467) sowie auf den BFH-Beschluß Gr. S. 1/68 vom 27. Mai 1968 (BFH 92, 188, BStBl II 1968, 473).

 

Fundstellen

Haufe-Index 68393

BStBl II 1969, 151

BFHE 1969, 202

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