Entscheidungsstichwort (Thema)

Nichtberücksichtigung einer Abbruchverpflichtung bei auf längere Zeit stillschweigend verlängertem Mietverhältnis

 

Leitsatz (NV)

1. Die bestehende tatsächliche Unsicherheit darüber, ob der Vermieter bei Beendigung des Mietverhältnisses von seinem Recht, den Abbruch der vom Mieter auf dem Grundstück errichteten Gebäude zu verlangen, Gebrauch machen wird, beseitigt die rechtlich bestehende Abbruchverpflichtung nicht, wenn nicht der Mieter die Abbruchverpflichtung einseitig abwenden kann.

2. War die vereinbarte Mietzeit beendet und hatte sich am Bewertungsstichtag der Mietvertrag entsprechend einer Vertragsklausel, wonach sich das Vertragsverhältnis ,,stillschweigend" um jeweils weitere fünf Jahre verlängern sollte, falls es nicht von einem Vertragspartner unter Einhaltung einer Frist von sechs Monaten gekündigt wird, mehrfach verlängert, so besteht am Bewertungsstichtag mehr als eine gewisse Wahrscheinlichkeit, daß die Abbruchverpflichtung nicht oder zumindest nicht innerhalb der üblichen Lebensdauer der errichteten Anlagen tatsächlich entstehen wird.

 

Normenkette

BewG § 94 Abs. 3 S. 3

 

Verfahrensgang

Niedersächsisches FG

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist Mieterin eines Grundstücks. Die Klägerin hat auf dem Grundstück eine Lagerhalle und Außenanlagen errichtet. Der Mietvertrag wurde im Juni 1963 zunächst für die Dauer von zehn Jahren geschlossen. Danach sollte er sich stillschweigend um jeweils weitere fünf Jahre verlängern, falls er nicht von einem der Vertragsschließenden unter Einhaltung einer Frist von sechs Monaten gekündigt wird. Bei Beendigung des Mietverhältnisses sollte die Klägerin auf Verlangen des Vermieters verpflichtet sein, das Grundstück durch Beseitigung der von ihr während der Mietzeit vorgenommenen Veränderungen in den früheren Zustand zu versetzen. Das Mietverhältnis besteht - nach mehrfacher stillschweigender Verlängerung - noch heute.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) stellte den Einheitswert für die Gebäude und Außenanlagen auf fremdem Grund und Boden auf den 1. Januar 1974 auf 325600 DM fest. Die Bewertung erfolgte im Sachwertverfahren. Der Gebäudewert wurde voll der Klägerin zugerechnet und kein Abschlag gewährt. Die Klägerin begehrte mit Schreiben vom 17. Dezember 1986 eine Wertfortschreibung unter Berücksichtigung eines Abschlages wegen Abbruchverpflichtung. Das FA lehnte den Antrag zunächst ab, gewährte jedoch nach Einspruch der Klägerin mit der Einspruchsentscheidung einen Abschlag ,,wegen vorzeitigen Abbruchs in 25 Jahren" von 45 v.H. und setzte den Einheitswert auf den 1. Januar 1987 auf 179100 DM fest.

Mit der Klage begehrte die Klägerin einen Abschlag von 95 v.H. wegen bestehender Abbruchverpflichtung. Die Klage blieb erfolglos.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Klägerin ist unbegründet.

Das FG hat im Ergebnis zu Recht entschieden, daß die Klägerin zum 1. Januar 1987 jedenfalls keinen höheren Abschlag nach § 94 Abs. 3 Satz 3 des Bewertungsgesetzes (BewG) als 45 v.H. beanspruchen konnte. Denn im Streitfall liegen die Voraussetzungen für einen Abschlag schon dem Grunde nach nicht vor.

Gemäß § 94 Abs. 1 BewG ist bei Gebäuden auf fremdem Grund und Boden der Gebäudewert dem wirtschaftlichen Eigentümer des Gebäudes zuzurechnen. Bei der Bewertung (§ 76 BewG) ist gemäß § 94 Abs. 3 Satz 3 BewG ein ,,entsprechender" Abschlag zu machen, wenn vereinbart ist, daß das Gebäude nach Ablauf der Miet- oder Pachtzeit abzubrechen ist. Der Abschlag unterbleibt, wenn vorauszusehen ist, daß das Gebäude trotz der Verpflichtung nicht abgebrochen werden wird.

Die Voraussetzungen für einen Abschlag liegen im Streitfall nicht vor. Zwar war die Klägerin nach dem Inhalt des Mietvertrages verpflichtet, die Lagerhalle nach Beendigung der Mietzeit abzubrechen, es war aber am Stichtag vorauszusehen, daß das Gebäude nicht abgebrochen werden würde.

a) Die Klägerin konnte nach den vertraglichen Vereinbarungen ihre Abbruchverpflichtung nicht einseitig abwenden, denn ob das Gebäude von ihr abzubrechen war, hing allein davon ab, ob der Vermieter ein entsprechendes Verlangen stellte. Die insoweit am genannten Stichtag bestehende tatsächliche Unsicherheit darüber, ob der Vermieter von seinem Recht Gebrauch machen würde, beseitigte die rechtlich bestehende Abbruchverpflichtung der Klägerin nicht (Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 7. November 1990 II R 186/87, BFHE 162, 378, BStBl II 1991, 61, und vom 26. Februar 1986 II R 217/82, BFHE 146, 174, BStBl II 1986, 449 zu der entsprechenden Regelung für Erbbaurechte in § 92 Abs. 4 BewG).

b) An dem genannten Stichtag war aber vorauszusehen, daß die Lagerhalle trotz der Abbruchverpflichtung nicht abgebrochen werden würde (§ 94 Abs. 3 Satz3,2. Halbsatz BewG).

Die Versagung des Abschlages ist allerdings nicht bereits dann gerechtfertigt, wenn die bloße Möglichkeit oder eine gewisse Wahrscheinlichkeit besteht, die Abbruchverpflichtung werde nicht realisiert. Es muß vielmehr in bezug auf den einzelnen Fall und den Bewertungsgegenstand im Feststellungszeitpunkt konkret voraussehbar sein, daß es trotz der Abbruchverpflichtung nicht zum Abbruch der Gebäude kommen wird (BFHE 146, 174, BStBl II 1986, 449). Konkrete Anhaltspunkte, die die Voraussehbarkeit des Nichtabbruchs i.S. des § 94 Abs. 3 Satz 3 BewG begründen, ergeben sich im Streitfall aus dem tatsächlichen Verhalten der Vertragsbeteiligten.

Der Mietvertrag war 1963 für zunächst 10 Jahre abgeschlossen worden und wurde seit dem 1. Januar 1973 mehrfach ,,stillschweigend um jeweils weitere fünf Jahre" verlängert, ohne daß er - wie es nach dem Mietvertrag möglich gewesen wäre - unter Einhaltung einer sechsmonatigen Frist gekündigt worden wäre. Am 1. Januar 1987 dauerte dieser Zustand der stillschweigenden Verlängerung schon 15 Jahre an. Bei dieser tatsächlichen Übung bestand mehr als eine gewisse Wahrscheinlichkeit, daß die Abbruchverpflichtung der Klägerin nicht oder zumindest nicht innerhalb der üblichen Lebensdauer (§ 86 Abs. 3 BewG) der errichteten Anlagen realisiert werden würde (vgl. das BFH-Urteil in BFHE 162, 378, BStBl II 1991, 61).

 

Fundstellen

Haufe-Index 418775

BFH/NV 1993, 86

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