Leitsatz (amtlich)

Kommt ein Beteiligter der Auflage eines Aufklärungsbeschlusses zur Vorlegung einer Urkunde pflichtwidrig nicht nach, so bestehen revisionsrechtlich keine Bedenken gegen die auf dieses Verhalten gestützte Feststellung, daß der vom Gegner behauptete Inhalt der Urkunde wahr sei.

 

Normenkette

FGO § 76 Abs. 1 S. 3, § 96 Abs. 1; AO §§ 171, 217; AO a.F. § 171 Abs. 2, § 207 Abs. 207, §§ 217, 244, 277

 

Tatbestand

Die Rechtsvorgängerin der Klägerin und Revisionsklägerin (Antragstellerin) ist ein Vertriebsunternehmen auf dem Gebiet des Filmverleihs. Ihre Tätigkeit erstreckt sich auf das In- und Ausland. In der Zeit vom 1. Januar 1959 bis 31. Mai 1960 übertrug sie nach den Feststellungen des FG Aufführungs- und Verwertungsrechte an deutschen Spielfilmen in eigenem Namen an ausländische Verleihfirmen und verkaufte mit dem Abschluß dieser Lizenzverträge auch das nötige Filmmaterial an die ausländischen Lizenznehmer. In dem genannten Zeitraum lieferte die Rechtsvorgängerin der Antragstellerin auf Grund solcher Kaufverträge:

a) sogenannte Lavendel-Kopien und Dup-Negative im Werte von ... DM,

b) Kopien von Farbfilmen im Werte von ... DM. Für die Lieferung nach a) erhielt sie auf ihren Antrag Ausfuhrvergütung in Höhe von ... DM, für die Lieferungen nach b) Ausfuhrhändlervergütung in Höhe von ... DM.

Nach einer Umsatzsteuervergütungsprüfung forderte das FA mit Bescheid vom 12. Oktober 1961 diese Beträge, also insgesamt ... DM, zurück. Dabei ließ es sich von folgenden Auffassungen leiten: Die Lieferung der Dup-Negative und der Lavendel-Kopien sei lediglich eine Nebenleistung im Rahmen des Verleihvertrages und sei als solche umsatzsteuerrechtlich wie die Hauptleistung zu behandeln. Diese, nämlich die Lizenzübertragung, sei eine "sonstige Leistung" im Sinne des § 1 Nr. 1 UStG. Die Gewährung einer Vergütung habe aber nach § 70 Abs. 1 Nr. 1, § 77 Abs. 1 Nr. 1, § 23 UStDB 1951 eine Ausfuhrlieferung zur Voraussetzung. Der gesamte Umsatz sei deshalb nicht vergütungsfähig. Bei den Lieferungen der Farbfilmkopien sei vergütungsrechtlich der Umstand schädlich gewesen, daß die Rechtsvorgängerin der Steuerpflichtigen den im Inland erworbenen Kopien Start- und Endbänder angefügt habe. Damit sei die Nämlichkeit zwischen dem erworbenen und dem verkauften Material nicht mehr gegeben gewesen (§ 70 Abs. 2 Nr. 2 UStDB 1951; Hinweis auf das Urteil des BFH V 29/59 U vom 18. Mai 1961, BFH 73, 159, BStBl III 1961, 325).

Die Antragstellerin anerkannte die Rückforderung in Höhe von ... DM; im übrigen legte sie Einspruch ein und erhob nach Erfolglosigkeit dieses Rechtsbehelfs Berufung (jetzt Klage). Vor dem FG machte sie vor allem geltend: Ihre Rechtsvorgängerin habe die Filmlizenzen stets in fremdem Namen und für fremde Rechnung - im allgemeinen für den Filmproduzenten - an den ausländischen Lizenznehmer übertragen. Die Dup-Negative, die Lavendel-Kopien und die Farbfilm-Kopien dagegen habe sie in eigenem Namen verkauft. Es hätten deshalb stets zwei getrennte Rechtsgeschäfte vorgelegen. Die Anfügung der Start- und Endbänder bei den Farbkopien sei keine schädliche Bearbeitung. Diese Zutaten hätten nur den Zweck, Beschädigungen der Perforation des Farbfilms beim An- und Auslaufen in der Vorführmaschine zu verhüten. Sie seien keine wesentlichen Bestandteile des Films und hätten auf dessen Marktgängigkeit keinen Einfluß.

Das FG erließ zunächst am 20. Januar 1964 einen Aufklärungsbeschluß. Damit verlangte es von der Antragstellerin zum Nachweis der Behauptung, die Filmlizenzen seien nicht von ihrer Rechtsvorgängerin, sondern lediglich durch deren Vermittlung von Dritten übertragen worden, die Vorlage sämtlicher einschlägiger Verträge. Die Antragstellerin kam dieser Auflage, auch nachdem ihr mit einem Mahnschreiben vom 8. Mai 1964 eine Frist bis 30. Mai 1964 gesetzt worden war, nicht nach.

Das FG hat die Berufung (Klage) als unbegründet zurückgewiesen und dazu ausgeführt: Der Antragstellerin müsse zugestanden werden, daß die Lieferungen der Rechtsvorgängerin vergütungsfähig wären, wenn die damit im Zusammenhang durchgeführten Übertragungen von Aufführungs- und Verwertungsrechten im Namen und für Rechnung Dritter ausgeführt worden wären, die Rechtsvorgängerin also insoweit lediglich als Agentin tätig geworden wäre. Die Antragstellerin sei aber dem Aufklärungsbeschluß zuwider ihrer Nachweispflicht nicht nachgekommen. Das Gericht habe aus diesem Verhalten die Überzeugung gewonnen, daß ihr der Nachweis der entsprechenden Klagebehauptungen nicht möglich gewesen sei und daß die Rechtsvorgängerin der Antragstellerin die mit den Lieferungsverträgen gekoppelten Lizenzverträge im eigenen Namen abgeschlossen habe. Das von der Antragstellerin schon mit der Klage vorgelegte Vertragsformular für Filmverleihverträge, nach dem die Übertragung der Aufführungs- und Verwertungsrechte namens eines Dritten und die Lieferung von Filmmaterial im eigenen Namen der Antragstellerin vorgesehen sei, führe zu keiner anderen Feststellung. Denn bei diesem Muster handle es sich nicht um ein Formblatt der Rechtsvorgängerin, sondern um ein solches der Antragstellerin. Aus ihm sei also nichts über die Vertragsgestaltung in den dem Rechtsstreit zugrunde liegenden Umsatzgeschäften zu entnehmen. Die Lieferung der Dup-Negative und der Lavendel-Kopien, wie auch die Lieferung der Farbfilmkopien seien daher als Nebenleistungen zu der jeweiligen Lizenzübertragung zu beurteilen. Nach der Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs (RFH) und BFH (vgl. das Urteil V 245/56 S vom 31. Januar 1957, BFH 64, 245, BStBl III 1957, 93, und die dort angeführte weitere Rechtsprechung) lägen deshalb keine vergütungsfähigen Rechtsgeschäfte vor. Auf die Frage der Nämlichkeit bei den Farbfilmkopien komme es unter diesen Umständen nicht mehr an.

Gegen diese Entscheidung hat die Antragstellerin Rechtsbeschwerde eingelegt.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Das Rechtsmittel, das seit dem Inkrafttreten der FGO am 1. Januar 1966 als Revision zu behandeln ist, ist nicht begründet.

Der Senat hält an der vom FG herangezogenen Rechtsprechung des RFH und des BFH weiterhin fest. Er geht deshalb mit dem FG davon aus, daß Umsätze aus Verleihverträgen in der vom FG festgestellten Art auch dann einheitlich als "sonstige Leistungen" beurteilt werden müssen, wenn die Überlassung von Filmmaterial inbegriffen ist. Die Revision könnte daher nur dann Erfolg haben, wenn die tatsächliche Feststellung des FG, die Kaufverträge über das Filmmaterial seien Bestandteil der jeweiligen Lizenzverträge gewesen, auf revisionsrechtlich beachtlichen Rechtsfehlern beruhte. Solche Mängel ergeben sich aber weder unmittelbar aus dem Urteil noch mittelbar aus dem Revisionsvorbringen.

Das Urteil enthält allerdings nach seinem Wortlaut einen Widerspruch, der aber bei verständiger Würdigung der Gründe keinen Anlaß zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung gibt. Unter den in der Urteilsbegründung vorangestellten unbestrittenen Tatsachen findet sich nämlich die vom Ergebnis der tatsächlichen Untersuchungen abweichende Darstellung, die Rechtsvorgängerin der Antragstellerin habe die Übertragung der Filmlizenzen an ausländische Verleiher "als Bevollmächtigte inländischer Firmen" durchgeführt. Aus den späteren Ausführungen ergibt sich aber eindeutig, daß das FG mit dieser Aussage seine Überzeugung nicht wiedergegeben hat. Denn dort wird klar herausgestellt, daß die Frage, ob die Antragstellerin als Bevollmächtigte oder ob sie im eigenen Namen und für eigene Rechnung gehandelt habe, bestritten sei und daß das FG diese Frage sogar als das zentrale Problem des Rechtsstreits betrachte. Außerdem wird in ausführlichen Erörterungen dargelegt, daß das FG seine Überzeugung nach der zweiten Alternative gebildet hat. Das Urteil läßt somit keinen Zweifel darüber aufkommen, von welcher der beiden einander widersprechenden Tatsachen das FG in Wahrheit überzeugt war. Es ist vielmehr offenkundig, daß die im Eingang der Urteilsgründe gegebene Darstellung, die Rechtsvorgängerin der Antragstellerin habe als Bevollmächtigte gehandelt, auf einem redaktionellen Versehen beruhen muß. Diese Darstellung ist daher unbeachtlich.

Die Überzeugungsbildung des FG ist frei von denkgesetzlichen Fehlern. Im Gegensatz zu der in der Revisionsbegründung vorgetragenen Meinung kann die Ablehnung des vorgelegten Vertragsmusters als Beweismittel nicht beanstandet werden. Das FG hat zutreffend darauf hingewiesen, dieses Muster trage die Firmenaufschrift der Antragstellerin und lasse daher keine Schlüsse auf die strittigen Verträge zu, die die Rechtsvor gängerin abgeschlossen habe. Der Hinweis auf die Firmenaufschrift widerlegt auch die Rechtsbehauptung der Antragstellerin, die Feststellung des FG, das Formular entstamme einer späteren Zeit, sei eine bloße "Vermutung".

Schließlich beruht auch der weitere tatsächliche Ausgangspunkt des FG, die Rechtsvorgängerin der Antragstellerin habe die Filmlizenzen im eigenen Namen übertragen, im Gegensatz zur Meinung der Antragstellerin nicht auf einer bloßen Vermutung, sondern - wie das Gericht ausdrücklich dargelegt hat - auf dessen Überzeugung. Die Bildung dieser Überzeugung durch Schlußfolgerungen aus der pflichtwidrigen Untätigkeit der Antragstellerin gegenüber dem Aufklärungsbeschluß können revisionsrechtlich nicht beanstandet werden, da sie denkgesetzlich und nach Erfahrungssätzen möglich sind, nicht auf einem Verstoß gegen den klaren Inhalt der Akten beruhen und weil ferner von der Antragstellerin Verfahrensverstöße nicht gerügt wurden (§§ 288, 290 Abs. 1 AO a. F.; § 120 Abs. 2 FGO). Außerdem ist darauf hinzuweisen, daß das FG nach den zur Zeit seiner Entscheidung geltenden Verfahrensvorschriften der AO a. F. - wie übrigens auch nach dem neuen Recht der FGO - die von der Antragstellerin angegriffene Feststellung nach bloßen Wahrscheinlichkeits gesichtspunkten treffen konnte, das Fehlen einer vollen Überzeugung also nicht als Rechtsfehler gerügt werden könnte. Denn nach den §§ 277, 244, 207, 171 Abs. 2, 217 Abs. 2 AO a. F. war das FG befugt, von der Antragstellerin die Vorlage von Urkunden, die für die Festsetzung der Steuer von Bedeutung sind, zu verlangen und im Falle der Verweigerung die Besteuerungsgrundlagen zu schätzen. Die FGO trifft die gleiche Regelung, indem sie in § 76 Abs. 1 Satz 3 die sinngemäße Anwendung des § 171 AO und in § 96 Abs. 1 die Anwendung des § 217 AO zuläßt. Aus diesen Erwägungen kann die Feststellung des FG, die Antragstellerin habe die Lizenzverträge ebenso im eigenen Namen abgeschlossen wie die damit verbundenen Materiallieferungsverträge, aus Rechtsgründen nicht beanstandet werden.

Demgegenüber kann sich die Antragstellerin in der Revision nicht auf die beständige Übung der Geschäftsabwicklung im Filmverleih berufen. Solche Gepflogenheiten auf einem speziellen Handelsgebiet sind weder in Erfahrungssätze eingegangen, noch sind sie gerichtsbekannt. Die Antragstellerin konnte deshalb nicht erwarten, daß sie das FG seiner Entscheidung aufgrund bloßer Behauptungen ohne Beweisaufnahme zugrunde legt. Mit dem durch die Vorlage eines Vertragsformulars und zweier Musterverträge anderer Vertriebsfirmen unterstützten Vorbringen, daß die Exportfirmen die Filmlizenzen üblicherweise von den Produzenten nicht erwerben und schon deshalb die Weiterübertragung an die ausländischen Kunden im eigenen Namen nicht möglich sei, kann die Antragstellerin im Revisionsverfahren nicht mehr gehört werden. Denn bei diesem Vortrag handelt es sich um eine neue, beweisbedürftige Tatsache, auf die die Revision nicht gestützt werden konnte (§ 288 AO a. F.) und auch nach neuem Recht nicht gestützt werden kann (§ 118 Abs. 1 FGO).

 

Fundstellen

Haufe-Index 68591

BStBl II 1969, 531

BFHE 1969, 13

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