Leitsatz (amtlich)

Es steht im pflichtmäßigen Ermessen des FG, ob es zur Frage der Beschaffenheit einer Warenprobe das Gutachten eines Sachverständigen einholt. Bei Vorliegen von Zeugnissen einer ZPLA über die Untersuchung von Proben stellt die Weigerung des FG, gemäß dem Antrag des Steuerpflichtigen ein zusätzliches Gutachten eines nicht der Verwaltung angehörenden Sachverständigen einzuholen, dann keinen Ermessensfehlgebrauch dar, wenn das FG nach den Umständen keinen Anlaß hatte, an der Zuverlässigkeit der Untersuchungszeugnisse der ZPLA zu zweifeln.

 

Normenkette

FGO § 76

 

Gründe

... Aus dem Zusammenhang der Revisionsbegründung ist zu entnehmen, daß die Klägerin im Ergebnis die Verletzung des § 76 FGO (amtliche Ermittlungspflicht) rügen wollte. Diese Rüge ist jedoch nicht begründet.

Nach § 76 Abs. 1 FGO erforscht das Gericht den Sachverhalt von Amts wegen. Es ist dabei an das Vorbringen und an die Beweisanträge der Beteiligten nicht gebunden. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH ist diese Bestimmung dahin auszulegen, daß die Tatsacheninstanz gehalten ist, erforderlichenfalls unter Ausnutzung aller verfügbaren Beweismittel den Sachverhalt so vollständig wie möglich aufzuklären; sie darf daher auf die Vernehmung eines von einem Beteiligten benannten Zeugen im Regelfall nur verzichten, wenn es die Richtigkeit der durch den Zeugen zu bekundenden Tatsache zugunsten der betreffenden Partei unterstellt, der Zeuge nicht erreichbar oder die Tatsache rechtsunerheblich ist (vgl. Urteile vom 13. August 1969 II 213/65, BFHE 98, 210, BStBl II 1970, 338, mit weiteren Nachweisen; vom 1. Dezember 1967 VI 379/65, BFHE 90, 485, BStBl II 1968, 145). Die Tatsacheninstanz kann also den Antrag auf Vernehmung eines Zeugen nicht mit der Begründung ablehnen, das Gegenteil der vom Zeugen zu bekundenden Tatsache sei bereits erwiesen; denn darin läge eine unzulässige vorweggenommene Würdigung eines nichterhobenen Beweises (vgl. Urteil des BGH vom 4. Juni 1956 III ZR 238/54, NJW 1956, 1480; Urteil des BVerwG vom 31. Oktober 1968 VIII C 75.67, Deutsches Verwaltungsblatt 1970 S. 464).

Die Grundsätze dieser Rechtsprechung - die allein zur Frage der Zeugenvernehmung ergangen ist - gelten jedoch nicht uneingeschränkt für die Entscheidung der Frage, ob die Tatsacheninstanz zur Einholung eines beantragten Sachverständigengutachtens verpflichtet ist (so Beschluß des BVerwG vom 14. April 1970 IV B 201.69, Bayerische Verwaltungsblätter 1971 S. 199). Der Zeuge bekundet sein Wissen über bestimmte Tatsachen; es liegt auf der Hand, daß die Tatsacheninstanz diese Tatsachen erst dann zutreffend beurteilen kann, wenn sie den Zeugen gehört hat. Der Sachverständige ist dagegen Helfer und Berater des Gerichts, der dem Gericht Wissen vermitteln soll, soweit dazu besondere Fachkenntnisse erforderlich sind (vgl. Baumbach/Lauterbach, Zivilprozeßordnung, 34. Aufl., Übersicht vor § 402 Anm. 1 und 2). Schon aus diesem Unterschied ergibt sich, daß die Tatsacheninstanz bei der Beurteilung der Frage, ob die Hinzuziehung eines Sachverständigen entsprechend dem Antrag einer Partei notwendig ist, eine größere Freiheit hat, d. h. ihr nicht nur die Wahl bleibt, entweder den Sachverständigen wie beantragt hinzuzuziehen oder aber in ihrem Urteil von der Richtigkeit der Behauptung der Partei auszugehen, die diese unter Zuhilfenahme des Sachverständigen beweisen möchte. Es steht vielmehr grundsätzlich im pflichtgemäßen Ermessen des Tatrichters, ob er zu einer technischen Streitfrage ein Gutachten eines Sachverständigen einholt oder nicht (vgl. BGH-Urteil vom 18. Februar 1975 X ZR 24/74, BGHZ 64, 86, 100; BVerwG-Urteil vom 15. April 1964 V C 45.63, BVerwGE 18, 216).

Im vorliegenden Fall hat das FG von diesem seinem Ermessen keinen falschen Gebrauch gemacht. Ihm lagen zwei Untersuchungszeugnisse der Zolltechnischen Prüfungs- und Lehranstalt - ZPLA - vom 16. Oktober 1968 und vom 27. Mai 1971 vor, wonach die der eingeführten Ware entnommene Probe einen Milchfettgehalt von 26,9 bzw. 26,1 GHT aufwies. Diese Untersuchungen sind, wie sich aus der Vorentscheidung ergibt, nach dem im Anhang V der VO (EWG) 83/67 beschriebenen Verfahren durchgeführt worden. Unter diesen Umständen hätte das FG sein Ermessen nur dann fehlerhaft ausgeübt, wenn es Anlaß gehabt hätte, an der Zuverlässigkeit der Untersuchungszeugnisse der ZPLA zu zweifeln. Die Klägerin hat in ihrer Revisionsbegründung auch die Auffassung vertreten, daß das FG einen solchen Anlaß hatte. Dieser Auffassung kann jedoch nicht gefolgt werden.

Das FG war nicht schon deswegen gehindert, sich des Sachverstandes der ZPLA zu bedienen, weil diese Anstalt eine Hilfsstelle der OFD, also Teil der Behörde ist, die der beklagten Behörde vorgesetzt ist. Die ZPLA hat im vorliegenden Fall chemische Untersuchungen von Warenproben nach einem durch Rechtsnorm im einzelnen vorgeschriebenen Verfahren vorgenommen. Der Umstand, daß sie eine Dienststelle der Verwaltung ist, kann daher für sich allein noch nicht die Vermutung begründen, die Untersuchungszeugnisse entbehrten der erforderlichen Objektivität und seien nicht Ausdruck der notwendigen Sachkunde. Das FG war daher nicht von vornherein gehindert, seine Meinung auf der Grundlage der Zeugnisse der ZPLA zu bilden (vgl. auch die zitierten Urteile des BVerwG V C 45.63 und IV B 201.69 sowie vom 17. Oktober 1968 VIII C 48.68, Buchholz, Sammel- und Nachschlagewerk der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts 310, § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 79, die für die Hinzuziehung von amtlichen Sachverständigen zum gleichen Ergebnis gelangten, und das zitierte BGH-Urteil X ZR 24/74, wonach der Tatrichter sich ein genaues Bild von der Sache auch anhand von Privatgutachten der Parteien verschaffen kann und daher nicht gehindert ist, die technischen Streitfragen ohne die Mithilfe eines gerichtlichen Sachverständigen zu entscheiden).

Das FG hatte auch sonst keinen Anlaß, an der Zuverlässigkeit der Untersuchungszeugnisse zu zweifeln. Die Klägerin hatte in ihrer Zollanmeldung den Milchfettgehalt der Ware mit 25 bis 26 GHT angegeben. Die beiden Untersuchungszeugnisse der ZPLA kamen zu einem solchen Gehalt von 26,9 bzw. 26,1 GHT. Die Ergebnisse der Untersuchungen wichen also sowohl voneinander als auch von den Angaben der Klägerin nur um rd. einen Prozentpunkt ab. Von einer "gewaltigen Abweichung", wie die Klägerin meint, kann daher nicht die Rede sein. Die genannte Abweichung kann bei einer Untersuchung von der Art der in Anhang V der VO (EWG) 83/67 vorgeschriebenen nur als geringfügig bezeichnet werden, zumal zwischen beiden Untersuchungen ein Zeitraum von 2 1/2 Jahren lag. Daran ändert auch nichts der Umstand, daß bei der gegebenen Rechtslage wegen des Grenzwerts von 26 GHT bereits geringfügige Änderungen zu einer anderen Tarifierung der eingeführten Ware führen mußten.

Da schon diese Umstände für die Zuverlässigkeit der Zeugnisse der ZPLA sprachen, ist das FG zu Recht den unsubstantiierten Behauptungen der Klägerin, die Untersuchungen der ZPLA seien nachlässig vorgenommen worden, nicht nachgegangen. Entgegen der Auffassung der Klägerin gibt es keinen Erfahrungssatz, daß die Zeugnisse der ZPLA ungenau zu sein pflegen oder die Bediensteten dieser Anstalt als Chemiker oftmals nicht in der Lage seien, Produkte richtig zu beurteilen und deshalb unbewußt Fehler bei der Untersuchung machten. Auch die von der Klägerin behauptete starke Fehleranfälligkeit der angewandten Untersuchungsmethode begründet keine tatsächliche Vermutung für die Fehlerhaftigkeit der Untersuchung durch die ZPLA. Sie spricht eher für das Gegenteil. Denn daß die Ergebnisse beider Untersuchungen trotz der angeblichen Fehleranfälligkeit der Untersuchungsmethode und des zwischen den Untersuchungen verstrichenen Zeitraums so nahe beieinanderlagen, kann dann nur auf eine sehr genaue Anwendung dieser Methode zurückgeführt werden.

Der Klägerin wird zwar einzuräumen sein, daß bei der Art der vorzunehmenden Untersuchungen das Ergebnis mehrerer Untersuchungen derselben Probe stets eine gewisse Schwankungsbreite aufweisen wird. Das wäre aber auch bei einer neuerlichen Untersuchung der Rückstellprobe durch einen "neutralen" Sachverständigen selbst dann zu erwarten gewesen, wenn die Probe trotz der inzwischen verflossenen Zeit sich noch für eine solche Untersuchung geeignet hätte. Auch deswegen kann in der Weigerung des FG, eine solche neuerliche Untersuchung anzuordnen, ein Ermessensfehlgebrauch nicht gesehen werden.

Nach allem ist die Feststellung des FG, daß der Milchfettgehalt der untersuchten Probe und damit der gesamten eingeführten Warensendung (§ 17 Abs. 1 Satz 2 ZG) über 26 GHT lag, nicht fehlerhaft zustande gekommen. Der erkennende Senat ist daher daran gebunden (§ 118 Abs. 2 FGO). Die Ware ist zu Recht in dem angefochtenen Steuerbescheid der Tarifst. 18.06-D-II-c-2 GZT zugeordnet und den in der VO(EWG) 160/66 vorgesehenen Abgaben unterworfen worden.

An diesem Ergebnis vermag auch nichts der Umstand zu ändern, daß durch die VO(EWG) 1061/69 die anzuwendende Analysenmethode der VO(EWG) 83/67 durch Hinzufügung eines Abzugsfaktors von 1,2 geändert worden ist und die eingeführte Ware, würde ihr Milchfettgehalt nach der geänderten Methode bestimmt werden, einen solchen Gehalt von weniger als 26 GHT aufweisen würde. Die VO(EWG) 1061/69 ist nach ihrem Art. 5 erst am 1. Juli 1969, also zeitlich nach den hier streitigen Einfuhren, in Kraft getreten. Schon das Gebot der Gleichbehandlung steht ihrer rückwirkenden Anwendung auf die vorliegenden Einfuhren entgegen. Das gleiche gilt für die am 1. Mai 1974 in Kraft getretene VO(EWG) 924/74 der Kommission vom 10. April 1974 (ABlEG Nr. L 111 vom 24. April 1974, S. 1, BZBl 1974, 594), welche die Anwendung noch einer weiteren Analysenmethode zugelassen hat. Zwar deuten die Regelungen der VO(EWG) 1061/69 und 924/74 auf gewisse Mängel des durch die VO(EWG) 83/67 vorgeschriebenen Verfahrens hin. Diese Mängel berechtigen aber nicht dazu, Anhang V der VO(EWG) 83/67 etwa so auszulegen, daß er sinngemäß bereits die Bestimmungen enthält, die erst durch die Änderungen der VO(EWG) 1061/69 und 924/74 eingefügt worden sind.

 

Fundstellen

Haufe-Index 72242

BStBl II 1977, 310

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