Entscheidungsstichwort (Thema)

Notwendige Beiladung zerstrittener Miterben zur Ausübung des Veranlagungswahlrechts des Erblassers; nachträgliche Veränderung der Veräußerungskosten

 

Leitsatz (NV)

1. Die Erben können das Wahlrecht nach §26 EStG (Zusammenveranlagung) für den verstorbenen Ehegatten nur einheitlich ausüben. Sind sie über die Ausübung des Wahlrechts uneinig, so sind sie an dem Verfahren betreffend die Festsetzung der Einkommensteuer für den Verstorbenen derart beteiligt, daß die Entscheidung ihnen gegenüber nur einheitlich ergehen kann. Sie sind beizuladen.

2. Auch nachträgliche Minderungen oder Erhöhungen der Veräußerungskosten müssen abweichend vom Prinzip der Abschnittsbesteuerung und vom bilanziellen Stichtagsprinzip im Zeitpunkt der Realisierung des Veräußerungsgewinns berücksichtigt werden. Denn die Höhe des tatsächlich erzielten Veräußerungsgewinns hängt auch von der Höhe der angefallenen Veräußerungskosten ab.

3. Zu den Veräußerungskosten rechnen auch vom Veräußerer getragene Anwalts- und Gerichtskosten bei Streitigkeiten über den Veräußerungsvorgang, den Veräußerungspreis und den Wert des veräußerten Betriebsvermögens.

 

Normenkette

FGO § 60 Abs. 3, § 123 S. 1; EStG § 16 Abs. 2, § 26

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist die Witwe des im Dezember 1981 gestorbenen M. Sie und die beigeladenen Geschwister des Verstorbenen sind Miterben nach diesem; die Erbengemeinschaft ist noch nicht auseinandergesetzt. Die weitere Miterbin R, eine Schwester des Verstorbenen, ist während des Klageverfahrens gestorben.

M hatte bis 12. Januar 1981 auf einem ihm gehörenden Grundstück eine Gastwirtschaft betrieben. Am 13. Januar 1981 hatte er das Grundstück veräußert.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt -- FA --) veranlagte die Klägerin und M für das Streitjahr 1981 getrennt zur Einkommensteuer. In dem gegenüber M erlassenen Bescheid vom 9. Dezember 1986 setzte er den Veräußerungsgewinn mit ... DM an. Der Einspruch gegen den Bescheid, mit dem die Klägerin die Zusammenveranlagung und die Herabsetzung des Veräußerungsgewinns begehrte, hatte nur insoweit Erfolg, als das FA den Veräußerungsgewinn mit ... DM ansetzte.

Im Einkommensteueränderungsbescheid für 1981 vom 1. März 1994 erfaßte das FA den Veräußerungsgewinn mit ... DM.

Das Finanzgericht (FG) hat der Klage nur hinsichtlich der begehrten Zusammenveranlagung stattgegeben und die Einkommensteuerfestsetzung für 1981 entsprechend geändert. Es führt im wesentlichen aus, die miterbenden Beigeladenen hätten sich zur Frage der Veranlagungsart nicht geäußert. Selbst wenn man die Äußerung eines der Beigeladenen, er wolle seiner Schwägerin nicht mehr den geringsten Vorteil zukommen lassen, als Antrag auf getrennte Veranlagung auffassen würde, wäre ein solcher Antrag willkürlich und damit unbeachtlich. Das FA habe den Veräußerungsgewinn im Einkommensteuerbescheid vom 1. März 1994 zutreffend entsprechend dem Beschluß des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 19. Juli 1993 GrS 2/92 (BFHE 172, 66, BStBl II 1993, 897) angesetzt. Unberücksichtigt müsse der Abzug diverser 1987 und später entstandener Anwalts- und Gerichtskosten bleiben; auf diese Kosten der Rechtsverfolgung zur Erlangung der Gegenleistung finde der BFH-Beschluß in BFHE 172, 66, BStBl II 1993, 897 keine Anwendung.

Mit der Revision rügt die Klägerin sinngemäß Verletzung des §16 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG).

Sie trägt im wesentlichen vor, das FG habe zu Unrecht die von ihr geltend gemachten Aufwendungen nicht als Veräußerungskosten berücksichtigt.

Die Klägerin beantragt -- teilweise sinngemäß --, die Vorentscheidung, den Einkommensteuerbescheid vom 1. März 1994, die Einspruchsentscheidung vom 14. September 1987 und den Einkommensteuerbescheid vom 9. Dezember 1986 aufzuheben und das FA zu verpflichten, die Einkommensteuer für 1981 neu zu berechnen und unter Berücksichtigung eines Veräußerungsgewinns von ... DM und unter Anwendung des Ehegatten-Splittingtarifs, außerdem, die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig zu erklären.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Die Beigeladenen sind im Revisionsverfahren nicht vertreten.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --).

Die Vorentscheidung ist aus verfahrensrechtlichen Gründen aufzuheben, weil das FG die notwendige Beiladung der Erben nach der 1992 verstorbenen Miterbin R unterlassen hat.

Im Ergebnis zutreffend ist das FG in seinem Beiladungsbeschluß vom 27. März 1995 davon ausgegangen, daß die Miterben nach M gemäß §60 Abs. 3 FGO beizuladen sind. Die notwendige Beiladung ist allerdings nicht allein deshalb erforderlich, weil die Miterben Gesamtrechtsnachfolger des Erblassers mit der Folge der Gesamtschuldnerschaft für dessen Steuerschulden sind (vgl. Senatsurteil vom 12. Februar 1992 XI R 21/90, BFH/NV 1992, 516). Im vorliegenden Fall sind die Miterben vielmehr deshalb beizuladen, weil hinsichtlich der Ausübung des Wahlrechts zwischen getrennter Veranlagung und Zusammenveranlagung zwischen ihnen und der Klägerin widerstreitende Interessen bestehen. Das Wahlrecht nach §26 EStG geht beim Tode eines Ehegatten auf dessen Erben über (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Urteil vom 15. Oktober 1964 VI 175/63 U, BFHE 81, 236, BStBl III 1965, 86). Die Erben können das Wahlrecht für den verstorbenen Ehegatten nur einheitlich ausüben. Sind sie -- wie im Streitfall -- über die Ausübung des Wahlrechts uneinig, so sind sie an dem Verfahren betreffend die Festsetzung der Einkommensteuer für den Verstorbenen derart beteiligt, daß die Entscheidung ihnen gegenüber nur einheitlich ergehen kann.

Da an die Stelle der verstorbenen Miterbin R deren Erben als Gesamtrechtsnachfolger getreten sind, sind diese gemäß §60 Abs. 3 FGO beizuladen.

Die unterbliebene notwendige Beiladung stellt einen von Amts wegen zu beachtenden Verstoß gegen die Grundordnung des Verfahrens dar. Sie kann im Revisionsverfahren nicht nachgeholt werden (§123 Satz 1 FGO).

Aus Gründen der Förderung des Verfahrens weist der Senat auf folgendes hin:

Aus den beiden Entscheidungen des Großen Senats des BFH in BFHE 172, 66, BStBl II 1993, 897 und vom 19. Juli 1993 GrS 1/92 (BFHE 172, 80, BStBl II 1993, 894) ergibt sich, daß auch nachträgliche Minderungen oder Erhöhungen der Veräußerungskosten abweichend vom Prinzip der Abschnittsbesteuerung und vom bilanziellen Stichtagsprinzip im Zeitpunkt der Realisierung des Veräußerungsgewinns berücksichtigt werden müssen; denn die Höhe des tatsächlich erzielten Veräußerungsgewinns hängt auch von der Höhe der angefallenen Veräußerungskosten ab (vgl. Groh, Der Betrieb -- DB -- 1995, 2235/8; Schmidt, Einkommensteuergesetz, 16. Aufl., §16 Rz. 362; Reiß in Kirchhof/Söhn, Einkommensteuergesetz, §16 Rz. E 92).

Veräußerungskosten sind Aufwendungen, die in unmittelbarer sachlicher Beziehung zum Veräußerungsvorgang stehen (vgl. BFH-Urteil vom 6. Oktober 1993 I R 97/92, BFHE 173, 47, BStBl II 1994, 287). Dazu rechnen auch vom Veräußerer getragene Anwalts- und Gerichtskosten bei Streitigkeiten über den Veräußerungsvorgang, den Veräußerungspreis und den Wert des veräußerten Betriebsvermögens (vgl. zum Betriebsvermögen BFH-Urteil vom 10. November 1988 IV R 70/86, BFH/NV 1990, 31, unter 2. b, bb).

Die vom Großen Senat des BFH in den beiden genannten Entscheidungen entwickelten Rechtsgrundsätze sind auf die Besteuerung des Gewinns aus der Aufgabe eines Betriebs (§16 Abs. 3 EStG) -- wie sie im Streitfall vorliegt -- anzuwenden (BFH-Urteil vom 10. Februar 1994 IV R 37/92, BFHE 174, 140, BStBl II 1994, 564).

Bei der erneuten Entscheidung wird das FG zu beachten haben, daß die auf die Zusammenveranlagung gerichtete Klage eine Verpflichtungsklage ist, über die durch ein entsprechendes Urteil zu entscheiden ist (§101 Satz 1 FGO, vgl. BFH-Urteil vom 18. November 1977 VI R 71/75, BFHE 124, 169, BStBl II 1978, 215).

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens wird gemäß §143 Abs. 2 FGO dem FG übertragen. Dieses hat auch darüber zu entscheiden, ob die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren notwendig war (vgl. BFH-Beschluß vom 18. Juli 1967 GrS 5--7/66, BFHE 90, 150, BStBl II 1968, 56).

 

Fundstellen

Haufe-Index 66702

BFH/NV 1998, 701

DStRE 1998, 563

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