Entscheidungsstichwort (Thema)

Änderung der Art- und Wertfeststellung (Ein- statt Zweifamilienhaus)

 

Leitsatz (NV)

1. Die Änderungsbefugnis auf Grund von § 173 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. § 181 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 gilt auch für Artfeststellungen.

2. § 173 AO 1977 setzt für die Zulässigkeit der Änderung voraus, daß die Unkenntnis von Tatsachen für die ursprüngliche Veranlagung ursächlich gewesen ist.

3. Es ist grundsätzlich davon auszugehen, daß das FA bei Kenntnis der Tatsachen die dem Sachverhalt entsprechende zutreffende Entscheidung erlassen hätte; hierbei ist im Einzelfall auf das Gesetz (Auslegung nach der damaligen BFH-Rechtsprechung) und auf die seinerzeitigen Verwaltungsanweisungen abzustellen.

 

Normenkette

AO 1977 § 173 Abs. 1 Nr. 1, § 181 Abs. 1 S. 1; BewG § 19 Abs. 3 Nr. 1 Buchst. a

 

Verfahrensgang

FG Rheinland-Pfalz

 

Tatbestand

Die Kl. sind je zur Hälfte Miteigentümer eines 700 qm großen Grundstückes, auf dem sie im Jahre 1981 ein Wohngebäude mit einer Wohnfläche von 173 qm errichteten. Das Gebäude enthält keine gegeneinander abgeschlossenen Raumeinheiten.

Im Wege der Art- und Wertfortschreibung auf den 1. Januar 1982 stellte das FA durch Bescheid vom 27. November 1981 die Grundstücksart Zweifamilienhaus und den Einheitswert auf 56 200 DM fest. Bei der Unterzeichnung des Eingabewertbogens am 21. September 1981 lagen dem FA u. a. vor: 1. die Grundrisse von Erdgeschoß und Dachgeschoß vom Februar 1980; 2. der Anerkennungsbescheid vom 20. Juli 1981, der zwei Wohnungen, und zwar eine Wohnung im Erdgeschoß und Dachgeschoß mit einer Wohnfläche von 131,57 qm und eine Wohnung im Dachgeschoß von 41,84 qm als steuerbegünstigt anerkannte; dieser Bescheid gab den Kl. auf, durch Vorlage einer Meldebescheinigung nachzuweisen, daß die Einliegerwohnung vermietet sei; 3. die Erklärung zur Feststellung des Einheitswerts auf den 1. Januar 1982 vom 10. September 1981, in der die Kl. die Wohnräume des Erdgeschosses als ,,Eigengenutzt" (,,E") bezeichneten und für die Wohnräume des Dachgeschosses eine Jahresrohmiete von 2 640 DM bei Übernahme der Schönheitsreparaturen durch den ,,Mieter" (,,M") angaben.

Mit Schreiben vom 8. August 1981 teilte der Kl. der Anerkennungsbehörde mit, seinem Haushalt seien nur drei Personen zuzuordnen, weil er die Einliegerwohnung an seinen volljährigen Stiefsohn, den am . . . 1962 geborenen X, vermiete. Hiervon abweichend gaben die Kl. in der Anlage V zu den ESt-Erklärungen für 1981, 1982, 1983 und 1984 an, beide Wohnungen würden selbst genutzt.

Im Oktober 1985 wurde die Bewertungsstelle des FA von der Veranlagungsstelle über die Angaben in den ESt-Erklärungen unterrichtet.

Mit gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 geändertem Art- und Wertfeststellungsbescheid auf den 1. Januar 1982 vom 6. März 1986 stellte das FA nunmehr die Grundstücksart Einfamilienhaus und den Einheitswert auf 68 100 DM fest. In der gegenüber beiden Kl. gesondert ergangenen Einspruchsentscheidung führte das FA aus, gegenüber der zunächst vorgetragenen Fremdvermietung im Dachgeschoß stelle die nunmehr bekanntgewordene Eigennutzung eine nachträglich bekanntgewordene Tatsache dar, wobei es im Streitfall auf den weiten Wohnungsbegriff der früheren Rechtsprechung ankomme.

Das FG hat der Klage, mit der die Aufhebung des geänderten Art- und Wertfortschreibungsbescheids vom 6. März 1986 sowie der Einspruchsentscheidung begehrt wird, stattgegeben.

Mit der vom FG zugelassenen Revision beantragt das FA, die Klage unter Aufhebung des angefochtenen Urteils abzuweisen. Es rügt Verletzung von § 176 Abs. 1 Nr. 3 und § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des finanzgerichtlichen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zu anderweitiger Verhandlung und Entscheidung.

1. Das angefochtene Urteil ist aufzuheben, weil das FG unzutreffend die Ursächlichkeit von der Erklärung zur Feststellung des Einheitswerts abweichender tatsächlicher Nutzung des Dachgeschosses allein deshalb verneint hat; denn dem FA seien die für die Beurteilung des Wohngrundstücks nach der Anzahl der Wohnungen unter Berücksichtigung der jüngeren Rechtsprechung des BFH maßgeblichen Kriterien für den Wohnungsbegriff beim Erlaß des ursprünglichen Art- und Wertfortschreibungsbescheids bekannt gewesen.

Nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. § 181 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 sind Bescheide über die gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen u. a. zu ändern, soweit Tatsachen nachträglich bekanntwerden, die zu einer höheren Steuer führen. Daß diese Änderungsbefugnis auch für Artfeststellungen (§ 19 Abs. 3 Nr. 1 Buchst. a BewG) gilt, hat der Senat bereits in seiner Entscheidung vom 16. September 1987 II R 178/85 (BFHE 151, 8, BStBl II 1988, 174) ausgesprochen, auf deren Inhalt insoweit zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen wird. Davon ist das FG auch zutreffend ausgegangen.

§ 173 AO 1977 setzt für die Zulässigkeit der Änderung voraus, daß die Unkenntnis von Tatsachen für die ursprüngliche Veranlagung ursächlich gewesen sein muß, daß also die Steuerfestsetzung bzw. die gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen bei Kenntnis der nachträglich bekanntgewordenen Tatsache im Zeitpunkt des Ergehens des ursprünglichen Bescheids anders als geschehen vorgenommen worden wäre. Die Rechtserheblichkeit einer nachträglich bekanntgewordenen Tatsache ist somit nur dann zu verneinen, wenn das FA auch bei rechtzeitiger Kenntnis der Tatsache schon bei der ursprünglichen Veranlagung bzw. Feststellung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu keiner anderen Entscheidung gekommen wäre (vgl. BFHUrteil vom 6. November 1973 VIII R 12 /71, BFHE 110, 552, BStBl II 1974, 67). Dabei ist grundsätzlich davon auszugehen, daß das FA bei Kenntnis der Tatsache die dem Sachverhalt entsprechende (zutreffende) Entscheidung getroffen hätte (vgl. BFH-Urteil vom 13. April 1972 IV R 27/70, BFHE 105, 445, BStBl II 1972, 648). Diese von der Rechtsprechung zu § 222 Abs.1 Nr. 1 AO entwickelten Grundsätze gelten gleichermaßen für § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977. Wie das FA bei Kenntnis bestimmter Tatsachen einen Sachverhalt in seinem ursprünglichen Bescheid gewürdigt hätte, ist im Einzelfall aufgrund des Gesetzes, wie es nach der damaligen Rechtsprechung des BFH ausgelegt wurde, und der die Finanzbehörden bindenden Verwaltungsanweisungen zu beurteilen, die im Zeitpunkt des ursprünglichen Bescheidserlasses durch das FA gegolten haben (vgl. den Beschluß des Großen Senats des BFH vom 23. November 1987 GrS 1/86, BFHE 151, 495, 501, BStBl II 1988, 180 unter II.2. b).

Im Zeitpunkt des Erlasses des ursprünglichen Art- und Wertfortschreibungsbescheids (27. November 1982) war nach der Rechtsprechung des BFH und den einschlägigen Erlassen der obersten Finanzbehörden der Länder bewertungsrechtlich die Annahme zweier Wohnungen und damit der Grundstücksart Zweifamilienhaus (§ 75 Abs. 6 BewG) auch dann möglich, wenn diese beiden Wohnungen nicht baulich gegeneinander abgeschlossen waren. Es genügte, daß sich die Zusammenfassung mehrerer Räume zu einer Wohnung aus der Lage dieser Räume zueinander, aus ihrer Zweckbestimmung und der dieser Zweckbestimmung entsprechenden tatsächlichen Nutzung zur Führung eines selbständigen Haushalts ergab (vgl. die Darstellung der Rechtsentwicklung im BFH-Urteil vom 5. Oktober 1984 III R 192/83, BFHE 142, 505, BStBl II 1985, 151, und Gürsching / Stenger, Kommentar zum Bewertungsgesetz und Vermögensteuergesetz, 8. Aufl., § 75 BewG Anm. 29 und 51 ff.).

Zwar war dem FA bei Erlaß des ursprünglichen Art- und Wertfortschreibungsbescheids vom 27. November 1981 bekannt, daß die ,,Einliegerwohnung" im Dachgeschoß gegenüber der Hauptwohnung nicht baulich abgeschlossen war. Es konnte aber aufgrund der ihm vorliegenden Unterlagen, insbesondere der Erklärung der Kl., daß die Dachgeschoßräume zu einer genau bezifferten Jahresrohmiete vermietet seien, zu dem Schluß gelangen, daß im Sinne der damaligen Rechtsprechung das Wohngrundstück zwei Wohnungen enthalte, in denen jeweils ein selbständiger Haushalt geführt würde. Dementsprechend kann der später bekanntgewordenen Tatsache, daß die Dachgeschoßräume nicht aufgrund Vermietung zur Führung eines selbständigen Haushalts genutzt werden, Rechtserheblichkeit zukommen.

2. Die Sache ist nicht spruchreif. Das FG hat aufgrund seines Rechtsstandpunkts zutreffend keine Feststellungen darüber getroffen, in welcher Weise die ,,Einliegerwohnung" am Feststellungsstichtag (1. Januar 1982) genutzt wurde. Die Sache ist deshalb an das FG zurückzuverweisen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 416480

BFH/NV 1990, 415

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