Entscheidungsstichwort (Thema)

Haftungsbescheid - inhaltliche Bestimmtheit

 

Leitsatz (NV)

Ein gegen den Geschäftsführer einer GmbH erlassener Lohnsteuerhaftungsbescheid ist i.d.R. auch dann inhaltlich bestimmt, wenn er keine Aufgliederung des Haftungsbetrages nach Lohnsteueranmeldungszeiträumen enthält.

 

Normenkette

AO § 97 Abs. 2, § 211

 

Verfahrensgang

FG Köln

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) war alleiniger Geschäftsführer einer GmbH, die im Januar 1976 ihren Betrieb einstellte und im September 1976 wegen Vermögenslosigkeit im Handelsregister gelöscht wurde. Die GmbH gab durch ihren Steuerberater für die Monate August 1974 bis Januar 1975 Lohnsteueranmeldungen ab, führte die angemeldeten Beträge jedoch nicht ab. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) nahm den Kläger mit Bescheid vom 15. Dezember 1976 als Haftenden für die Steuern der GmbH (Lohnsteuer, Kirchensteuer, Säumniszuschläge, jeweils für den Zeitraum August bis Dezember 1974 und Januar 1975, Ergänzungsabgabe August 1974) in Höhe von insgesamt 15 000 DM in Anspruch.

Zur Begründung gab das FA an, daß die nicht rechtzeitige Abführung der Lohnsteuer ein schuldhaftes Verhalten des Klägers als Geschäftsführer darstelle, weil die einbehaltene Lohnsteuer aus Mitteln der Arbeitnehmer stamme und vom Arbeitgeber nur treuhänderisch verwaltet werde.

Der Einspruch des Klägers blieb erfolglos.

Das Finanzgericht (FG) hielt die Klage aus folgenden Erwägungen für begründet (Urteil vom 28. September 1982 II (X) 59/80 L, Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 1982, 256): Der angefochtene Haftungsbescheid sei inhaltlich nicht genügend bestimmt. § 211 Abs. 1 Satz 1 der Reichsabgabenordnung (AO) verlange die Aufführung der von der GmbH monatlich angemeldeten, aber nicht abgeführten Lohnsteuerbeträge im Haftungsbescheid. Die Aufgliederung nach Monaten sei erforderlich, weil der Geschäftsführer einer GmbH in einem Monat schuldhaft, in einem anderen Monat möglicherweise nicht schuldhaft gehandelt haben könne. Der Entscheidung des erkennenden Senats vom 8. Dezember 1981 VII R 105/78 (BFHE 134, 532, BStBl II 1982, 226) sei nicht zu folgen. Der notwendige Inhalt eines Lohnsteuerhaftungsbescheids müsse anhand allgemeiner, für alle Fälle geltender Kriterien bestimmt werden. Die Festsetzung der Säumniszuschläge sei ebenfalls inhaltlich nicht hinreichend bestimmt. Es sei nicht erkennbar, für welche Beträge und für welche Zeiträume die Säumniszuschläge angefallen seien.

Das FA stützt seine Revision auf folgende Gesichtspunkte: Dem Erfordernis inhaltlicher Bestimmtheit sei dann genügt, wenn dem Haftungsschuldner, der sich auch mit der Auszahlung der Löhne befaßt habe, aufgrund seiner Tätigkeit die im Haftungsbescheid angesprochenen Verhältnisse bekannt seien. Diese Voraussetzungen seien im Streitfall erfüllt.

Für Steuerbeträge und Säumniszuschläge bestünden die gleichen Bestimmtheitsanforderungen. Sie seien dadurch erfüllt, daß zuerst die für einen bestimmten Zeitraum geschuldeten Steuern und Abgaben und danach die entstandenen Säumniszuschläge aufgeführt worden seien. Es bestehe eine eindeutige Verbindung der angeforderten Säumniszuschläge zu den geschuldeten Steuern. Dem Kläger seien die rückständigen Steuerbeträge unzweifelhaft bekannt gewesen. Deshalb seien auch die im Haftungsbecheid ausgewiesenen Säumniszuschläge hinreichend bestimmt.

Das FA beantragt, unter Aufhebung der Vorentscheidung die Klage abzuweisen.

Der Kläger stellt keinen ausdrücklichen Antrag. Er ist der Auffassung, daß die Begründung der Vorentscheidung in allen Punkten richtig und ausreichend sei.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet.

Der rechtliche Ausgangspunkt des FG ist zutreffend. Gemäß Art. 97 § 11 des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung (EGAO 1977) sind die Vorschriften der §§ 69 bis 76 und § 191 Abs. 3 bis 5 der Abgabenordnung (AO 1977) anzuwenden, wenn der haftungsbegründende Tatbestand nach dem 31. Dezember 1976 verwirklicht worden ist. Im Streitfall sind die Vorschriften der AO anzuwenden, da die haftungsbegründenden Tatbestände vor dem 1. Januar 1977 verwirklicht wurden.

Als Geschäftsführer der GmbH war der Kläger gesetzlicher Vertreter, der alle Pflichten zu erfüllen hatte, die der GmbH oblagen. Er war dafür verantwortlich, daß die Steuern aus den Mitteln, die er verwaltete, entrichtet wurden (§ 103 AO, § 35 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung). Der Kläger haftet insoweit persönlich neben der GmbH, als durch schuldhafte Verletzung der ihm auferlegten Pflichten Steueransprüche verkürzt worden sind (§ 109 Abs. 1 AO).

Im Streitfall hat das FG zu Unrecht dahinstehen lassen, ob der Haftungstatbestand vorliegt. Nach § 211 Abs. 1 Satz 1 AO müssen Steuerbescheide, die nach den Steuergesetzen schriftlich zu erteilen sind, die Höhe der Steuer enthalten. Die Bestimmung ist auch im Streitfall anwendbar, da gemäß § 97 Abs. 2 AO die die Steuerpflichtigen betreffenden Vorschriften sinngemäß für die Personen gelten, die nach den Steuergesetzen neben den Steuerpflichtigen oder an deren Stelle persönlich für die Steuer haften. In § 211 AO kommt der allgemeine Grundsatz zum Ausdruck, daß ein Verwaltungsakt bestimmt, unzweideutig und vollständig den Willen der Behörde bekunden muß. Demgemäß muß die Frage, inwieweit in einem Haftungsbescheid die Haftungsschuld selbst bestimmt sein muß, bei der durch § 1 Abs. 2 des Steueranpassungsgesetzes gebotenen verständigen Würdigung des Sinnes und Zweckes der Vorschrift je nach Art des Haftungsbescheides unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles beurteilt werden (Urteil des erkennenden Senats in BFHE 134, 532, 535, BStBl II 1982, 226, mit weiteren Rechtsprechungsnachweisen).

Im Streitfall richtet sich der Haftungsbescheid gegen den Geschäftsführer einer als Arbeitgeberin nach § 41 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) 1974 bzw. nach § 41a EStG 1975 zur Einbehaltung und Abführung verpflichteten GmbH, der sich mit der Auszahlung der Löhne befaßt hatte, von denen Lohnsteuer einzubehalten war. Dem Kläger waren als alleinigem Gesellschafter die Verhältnisse bekannt, die im Haftungsbescheid mit den Steuerbeträgen über den Zeitraum August bis Dezember 1974 und Januar 1975 angesprochen sind. Für ihn konnten keine Zweifel bestehen, für welchen Sachverhalt er mit diesen Steuerbeträgen als Haftender in Anspruch genommen wurde.

Als Geschäftsführer der GmbH traf den Kläger insbesondere die auf § 41 Abs. 1 EStG 1974 bzw. § 41a EStG 1975 beruhende Pflicht, bei jeder Lohnzahlung die Lohnsteuer für die Arbeitnehmer einzubehalten und an das FA abzuführen. Das FG hat zu Unrecht die Frage der schuldhaften Nichterfüllung der dem Kläger obliegenden Pflichten mit der Erwägung nicht geprüft, daß der Kalendermonat der Lohnsteueranmeldungs- und Lohnsteuerabführungszeitraum sei und deshalb die Haftungsschuld nach Monaten aufzugliedern gewesen sei. Entgegen der Auffassung des FG folgt daraus nicht, daß im angefochtenen Haftungsbescheid die von der GmbH monatlich angemeldeten, aber nicht abgeführten Lohnsteuerbeträge nach den einzelnen Anmeldungszeiträumen hätten aufgeführt werden müssen, um dem Bestimmtheitserfordernis des § 211 Abs. 1 Satz 1 AO zu genügen. Für die Bestimmtheit des angefochtenen Haftungsbescheids kommt es auch unter dem Gesichtspunkt, daß ein Geschäftsführer einer GmbH in einem Monat schuldhaft, in einem anderen Monat ohne Schuld gehandelt haben könnte, nicht auf eine monatliche Aufgliederung der Steuerbeträge an. Die nach § 97 Abs. 2 AO für den Inhalt eines Haftungsbescheids sinngemäß geltenden Vorschriften des § 211 AO über den Inhalt eines nach den Steuergesetzen schriftlich zu erteilenden Steuerbescheids verlangen eine derartige Aufteilung grundsätzlich nicht (BFHE 134, 532, 534, BStBl II 1982, 226). Es reicht aus, daß für den Haftungsschuldner erkennbar ist, daß er für bestimmte, betragsmäßig angegebene und hinsichtlich des Gesamtzeitraums näher konkretisierte Steuern in Anspruch genommen werden soll.

Die inhaltliche Bestimmtheit des angefochtenen Haftungsbescheids hängt nicht davon ab, ob sein Inhalt anhand allgemeiner, für alle Fälle geltender Kriterien bestimmbar ist, wie das FG meint. Wie bereits angeführt, richten sich die Anforderungen an die inhaltliche Bestimmtheit eines Haftungsbescheids je nach dessen Art im Rahmen einer verständigen Würdigung nach den Umständen des Einzelfalles. Im Streitfall ist die Art und die Höhe der von der Haftung erfaßten Steuerbeträge einschließlich der Säumniszuschläge mit der Angabe eines Gesamtzeitraums verbunden, die in Anbetracht der dem Kläger als alleinigem Geschäftsführer bekannten Verhältnisse hinreichend bestimmt ist.

Dies gilt auch für die im angefochtenen Haftungsbescheid angeführten Säumniszuschläge, die den gleichen Zeitraum wie die Lohnsteuer und die Kirchensteuer umfassen. Hinsichtlich der Bestimmtheitsanforderungen für die Säumniszuschläge gelten in der Regel die gleichen Maßstäbe wie für die Steuern, auf die sie entfallen, es sei denn, daß die besonderen Umstände des Sachverhalts eine andere Beurteilung gebieten. Das ist hier indessen nicht der Fall. Zur Erkennbarkeit der fälligen Steuerbeträge und der Zeiträume, für die Säumniszuschläge geltend gemacht werden, bedurfte es keiner gesonderten Übersicht, da der Kläger aufgrund der übrigen Angaben im Haftungsbescheid und seiner eigenen Kenntnis der nicht abgeführten Steuerbeträge über die Höhe und die Zeiträume der geltend gemachten Säumniszuschläge Klarheit haben mußte. Im übrigen betrifft die Frage der nachvollziehbaren Berechnung der Säumniszuschläge die Begründung und nicht die inhaltliche Bestimmtheit des Bescheids.

Der Senat kann in der Sache nicht selbst entscheiden, da das FG zur Frage, ob der Kläger die ihm als Geschäftsführer obliegenden Pflichten schuldhaft verletzt hat, Feststellungen zu treffen hat. Die Sache war daher gemäß § 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuweisen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 413956

BFH/NV 1986, 313

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