Entscheidungsstichwort (Thema)

Bezugnahme in der Revisionsbegründung auf die Begründung der NZB; Verletzung rechtlichen Gehörs

 

Leitsatz (NV)

1. Wird mit der Revision ein Verfahrensmangel gerügt, so reicht zur Revisionsbegründung die Bezugnahme auf die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde aus, wenn diese ihrem Inhalt nach zur Begründung der Revision genügt und das Revisionsgericht aufgrund der Beschwerdebegründung in seinem die Revision zulassenden Beschluß das Vorliegen des Verfahrensmangels bestätigt hat (Bestätigung des BFH-Urteils vom 18. März 1981 I R 102/77, BFHE 133, 247, BStBl II 1981, 578).

2. Zur Verletzung des rechtlichen Gehörs.

 

Normenkette

GG Art. 103 Abs. 1; FGO § 96 Abs. 2, § 119 Nr. 3, § 120 Abs. 2

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) arbeitet seit 1981 als selbständiger Kfz-Sachverständiger. Seit 1985 -- nach Bestehen einer entsprechenden Prüfung vor dem Verband der unabhängigen Kraftfahrzeug-Sachverständigen e. V. -- war er berechtigt, den Zusatz "anerkannter Kfz-Sachverständiger" zu führen. Zuvor hatte er bei einem Ingenieur- und Sachverständigenbüro bzw. einem Schweißfachingenieur Ausbildungen zum Kfz-Sachverständigen und zum Sachverständigen auf dem Gebiet der Schweißtechnik durchlaufen sowie an diversen einschlägigen Seminaren teilgenommen.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt -- FA --) war der Auffassung, daß der Kläger keine freiberufliche, sondern eine gewerbliche Tätigkeit ausübe. Dementsprechend ergingen für die Streitjahre (1987 bis 1989) Gewerbesteuermeßbescheide.

Das Finanzgericht (FG) wies die nach erfolglosem Vorverfahren hiergegen gerichtete Klage als unbegründet ab. Es verneinte das Vorliegen eines "ähnlichen Berufs" i. S. von § 18 Abs. 1 Nr. 1 des Einkommensteuerge setzes (EStG), da die vom Kläger ausgeübte Tätigkeit ihrem Gesamtbild nach nicht dem typischen Bild eines Katalogberufs in ihren wesentlichen Merkmalen vergleichbar sei. In Betracht komme allein der Katalogberuf des Ingenieurs. Dem Kläger fehle die für diesen Beruf erforderliche theoretische und syste matische Ausbildung. Der Nachweis, daß er sich die fraglichen Kenntnisse durch entsprechend qualifizierte Tätigkeiten angeeignet habe, sei ihm nicht gelungen: Die insgesamt 86 von ihm erstellten und von ihm beispielhaft vorgelegten Gutachten ließen keine ingenieurähnlichen Leistungen erkennen; sie enthielten jeweils -- auch soweit es sich (in 35 Fällen) nicht nur um reine Schadensgutachten handele -- im wesentlichen lediglich die Bestimmung der Fahrzeugausgangsgeschwindigkeit vor Bremsbetätigung anhand von Vordrucken mit gleichartigen Berechnungsformeln. Die Aufteilung der vom Kläger erbrachten Leistungen komme angesichts dessen nicht in Betracht. Ein anderes Ergebnis lasse sich auch nicht aus der vom Kläger vorgelegten Tätigkeitsbegutachtung eines Professors herleiten.

Der Bundesfinanzhof (BFH) hat auf die Beschwerde des Klägers die Revision -- durch nicht veröffentlichten Beschluß vom 18. Mai 1993 I B 7/93 -- gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zugelassen, weil ihm kein ausreichendes rechtliches Gehör gewährt worden sei. In dem Klageverfahren sei es ausweislich der Akten nur noch um die Rechtsfragen gegangen, ob der Anteil der vom Kläger erstellten Gutachten mit mathematisch-technischer Ingenieurleistung an den von ihm insgesamt erstellten Gutachten als "wesentlich" anzusehen sei und ob gegebenenfalls eine Aufteilung seiner Einkünfte in gewerbliche und freiberufliche in Betracht komme. Das FG habe im Hinblick hierauf die von dem Kläger erstellten Gutachten als Beweismittel angefordert und angefragt, ob er auf mündliche Verhandlung verzichte. Der Kläger habe in Anbetracht dessen nicht damit rechnen müssen, daß das FG über die zuvor als allein erheblich angesehenen Tatsachen hinausgehen und die Gutachten ohne weitere Erörterung als lediglich anhand von Formelsammlungen erbracht würdigen würde. Das FG-Urteil beruhe auch auf dem Verfahrensmangel, da es der Tatsachenwürdigung des FG obliege, ob die vorgelegten Schadensgutachten der Tätigkeit des Klägers das Gepräge als gewerblich verliehen.

Der Kläger hat nach Zustellung der Beschwerdeentscheidung Revision eingelegt. In der Revisionsschrift bezieht er sich auf die Beschwerdebegründung. Eine weitere Begründung erfolgte innerhalb der Begründungsfrist nicht.

Er beantragt, das FG-Urteil und die angefochtenen Gewerbesteuermeßbescheide des FA in Gestalt der Einspruchsentscheidung aufzuheben.

Das FA beantragt, die Revision wegen unzureichender Begründung als unzulässig zu verwerfen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist zulässig.

Die Revisionsschrift genügt den Erfordernissen, die § 120 Abs. 2 FGO an Form und Inhalt einer Revision stellt.

Der Kläger bezieht sich zur Begründung seiner Revision zwar ausschließlich auf die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde, mit der er Verletzung rechtlichen Gehörs gerügt hat. Wie der BFH durch Urteil vom 18. März 1981 I R 102/77 (BFHE 133, 247, BStBl II 1981, 578) entschieden hat, reicht dies aber aus, wenn die Begründung der Beschwerde ihrem Inhalt nach zur Begründung der Revision genügt und das Revisionsgericht aufgrund der Beschwerdebegründung in seinem die Revision zulassenden Beschluß das Vorliegen des Verfahrensmangels bejaht hat. Der erkennende Senat schließt sich dem an und nimmt, um Wiederholungen zu vermeiden, auf das genannte Urteil Bezug.

In seiner Beschwerdeschrift, auf die der Kläger verweist, sind die Tatsachen bezeichnet, die den Mangel des finanzgerichtlichen Urteils ergeben. Auf diesem Verfahrensmangel beruht die Entscheidung des FG; seinetwegen ist die Revision vom BFH zugelassen worden. Es genügte daher den Anforderungen für eine Revisionsbegründung, wenn der Kläger sich hierauf in der Revisionsschrift bezogen hat.

Die Revision ist auch begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).

Das angefochtene Urteil verletzt das Recht des Klägers auf Gehör (§ 119 Nr. 3 FGO). Es ist auf einen rechtlichen Gesichtspunkt gestützt, der zuvor im außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahren und im Klageverfahren nicht mehr streitig gewesen ist; der Kläger hatte deshalb keine Veranlassung, sich hierzu zu äußern. Wie der BFH in dem Beschluß wegen Nichtzulassung der Revision vom 18. Mai 1993 I B 7/93 ausgeführt hat, konnte der Kläger nach dem bisherigen Verfahrensverlauf davon ausgehen, daß es nur noch um die Rechtsfragen der Zuordnung seiner Tätigkeit ging, nicht aber um die tatsächlichen Feststellungen und Grundlagen dieser Fragen. Insofern mußte er mit der Feststellung und Wür digung des FG, die von ihm erstellten Gutachten über Schadensursachen beruhten lediglich auf Formelsammlungen und seien keine ingenieurähnliche Leistung, nicht rechnen. Diese Feststellung und Würdigung ist nach dem durch die Aktenlage belegten Vorbringen des Klägers erstmals in der Urteilsbegründung erwähnt und dort zur tragenden Begründung gemacht worden. Das FG hat es aufgrund dessen dahinstehen lassen, ob die vom Kläger neben den reinen Schadensgutachten erstellten Gutachten über Schadensursachen einen wesentlichen Teil seiner Tätigkeit ausmachten. In der für ihn unvorhersehbaren Urteilsbegründung liegt eine das Recht auf Gehör (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes; § 96 Abs. 2 FGO) verletzende Über raschungsentscheidung (vgl. Gräber/von Groll, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., § 96 Rdnrn. 27 ff., und Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., § 119 Rdnr. 10, m. w. N.). Daß der Kläger auf mündliche Verhandlung verzichtet hat, ändert hieran nichts. Das FG muß ungeachtet dessen eine mündliche Verhandlung anberaumen, wenn andernfalls das Recht auf Gehör eines der Beteiligten verletzt wird (vgl. z. B. BFH-Beschluß vom 8. Oktober 1991 VII B 186/91, BFH/NV 1992, 358).

Die Zurückverweisung der Sache an das FG kann -- ausnahmsweise -- nicht deshalb unterbleiben, weil die Verletzung des Rechts auf Gehör nur einzelne tatsächliche Feststellungen betraf, auf die es in revisionsrechtlicher Betrachtung unter keinem denkbaren Gesichtspunkt ankommen konnte (vgl. § 126 Abs. 4 FGO; siehe Gräber/Ruban, a. a. O., § 119 Rdnr. 14, m. w. N. zur Rechtsprechung). Dem Senat ist es im Streitfall versagt, das angefochtene Urteil abschließend auf seine sachliche Richtigkeit zu überprüfen. Die Frage, ob die mit der Schadensverursachung zusammenhängende Gutachtertätigkeit des Klägers dessen anderweitige Tätigkeiten überwiegt, obliegt der Tatsachenwürdigung des FG (BFH-Urteil vom 12. Dezember 1991 IV R 65--67/89, BFH/NV 1993, 238). Eine Sachentscheidung ist dem Revisionsgericht verwehrt.

Die angefochtene Entscheidung ist deshalb als auf der Verletzung von Bundesrecht beruhend nach § 119 Nr. 3, § 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO aufzuheben.

 

Fundstellen

Haufe-Index 420617

BFH/NV 1995, 990

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