Entscheidungsstichwort (Thema)

Rechtliches Gehör, Haftungsbescheid nach § 112 AO

 

Leitsatz (NV)

1. Wird im Revisionsverfahren die Verletzung des Rechts auf Gehör gerügt, so kann die Rüge keinen Erfolg haben, wenn sie sich auf eine tatsächliche Feststellung bezieht, auf die es unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt ankommen kann.

2. Steuern sind namentlich dann i. S. des § 112 AO verkürzt, wenn sie nicht, nicht in voller Höhe oder nicht rechtzeitig festgesetzt worden sind. Zahlungsunfähigkeit und Zahlungsvermögen spielen für die Frage der Steuerverkürzung keine Rolle; eine endgültige Vermögensminderung gehört nicht zum Tatbestand der Steuerverkürzung.

3. Im Haftungsbescheid muß die Jahres-USt nicht auf die einzelnen Voranmeldungszeiträume aufgeschlüsselt werden, wenn vor dem Erlaß des Bescheids die Jahresveranlagungen durchgeführt worden sind.

 

Normenkette

AO § 112; FGO §§ 76, 96 Abs. 1, § 119 Nr. 3

 

Verfahrensgang

FG Münster

 

Tatbestand

Der Kläger war in den Streitjahren Gesellschafter und Prokurist einer GmbH. Diese führte als Komplementärin die Geschäfte einer KG, deren Kommanditist und Prokurist gleichfalls der Kläger war. Dem Kläger oblag es, für die Abgabe der USt-Voranmeldungen in den Streitjahren zu sorgen. Mit Schreiben vom 16. März 1976 ließ der Mitgesellschafter und Geschäftsführer T dem FA mitteilen, daß der Kläger die von einem Datenverarbeitungsunternehmen für die KG ausgedruckten USt-Voranmeldungen für mehrere Voranmeldungszeiträume in 1974 und 1975 nicht dem FA eingereicht habe. Für diese Voranmeldungszeiträume hatte das FA wegen Nichtabgabe der USt-Voranmeldungen die Besteuerungsgrundlagen geschätzt, die sich als erheblich zu niedrig erwiesen. Aufgrund der am 19. März 1976 nachgereichten USt-Voranmeldungen ergaben sich erhebliche Mehrbeträge. Aufgrund des vom Kläger am 19. März 1976 gestellten Stundungsantrags stundete das FA mit Verfügung vom 15. April 1976 diese USt-Rückstände gegen Ratenzahlung. Im April 1976 schied der Mitgesellschafter T als Geschäftsführer aus. Der Kläger trat an seine Stelle. Im Juli 1976 wurde die Stundung wegen Nichteinhaltung der Ratenzahlungen widerrufen. Ein Ende 1976 für die Gesellschaften gestellter Antrag auf Konkurseröffnung wurde mangels Masse abgelehnt.

Mit Haftungsbescheid vom 31. Mai 1977 nahm das FA den Kläger ebenso wie den ehemaligen Geschäftsführer T wegen der verbliebenen USt-Rückstände für 1974 und 1975 als Haftende in Anspruch. Das FA berief sich darauf, daß T durch Unterdrückung der USt-Voranmeldungen eine Steuerhinterziehung i. S. des § 112 der Reichsabgabenordnung (AO) begangen habe und außerdem als Verfügungsberechtigter i. S. des § 108 AO die ihm obliegenden steuerlichen Verpflichtungen schuldhaft verletzt habe. Nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhob der Kläger Anfechtungsklage. Während des Klageverfahrens erließ das FA am 15. Dezember 1980 einen Änderungsbescheid, in dem entsprechend dem noch bestehenden Rückstand die Haftungsschuld herabgesetzt wurde. Diesen Haftungsbescheid machte der Kläger vor dem Finanzgericht (FG) nach § 68 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zum Gegenstand des Verfahrens. Das FG wies die Klage ab.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet.

1. Die Rüge des Klägers, das FG habe ihm das rechtliche Gehör versagt bzw. § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO verletzt, ist nicht begründet.

Es kann dahingestellt bleiben, ob das FG im Zusammenhang mit der Verwertung einer Aussage des T, die dieser in einem anderen Verfahren gemacht hat, den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör verletzt hat. Denn nach allgemeiner Meinung muß das Revisionsgericht nicht in jedem Fall der Nichtgewährung rechtlichen Gehörs die Vorentscheidung aufheben und die Sache ohne weitere Prüfung an die Vorinstanz zurückverweisen. Zwar wird nach § 119 Nr. 3 FGO die Ursächlichkeit des Mangels grundsätzlich unwiderleglich vermutet. Handelt es sich aber um eine einzelne tatsächliche Feststellung und kann es auf diese unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt ankommen, so bedeutete die Zurückverweisung nur eine nichtvertretbare Förmelei (vgl. Gräber, Finanzgerichtsordnung, § 119 Anm. 6 F, mit Hinweisen auf die Rechtsprechung). Das ist hier gegeben.

Auf die Frage, ob die KG bei rechtzeitiger Abgabe von zutreffenden Umsatzsteuervoranmeldungen in der Lage gewesen wäre, die entsprechenden Vorauszahlungen zu leisten, kommt es für die Entscheidung des Falles unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt an. Der Kläger ist (u. a.) nach § 112 AO in Anspruch genommen worden. Danach haftet, wer eine Steuerhinterziehung begangen hat, für den Betrag, in dessen Höhe die Steuereinnahmen verkürzt worden sind. Steuern sind namentlich dann verkürzt, wenn sie nicht, nicht in voller Höhe oder nicht rechtzeitig festgesetzt worden sind (vgl. § 370 Abs. 4 Satz 1 Halbsatz 1 AO 1977, § 392 Abs. 3 Halbsatz 1 AO; Hübner in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 370 AO 1977 Anm. 23, und Hübner in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Reichsabgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, 1. bis 6. Aufl., § 392 AO Anm. 10c).

Im vorliegenden Fall hat der Kläger nach Feststellungen des FG vorsätzlich für die betreffenden Voranmeldungszeiträume die von der DATEV ausgedruckten Umsatzsteuervoranmeldungen mit den richtigen Umsätzen nicht an das FA weitergeleitet. Damit hat er bewirkt, daß das FA die Umsatzsteuervorauszahlungen nicht rechtzeitig, d. h. nicht bei Fälligkeit erhalten hat (vgl. § 18 Abs. 2 und 3 UStG 1972 und 1973). Die Steuerhinterziehung war daher für die einzelnen Voranmeldungszeiträume mit Ablauf der Fälligkeitsfrist bereits vollendet. Damit waren die Tatbestandsmerkmale des § 112 AO erfüllt und der Kläger haftete für die verkürzten Beträge.

Diese Haftung entfällt nicht etwa, falls sich später herausgestellt hätte, der Schuldner sei nicht zahlungsfähig gewesen. Zahlungsunfähigkeit und Zahlungsvermögen spielen für die Frage der Steuerverkürzung keine Rolle; eine endgültige Vermögensminderung gehört nicht zum Tatbestand der Steuerverkürzung (vgl. Hübner in Hübschmann/Hepp/Spitaler, a.a.O., 7. Aufl., Anm. 25; 1. bis 6. Aufl., Anm. 10d).

2. Das tatsächliche Vorbringen des Klägers zu der Frage der Entstehung der Umsatzsteuerschuld findet in der Vorentscheidung keine Stütze. Er könnte daher damit nur gehört werden, falls er entsprechende zulässige und begründete Revisionsrügen vorgetragen hätte (vgl. § 118 Abs. 1 FGO). Der Kläger hat auch Verletzung der amtlichen Ermittlungspflicht (§ 76 FGO) gerügt. Diese Rüge hat er aber nicht weiter begründet. Sie erfüllt daher nicht die Voraussetzungen des § 120 Abs. 2 FGO (vgl. auch Gräber, a.a.O., § 120 Anm. 20, mit Hinweisen auf die Rechtsprechung).

Es kann auch nicht davon ausgegangen werden, daß die Vorentscheidung insoweit nicht ausreichend begründet sei (§ 96 Abs. 1 Satz 3 FGO). Nach den Feststellungen der Vorinstanz beruhen die Umsatzsteuerbescheide auf den vom Kläger unterschriebenen Umsatzsteueranmeldungen. Auch ergibt sich weder aus der Vorentscheidung noch aus der Revisionsbegründung des Klägers, er habe in der Vorinstanz Einwendungen gegen das Bestehen der Steuerschuld erhoben. Das FG hatte daher keinen Anlaß, auf diese Frage einzugehen.

3. Der Haftungsbescheid ist nicht wegen mangelnder Bestimmtheit unrechtmäßig. Zwar enthält der Bescheid keine Aufschlüsselung der Umsatzsteuer 1974 und 1975 auf die einzelnen Voranmeldungszeiträume. Dessen bedurfte es aber nicht, da vor Erlaß des Haftungsbescheids die Jahresveranlagungen 1974 und 1975 durchgeführt worden waren, wie das FG festgestellt hat.

4. Auch die übrigen Einwendungen des Klägers halten einer näheren Prüfung nicht stand. Die Ansicht des FG, die einmal begründete Haftung des Klägers bleibe unabhängig davon bestehen, worauf letztlich die Nichtentrichtung der zutreffenden Steuern zurückzuführen sei, entspricht der Auffassung des Senats (vgl. die Ausführungen unter Nr. 1). Der Hinweis des Klägers auf § 61 KO geht fehl. Auch wenn es zuträfe, daß das FA, falls die Verantwortlichen der KG rechtzeitig wegen Überschuldung Konkurs angemeldet hätten, mit seinen Steuerforderungen ausgefallen wäre, änderte das nichts daran, daß der Kläger nach dem klaren Wortlaut des § 112 AO als Steuerhinterzieher für die verkürzten Steuern haftet.

 

Fundstellen

Haufe-Index 413840

BFH/NV 1986, 69

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