Leitsatz (amtlich)

1. Der Anspruch auf Erlaß eines Gewerbesteuermeßbescheids kann verwirkt sein, wenn die Frage der Einkunftsart (freiberuflich oder gewerblich) streitig ist, die Gewerbesteuervorauszahlung nach Prüfung dieser Frage auf 0 DM festgesetzt wurde und auch aus späteren Einkommensteuerveranlagungen deutlich zu erkennen war, daß das FA die Tätigkeit des Steuerpflichtigen als freiberuflich beurteilte.

2. Zum Umfang der Verwirkung.

 

Normenkette

AO §§ 210, 223

 

Tatbestand

Streitig ist, ob der Steuerpflichtige wegen seiner Einkünfte aus der ausgeübten Berufstätigkeit für die Jahre 1957 bis 1959 zur Gewerbesteuer herangezogen werden konnte.

Nachdem das FA im Jahre 1951 nach Beginn der Tätigkeit des Steuerpflichtigen gegen diesen einen Vorauszahlungsbescheid für die Gewerbesteuer 1951 und 1952 erlassen hatte, setzte es nach Vorstelligwerden des Steuerpflichtigen und aufgrund eines Aktenvermerks des Sachbearbeiters des FA vom 3. Oktober 1952, wonach der Steuerpflichtige eine freiberufliche Tätigkeit ausübe, die Gewerbesteuer ab 1951 rückwirkend auf 0 DM fest. Veranlagungen zur Gewerbesteuer wurden in der Folgezeit nicht durchgeführt. In den Einkommensteuerbescheiden bis zum Jahre 1959 wurden die Einkünfte des Steuerpflichtigen aus der genannten Tätigkeit als solche aus freier Berufstätigkeit angesehen. Der Freibetrag nach § 18 Abs. 4 EStG wurde ihm gewährt.

Bei einer im Juni 1961 beim Steuerpflichtigen durchgeführten Betriebsprüfung stellte sich der Betriebsprüfer auf den Standpunkt, die Tätigkeit des Steuerpflichtigen sei eine gewerbliche. Dem folgte das FA und erließ am 29. September 1961 für die Veranlagungszeiträume 1957 bis 1959 erstmals Gewerbesteuerbescheide.

Nach erfolglosem Einspruch hatte der Steuerpflichtige mit seiner Berufung (Klage) Erfolg.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Auf die Revision des FA wird das Urteil des FG, soweit es die Gewerbesteuer 1959 betrifft, aufgehoben und die Klage gegen die Einspruchsentscheidung abgewiesen. Im übrigen ist die Revision des FA unbegründet.

Die Auffassung der Vorinstanz, das FA habe die Geltendmachung der Ansprüche aus Gewerbesteuer gegenüber dem Steuerpflichtigen verwirkt, ist für die Streitjahre 1957 und 1958 zutreffend.

Auszugehen ist von dem allgemein auch in der Rechtsprechung des BFH anerkannten Grundsatz, daß allein durch Zeitablauf eine Verwirkung der Geltendmachung von Steueransprüchen nicht eintreten kann, vgl. hierzu Urteil des BFH V 91/63 U vom 16. September 1965, BFH 83, 441, BStBl III 1965, 657. Es bedarf zur Verwirkung vielmehr noch eines besonderen Verhaltens des FA, aufgrund dessen der Steuerpflichtige darauf vertrauen durfte, daß er mit einer Steuerforderung seitens des FA nicht mehr zu rechnen brauchte. Das Institut der Verwirkung ist eine besondere Ausprägung des Grundsatzes von Treu und Glauben.

Im Streitfall nun hat die Vorinstanz die letzte Voraussetzung zu Recht als vorliegend bejaht, jedoch dem Zeitmoment für die Verwirkung des Steueranspruchs 1959 nicht die gebührende Beachtung geschenkt. Dem FA ist zwar darin zuzustimmen, daß aus dem Verhalten des FA im Jahre 1952, in dem es die festgesetzten Gewerbesteuervorauszahlungen unter dem in den Akten festgehaltenen Gesichtspunkt auf 0 DM festsetzte, weil der Steuerpflichtige eine freiberufliche Tätigkeit ausübe, für sich allein noch nicht zur Verwirkung der Geltendmachung der Gewerbesteuer gegenüber dem Steuerpflichtigen für alle künftigen Erhebungszeiträume führt. Denn selbstverständlich kann das FA in jedem späteren Jahr zumindest für die Zukunft seine Rechtsansicht ändern und Gewerbesteuer-Veranlagungen gegenüber dem Steuerpflichtigen durchführen. Eine Verwirkung kann daher nur für jeden einzelnen späteren Erhebungszeitraum unter dem Gesichtspunkt eintreten, daß der Steuerpflichtige nach Ablauf einer angemessenen Zeit nach Entstehen des Steueranspruchs nicht mehr mit einer Gewerbesteuer-Veranlagung zu rechnen brauchte. Ein solcher Zeitraum darf nicht zu kurz bemessen werden. Der Senat würde daher, auch unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Gleichmäßigkeit der Besteuerung jedenfalls dann, wenn in der Aufhebung der Gewerbesteuer-Vorauszahlungen durch das FA im Jahre 1952 das einzige Verhalten der Verwaltungsbehörde gegenüber dem Steuerpflichtigen zu erblicken wäre, aus dem dieser hätte Schlüsse ziehen können, eine Verwirkung der Geltendmachung der Gewerbesteuer 1957 bis 1959 im Jahre 1961 noch nicht bejahen.

Mit der Vorentscheidung erscheint dem Senat jedoch das hinzukommende Verhalten des FA gegenüber dem Steuerpflichtigen, das sich darin ausdrückt, daß das FA bei den Einkommensteuer-Veranlagungen die streitigen Einkünfte des Steuerpflichtigen ständig als solche aus freier Berufstätigkeit einordnete und ihm auch den Freibetrag nach § 18 Abs. 4 EStG gewährte, ausreichend, um für einige der Streitjahre eine Verwirkung der Geltendmachung der Gewerbesteuer-Ansprüche anzunehmen. Zwar würde der Senat auch hier, wenn der Steuerpflichtige sich nur auf die Behandlung seiner Einkünfte bei der Einkommensteuer-Veranlagung sollte berufen können, entsprechend seiner Entscheidung IV 336/59 U vom 27. April 1961, BFH 73, 34, BStBl III 1961, 281 eine Verwirkung noch nicht annehmen. Der Unterschied des Streitfalles zu dem damals entschiedenen Fall besteht jedoch darin, daß das FA außerdem auf das Vorstelligwerden des Steuerpflichtigen hin im Jahre 1952 eine gewerbesteuerliche Entscheidung traf und der Steuerpflichtige nunmehr annehmen durfte, daß sich die Ergebnisse dieser gewerbesteuerlichen Entscheidung in den künftigen Einkommensteuer-Bescheiden und dem Unterlassen von Gewerbesteuer-Bescheiden niederschlugen. Der Steuerpflichtige durfte hier darauf vertrauen, daß das FA für die jeweils abgelaufenen Erhebungszeiträume keine Gewerbesteuer-Veranlagungen mehr durchführen würde. Der Senat ist jedoch der Auffassung, daß der Steuerpflichtige erst von dem Zeitpunkt ab hierauf vertrauen durfte, in dem er den Einkommensteuer-Bescheid für das nächste Jahr erhielt. Erst in diesem Zeitpunkt konnte er sicher sein, daß das FA nunmehr für das vorhergehende Jahr keine Gewerbesteuer-Veranlagung mehr durchführen würde. Bis zu diesem Zeitpunkt müssen im allgemeinen die Veranlagungen des vorangegangenen Jahres abgeschlossen sein, so daß der Steuerpflichtige von da ab nicht mehr damit zu rechnen brauchte, daß das FA für die Gewerbesteuer des vorangegangenen Jahres seine Rechtsauffassung noch ändern werde.

Unter Berücksichtigung dieser Überlegungen war die Geltendmachung der Gewerbesteuer-Ansprüche 1957 und 1958 im Jahre 1961 bereits verwirkt. In beiden Fällen ergingen die Einkommensteuer-Veranlagungen im Jahre 1959, während die Einkommensteuer-Veranlagung 1959 im Jahre 1960 durchgeführt wurde. Der Steuerpflichtige brauchte daher ab 1960 nicht mehr mit einer Gewerbesteuer-Nachforderung für die Jahre 1957 und 1958 zu rechnen. Für 1959 hingegen kann eine Verwirkung deshalb nicht angenommen werden, weil noch vor der Einkommensteuer-Veranlagung 1960 die Betriebsprüfung stattfand und der Steuerpflichtige nach dem oben Gesagten in diesem Zeitpunkt noch mit einer Änderung der Rechtsansicht durch das FA für die Gewerbesteuer 1959 rechnen mußte. Es muß daher im Gegensatz zur Auffassung der Vorentscheidung für das Jahr 1959 bei der vom FA durchgeführten Gewerbesteuer-Veranlagung verbleiben. Nicht entscheidungserheblich ist, ob diese Veranlagung auf § 210 oder § 223 AO (Nachforderung) beruht. Denn die vorstehenden Überlegungen gelten für beide Vorschriften gleichermaßen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 69143

BStBl II 1970, 793

BFHE 1971, 1

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