Leitsatz (amtlich)

Wird für den Gewinn aus der Veräußerung eines Gewerbebetriebs eine Rücklage nach § 6 b EStG gebildet, so führt die spätere Auflösung der Rücklage zu nachträglichen nicht tarifbegünstigten Einkünften aus Gewerbebetrieb.

 

Normenkette

EStG §§ 6b, 16, 34 Abs. 1

 

Verfahrensgang

FG Hamburg

 

Tatbestand

Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) zu 1 und 2 sind die Erben des 1977 verstorbenen Kaufmanns A. Dieser und die Kläger und Revisionskläger (Kläger) zu 3 bis 7 waren Kommanditisten der 1960 gegründeten Kommanditgesellschaft Firma ... Reederei KG (im folgenden KG); alleinige persönlich haftende Gesellschafterin ohne Kapitalbeteiligung war die Beigeladene, eine GmbH.

Zweck der KG war It. Gesellschaftsvertrag die Übernahme, Fertigstellung und Betrieb des MS "X", eines Tiefkühlschiffes. Das Schiff wurde im April 1961 in Dienst gestellt.

Am 6. April 1970 veräußerte die KG das Schiff. In ihrer Gesellschafterversammlung am 30. September 1970 beschlossen die Gesellschafter der KG, den Geschäftsbetrieb vorläufig ruhen zu lassen, die Gesellschaft aber nicht aufzulösen. Außerdem beschlossen sie, eine Rücklage nach § 6 b des Einkommensteuergesetzes (EStG) zu bilden und die finanziellen Mittel der KG den Gesellschaftern als Darlehen zur Verfügung zu stellen.

Ende 1972 erklärten sich alle Gesellschafter schriftlich damit einverstanden, daß die KG aufgelöst und liquidiert wird. In das Handelsregister wurde am 18. April 1973 die Auflösung der KG und am 21. März 1974 das Erlöschen der Firma eingetragen.

In ihrer Bilanz zum 31. Dezember 1970 bildete die KG in Höhe des bei der Veräußerung des Schiffes erzielten Buchgewinns von 574 467,70 DM eine Rücklage nach § 6 b EStG. In der Bilanz waren außerdem als Aktivposten die Beteiligung an der Beigeladenen mit 20 000 DM und Forderungen und Rechnungsabgrenzungsposten mit rd. 30 000 DM sowie als Passivposten Verbindlichkeiten und Rückstellungen mit rd. 80 000 DM ausgewiesen.

In ihrem Jahresabschluß zum 31. Dezember 1972 löste die KG die Rücklage nach § 6 b EStG gewinnerhöhend auf. In ihrer Gewinnfeststellungserklärung für 1972 wies die KG neben einem geringfügigen laufenden Verlust den Gewinn aus der Auflösung der Rücklage in Höhe von 574 468 DM als begünstigten Veräußerungsgewinn i. S. von § 16 EStG aus.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) vertrat bei der einheitlichen Gewinnfeststellung für 1972 die Auffassung, der Gewinn aus der Auflösung der Rücklage nach § 6 b EStG sei kein begünstigter Veräußerungsgewinn, sondern ein laufender Gewinn, da die Auflösung der Rücklage nicht im Rahmen einer Betriebsveräußerung oder Betriebsaufgabe erfolgt sei; dabei sei unerheblich, ob die KG ihren Betrieb mit der Veräußerung des Schiffes im Jahr 1970 aufgegeben oder von diesem Zeitpunkt an allmählich abgewickelt habe. Demgemäß stellte das FA einen laufenden Gewinn von insgesamt 520 523 DM fest; bei dessen Ermittlung berücksichtigte das FA eine Gewerbesteuerrückstellung von 54 085,50 DM, weil es annahm, daß die Tätigkeit der KG im Hinblick auf ihre Rechtsform als GmbH & Co. KG bis zur Beendigung gewerbesteuerpflichtig sei und deshalb auch ein Abwicklungsgewinn aus der Auflösung der Rücklage nach § 6 b EStG der Gewerbesteuer unterliege (Feststellungsbescheid vom 21. Juni 1978).

Mit ihrer Klage beantragten die Kläger, die Gewinnfeststellung 1972 dahin zu ändern, daß in dem festgestellten Gewinn ein Veräußerungsgewinn i. S. von §§ 16, 34 EStG von 574 468 DM enthalten ist.

Die Klage war erfolglos. Das Finanzgericht (FG) entschied, die KG habe ihren Gewerbebetrieb im Streitjahr 1972 weder veräußert noch aufgegeben, so daß die Auflösung der Rücklage nicht Teil eines begünstigten Gewinns sein könne. Vielmehr habe die KG ihren Betrieb bereits 1970 aufgegeben, weil sie in diesem Jahr das Schiff als wesentliche Betriebsgrundlage veräußert habe. Für eine KG, deren Zweck in dem Betrieb eines einzigen Seeschiffs bestehe, könne insoweit nichts anderes gelten als für eine Partenreederei (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 24. Januar 1973 I R 156/71, BFHE 108, 111, BStBl II 1973, 219). Es habe nicht festgestellt werden können, daß die KG die Absicht gehabt habe, ein anderes Schiff anzuschaffen. Die Entscheidung des FG ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1979, 15 veröffentlicht.

Mit der Revision beantragen die Kläger, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Gewinnfeststellung 1972 dahingehend abzuändern, "daß der mit 520 523 DM festgestellte Gewinn in voller Höhe als Veräußerungsgewinn i. S. der §§ 16, 34 EStG anzusehen ist", hilfsweise, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Gewinnfeststellung 1972 dahingehend abzuändern, "daß der Gewinn um den aus der Auflösung der Rücklage nach § 6 b EStG resultierenden Ertrag von 574 468 DM ... herabgesetzt wird", hilfsweise, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuverweisen. Die Kläger rügen Verletzung materiellen Rechts, insbesondere des § 16 Abs. 3 EStG, und Verfahrensmängel, insbesondere Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör durch mangelnde Sachaufklärung und Nichtberücksichtigung angebotener Zeugenbeweise.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet.

1. Zutreffend geht die Vorentscheidung davon aus, daß der Gewinn aus der Auflösung der Rücklage nach § 6 b Abs. 3 EStG nicht als Teil eines Gewinns aus einer Betriebsveräußerung oder Betriebsaufgabe angefallen ist.

Auf der Grundlage der tatsächlichen Feststellungen der Vorentscheidung und des Sachvortrags der Beteiligten ist davon auszugehen, daß die KG bereits 1970 ihren ganzen Gewerbebetrieb veräußert hat; danach fehlt für die von der Revision angenommene Aufgabe des Gewerbebetriebs der KG in 1972 das sachliche Substrat "Gewerbebetrieb", so daß der Gewinn aus der Auflösung der Rücklage nicht Teil eines Betriebsaufgabegewinns sein kann. Eine Veräußerung des ganzen Gewerbebetriebs i. S. von § 16 Abs. 1 Nr. 1 EStG liegt vor, wenn ein Gewerbetreibender alle wesentlichen Betriebsgrundlagen in einem einheitlichen Vorgang entgeltlich auf einen Erwerber überträgt (z. B. BFH-Urteile in BFHE 108, 111, 113, BStBl II 1973, 219; vom 24. Juni 1976 IV R 199/72, BFHE 119, 425, 427, BStBl II 1976, 670). Nicht erforderlich ist, daß alle Wirtschaftsgüter, die zum Betriebsvermögen des Gewerbebetriebes gehörten, veräußert werden; es ist möglich, daß einzelne Wirtschaftsgüter, die nicht die Eigenschaft von wesentlichen Betriebsgrundlagen haben, als Betriebsvermögen (ohne Betrieb) zurückbehalten und erst später verwertet werden (z. B. BFH-Urteil vom 24. Juni 1976 IV R 200/72, BFHE 119, 430, 432, BStBl II 1976, 672). Diese Rechtsgrundsätze gelten in gleicher Weise für einen gewerblichen Einzelunternehmer wie für eine gewerblich tätige Personengesellschaft. Auch bei einer Personengesellschaft, insbesondere einer Personenhandelsgesellschaft, ist die gleichzeitige Veräußerung aller wesentlichen Betriebsgrundlagen an einen Erwerber gegen Entgelt als Betriebsveräußerung i. S. von § 16 Abs. 1 Nr. 1 EStG zu werten. Dabei ist unerheblich, ob die Gesellschafter gleichzeitig die Auflösung der Personengesellschaft beschließen (vgl. § 131 Nr. 2 des Handelsgesetzbuches - HGB -) oder ob unabhängig von einem ausdrücklichen Auflösungsbeschluß der Gesellschafter die Veräußerung aller wesentlichen Betriebsgrundlagen gesellschaftsrechtlich notwendig die Auflösung der Gesellschaft nach sich zieht, wie dies z. B. bei einer Partenreederei der Fall ist (dazu Urteil in BFHE 108, 111, 113, BStBl II 1973, 219). Gesellschaftsrechtlich kann eine Personengesellschaft auch nach Veräußerung aller wesentlichen Betriebsgrundlagen fortbestehen, evtl. mit veränderter (nicht auf Liquidation gerichteter) Zwecksetzung und in anderer Rechtsform z. B. als Gesellschaft des bürgerlichen Rechts statt als KG. Demgemäß geht die Revision zu Unrecht davon aus, daß bei einer KG oder Offenen Handelsgesellschaft (OHG) eine Betriebsveräußerung (oder Betriebsaufgabe) i. S. von § 16 EStG nur und erst anzunehmen sei, wenn die Gesellschafter nicht nur alle wesentlichen Betriebsgrundlagen veräußert, sondern auch gesellschaftsrechtlich die Auflösung der Gesellschaft beschlossen hätten.

Im Streitfall hat die KG mit dem Schiff alle wesentlichen Betriebsgrundlagen veräußert. Es ist weder festgestellt noch vorgetragen, daß die zurückbehaltenen bilanzierten Wirtschaftsgüter im Hinblick auf ihre bisherige Funktion oder im Hinblick auf die in ihrem Buchansatz ruhenden stillen Reserven als wesentliche Betriebsgrundlagen zu beurteilen sind. Dies gilt insbesondere auch für die zum Gesellschaftsvermögen der KG gehörigen Anteile an der Komplementär-GmbH. Des weiteren ist weder festgestellt noch vorgetragen, daß nach der Veräußerung des Schiffs im Gesellschaftsvermögen der KG nicht bilanzierte immaterielle Wirtschaftsgüter wie z. B. besondere Geschäftsbeziehungen oder ein originärer Geschäftswert verblieben sind, die deshalb als wesentliche Betriebsgrundlagen zu beurteilen sind (mit der Folge, daß die Veräußerung des Schiffs keine Veräußerung aller wesentlichen Betriebsgrundlagen darstellt), weil die KG mit ihrer Hilfe ohne weiteres wieder eine gewerbliche Tätigkeit hätte aufnehmen können, die sich als wirtschaftlich identisch mit der bisherigen Betätigung erweist. Fehlt es aber an der Zurückbehaltung wesentlicher Betriebsgrundlagen, kommt es nicht darauf an, daß die KG, wie die Kläger behaupten, bei der Veräußerung des Schiffes noch nicht fest entschlossen war, ihre gewerbliche Betätigung auf die Dauer einzustellen. Eine Wiederaufnahme einer gewerblichen Betätigung nach Veräußerung aller wesentlichen Betriebsgrundlagen wäre als neuer Gewerbebetrieb zu beurteilen gewesen.

2. Zutreffend hat das FG entschieden, daß aus der Auflösung der Rücklage nach § 6b Abs. 3 EStG im Streitjahr 1972 ein einkommensteuerpflichtiger Gewinn entstanden ist, der nicht begünstigt ist, insbesondere nicht schon deshalb als Veräußerungsgewinn i. S. von § 16 EStG gilt, weil die Rücklage im Zuge einer Betriebsveräußerung gebildet wurde.

Nach § 34 Abs. 1 Satz 3 EStG gelten die Vorschriften über die Tarifvergünstigung für außerordentliche Einkünfte, zu denen u. a. Veräußerungsgewinne i. S. von § 16 EStG gehören, nicht, wenn der Steuerpflichtige auf die außerordentlichen Einkünfte ganz oder teilweise § 6b oder § 6c EStG anwendet. Entgegen der Auffassung, die die Prozeßbevollmächtigten der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat vertreten haben, kann § 6b EStG auf Veräußerungsgewinne i. S. von § 16 EStG nicht nur in der Form einer unmittelbaren Übertragung auf Reinvestitionen (§ 6b Abs. 1 EStG), sondern auch in der Form einer Rücklagenbildung (§ 6b Abs. 3 EStG) angewendet werden (BFH-Urteil vom 25. Juli 1979 I R 175/76, BFHE 129, 17, BStBl II 1980, 43). Hieraus folgt, daß das Gesetz dem Steuerpflichtigen ein Wahlrecht einräumt, den Gewinn aus der Veräußerung oder Aufgabe des ganzen Gewerbebetriebs oder eines Teilbetriebs entweder im Zeitpunkt der Realisierung sofort tarifbegünstigt zu versteuern oder nach Maßgabe des § 6b EStG und damit, wie allgemein im Anwendungsbereich der Vorschrift, unabhängig von einer konkreten Reinvestitionsabsicht durch Rücklagenbildung die Versteuerung zeitlich hinauszuschieben. Diese Regelung impliziert, daß die Auflösung einer bei Veräußerung oder Aufgabe des ganzen Gewerbebetriebs gebildeten Rücklage zu einkommensteuerpflichtigen nachträglichen gewerblichen Einkünften (vgl. § 24 Nr. 2 EStG) führt (Thiel, Übertragung stiller Reserven, Heidelberg 1965, Rdnr. 130). Damit erweist sich der Hilfsantrag der Revision als unbegründet, so daß offenbleiben kann, ob der Hilfsantrag als in der Revisionsinstanz unzulässige Klageänderung zu beurteilen wäre.

Die Regelung des § 34 Abs. 1 Satz 3 EStG impliziert des weiteren, daß die Einkünfte aus der Auflösung der im Zuge der Veräußerung oder Aufgabe des ganzen Gewerbebetriebs gebildeten Rücklage nicht mehr der gerade aus dieser Veräußerung oder Aufgabe abgeleiteten Tarifvergünstigung teilhaftig werden können. Denn wenn die Inanspruchnahme des § 6b EStG für einen Teil eines Betriebsveräußerungs- oder Betriebsaufgabegewinns dazu führt, daß der restliche sofort zu versteuernde Betriebsveräußerungs- oder Betriebsaufgabegewinn nicht tarifbegünstigt ist, kann dies nur bedeuten, daß auch für den Teil des Betriebsveräußerungs- oder Betriebsaufgabegewinns, dessen Versteuerung durch die Rücklagenbildung hinausgeschoben wird, die gerade aus dieser Betriebsveräußerung oder -aufgabe abgeleitete Möglichkeit einer Tarifvergünstigung definitiv verlorengeht.

3. Nicht zu beanstanden ist schließlich, daß das FG offengelassen hat, ob der für das Streitjahr festgestellte Gewinn zu Recht um eine Gewerbesteuerrückstellung gemindert ist. Das FG konnte im Rahmen der gestellten Anträge über diese Frage nicht entscheiden; die Klage war nur auf die Feststellung gerichtet, daß der Gewinn aus der Auflösung der Rücklage ein begünstigter Veräußerungsgewinn sei. Eine Erhöhung des festgestellten Gewinns zum Nachteil der Kläger war dem FG danach verwehrt.

 

Fundstellen

Haufe-Index 74234

BStBl II 1982, 348

BFHE 1982, 202

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