Leitsatz (amtlich)

1. Der Bundesfinanzhof ist als Revisionsinstanz an die vom Finanzgericht vorgenommene Schätzung von bestehenden, im einzelnen aber nicht nachgewiesenen Auslandsverbindlichkeiten gebunden, wenn die Schätzung weder einen Rechtsirrtum oder Verfahrensmangel noch einen Verstoß gegen die Denkgesetze erkennen läßt.

2. Die Zusammenveranlagung von Ehegatten und die Zusammenveranlagung des Haushaltsvorstandes mit seinen Kindern bei der Hauptveranlagung der Vermögensteuer auf den 1. Januar 1957 gemäß § 11 Abs. 1 und 2 VStG verstößt nicht gegen das GG.

2. Es verstößt auch nicht gegen das GG, wenn Wertpapiere unter Zugrundelegung des Steuerkurswertes bzw. des gemeinen Wertes zur Vermögensteuer herangezogen werden.

2. Ohne gesetzliche Grundlage ist es nicht zulässig, einen Teil des Vermögens mit Rücksicht auf die Altersversorgung eines Steuerpflichtigen bei der Vermögensteuer außer Ansatz zu lassen.

 

Normenkette

FGO §§ 96, 118 Abs. 2; VStG § 11 Abs. 1-2; GG Art. 3 Abs. 1, Art. 6 Abs. 1, Art. 14

 

Tatbestand

Streitig sind bei der Hauptveranlagung der Vermögensteuer 1957 die Höhe von Auslandsverpflichtungen und die Verfassungsmäßigkeit der Vermögensbesteuerung.

Der Steuerpflichtige (Revisionskläger) war bis zum 1. Februar 1949 an einer Patentanwaltsgemeinschaft (PAG) beteiligt. Seit dieser Zeit übt er eine eigene Patentanwaltspraxis aus. Er ist außerdem mit seiner Ehefrau an einer OHG beteiligt. Der Steuerpflichtige wurde mit seiner Ehefrau und drei Kindern auf den 1. Januar 1957 vorläufig zur Vermögensteuer veranlagt. Das Rohvermögen setzt sich zusammen aus land- und forstwirtschaftlichem Vermögen, Grundvermögen, Betriebsvermögen und sonstigem Vermögen (Wertpapieren und Bankguthaben).

Mit dem Einspruch machte der Steuerpflichtige verfassungsrechtliche Bedenken geltend, ohne sie im einzelnen näher zu bezeichnen. Er beanstandete ferner den angesetzten Wertanteil an der OHG und begehrte weiter den Abzug von Auslandsverbindlichkeiten, die aus der früheren PAG herrührten, mit einem Schätzwert von 10 000 DM.

Durch die Einspruchsentscheidung wurde die Vermögensteuer erhöht. Die Erhöhung ergab sich auf Grund der bei einer Betriebsprüfung getroffenen Feststellungen. Als Auslandsverbindlichkeit erkannte das FA einen Betrag von 1 223 DM an.

Auf die Berufung wurde die Vermögensteuerschuld ermäßigt. Das FG führte insbesondere aus: Bei den strittigen Auslandsschulden handle es sich in erster Linie um die Honorare der Vertreter bzw. Beauftragten der PAG im Ausland sowie um die Gebühren für die Eintragung von gewerblichen Schutzrechten. Die Verbindlichkeiten seien bis Kriegsende entstanden. Infolge des Verlustes sämtlicher Geschäftsunterlagen der PAG könne nicht festgestellt werden, daß es sich ausschließlich noch um Forderungen von Gläubigern aus Staaten handle, die mit der Bundesrepublik ein Abkommen zur Ablösung von Auslandsschulden abgeschlossen haben bzw. dem Londoner Schuldenabkommen beigetreten sind. Unter diesen Umständen sei eine gewisse wirtschaftliche Belastung der Inhaber der PAG anzuerkennen. Die Höhe der abzugsfähigen Schulden könne nur geschätzt werden. Ein Betrag von 3 000 DM werde für angemessen gehalten. Da dieser Betrag erheblich über die tatsächliche Inanspruchnahme des Steuerpflichtigen vor dem Stichtag hinausgehe, seien durch diesen Betrag von 3 000 DM alle Unsicherheitsfaktoren ausreichend berücksichtigt. Die verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Vermögensbesteuerung seien dagegen unbegründet. Soweit die Bedenken sich gegen die Zusammenveranlagung richten, sei durch Urteil III 287/60 U vom 3. April 1964 (BFH 79, 502, BStBl III 1964, 414) bereits entschieden, daß § 11 Abs. 1 VStG keine Grundrechte verletze. Grundvermögen und Kapitalvermögen unterschieden sich wesentlich nicht nur nach ihrem wirtschaftlichen Gehalt, sondern auch nach ihrer Zweckbestimmung und ihrer Verkehrsfähigkeit. Wenn der Gesetzgeber diesen Unterschieden durch eine abweichende steuerliche Behandlung Rechnung getragen habe, so habe er damit die Grenzen seiner Gestaltungsfreiheit nicht überschritten.

Mit der Rb. nimmt der Steuerpflichtige auf sein bisheriges Vorbringen Bezug. Der für die Auslandsschulden auf 3 000 DM geschätzte Betrag habe nach den tatsächlichen Verhältnissen keinerlei Grundlage. Diese Schätzung komme einer Bagatellisierung gleich. Auch seien die Fragen des Verstoßes gegen das Grundgesetz nicht eingehend gewürdigt worden. Bezüglich der Zusammenveranlagung von Eltern und Kindern liege ein Urteil des BVerfG (1 BvL 16-25/62 vom 30. Juni 1964, BVerfGE 18, 97) vor. Gleiche Grundsätze ließen sich auch auf die Vermögensteuer anwenden.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Die Rb., die nach der am 1. Januar 1966 in Kraft getretenen FGO als Revision zu behandeln ist, ist zulässig. Die Einwendungen des Revisionsklägers, die sich insbesondere gegen die Verfassungsmäßigkeit der Vermögensteuer richten, können nur so verstanden werden, daß er sich gegen seine Heranziehung zur Vermögensteuer überhaupt wendet. Dadurch ergibt sich ein Streitwert, der 1 000 DM übersteigt, nämlich von (2x 690 DM =) 1 380 DM. Die Revision ist jedoch nicht begründet.

I.

Die Feststellungen der Vorinstanz über die Höhe der Auslandsverbindlichkeiten im Veranlagungszeitpunkt liegen auf tatsächlichem Gebiet. Nach § 96 FGO entscheidet das FG nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Dies gilt auch für die Abwägung und Würdigung aller für die Feststellung des Sachverhalts maßgebenden Umstände. Der BFH als Revisionsinstanz ist nach § 118 Abs. 2 FGO an die in dem angefochtenen Urteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen gebunden, es sei denn, daß in bezug auf diese Feststellungen zulässige und begründete Revisionsgründe vorgebracht sind. Entsprechende Vorschriften bestanden bereits nach §§ 278, 288, 296 AO a. F. Begründete Revisionsrügen sind weder hinsichtlich der von der Vorinstanz geschätzten Höhe der Auslandsschulden vorgebracht noch erkennbar. Die Schätzung läßt weder einen Rechtsirrtum oder Verfahrensmangel noch einen Verstoß gegen die Denkgesetze erkennen. Der BFH ist deshalb an diese Schätzung gebunden, ohne daß er prüfen kann, ob das FG zu der geschätzten Schuldenhöhe kommen mußte; es genügt, daß es dazu kommen konnte.

II.

Die Einwendungen hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit der Vermögensbesteuerung in der Revisionsinstanz beziehen sich im wesentlichen auf die Zusammenveranlagung des Steuerpflichtigen mit seiner Ehefrau und den Kindern. Der Senat hat bereits in den Urteilen III 287/60 U vom 3. April 1964 (a. a. O.) und III 129/62 U vom 24. Juli 1964 (BFH 80, 350, BStBl III 1964, 598) entschieden, daß die Zusammenveranlagung von Ehegatten gemäß § 11 Abs. 1 VStG nicht gegen das GG verstößt. An diesen Entscheidungen hält der Senat fest. Die Ausführungen, die der Senat in den angeführten Entscheidungen zur Verfassungsmäßigkeit der Zusammenveranlagung nach § 11 Abs. 1 VStG gemacht hat, gelten, soweit es sich um die persönlichen Freibeträge handelt, entsprechend für die Zusammenveranlagung mit Kindern gemäß § 11 Abs. 2 VStG. Auch hier ist entscheidend, daß die Vermögensteuer nicht wie die Einkommensteuer nach einem progressiven Steuertarif, sondern nach einem Proportionaltarif erhoben wird; sie beträgt einheitlich 1 v. H. und wird nur in Höhe der Vermögensabgabe auf 0,75 v. H. ermäßigt. Der Senat hält auch wegen des persönlichen Freibetrags für Kinder von nur 5 000 DM - im Gegensatz von je 10 000 DM für den Steuerpflichtigen und seine Ehefrau - nach § 5 Abs. 1 VStG in der am Veranlagungsstichtag 1. Januar 1957 maßgebenden Fassung einen Verstoß gegen das GG nicht für gegeben. Dieser Freibetrag steht dem Steuerpflichtigen für jedes Kind zu, unabhängig davon, ob dieses Kind eigenes Vermögen besitzt oder nicht. Selbst wenn das Kind z. B. als beschränkt steuerpflichtig selbständig zur Vermögensteuer veranlagt wird, wird dem Steuerpflichtigen der Freibetrag bis zur Vollendung des 18. Lebensjahrs des Kindes gewährt (vgl. § 5 Abs. 1 Nr. 3 letzter Satz VStG in der Fassung des Art. 9 Nr. 3 Buchst. a des Gesetzes zur Änderung steuerrechtlicher Vorschriften vom 26. Juli 1957, BGBl I 1957, 848, BStBl I 1957, 352). Der Kinderfreibetrag nach § 5 Abs. 1 Nr. 3 VStG steht also grundsätzlich nicht im Zusammenhang mit der Zusammenveranlagung. Er hat vielmehr den Charakter eines sozialen Freibetrags, der die Steuerbelastung einer Familiengemeinschaft mildern soll. Es muß dabei beachtet werden, daß die Kinderfreibeträge, die ebenso wie der Ehegattenfreibetrag, durch die Kontrollratsgesetzgebung gestrichen waren, erstmals für 1949 in Höhe von 5 000 DM wieder eingeführt und ab 1953 unter bestimmten Voraussetzungen auch auf Kinder über 25 Jahre ausgedehnt wurden. Bei dem Kinderfreibetrag handelt es sich um eine begünstigende Vorschrift, die dem Schutz der Familie im Sinne des Art. 6 GG dienen soll. Grundsätzlich begünstigt sie alle Kinder, die zu einer Familiengemeinschaft gehören, in gleicher Weise.

Bedenken an der Vereinbarkeit der Freibetragsregelung mit Art. 6 GG und Art. 3 Abs. 1 GG könnten deshalb bestehen, weil die Begrenzung des Freibetrags in § 5 Abs. 1 Nr. 3 VStG in der am Stichtag geltenden Fassung auf 5 000 DM auch für solche Kinder gilt, die nach § 11 Abs. 2 VStG mit dem Haushaltsvorstand zusammenveranlagt werden und die eigenes Vermögen haben. Wenn diese Kinder selbständig veranlagt würden, stünde ihnen nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 VStG in der Fassung vom Stichtag ein Freibetrag von 10 000 DM zu. Dadurch ergibt sich jedoch nur eine geringfügige steuerliche Mehrbelastung. Sie beträgt im Höchstfall, soweit nicht der ermäßigte Steuersatz von 7,5 v. H. in Betracht kommt, 1. v. H. von 5 000 DM = 50 DM jährlich. Nach den wirtschaftlichen Verhältnissen am Stichtag 1. Januar 1957 kann angenommen werden, daß diese allenfalls in Betracht kommende Mehrbelastung nur in seltenen Ausnahmefällen erreicht worden ist. In anderen, damals sicher auch nicht häufigen Fällen, wird die Mehrbelastung nur zwischen 10 DM und 50 DM betragen haben. Im Streitfall liegt die Mehrbelastung durch die Begrenzung des Freibetrags für Kinder auf 5 000 DM wesentlich unter dem höchstmöglichen Steuerbetrag von 50 DM. In dieser geringfügigen Mehrbelastung, die zudem nur bei dem kleinen Teil der Kinder in Betracht kommt, die sowohl von der Zusammenveranlagung als auch von der Freibetragsregelung betroffen werden, kann nach Auffassung des Senats kein Verstoß gegen das GG erblickt werden. Es liegt kein Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 GG vor, wenn eine Vorschrift, die die Familie begünstigen soll und auch tatsächlich im allgemeinen begünstigt, in Ausnahmefällen zu einer geringfügigen Mehrbelastung gegenüber der selbständigen Veranlagung führt. Darin liegt auch keine Verletzung des Gleichheitssatzes des Art. 3 Abs. 1 GG. Sie würde nach der Rechtsprechung des BVerfG nur dann gegeben sein, wenn der Gesetzgeber objektiv willkürlich gehandelt hätte, d. h. wenn die gesetzliche Maßnahme tatsächlich und eindeutig im Verhältnis zu der tatsächlichen Situation, derer sie Herr werden will, unangemessen wäre (Beschluß des BVerfG 1 BvL 104/52 vom 7. Mai 1953, BVerfGE 2, 266 [281]). Von einer "Willkür" in diesem Sinne kann bei der Beschränkung des Freibetrags für Kinder auf 5 000 DM nach den bestehenden Verhältnissen nicht gesprochen werden.

Bei dieser Beurteilung kann nicht außer Betracht gelassen werden, daß durch das Steueränderungsgesetz 1961 vom 13. Juli 1961 (BGBl I 1961, 981, BStBl I 1961, 444) die Freibeträge mit Wirkung vom 1. Januar 1960 einheitlich für den Steuerpflichtigen, die Ehefrau und die Kinder auf je 20 000 DM festgesetzt worden sind. Seit dieser Zeit ist hinsichtlich des persönlichen Freibetrags jegliche unterschiedliche Behandlung der Kinder beseitigt. Es sind auch sonst keine Gründe ersichtlich, die gegen die Verfassungsmäßigkeit der Zusammenveranlagung nach § 11 Abs. 2 VStG sprechen könnten. Wegen der Gesamtschuldnerschaft der zusammenveranlagten Personen wird auf § 7 Abs. 3 des Steueranpassungsgesetzes über die Beschränkung der Zwangsvollstreckung hingewiesen.

III.

Die Vermögensbesteuerung ist auch nicht deshalb verfassungswidrig, weil das sonstige Vermögen, insbesondere die Wertpapiere unter Zugrundelegung des Kurswerts zur Vermögensteuer herangezogen wurden. Im Urteil III 186/64 U vom 30. Juli 1965 (BFH 83, 200, BStBl III 1965, 574) hat der erkennende Senat bereits entschieden, die Erhebung der Vermögensteuer unter Ansatz der Kurswerte für Wertpapiere verstoße nicht gegen Art. 14 GG. Er hat dort weiter die Auffassung vertreten, daß auch der Einwand unbegründet sei, die Erfassung der Wertpapiere mit ihrem Börsenkurs verstoße gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG. Er hat dort ausgeführt: "Selbst dann, wenn man mit dem Bf. in der Erfassung von Grundstücken bei der Vermögensteuerveranlagung mit den Einheitswerten auf der Grundlage der Hauptfeststellung zum 1. Januar 1935 einen Verstoß gegen Art. 3 GG annehmen wollte, hätte der Bf. keinen Anspruch auf eine vom Gesetz abweichende niedrigere Bewertung seiner Wertpapiere bei der Vermögensteuerveranlagung. Enthält nämlich eine Vorschrift unter Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes eine begünstigende Regelung, so kann die Gleichheit nicht dadurch wiederhergestellt werden, daß anstelle des Gesetzgebers das Gericht die bisher nicht berücksichtigte Gruppe in die Anwendung der Begünstigungsvorschrift einbezieht" (Beschluß des BVerfG 1 BvL 19, 21/58 vom 14. April 1959, BVerfGE 9, 250 [255]; vgl. auch Urteil des BFH VI 298/60 U vom 18. Dezember 1964, BFH 81, 401, BStBl III 1965, 144 unter Abschnitt IV Ziff. 2).

IV.

Auch der Einwand des Steuerpflichtigen, die Frage der Altersversorgung für die freiberuflich Tätigen sei bei der Vermögensbesteuerung nicht berücksichtigt, ist unbegründet. Die Steuergerichte können nur insoweit Freibeträge gewähren oder Vermögenswerte außer Ansatz lassen, als dies durch Gesetz bestimmt ist. Es steht ihnen nicht zu, von sich aus einen Teil des Vermögens mit Rücksicht auf die Altersversorgung bei der Vermögensteuer nicht zu erfassen. Dies gilt nicht einmal für Ansprüche auf Renten, die zur Altersversorgung bestimmt sind, sofern der Gesetzgeber diese Ansprüche nicht ausdrücklich von der Erfassung zur Vermögensteuer ausgenommen hat (vgl. hierzu BFH-Urteil III 139/60 vom 13. November 1964, HFR 1965, 394, und das BFH-Urteil III 158/63 vom 20. Oktober 1967, BFH 90, 511, BStBl II 1968, 171).

 

Fundstellen

Haufe-Index 412874

BStBl II 1968, 332

BFHE 1968, 254

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