Entscheidungsstichwort (Thema)

Verfahrensrecht/Abgabenordnung

 

Leitsatz (amtlich)

Ein auf die §§ 201 Abs. 1, 175 Abs. 1 und 2 AO gestütztes Auskunftsverlangen kann nicht unter Berufung auf ein Chiffre- Geheimnis verweigert werden. Der II. Senat tritt dem Rechtssatz 2 des Beschlusses IV 430/51 S vom 7. Februar 1952 (BStBl 1952 III S. 52, Slg. Bd. 56 S. 122) bei.

 

Normenkette

AO § 175 Abs. 1, § 175/2, § 201 Abs. 1

 

Tatbestand

Das Finanzamt hat durch Verfügungen vom 31. Januar, 7. Februar, 25. Februar und 27. April 1955 von der Beschwerdeführerin (Bfin.) Auskunft über den Namen und die Anschrift des Auftraggebers einer in der Nummer ... der - von der Bfin. herausgegebenen - Fachzeitschrift vom ... September 1954 erschienenen Anzeige verlangt. Diese Anzeige hatte folgenden Wortlaut:

"40 cbm Fi/Ta - Br. O u. I, 24 mm 18 aufw., 3 - 6 m, 40 cbm I./III. 12 mm orig. 2 - 5 m, 8 - 17 cm parall., 10 cbm dto. 1 - 1,75 m, 40 dbm Kürzungslatten 24/48 mm, 1 - 1,75 m ab Gegend X. abzugeben. Anfragen unter Nr. ... an ... (Name der Zeitschrift)."

In den Verfügungen vom 7. Februar und 25. Februar 1955 stützte das Finanzamt das Auskunftsbegehren ausdrücklich auf die §§ 175 und 201 Abs. 1 der Reichsabgabenordnung (AO).

Die Bfin. lehnte die Erteilung der Auskunft ab und legte mit Schreiben vom 2. März bzw. 2. Mai 1955 Beschwerde gegen das Auskunftsersuchen ein. Zur Begründung ihrer Beschwerde machte sie u. a. geltend, daß das Verlangen des Finanzamts einen Ermessensmißbrauch darstelle. In der Zeitschrift der Bfin. sei eine größere Anzahl von Anzeigen ähnlicher Art veröffentlicht worden. Aus der streitigen Anzeige ergäben sich keine bestimmten Verdachtsmomente dafür, daß im Zusammenhang mit der Anzeige Steuern verkürzt werden sollten.

Die Oberfinanzdirektion wies die Beschwerde durch Bescheid vom 2. Juli 1955 als unbegründet zurück. Sie stellte sich auf den Standpunkt, daß auf Grund der §§ 201, 175 AO ein Auskunftsverlangen auch dann gerechtfertigt sei, wenn ein "begründeter Anlaß" nicht gegeben sei. Das Auskunftsverlangen überschreite im Streitfall auch nicht die Grenzen des Ermessens und stehe auch nicht mit dem Grundsatz von Treu und Glauben im Widerspruch. Die Bfin. legte gegen die Beschwerdeentscheidung der Oberfinanzdirektion Berufung ein. Sie wiederholte u. a. den Vorwurf der Ermessensverletzung und vertrat unter Bezugnahme auf das Gutachten des Reichsfinanzhofs Gr.S. D 4/32 vom 20. Mai 1933 (RStBl 1933 S. 520 ff., Slg. Bd. 33 S. 248 ff., 257) die Ansicht, die Finanzämter dürften auf Grund des § 201 AO nur dann eingreifen, wenn nach den gesamten Umständen des Einzelfalls ein begründeter Anhalt dafür bestehe, daß im Zusammenhang mit der Anzeige zu Unrecht Steuereinnahmen verkürzt würden oder verkürzt worden seien.

Die Oberfinanzdirektion (Beschwerdegegnerin - Bgin. -) machte im Berufungsverfahren im Schriftsatz vom 30. Dezember 1955 nähere tatsächliche Darlegungen über die damaligen Verhältnisse beim Handel mit Holz in der betreffenden Gegend, nach denen eine Chiffre-Anzeige (nach Art des Streitfalles) objektiv durchaus geeignet sei, geschäftliche Transaktionen im Handel mit Holz zu ermöglichen, die der Besteuerung entzogen werden sollten.

Das Finanzgericht wies die Berufung als unbegründet zurück. Es schloß sich der Auffassung der Oberfinanzdirektion an, daß die Finanzämter im Steueraufsichtsverfahren Auskunft verlangen könnten, ohne daß ein "begründeter Anlaß" vorliege oder eine bestimmte Person in Betracht komme. Das Finanzgericht verneinte ein Recht der Zeitungen und Zeitschriften, eine Auskunft auf Grund eines Chiffre-Geheimnisses zu verweigern. Unter Berücksichtigung auch der Darlegungen der Bgin. in dem Schriftsatz vom 30. Dezember 1955 kam die Vorinstanz zu dem Ergebnis, daß ein Ermessensmißbrauch nicht vorliege.

Mit der Rechtsbeschwerde (Rb.) beantragt die Bfin., das angefochtene Urteil des Finanzgerichts, die Beschwerdeentscheidung der Oberfinanzdirektion vom 2. Juli 1955 und die Verfügungen des Finanzamts vom 31. Januar, 7. Februar, 25. Februar und 27. April 1955 aufzuheben.

Auch in der Begründung der Rb. wendet die Bfin. sich - wie schon im finanzgerichtlichen Verfahren - u. a. gegen die von den Vorinstanzen vertretene Ansicht, daß das Finanzamt auf Grund der §§ 175, 201, 202 AO Auskunft verlangen könne, ohne daß ein begründeter Anlaß vorliegt oder eine bestimmte Person in Betracht kommt. Diese Auffassung der Vorinstanzen stehe im Widerspruch zu der "insbesondere vor 1933" ständig geübten Rechtsprechung. Von dieser gefestigten Rechtsprechung sei der Reichsfinanzhof später unter dem Einfluß "der totalitären Staatsauffassung" abgewichen. Es sei geboten, wieder zu der "allein rechtsstaatlichen Auffassung entsprechenden früheren Betrachtungsweise" zurückzukehren.

Ferner hält die Bfin. in ihrer Rechtsbeschwerdebegründung an der Auffassung fest, daß das Auskunftsersuchen des Finanzamts einen Ermessensmißbrauch darstelle.

Die Bfin. machte außerdem geltend, daß die weitgehende Auslegung der Begriffe der Steueraufsicht und des Auskunftsrechts durch die Bgin. einen Einbruch in die "nach dem Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland geschützte Privatrechtssphäre jedes Staatsbürgers" ermöglichen würde.

 

Entscheidungsgründe

Die Rb. kann im Ergebnis keinen Erfolg haben.

Nach dem Beschluß des Bundesfinanzhofs IV 337/50 U vom 22. November 1951 (BStBl 1952 III S. 27, Slg. Bd. 56 S. 65) können die Finanzämter im Steueraufsichtsverfahren auf Grund der §§ 201 Abs. 1, 175 Absätze 1 und 2 AO Auskunft verlangen, ohne daß ein begründeter Anlaß vorliegt oder eine bestimmte Person in Betracht kommt. In dem Beschluß IV 430/51 S vom 7. Februar 1952 (BStBl 1952 III S. 52, Slg. Bd. 56 S. 122) hat der Bundesfinanzhof die in dem vorgenannten Beschluß IV 337/50 U aufgestellten Grundsätze bezüglich der Zulässigkeit und Durchführung der Steueraufsicht aufrechterhalten. Er hat außerdem (vgl. den Rechtssatz 2 des Beschlusses IV 430/51 S) - in übereinstimmung mit dem Gutachten des Reichsfinanzhofs Gr.S. D 3/37 vom 16. Oktober 1937 (RStBl 1937 S. 1110, Slg. Bd. 42 S. 282) - ausdrücklich ausgesprochen, daß ein auf die §§ 201 Abs. 1, 175 Absätze 1 und 2 AO gestütztes Auskunftsverlangen nicht unter Berufung auf das sogenannte Chiffre-Geheimnis verweigert werden darf.

Andererseits hat der Bundesfinanzhof in den beiden angeführten Entscheidungen hervorgehoben, daß jedes Auskunftsverlangen als Maßnahme der Steueraufsicht sowohl dem Grunde nach wie auch hinsichtlich der Durchführung den für Ermessensentscheidungen maßgebenden Grundsätzen von Recht und Billigkeit entsprechen muß (vgl. dazu § 2 Abs. 2 des Steueranpassungsgesetzes in der an das Gutachten des Großen Senats Gr.S. D 1/51 S vom 17. April 1951 - BStBl 1951 III S. 107, Slg. Bd. 55 S. 277 - anknüpfenden einheitlichen Auslegung durch alle Senate des Bundesfinanzhofs).

Der erkennende II. Senat hat nach eingehender Würdigung der in diesem Verfahren und in einem Teil des Schrifttums gegen die beiden angeführten Entscheidungen des IV. Senats erhobenen Bedenken beschlossen, an den in den genannten Entscheidungen aufgestellten Grundsätzen über die Steueraufsicht und die Auskunftserteilung im Ergebnis festzuhalten. Für den erkennenden Senat waren dabei folgende Erwägungen ausschlaggebend:

Nach § 201 Abs. 1 AO haben die Finanzämter darüber zu wachen, ob durch Steuerflucht oder in sonstiger Weise zu Unrecht Steuereinnahmen verkürzt werden. Nach § 201 Abs. 2 AO können die Finanzämter in Ausübung dieser Steueraufsicht verlangen, daß eidesstattliche Versicherungen abgegeben werden. Nach § 175 Abs. 1 AO hat grundsätzlich, auch wer nicht als Steuerpflichtiger beteiligt ist (also jeder Dritte), dem Finanzamt über Tatsachen Auskunft zu erteilen, die (u. a.) für die Ausübung der Steueraufsicht von Bedeutung sind.

Nach dem eindeutigen Wortlaut dieser Vorschriften ist das Finanzamt grundsätzlich befugt, von jedem Dritten, also auch von einer Zeitung oder einer Zeitschrift, im Rahmen der Steueraufsicht Auskünfte zu verlangen. Der Wortlaut des § 201 AO, der auch für die Auslegung des Begriffs Steueraufsicht im § 175 AO maßgebend ist, enthält keine Einschränkung dahin, daß die Steuerbehörde von der Steueraufsicht nur dann Gebrauch machen darf, wenn ein begründeter Anhalt dafür besteht, daß durch Steuerflucht oder in sonstiger Weise zu Unrecht Steuereinnahmen verkürzt werden oder verkürzt worden sind.

Zu dem Einwand der Bfin., die Auslegung des § 201 AO in dem gekennzeichneten Sinne sei auf den Einfluß der "totalitären Staatsauffassung" in der Zeit nach 1933 zurückzuführen und entspreche nicht "rechtsstaatlicher Betrachtungsweise", wird, auch unter Hinweis auf die diesbezüglichen Ausführungen in dem angeführten Beschluß IV 337/50 U vom 22. November 1951, folgendes bemerkt:

Der Reichsfinanzhof hat bereits in dem Gutachten VI D 1/32 vom 10. März 1932 (RStBl 1932 S. 324, Slg. Bd. 30 S. 233) - also vor 1933 - ausgesprochen: "Durch § 201 Abs. 1 der Reichsabgabenordnung (n. F.) ist eine neue allgemeine Art der Steueraufsicht eingeführt worden mit der Folge, daß das Finanzamt Auskunft nach § 175 der Reichsabgabenordnung (n. F.) auch zum Zweck der Aufdeckung unbekannter Steuerfälle fordern kann." Allerdings hat der Reichsfinanzhof im Gutachten Gr.S. D 4/32 vom 20. Mai 1933 (RStBl 1933 S. 520 ff., 523, linke Spalte unten, Slg. Bd. 33 S. 248 ff., 257), auf das die Bfin. insoweit mit Recht Bezug nimmt, ausgeführt: "Die Finanzämter dürfen auf Grund von § 201 AO Steueraufsichtsmaßnahmen nur ergreifen, wenn nach den Gesamtumständen des Falles ein begründeter Anhalt dafür besteht, daß durch Steuerflucht oder in sonstiger Weise zu Unrecht Steuereinnahmen verkürzt werden oder verkürzt worden sind." Diese Beschränkung ließ der Reichsfinanzhof im Urteil IV A 17/36 vom 24. April 1936 (RStBl 1936 S. 536, Slg. Bd. 39 S. 228), besonders unter Bezugnahme auf den Wortlaut des § 201 AO und die Aufgaben der Steueraufsicht, mit eingehender Begründung fallen; er hat anschließend in ständiger Rechtsprechung daran festgehalten, daß es für die Ausübung der Steueraufsicht eines begründeten Anlasses nicht bedarf (vgl. insoweit im einzelnen für die Entwicklung der Rechtsprechung, Herbert Kuehn, Steuer und Wirtschaft 1949 Spalten 569 ff., in dem alle wesentlichen Entscheidungen und Gutachten des Reichsfinanzhofs inhaltlich wiedergebenden Aufsatz "Die Steueraufsicht des § 201 Abs. 1 AO nach Urteilen und Gutachten des Reichsfinanzhofs").

Im Schrifttum wird die Ansicht vertreten, daß diese im Jahre 1936 erfolgte änderung der Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs wesentlich beeinflußt sei durch Ausführungen, mit denen der damalige Staatssekretär im Reichsfinanzministerium die bisher einschränkende Auslegung des Reichsfinanzhofs in Vorträgen und in einem Aufsatz bekämpft hatte, in denen er sich für eine uneingeschränkte gesetzliche Verpflichtung der Finanzämter zur Steueraufsicht, auch unter Hinweis auf die sogenannte "nationalsozialistische Weltanschauung", eingesetzt hatte (vgl. dazu u. a. Paulick, "Die Auskunftspflicht der Steuerpflichtigen und dritter Personen im Steuerermittlungs-, Steueraufsichts- und Steuerstrafverfahren und ihre rechtsstaatlichen Grenzen" in "Gegenwartsfragen des Steuerrechts", Festschrift für Armin Spitaler, S. 53 ff., 84 f., 87 unter Bezugnahme auf Deutsche Steuer-Zeitung 1935 S. 5 ff., S. 29 ff.). Für diese Ansicht könnte sprechen, daß in der Begründung des Urteils des Reichsfinanzhofs IV A 17/36 ausdrücklich auf den erwähnten Aufsatz des damaligen Staatssekretärs (Deutsche Steuer-Zeitung 1935 S. 11, 17) Bezug genommen ist. Abgesehen davon, daß das Urteil IV A 17/36 und die nachfolgenden Entscheidungen bzw. Gutachten des Reichsfinanzhofs maßgebend durch andere rechtliche Erwägungen getragen werden, kann es für die heutige Entscheidung nur darauf ankommen, ob nach heutigen rechtsstaatlichen Grundsätzen die Auslegung, daß ein Auskunftsverlangen nach den §§ 175, 201 AO ohne konkreten Anhalt für eine Steuerverkürzung begründet sein kann, gerechtfertigt erscheint oder nicht. Diese Frage ist nach Ansicht des erkennenden Senats, um es nochmals hervorzuheben, auf Grund des für die Entscheidung in erster Linie maßgebenden Wortlauts der gesetzlichen Vorschriften zu bejahen. Mit Recht hebt der angeführte Beschluß des Bundesfinanzhofs IV 337/50 U vom 22. November 1951 hervor, daß, selbst wenn die erwähnte (1936 geänderte) Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs nicht bestände, die Vorschrift heute in gleicher Weise ausgelegt und gehandhabt werden müsse. "Solange das Gesetz selbst für die Anwendung des § 201 AO einen begründeten Anlaß nicht vorschreibt, ist er auch nicht erforderlich." Zum anderen rechtfertigt auch der Zweck der allgemeinen Steueraufsicht diese Auslegung. Der Zweck geht, wie sich aus der Gesetzesfassung selbst ergibt, entscheidend dahin, zu verhindern, daß durch Steuerflucht oder in sonstiger Weise Steuereinnahmen verkürzt werden, wobei es gleichgültig ist, ob die Verkürzung schon eingetreten ist oder erst beabsichtigt wird. Dieser Zweck kann nur erreicht werden, wenn die Finanzbehörden in der Lage sind, auch ohne konkreten Verdacht, daß eine Steuerverkürzung eingetreten oder beabsichtigt ist, die ihnen nach der AO oder anderen Gesetzen zustehenden Befugnisse zur Durchführung der Steueraufsicht auszuüben.

Daher war auch im Streitfalle das auf § 175 AO gestützte Auskunftsverlangen entgegen der Ansicht der Bfin. dem Grunde nach ohne Rücksicht darauf gerechtfertigt, ob das Finanzamt zu seiner Anfrage einen besonderen Anlaß hatte oder nicht.

Zutreffend hat das Finanzgericht - in übereinstimmung mit dem Beschluß IV 430/51 S vom 7. Februar 1952 - auch ein Recht der Bfin. verneint, die Auskunft unter Berufung auf ein Chiffre- Geheimnis zu verweigern. Mit Recht führt der genannte Beschluß aus, daß eine den Zeitungen oder Zeitschriften gegenüber ihren Auftraggebern obliegende Schweigepflicht die öffentlich-rechtliche Auskunftspflicht den Finanzämtern gegenüber nicht beeinträchtigen kann, daß die Beschränkungen der Auskunftspflicht (z. B. der Geistlichen, ärzte und Rechtsanwälte) in den §§ 176 ff. AO abschließend geregelt sind und ohne Gesetzesänderung nicht auf Zeitungen und Zeitschriften ausgedehnt werden können, zumal der Gesetzgeber bewußt die Anerkennung eines allgemeinen "Geschäfts- oder Gewerbegeheimnisses" den Finanzämtern gegenüber versagt hat.

Den Einwand, die Ausübung des Auskunftsrechts unter Außerachtlassung des Chiffre-Geheimnisses führe zu einem unerlaubten Eingriff in die "nach dem Grundgesetz geschützte Privatrechtssphäre", hat schon der IV. Senat, wenn auch in einem anderen Zusammenhang, widerlegt. Auch der erkennende Senat ist der Auffassung, daß hier weder von einer Verletzung der Menschenwürde noch des Persönlichkeitsrechts (Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland - GG -) gesprochen werden kann.

Eine allenfalls in Betracht kommende Verletzung des Grundrechts des Art. 12 Abs. 1 GG hinsichtlich der Berufsausübung (durch die Bfin.) ist auch nicht gegeben. Allerdings ist, wie das Bundesverwaltungsgericht im Urteil VII C 34.57 vom 19. Dezember 1958 (Sammlung der Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts Bd. 8 S. 78 ff.) unter Bezugnahme auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts - 1 BvR 596/56 - vom 11. Juni 1958 (Sammlung der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bd. 7 S. 377 ff.) ausführt, für die im Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG vorgesehene gesetzliche Regelung der Berufsausübung erforderlich, daß jede gesetzliche Einschränkung der freien Berufsausübung durch vernünftige Erwägungen des Gemeinwohls gerechtfertigt, nicht übermäßig belastend und zumutbar ist. In dem angeführten Urteil hat das Bundesverwaltungsgericht entschieden, daß die Vorschriften der §§ 1 bis 4 der als Bundesrecht weitergeltenden Verordnung über die Auskunftspflicht (Anlage 7 der Verordnung zur Ausführung des Art. VI Abs. 3 des Notgesetzes vom 13. Juli 1923, Reichsgesetzblatt I S. 699 ff., 723) dem GG nicht widersprechen. Nach § 1 der Verordnung über die Auskunftspflicht können die darin genannten Instanzen jederzeit Auskunft verlangen über "wirtschaftliche Verhältnisse, insbesondere über Preise und Vorräte, sowie über Leistungen und Leistungsfähigkeit von Unternehmungen und Betrieben". Nach dem erwähnten Urteil des Bundesverwaltungsgerichts entspricht es durchaus vernünftigen Erwägungen des Gemeinwohls, daß in der genannten den Anforderungen des Art. 19 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 GG entsprechenden Rechtsverordnung u. a. für gewerbliche Unternehmer eine allgemeine Auskunftspflicht hinsichtlich wirtschaftlicher Zustände und Vorgänge eingeführt ist, wobei nicht allgemein, sondern nur nach Lage des Einzelfalles bestimmt werden kann, ob im Einzelfall die Auskunft übermäßig belastend und unzumutbar ist. Auch hinsichtlich dieser Auskunftspflicht hebt das Bundesverwaltungsgericht hervor, daß sie sich nicht beschränken läßt auf ergänzende Auskünfte über solche einzelnen Fälle, die der auskunftsberechtigten Behörde schon mehr oder weniger bekannt sind. Die vom Bundesverwaltungsgericht für die Verordnung über die Auskunftspflicht angestellten Erwägungen gelten nach Ansicht des erkennenden Senats mindestens in gleichem Umfang für die Auskunftspflicht gegenüber Finanzverwaltungsbehörden im Rahmen der II 175, 201 AO, in der ebensowenig ein Verstoß gegen das Grundrecht der freien Berufsausübung erblickt werden kann, auch wenn die Auskunft ohne Hinweis auf einen konkreten Anlaß oder bestimmte Verdachtsmomente verlangt wird.

Rechtsstaatlichen Bedenken würde das durch die eindeutige Eingriffsnorm der §§ 175, 201 Abs. 1 (Abs. 2) AO grundsätzlich gerechtfertigte Auskunftsverlangen allerdings dann im Einzelfall unterliegen können, wenn es willkürlich und unter Außerachtlassung der Grundsätze von Recht und Billigkeit ausgeübt würde. Bei der Ausübung der Steueraufsicht muß vielmehr im Rahmen dieser Grundsätze ein gerechter Ausgleich von Gesamt- und Einzelinteressen stattfinden. Der erkennende Senat tritt dem Beschluß IV 430/51 S vom 7. Februar 1952 auch darin bei, daß die Verwaltung "nicht willkürlich und uferlos von dem Auskunftsrecht Gebrauch machen darf". Der Senat verkennt auch keineswegs, daß die Erteilung der Auskünfte über die Person und die Anschrift der Auftraggeber von Chiffre-Anzeigen für Zeitungen und Zeitschriften Unannehmlichkeiten zur Folge haben kann. Es ist deshalb der Ansicht, daß die Finanzämter von ihrem Auskunftsrecht in solchen Fällen mit Vorsicht Gebrauch machen sollten, wie es auch der Verwaltungsübung entspricht.

Der Senat ist jedoch der Auffassung, daß im Streitfall eine Verletzung der Grundsätze von Recht und Billigkeit nicht gegeben ist. Es genügt in der Regel für die Verneinung einer Ermessensverletzung in solchen Fällen, daß nach den Erfahrungen des Lebens, insbesondere auch nach den Erfahrungen der Verwaltung auf Grund des Inhalts der einzelnen Anzeige bei unvoreingenommener Betrachtung die Annahme für das Vorliegen oder die Beabsichtigung einer möglichen Steuerverkürzung gerechtfertigt ist. Diese Voraussetzung ist im Streitfall bei der wertmäßigen Größenordnung der Anzeige, deren Höhe von schätzungsweise etwa 10.000 DM die Bfin. in der mündlichen Verhandlung nicht bestritten hat, unbedenklich gegeben. Das gilt um so mehr unter Berücksichtigung der von der Vorinstanz ohne Rechtsirrtum ihrer Entscheidung mit zugrunde gelegten tatsächlichen Darlegungen der Bgin. über die damaligen Verhältnisse beim Handel mit Holz in der betreffenden Gegend.

Es kann auch nicht als Ermessensmißbrauch angesehen werden, daß das Finanzamt sein Auskunftsbegehren ohne Angabe eines besonderen Grundes auf die Veranlassung zum Streitfall bildende Anzeige beschränkt hat, obwohl in der fraglichen Zeit zahlreiche Anzeigen ähnlicher Art und mindestens gleicher Größenordnung in der Zeitschrift der Bfin. erschienen sind und heute noch veröffentlicht werden. Wegen dieser Beschränkung des Auskunftsbegehrens bedarf es daher auch keiner Untersuchung, ob nicht dann hinsichtlich der Durchführung der Steueraufsicht von einer Ermessensverletzung, auch unter dem Gesichtspunkt der Zumutbarkeit, gesprochen werden könnte, wenn ein Finanzamt von einer Fachzeitschrift laufend Auskunft über die Auftraggeber von Chiffre-Anzeigen einer bestimmten Größenordnung verlangen würde (vgl. dazu auch den vorletzten Absatz der Begründung des Beschlusses IV 337/50 U vom 22. November 1951).

Entgegen den Ausführungen der Bfin. in der mündlichen Verhandlung hat das Finanzamt sein Auskunftsbegehren ausreichend durch die Bezugnahme auf die §§ 175, 201 Abs. 1 AO begründet (vgl. dazu das Urteil des erkennenden Senats II 27/54 S vom 27. April 1955, BStBl 1955 III S. 178, Slg. Bd. 60 S. 468).

Nach alledem war die Rb. als unbegründet zurückzuweisen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 409415

BStBl III 1959, 413

BFHE 1960, 409

BFHE 69, 409

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