Entscheidungsstichwort (Thema)

Unzulässigkeit einer auf § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO gestützten Revision

 

Leitsatz (NV)

1. Zu den Anforderungen, insbesondere in formeller Hinsicht, an eine auf die Rüge gestützte Revision, die Entscheidung sei nicht mit Gründen versehen (§ 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO).

2. Die Widersprüchlichkeit des Vorbringens kann die Schlüssigkeit und damit die Beurteilung ausschließen, daß die Tatsachen bezeichnet worden seien, die den Verfahrensmangel ergeben (§ 120 Abs. 2 Satz 2 FGO).

3. Ein Verfahrensmangel i. S. des § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO liegt insoweit nicht vor, als das FG aus seiner Sicht auf die Frage nicht einzugehen brauchte, deren fehlende Erörterung in der Entscheidung gerügt wird.

4. Mit dem Vorbringen, das FG habe näher bezeichnete Schriftsätze nicht berücksichtigt, wird nicht ein Verfahrensmangel i. S. des § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO gerügt, sondern Verletzung des § 96 Abs. 1 Satz 1 erster Halbsatz FGO geltend gemacht.

 

Normenkette

FGO § 96 Abs. 1 S. 1, § 116 Abs. 1 Nr. 5, § 120 Abs. 2 S. 2, §§ 124, 126 Abs. 1

 

Verfahrensgang

Hessisches FG

 

Tatbestand

Der Bekl. und Revisionsbeklagte (das FA) erließ am 15. Februar 1982 einen USt-Bescheid 1980 gegen die ,,Erwerbsgemeinschaft . . . + . . . GbR z. Hd. Steuerbev. . . .". Die Besteuerungsgrundlagen waren geschätzt worden. Hiergegen erhoben die Kl. und Revisionskl. (Kl.) nach erfolglosem Einspruchsverfahren Klage.

Während des Klageverfahrens erließ das FA am 20. Mai 1985 unter derselben Steuernummer (a) einen nur an den Kl. zu 1. gerichteten USt-Bescheid 1980 mit dem Vermerk: ,,Dieser Bescheid ändert den Bescheid vom 15. 2. 1982. Dieser Bescheid ergeht an Sie als Gesamtrechtsnachfolger. Durch die Gesamtrechtsnachfolge sind Sie Steuerschuldner geworden."

Das FA erklärte die Hauptsache für erledigt.

Die Kl. weigerten sich, eine Erledigungserklärung abzugeben, und machten den neuen Bescheid nicht zum Gegenstand des Verfahrens. Sie beantragten zuletzt, festzustellen, daß der Bescheid vom 15. Februar 1982 rechtsunwirksam sei.

Das FG wies die Klage ab, und zwar mit der Begründung, die Klage der Klin. (zu 2.) sei unzulässig, weil der Klin. gegenüber kein USt-Bescheid 1980 mehr existiere. Außerdem hätten die Kl. hinsichtlich ihres Antrages auf Feststellung der Unwirksamkeit des inzwischen nicht mehr existierenden ursprünglichen Verwaltungsaktes keine Beschwer dargelegt. Sofern die Frage von Säumniszuschlägen in Betracht komme, sei nach Auskunft des FA davon auszugehen, daß insoweit das Konto der Kl. ausgeglichen sei. Es fehle insgesamt an einem entsprechenden Vorbringen der Kl.

Mit der Revision beantragen die Kl. Aufhebung der Vorentscheidung und Zurückverweisung der Sache an das FG. Sie rügen Verletzung des § 105 Abs. 2 Nr. 5 FGO und machen geltend, die Entscheidung sei nicht mit Gründen versehen, so daß es einer Revisionszulassung nicht bedurft habe (§ 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO). Die Verpflichtung zur Aufnahme von Entscheidungsgründen in das Urteil werde nicht nur dann verletzt, wenn Gründe überhaupt fehlten, sondern auch bei unzureichenden Entscheidungsgründen, z. B. beim Übergehen selbständiger Angriffs- oder Verteidigungsmittel, bei Inhaltslosigkeit, Unvollständigkeit oder Unklarheit dergestalt, daß nicht erkennbar sei, welcher Sachverhalt der Entscheidung zugrunde gelegt worden sei und auf welche rechtlichen Erwägungen sich die Entscheidung stütze.

Dem angefochtenen Urteil sei nicht zu entnehmen: weswegen die von der Klin. betriebene Klage unzulässig sei; wie das FG zu dem Ergebnis gelangt sei, der Kl. sei Gesamtrechtsnachfolger der GbR; ob der Schriftsatz vom 19. März 1986 nebst Anlagen vom FG zur Kenntnis genommen und bei der Entscheidung berücksichtigt worden sei. Ferner seien die Schriftsätze vom 10. August 1983, 17. Februar 1986, 2. und 6. März 1987, die selbständige Angriffsmittel enthielten, durch das FG der Entscheidung nicht zugrunde gelegt worden.

Das FA ist der Revision entgegengetreten.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Kl. ist unzulässig; sie wird verworfen (§§ 124, 126 Abs. 1 FGO). Die Revision ist nicht zugelassen worden, und die Kl. haben Verfahrensmängel, die eine ohne Zulassung statthafte Revision ergeben, nicht schlüssig gerügt.

1. Nach Art. 1 Nr. 5 BFHEntlG findet abweichend von § 115 Abs. 1 FGO die Revision nur statt, wenn das FG oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung der BFH die Revision zugelassen hat. Beides ist im vorliegenden Fall nicht geschehen. Angesichts dessen hätte die Revision nur zulässig sein können, wenn die Voraussetzungen des § 116 Abs. 1 FGO gegeben wären. Dies trifft jedoch nicht zu, insbesondere nicht hinsichtlich der Nummer 5 der zitierten Vorschrift.

2. Aufgrund des § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO bedarf es einer Zulassung zur Einlegung der Revision nicht, wenn als wesentlicher Mangel des Verfahrens gerügt wird, daß die Entscheidung nicht mit Gründen versehen ist.

a) Nach der ständigen Rechtsprechung des BFH (vgl. z. B. BFH-Beschluß vom 5. Februar 1988 VI R 65/86, unter 1. und 2. a, BFH/NV 1988, 583) ist eine Entscheidung nicht mit Gründen versehen, wenn jegliche Begründung fehlt oder lediglich inhaltslose oder unverständliche Wendungen niedergeschrieben sind, die nicht erkennen lassen, von welchen Erwägungen das Gericht ausgegangen ist, und die eine Überprüfung des Rechtsstandpunktes nicht ermöglichen, oder wenn ein selbständiger Anspruch bzw. ein selbständiges Angriffs- oder Verteidigungsmittel mit Stillschweigen übergangen worden ist. Unter selbständigem Anspruch bzw. selbständigem Angriffs- oder Verteidigungsmittel sind zu verstehen: ein selbständiger Klagegrund bzw. ein solches Angriffs- oder Verteidigungsmittel, das den vollständigen Tatbestand einer mit selbständiger Wirkung ausgestatteten Rechtsnorm darstellt. Nicht ausreichend ist es, daß ein Angriff oder die Verteidigung auf ein einzelnes Tatbestandselement einer Rechtsnorm gestützt wird (vgl. BFH-Beschlüsse vom 19. August 1987 IV R 16/87, unter 2., BFH/NV 1988, 245, und vom 9. Februar 1977 I R 136/76, BFHE 121, 298, BStBl II 1977, 351).

b) Ein wesentlicher Verfahrensmangel i. S. des § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO liegt dagegen nicht schon im Hinblick darauf vor, daß den Ausführungen des FG nicht gefolgt werden kann (vgl. BFH-Beschluß vom 14. März 1989 IV R 131/88, BFH/NV 1990, 238), daß die Vorentscheidung Widersprüche enthält, sofern noch zu erkennen ist, welche Überlegungen für das Gericht maßgebend waren (BFH-Beschluß vom 11. Juli 1989 VII R 66/88, BFH/NV 1990, 176), oder daß die Begründung lückenhaft ist (vgl. BFH-Beschluß vom 17. Mai 1989 II R 154/88, BFH/NV 1990, 244), z. B. auf ein einzelnes Tatbestandsmerkmal (vgl. BFH-Beschluß vom 18. April 1989 VII R 14/88, BFH/NV 1990, 169) oder auf ein einzelnes Argument oder auf Einzelheiten des Sachverhalts nicht eingeht (vgl. BFH-Beschlüsse vom 26. Mai 1987 VIII R 4/86, BFH/NV 1988, 445, und in BFH/NV 1988, 245).

3. In formeller Hinsicht erfordert die Rüge eines wesentlichen Verfahrensmangels i. S. des § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO insbesondere, daß die Revision oder die Revisionsbegründung die Tatsachen bezeichnet, die den Verfahrensmangel ergeben (vgl. § 120 Abs. 2 Satz 2 FGO). Dies bedeutet nach der ständigen BFH-Rechtsprechung, daß die Rüge schlüssig begründet werden muß (vgl. z. B. BFH-Beschluß in BFH/NV 1990, 244). Eine schlüssige Begründung liegt vor, wenn die insoweit vorgetragenen Tatsachen, deren Richtigkeit unterstellt, einen Mangel i. S. des § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO ergeben (vgl. BFH-Beschlüsse in BFH/NV 1990, 169; vom 25. Januar 1988 VII R 101/87, BFH/NV 1988, 580, und vom 26. Mai 1987 VIII R 5/86, BFH/NV 1988, 503).

Außerdem muß eine auf § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO gestützte Revision sich mit der Vorentscheidung auseinandersetzen. Hierdurch wird die Zulässigkeit von Bezugnahmen und Verweisungen erheblich eingeschränkt (vgl. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl., § 120 Anm. 32 und 34 ff.; Tipke/Kruse, Abgabenordnung - Finanzgerichtsordnung, 13. Aufl., § 120 FGO Tz. 54 f.).

4. Diese Anforderungen an die Begründung einer auf § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO gestützten Revision sind im vorliegenden Fall nicht erfüllt.

a) Soweit allein die Klin. geltend macht, den Entscheidungsgründen sei nicht zu entnehmen, weswegen das FG in Beziehung auf sie, die Klin., die Klage für unzulässig gehalten habe, fehlt es an der Schlüssigkeit der Begründung der Rüge; denn insoweit ist das Vorbringen widersprüchlich.

Aus dem übrigen Inhalt der Revisionsbegründung geht hervor, daß die Klin. die den beiden Klägern gewidmeten Entscheidungsgründe des FG auch auf sich bezieht, so daß sie in dieser Hinsicht eine Vorstellung von den Überlegungen hat, die das FG zur Unzulässigkeit haben kommen lassen. Soweit das FG in Beziehung auf die Klin. allein ausgeführt hat, die Klage sei unzulässig, weil gegen die Klin. kein USt-Bescheid mehr existiere, ist die Äußerung des FG in der Revisionsbegründungsschrift (S. 2, 1. Absatz) vollständig wiedergegeben, d. h. einschließlich des Hinweises darauf, daß ein gegen die Klin. gerichteter USt-Bescheid nicht mehr vorhanden sei. Angesichts dessen besteht auch in dieser Hinsicht keine Unsicherheit bei der Klin., aufgrund welcher Erwägung das FG Unzulässigkeit der Klage angenommen hat. Hiermit ist die Behauptung denkgesetzlich nicht vereinbar, der Vorentscheidung nicht die Gründe für die Klageabweisung entnehmen zu können.

Vermutlich will die Klin. mit dem erörterten Revisionsangriff eigentlich geltend machen, daß sie die Begründung des FG für nicht stichhaltig hält. Damit kann jedoch kein Verfahrensmangel i. S. des § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO schlüssig dargelegt werden.

b) Die Mindestanforderungen an die Revisionsbegründung sind ebenfalls nicht erfüllt, soweit beide Kl. gemeinsam Revisionsangriffe führen.

aa) Soweit beide Kl. geltend machen, dem angefochtenen Urteil lasse sich nicht entnehmen, aus welchen Gründen der Kl. als Gesamtrechtsnachfolger der GbR angesehen werde, ist ein Verfahrensmangel i. S. des § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO schon deshalb nicht dargetan, weil es aus der Sicht des FG hierauf für die Klageabweisung nicht ankam.

Mit den die beiden Kl. betreffenden Entscheidungsgründen hat das FG zum Ausdruck gebracht, daß seit dem Erlaß des geänderten USt-Bescheides 1980 die weiterhin gegen den ursprünglichen Bescheid gerichtete, allerdings von einem Aufhebungs- auf einen Feststellungsantrag umgestellte Klage unzulässig sei, weil an die Stelle des ursprünglichen der geänderte Bescheid getreten sei und weil die Kl. keine Beschwer durch den nicht mehr existierenden ursprünglichen Bescheid dargetan hätten. Bei diesen Erwägungen konnte das FG, sieht man von dem Problem des Bestehenbleibens des geänderten Bescheides ab, sich allein mit der Frage befassen, ob der ursprüngliche USt-Bescheid infolge des Erlasses des Änderungsbescheides dergestalt seine Wirkung verloren hat, daß von ihm nicht länger eine Beschwer für die Kl. auszugehen vermag. Das FG brauchte nicht auf die Frage einzugehen, ob die vom FA im Änderungsbescheid ausgesprochenen Rechtswirkungen zu Recht angeordnet worden sind. Dementsprechend können die Kl. keinen Erfolg mit einer Rüge i. S. des § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO haben, wenn sie geltend machen, daß das FG in der angefochtenen Entscheidung Ausführungen zu der die Rechtmäßigkeit - nicht etwa die Wirksamkeit - des geänderten Bescheides betreffenden Frage unterlassen habe, ob der Kl. vom FA zutreffend als Gesamtrechtsnachfolger behandelt worden ist. Daß das FG sich in den Entscheidungsgründen nicht mit der Möglichkeit befaßt hat, der geänderte Bescheid könnte seine Geltung einbüßen, ist von den Kl. nicht gerügt worden.

bb) Das Vorbringen der Kl., näher bezeichnete Schriftsätze seien vom FG nicht berücksichtigt worden, vermag nicht einen Verfahrensmangel i. S. des § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO zu ergeben. Hiermit wird nicht das Fehlen einer rechtlichen Begründung im angefochtenen Urteil gerügt, sondern geltend gemacht, das FG habe gegen § 96 Abs. 1 Satz 1 erster Halbsatz FGO verstoßen, wonach das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung entscheidet.

cc) Soweit sich die Kl. darauf berufen, ein Verfahrensmangel i. S. des § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO liege vor, weil das FG selbständige Angriffsmittel mit Stillschweigen übergangen habe, kann dahingestellt bleiben, ob die von den Kl. angeführten Streitpunkte (wirksame Bekanntgabe und zureichende Adressierung des ursprünglichen Bescheides sowie örtliche Zuständigkeit des FA für den Erlaß des Bescheides) überhaupt Ausgangspunkte für selbständige Angriffs- oder Verteidigungsmittel sein können, sowie bejahendenfalls, ob insoweit die Verweisung auf die der Revisionsbegründungsschrift beigefügten Kopien von Schriftsätzen ausreichen würde, die dem FG vorgelegt worden sind. Der erörterte Revisionangriff scheitert jedenfalls daran, daß sämtliche Streitpunkte den ursprünglichen Bescheid betreffen und daß das FG aus seiner Sicht sich nicht mit Fragen der Rechtmäßigkeit dieses Bescheides befassen mußte.

 

Fundstellen

Haufe-Index 417264

BFH/NV 1991, 325

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