Entscheidungsstichwort (Thema)

Einlegung der Revision beim FG, Fristwahrung, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand

 

Leitsatz (NV)

1. Die Revision ist beim FG einzulegen. Sie ist deshalb nicht fristgerecht eingelegt, wenn sie zwar innerhalb der Revisionsfrist beim BFH eingelegt wird, aber erst nach Ablauf der Revisionsfrist beim FG eingeht.

2. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kann nicht gewährt werden, wenn das HZA vor dem BFH durch einen zum Richteramt befähigten Beamten der OFD vertreten wird und diesen an der Versäumung der Revisionsfrist ein Verschulden trifft.

3. Zum Verschulden bei Versäumung der Revisionsfrist, wenn die Revisionsschrift an den BFH adressiert ist und das FG nicht innerhalb der Revisionsfrist erreicht.

 

Normenkette

FGO § 56 Abs. 1, § 115 Abs. 5 S. 4, § 120 Abs. 1, §§ 124, 126 Abs. 1, § 155; ZPO § 85 Abs. 2

 

Tatbestand

Das beklagte und revisionsklagende Hauptzollamt (HZA) hat von der Klägerin und Revisionsbeklagten (Klägerin) mit mehreren Steuer-/Steueränderungsbescheiden für ihre Einfuhren Einfuhrabgaben nachgefordert. Die Einsprüche der Klägerin gegen die Bescheide blieben erfolglos.

Die Klage war erfolgreich.

Auf die Nichtzulassungbeschwerde des HZA hin ließ das Finanzgericht (FG) die Revision gegen das Urteil zu; der Beschluß darüber wurde dem HZA am 4. Juni 1993 zugestellt. Das HZA legte gegen die Vorentscheidung Revision ein und begründete diese gleichzeitig (Schriftsatz vom 23. Juni 1993). Es beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Revision war an den "Bundesfinanzhof, Ismaninger Straße 109, 81675 München" adressiert. Sie ging beim Bundesfinanzhof (BFH) am 2. Juli 1993 und beim FG am 8. Juli 1993 ein, nachdem sie von der Geschäftsstelle des Senats an das FG weitergeleitet worden war.

Das HZA begehrt mit seinem ebenfalls an den BFH adressierten und beim FG am 8. Juli 1993 eingegangenen Schriftsatz wegen der Versäumung der Revisionsfrist die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Es führt aus, der diensthabende Beamte der Absendestelle habe die in dem Schreiben des FG vom 18. Mai 1993 an das HZA enthaltene Aufforderung, künftige Schriftsätze an den BFH zu übersenden, zum Anlaß genommen, die Revision unmittelbar dem BFH zu übersenden. Diese Handhabung habe nicht der im Hause geltenden Anweisung entsprochen, Revisionsschriften dem am Ort befindlichen FG (per Boten) zuzuleiten. Der Irrtum sei, wie sich aus der Erklärung des Beamten ergebe, dadurch hervorgerufen worden, daß das FG das HZA, das durch den Prozeßbevollmächtigten vertreten werde, aufgefordert habe, alle künftigen Schriftsätze unmittelbar an den BFH zu übersenden. Entschuldbar sei die Überschreitung der Revisionsfrist deshalb, weil das erwähnte Schreiben des FG nicht nur diese Aufforderung enthalte, die zu dem Fehler in der Versendestelle führte, sondern darüber hinaus von einer Revision vom 14. Mai 1993 spreche, was keinen anderen Schluß zulasse, als daß das FG die Nichtzulassungbeschwerde vom 14. Mai 1993 gleichzeitig als Revision gewertet habe und als solche mit den Akten bereits dem BFH übersandt habe. Es sei deshalb nicht zu beanstanden, daß alle seit dem 18. Mai 1993 die Revisionssache betreffenden Schreiben "(wie das vom 23. Juni 1993, das eine erweiterte ausführlichere Begründung enthält)" entsprechend dieser Aufforderung des FG unmittelbar an den BFH übersandt worden seien. Da das HZA mithin kein Verschulden am Ablauf der Revisionsfrist treffe, sei die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist als unzulässig zu verwerfen (§§ 124, 126 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --), weil sie nicht innerhalb der durch § 120 Abs. 1 FGO vorgeschriebenen Frist eingelegt worden ist und dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht stattgegeben werden kann.

Die Revision ist nicht fristgerecht eingelegt, wenn sie -- wie im Streitfall -- zwar innerhalb der Revisionsfrist beim BFH eingelegt wird, die Revisionsschrift aber vom BFH an das für die Einlegung zuständige FG weitergeleitet und dort erst nach Ablauf der Revisionsfrist eingeht. Denn nach § 120 Abs. 1 Satz 1 FGO ist die Revision innerhalb der Revisionsfrist beim FG einzulegen (BFH, Beschluß vom 15. Januar 1973 VIII R 14/72, BFHE 108, 18, BStBl II 1973, 246; Urteil vom 26. August 1987 I R 140/86, BFH/NV 1988, 395; Senatsbeschluß vom 5. Juni 1985 VII R 65/85, BFH/NV 1986, 161 -- 162).

Bei Versäumung der Revisionsfrist ist auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn der Revisionskläger ohne Verschulden verhindert war, die Frist einzuhalten (§ 56 Abs. 1 FGO).

Wird wie im Streitfall das HZA durch einen zum Richteramt befähigten Beamten der Oberfinanzdirektion (OFD) vertreten, so ist nach § 155 FGO i. V. m. § 85 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung (ZPO) dessen schuldhaftes Handeln ggf. dem HZA wie eigenes Verschulden zuzurechnen (vgl. Senatsurteil vom 12. Mai 1992 VII R 38/91, BFH/NV 1993, 6). Der Prozeßbevollmächtigte braucht indes nach allgemeiner Meinung sogenannte "Büroversehen" nicht als eigenes Verschulden zu vertreten, wenn er alle Vorkehrungen getroffen hat, die nach vernünftigem Ermessen die Nichtbeachtung von Fristen auszuschließen geeignet sind, und er durch regelmäßige Belehrung und Überwachung seiner Bürokräfte für die Einhaltung seiner Anordnungen Sorge trägt (vgl. BFH, Beschluß vom 9. Juli 1992 V R 62/91, BFH/NV 1993, 251 m. w. N.). Der Prozeßbevollmächtigte des HZA hat aber nicht schlüssig vorgetragen, daß ein solches Büroversehen bei ihm vorgelegen hat.

Nach § 120 Abs. 1 Satz 1 FGO ist die Revision bei dem FG einzulegen. Dementsprechend ist die Revisionsschrift auch mit der Anschrift des FG zu versehen. Wird statt dessen von dem Prozeßbevollmächtigten die Anschrift des BFH auf der Revisionsschrift angegeben, so ist in der Regel davon auszugehen, daß sie von der mit ihrer Absendung beauftragten Person auch an den in der Anschrift bezeichneten BFH abgesandt wird. Die Befolgung einer angeblich bestehenden allgemeinen Anweisung an die Absendestelle, wonach Revisionen grundsätzlich an das FG zu senden sind, kann unter diesen Umständen von der Absendestelle zumindest nicht ohne weiteres erwartet werden. Insbesondere kann nicht erwartet werden, daß diese, wie sich auch aus der Erklärung des in der Absendestelle diensthabenden Beamten entnehmen läßt, sich über die rechtlichen Auswirkungen der Versendung von Schriftstücken durch sie Gedanken macht. Ohne eine auf den Einzelfall abgestellte Anweisung kann von der Absendestelle nicht erwartet werden, ein Schriftstück entgegen der auf ihm angegebenen Anschrift an eine andere Anschrift zu senden (vgl. Senatsbeschluß vom 13. Oktober 1981 VII R 46/81, nicht veröffentlicht -- NV --, Juristisches Informationssystem -- JURIS --). Im übrigen hätte auch ein nicht an das FG adressiertes Schriftstück von diesem nicht bearbeitet werden können, sondern unbearbeitet -- ggf. ungeöffnet -- an den in der Anschrift angegebenen Empfänger -- nämlich den BFH -- weitergeleitet werden müssen. Demnach wäre, selbst wenn die Absendestelle der allgemeinen Anweisung entsprechend gehandelt hätte, die Frist für die Einlegung der Revision nicht eingehalten worden. Das Fristversäumnis ist also nicht auf ein Büroversehen, sondern auf ein Fehlverhalten des Prozeßbevollmächtigten selbst zurückzuführen.

Der Prozeßbevollmächtigte macht keine Ausführungen darüber, daß hinsichtlich seines Verhaltens kein Verschulden vorgelegen hat. Schon deswegen ist der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand unbegründet. Selbst unter Berücksichtigung der im Hinblick auf das Vorliegen eines Büroversehens vorgetragenen Umstände ergeben sich aber keine Anhaltspunkte dafür, daß das Fristversäumnis nicht auf ein Verschulden des Prozeßbevollmächtigten des HZA zurückzuführen ist.

Jedes Verschulden -- auch leichte Fahrlässigkeit -- schließt die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aus (Senatsurteil in BFH/NV 1993, 6 m. w. N.). Es kann im Streitfall dahingestellt bleiben, ob der Beurteilung der für den Betroffenen strengere objektivierte Verschuldensbegriff oder der auf die individuellen Fähigkeiten Rücksicht nehmende individuelle Verschuldensbegriff zugrunde zu legen ist (vgl. zum Meinungsstreit Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., § 56 Rz. 11). Denn auch bei Anwendung des individuellen Verschuldensbegriffs trifft den Prozeßbevollmächtigten des HZA nach den vorliegenden Umständen ein Verschulden an der Versäumung der Revisionsfrist.

Der Prozeßbevollmächtigte des HZA hätte aus der insoweit eindeutigen Rechtsmittelbelehrung, die der Vorentscheidung beigefügt war, entnehmen können, daß auch die nach einer erfolgreichen Nichtzulassungbeschwerde einzulegende Revision innerhalb der Frist von einem Monat nach Zustellung des die Revision zulassenden Beschlusses (§ 115 Abs. 5 Satz 4 i. V. m. § 120 Abs. 1 Satz 1 FGO) beim FG und nicht beim BFH einzulegen war. Einer entsprechenden weiteren Rechtsmittelbelehrung in dem Beschluß über die Zulassung der Revision bedurfte es schon deshalb nicht, weil bereits die der Vorentscheidung beigefügte Rechtsmittelbelehrung darauf einging (vgl. BFH, Beschluß vom 12. Januar 1968 VI R 140/67, BFHE 90, 395, BStBl II 1968, 121). Der Prozeßbevollmächtigte hätte sich der eindeutigen Rechtsmittelbelehrung gegenüber nicht auf die in dem Schreiben des vom FG vom 18. Mai 1993 enthaltene Aufforderung, künftig den Schriftverkehr mit dem BFH zu führen, verlassen dürfen. Als zum Richteramt befähigter Beamter und Prozeßbevollmächtigter hätte er sich anhand der eindeutigen gesetzlichen Regelung letztlich selbst darüber vergewissern müssen und können, ob das Schreiben des FG vom 18. Mai 1993 der Rechtslage entsprach (vgl. Senatsbeschluß vom 4. August 1987 VII B 36/87, BFH/NV 1988, 242).

Jedenfalls aufgrund der Aktenlage hätte der Prozeßbevollmächtigte außerdem leicht erkennen können, daß sich die Geschäftsstelle des FG bei ihrer Aufforderung geirrt haben muß. Sie hat in ihrem Schreiben vom 18. Mai 1993 den Schriftsatz des HZA vom 14. Mai 1993 als "Revision" bezeichnet, obwohl er ausdrücklich und besonders hervorgehoben mit "Nichtzulassungbeschwerde" überschrieben war und keinen Hinweis auf eine damit auch beabsichtigte Revision enthielt. Die Geschäftsstelle des FG hätte daher tatsächlich keinen Anlaß gehabt, den Schriftsatz als "Revision" an den BFH weiterzuleiten und die besagte Aufforderung an das HZA zu richten. Der Prozeßbevollmächtigte des HZA hat denn auch verfahrensgerecht seinen nach Zulassung der Revision gefertigten Schriftsatz vom 23. Juni 1993 mit "Revision" überschrieben. Darin kommt zum Ausdruck, daß er selbst diesen Schriftsatz als den das Revisionsverfahren gemäß § 120 FGO erst einleitenden Schriftsatz verstanden hat und insoweit jedenfalls nicht dem Irrtum der Geschäftsstelle des FG gefolgt sein kann.

 

Fundstellen

Haufe-Index 419878

BFH/NV 1995, 37

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