Entscheidungsstichwort (Thema)

Antrag auf Wiederöffnung der mündlichen Verhandlung: Ermessensentscheidung des FG, Entscheidung durch Beschluß ohne ehrenamtliche Richter, ablehnender Beschluß in Urteilsgründen der Hauptsache ausreichend

 

Leitsatz (amtlich)

1. Ergibt sich für das FG erst nach Abschluß der Urteilsberatungen die Notwendigkeit, über eine Wiederaufnahme der mündlichen Verhandlung zu entscheiden, wirken an dieser Entscheidung nur die drei Berufsrichter, nicht jedoch die ehrenamtlichen Richter mit.

2. In formeller Hinsicht reicht es aus, wenn das FG seine Entscheidung, die mündliche Verhandlung nicht wiederzueröffnen, im Urteil selbst begründet.

 

Orientierungssatz

Die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung nach § 93 Abs.3 Satz 2 FGO steht im Ermessen des Gerichts. Es ist nicht erforderlich, daß das FG eine ausdrücklich als Wiedereröffnungsbeschluß gekennzeichnete Entscheidung trifft, sondern es genügt, daß das FG erkennbar die Absicht hat, die einmal begonnene mündliche Verhandlung fortzusetzen. Eines formell gesonderten Beschlusses bedarf es hierzu nicht. Die Entscheidung des FG, die mündliche Verhandlung nicht wiederzueröffnen, bleibt auch dann eine selbständige gerichtliche Entscheidung (Beschluß), wenn sie gleichzeitig mit der Entscheidung zur Hauptsache und äußerlich als Teil des Urteils ergeht (vgl. BFH-Rechtsprechung).

 

Normenkette

FGO § 5 Abs. 3, §§ 27, 93 Abs. 3 S. 2, § 116 Abs. 1 Nr. 1

 

Tatbestand

I. Das beklagte und revisionsbeklagte Finanzamt (FA) lehnte durch Bescheid vom 16. November 1993 einen Antrag der Kläger und Revisionskläger (Kläger), den Wert der ihnen zustehenden Anteile an einer ausländischen Kapitalgesellschaft gesondert festzustellen, ab.

Die nach erfolglos gebliebenem Einspruch erhobene Klage der Kläger blieb ohne Erfolg. Das Finanzgericht (FG) hat in der Sache am 10. November 1994 mündlich verhandelt und am Schluß der mündlichen Verhandlung den Beschluß verkündet, die Entscheidung werde den Beteiligten zugestellt.

Durch Schriftsätze vom 22. bzw. 29. November 1994 beantragten die Kläger die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung mit der Begründung, die Entscheidung hänge von Tatsachen ab, die bereits im Prozeßstoff enthalten, aber nicht aufgeklärt worden seien. Sie überreichten verschiedene Gesellschaftsverträge und vertraten hierzu die Auffassung, aus diesen Verträgen ergebe sich, daß die streitigen Anteile von einer Familiengesellschaft gehalten und verwaltet worden seien.

Das FG hat dem Antrag, die mündliche Verhandlung wiederzueröffnen, nicht entsprochen und hierzu in den Entscheidungsgründen seines Urteils ausgeführt, für eine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung habe kein Anlaß bestanden, da in den Schriftsätzen vom 22. bzw. 28. November 1994 weder neue Behauptungen aufgestellt noch ein neuer Sachverhalt vorgetragen worden sei. Die von den Klägern vorgelegten Urkunden beinhalteten Vereinbarungen zu erbvertraglichen Regelungen, zur Übertragung der Vermögensverwaltung auf einheitliche Organe sowie eine Einschränkung der Verwertung der einzelnen Anteilsrechte. Diese Einschränkungen seien bereits Grundlage der Entscheidung des Senats.

Die Kläger haben gegen das Urteil des FG Revision eingelegt. Mit dieser rügen sie die nicht vorschriftsmäßige Besetzung des erkennenden Gerichts. Das FG habe mit seinem Urteil inhaltlich auch über die Ablehnung des Antrags auf Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung entschieden. An dieser Entscheidung seien aber die beiden ehrenamtlichen Richter, die an der mündlichen Verhandlung teilgenommen hätten, nicht beteiligt gewesen.

Die Kläger beantragen, das Urteil des FG aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

II. Die Revision ist unzulässig.

Die eingelegte Revision genügt nicht den gesetzlichen Zulässigkeitsanforderungen.

1. Das Rechtsmittel der Revision ist nach Art.1 Nr.5 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs nur statthaft, wenn das FG oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Bundesfinanzhof (BFH) sie zugelassen hat.

Das FG hat die Revision nicht zugelassen. Die Revision ist auch nicht auf die Beschwerde eines Beteiligten hin vom BFH zugelassen worden. Die Nichtzulassungsbeschwerde der Kläger hat der erkennende Senat durch Beschluß vom heutigen Tage verworfen.

2. Das Rechtsmittel ist auch nicht als zulassungsfreie Verfahrensrevision i.S. des § 116 Abs.1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zulässig. Die Kläger haben in ihrer Revisionsbegründung keinen der in dieser Vorschrift abschließend aufgeführten Verfahrensmängel, die eine zulassungsfreie Revision eröffnen, schlüssig gerügt.

a) Eine schlüssige Verfahrensrüge im Sinne dieser Vorschrift liegt nur vor, wenn die zur Begründung des Verfahrensmangels vorgetragenen Tatsachen, ihre Richtigkeit unterstellt, einen Mangel i.S. des § 116 Abs.1 FGO ergeben. Die Rüge eines Mangels i.S. des § 116 Abs.1 Nr.1 FGO, auf den sich die Revisionskläger berufen, ist schlüssig, wenn sich aus den vorgetragenen Tatsachen ableiten läßt, daß der erkennende Senat des FG in einer nicht mit den an diesem Tag nach dem Geschäftsverteilungsplan des FG vorgesehenen Berufsrichtern und ehrenamtlichen Richtern (§ 27 FGO) entschieden hat.

b) Die Kläger haben einen solchen Verfahrensmangel nicht dargetan.

Es ist mangels entsprechender Rüge davon auszugehen, daß die Berufsrichter und ehrenamtlichen Richter, die an der mündlichen Verhandlung vor dem FG und der anschließenden Urteilsberatung am 10. November 1994 teilgenommen bzw. mitgewirkt haben, die nach dem Geschäftsverteilungsplan des FG für diesen Verhandlungstag berufenen Richter waren.

Soweit die Kläger der Auffassung sind, die ehrenamtlichen Richter hätten auch über ihren Antrag auf Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung mitentscheiden müssen, vermag der Senat dem nicht zu folgen.

Gemäß § 93 Abs.3 Satz 2 FGO kann das Gericht auch nach Schluß der mündlichen Verhandlung deren Wiedereröffnung beschließen. Die Wiedereröffnung steht grundsätzlich im Ermessen des Gerichts (vgl. BFH-Urteile vom 29. November 1973 IV R 221/69, BFHE 111, 21, BStBl II 1974, 115, und vom 12. Januar 1994 VIII R 44/93, BFH/NV 1994, 495, 496). Das Gesetz sieht für die Entscheidung über die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung einen entsprechenden Beschluß des Gerichts vor. Es ist jedoch nicht erforderlich, daß das Gericht eine ausdrücklich als Wiedereröffnungsbeschluß gekennzeichnete Entscheidung trifft. Vielmehr genügt es, daß das FG erkennbar die Absicht hat, die einmal begonnene mündliche Verhandlung fortzusetzen (vgl. BFH-Urteile vom 15. März 1977 VII R 122/73, BFHE 121, 392, BStBl II 1977, 431, und in BFH/NV 1994, 495, 496). Entsprechend reicht es auch aus, wenn das FG seine Entscheidung, die mündliche Verhandlung nicht wiederzueröffnen, im Urteil selbst begründet. Eines formell gesonderten Beschlusses bedarf es in diesen Fällen nicht. Die Entscheidung des FG, die mündliche Verhandlung nicht wiederzueröffnen, bleibt auch dann eine selbständige gerichtliche Entscheidung (Beschluß), wenn sie gleichzeitig mit der Entscheidung zur Hauptsache ergeht und äußerlich als Teil des Urteils erscheint (vgl. BFH-Beschluß vom 28. Februar 1975 VI B 28/73, BFHE 115, 199, BStBl II 1975, 515 zur Streitwertfestsetzung).

Die Entscheidung, die mündliche Verhandlung nicht wiederzueröffnen, bedurfte im Streitfall der Mitwirkung der ehrenamtlichen Richter nicht. Das Gesetz sieht in § 93 Abs.3 Satz 2 FGO die Entscheidung über die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung durch Beschluß vor. Nach § 5 Abs.3 Satz 2 FGO wirken bei Beschlüssen außerhalb der mündlichen Verhandlung die ehrenamtlichen Richter nicht mit. Zur Entscheidung berufen, Beschlüsse außerhalb der mündlichen Verhandlung zu treffen, sind ausschließlich die nach der Geschäftsverteilung zuständigen drei Berufsrichter. Da das Gesetz die Entscheidung über die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung durch Beschluß vorsieht, sind die Bestimmungen des § 5 Abs.3 FGO für die Mitwirkung der ehrenamtlichen Richter maßgebend. Ergibt sich --wie im Streitfall-- erst nach Abschluß der Urteilsberatungen die Notwendigkeit, über die Wiederaufnahme der mündlichen Verhandlung zu entscheiden, wirken an dieser Entscheidung nur die drei zuständigen Berufsrichter mit (Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 10. März 1983 7 C 93.82, Buchholz 402.10 § 3 NÄG Nr.51, Seite 27; (vgl. Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 15.Aufl., § 93 Tz.3 a.E.; a.A.: Koch in Gräber, Finanzgerichtsordnung, 3.Aufl., § 93 Rdnr.12).

Die erhobene Rüge könnte noch als Behauptung der Versagung des rechtlichen Gehörs (§ 119 Nr.3 FGO) gedeutet werden. Eine solche Rüge begründet aber keine zulassungsfreie Revision nach § 116 Abs.1 FGO, so daß es nicht darauf ankommt, ob sie ordnungsgemäß erhoben worden ist.

 

Fundstellen

Haufe-Index 66010

BFH/NV 1996, 145

BStBl II 1996, 318

BFHE 179, 245

BFHE 1996, 245

BB 1996, 1208

BB 1996, 1208-1209 (LT)

DB 1996, 866 (L)

DStR 1996, 825-826 (KT)

DStZ 1996, 379-380 (KT)

HFR 1996, 338-339 (L)

StE 1996, 283 (K)

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