Leitsatz (amtlich)

1. Das FG, das einen auf Beschwerde vom BFH aufgehobenen Beschluß des Instanzgerichts "wiederherstellt", überschreitet seine Kompetenz.

2. An die Entscheidungsformel des Beschlusses des BFH, durch die der angefochtene Beschluß aufgehoben und die Sache an das FG zurückverwiesen wird, ist dieses Gericht gebunden.

 

Normenkette

FGO § 36 Nr. 2, § 126 Abs. 5, § 128 Abs. 1, § 132

 

Tatbestand

Im Einspruchsverfahren über den Bescheid betreffend die gesonderte Feststellung der Einkünfte aus Gewerbebetrieb für 1975 der Y KG (KG) wendet sich der Antragsteller und Beschwerdeführer (Beschwerdeführer) - der zusammen mit etwa 700 anderen Personen an der KG beteiligt ist - dagegen, daß er am Verlust der Kommanditgesellschaft nicht beteiligt worden ist und ihm nur Einkünfte in Höhe von minus 42 DM (Sonderbetriebsausgaben) zugerechnet worden sind. Den Verlust der KG hat das Finanzamt (FA) allein dem Komplementär zugerechnet.

Das FA lehnte den Antrag des Beschwerdeführers ab, die Vollziehung des angefochtenen Gewinnfeststellungsbescheides insoweit auszusetzen, als es die Behörde im Feststellungsbescheid unterlassen hatte, dem Beschwerdeführer einen Verlustanteil zuzuweisen. Einen entsprechenden Antrag nach § 69 der Finanzgerichtsordnung (FGO) wies das Finanzgericht (FG) zurück, weil sich der vorläufige Rechtsschutz gemäß dieser Vorschrift auf die Aussetzung der Vollziehung angefochtener Verwaltungsakte beschränke, im Streitfall aber etwas anderes, "nämlich der (vorläufige) Erlaß eines Verwaltungsaktes" erstrebt werde, "der so (mit dem begehrten Inhalt) noch nicht erlassen worden" sei.

Auf die Beschwerde hob der Bundesfinanzhof (BFH) durch Beschluß vom 16. August 1979 I B 15/79 (nicht veröffentlicht) den Beschluß des FG vom 8. Februar 1979 III 8/79 auf und verwies die Sache an das FG zurück.

Im zweiten Rechtsgang hat das FG durch den den Gegenstand des vorliegenden Beschwerdeverfahrens bildenden Beschluß vom 5. November 1979 III 250/79 wie folgt erkannt:

"Der in gleicher Sache ergangene Senatsbeschluß III 8/79 vom 8. Februar 1979 wird wiederhergestellt. - Das heißt im einzelnen: Der Antrag wird abgelehnt. Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragsteller. Die Beschwerde wird zugelassen."

Das FG - dessen Entscheidung in den Entscheidungen der Finanzgerichte 1980 S. 87 (EFG 1980, 87) veröffentlicht ist - hielt den Beschluß des BFH vom 16. August 1979 I B 15/79 wegen Verstoßes gegen Verfassungsgrundsätze und gegen tragende Verfahrensprinzipien für rechtswidrig mit der Folge, "daß die regelmäßig von der zurückverweisenden Entscheidung ausgehende Bindungswirkung hier nicht gegeben" sei.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Beschwerde. Das FG hat der Beschwerde nicht abgeholfen.

Das FA beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen. Anstelle einer Begründung hat die Behörde erklärt, sich den Ausführungen des angefochtenen Beschlusses vollinhaltlich anzuschließen.

 

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde ist begründet.

1. Die Entscheidung des FG ist aufzuheben, weil sie rechtswidrig ist. Das FG hat seine Kompetenz dadurch überschritten, daß es den vom BFH, dem ihm im Instanzenzug übergeordneten Gericht, aufgehobenen Beschluß vom 8. Februar 1979 III 8/79 "wiederhergestellt" hat, obwohl es an die Entscheidungsformel des Beschlusses des BFH vom 16. August 1979 I B 15/79 gebunden war. Für den Streitfall kann dahingestellt bleiben, ob der Beschluß des FG vom 8. Februar 1979 mangels funktioneller Zuständigkeit dieses Gerichts zu der von ihm gefällten Entscheidung nichtig war; auch wenn dies nicht der Fall sein sollte, ist die Entscheidung wegen Überschreitung der dem FG zustehenden Befugnis aufzuheben.

Es gibt keinen Rechtssatz, der es dem im Instanzenweg nachgeordneten Gericht erlaubt, eine Entscheidung wiederherzustellen, die das im Instanzenzug übergeordnete Gericht aufgehoben hat. Aus dem Zweck des Rechtsmittelverfahrens ergibt sich, daß das im Instanzenzug nachgeordnete Gericht nicht befugt ist, die die Entscheidung des Instanzgerichts aufhebende Entscheidung des Rechtsmittelgerichts auf seine Rechtmäßigkeit zu prüfen oder gar unbeachtet zu lassen.

Für die Entscheidung des Senats über die Beschwerde gegen den Beschluß des FG vom 5. November 1979 III 250/79 ist es unerheblich, ob die Gründe mit dem geltenden Recht in Einklang stehen, auf die das FG seine Erkenntnis, daß es an den Beschluß des BFH vom 16. August 1979 I B 15/79 nicht gebunden sei, glaubte stützen zu können. Deshalb ist es dem Senat verwehrt, sich dazu zu äußern.

2. Durch die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluß des FG vom 8. Februar 1979 III 8/79 war die Entscheidungszuständigkeit des BFH als des im Instanzenzug übergeordneten Gerichts der Beschwerde begründet worden. Der BFH war aufgrund der seine Kompetenz begründenden Normen (§§ 36 Nr. 2, 128 Abs. 1, 132 FGO) verpflichtet, im Rahmen des Rechtsschutzgesuchs des Beschwerdeführers die angefochtene Entscheidung des FG auf ihre Rechtmäßigkeit zu prüfen und über die Beschwerde zu entscheiden (§ 132 FGO).

Über die Wirkung dieser seiner Entscheidung im Verhältnis zu dem Gericht, das die angefochtene Entscheidung erlassen hat, enthält die Finanzgerichtsordnung ebenso wie andere Prozeßordnungen für die in Art. 95 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) bezeichneten Zweige der Gerichtsbarkeit keine ausdrücklichen Vorschriften. Nur in revisionsrechtlichen Vorschriften ist die Bindung des Gerichts an die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung zugrunde gelegt ist, ausdrücklich vorgeschrieben (§ 126 Abs. 5 FGO, § 144 Abs. 6 der Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO -, § 170 Abs. 5 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -, § 358 Abs. 1 der Strafprozeßordnung - StPO -, § 565 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung - ZPO -). Über diese Regelungen hinaus gibt es - von § 575 ZPO (vgl. dazu Beschluß des Bundesgerichtshofs - BGH - vom 18. Oktober 1968 X ZB 1/68, BGHZ 51, 131) abgesehen - keine Norm, die ausdrücklich anordnet, daß das Instanzgericht an die Entscheidung des - im Instanzenzug übergeordneten - Beschwerdegerichts gebunden ist.

Eine solche Vorschrift wäre überflüssig. Die Bindung des Instanzgerichts an die Entscheidungsformel des über die Beschwerde entscheidenden Beschlusses folgt für die Finanzgerichtsbarkeit unmittelbar aus der Anordnung des § 132 FGO: "Über die Beschwerde entscheidet der Bundesfinanzhof durch Beschluß"; eine gesetzlich mögliche Ausnahme von dieser Bindung - wie zum Beispiel in § 69 Abs. 3 Satz 5 FGO (vgl. Gräber, Finanzgerichtsordnung, § 69 Rdnr. 41) - kommt im Streitfall nicht in Betracht. Die Bindung an den Inhalt der Entscheidungsformel gilt gleichermaßen für die Zurückweisung der Beschwerde, die Entscheidung in der Sache selbst und die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses, sei es unter gleichzeitiger Zurückverweisung der Sache an das Instanzgericht oder ohne eine solche. Ob und in welchem Umfange das Gericht erster Instanz die rechtliche Beurteilung, auf der die Aufhebung durch das Beschwerdegericht beruht, seiner Entscheidung zugrunde legen muß, braucht - weil im vorliegenden Fall nicht entscheidungserheblich - nicht erörtert zu werden.

3. Der Senat hält eine erneute Zurückverweisung nicht für geboten. Durch die Aufhebung des Beschlusses des FG vom 5. November 1979 III 250/79 ist verfahrensrechtlich der Zustand wiederhergestellt, in dem sich das Verfahren nach Zustellung des BFH-Beschlusses vom 16. August 1979 I B 15/79 befunden hat. Das FG erlangt dadurch erneut die Möglichkeit, über das Begehren des Beschwerdeführers zu befinden, ihm vorläufigen Rechtsschutz zu gewähren.

 

Fundstellen

Haufe-Index 73301

BStBl II 1980, 334

BFHE 1980, 17

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