Entscheidungsstichwort (Thema)

Verfahrensrechtliche Folgen unrichtiger Rechtsmittelbelehrung

 

Leitsatz (NV)

1. Gegen ein Urteil des FG steht den Beteiligten die Revision nur zu, wenn sie in dem Urteil ausdrücklich zugelassen worden ist. Hierzu reicht der bloße Hinweis in der Rechtsmittelbelehrung, gegen das Urteil stehe den Beteiligten die Revision zu, nicht aus.

2. Rechtsfolge einer fehlerhaften Rechtsmittelbelehrung ist, dass sich die Frist für das zulässige Rechtsmittel auf ein Jahr verlängert (§ 55 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 FGO).

3. Ist die Einlegung des Rechtsmittels infolge höherer Gewalt unmöglich gewesen, so gilt auch die Jahresfrist nicht. Höhere Gewalt kann auch vorliegen, wenn ein Verfahrensbeteiligter durch ein Verhalten des Gerichts von einer fristgebundenen Prozesshandlung abgehalten wird.

4. Ein ausdrücklich als Revision bezeichnetes Rechtsmittel kann nicht in eine Nichtzulassungsbeschwerde umgedeutet werden.

5. Von der Erhebung von Gerichtskosten für ein Rechtsmittelverfahren ist nach § 21 Abs. 1 GKG regelmäßig abzusehen, wenn in einer Rechtsmittelbelehrung ein unzulässiges Rechtsmittel als gegeben bezeichnet wird und der Rechtsmittelführer dadurch veranlasst wird, dieses einzulegen.

 

Normenkette

FGO § 55 Abs. 2, § 56 Abs. 2, § 115 Abs. 1, §§ 116, 124 Abs. 1, § 126 Abs. 1; GKG § 21 Abs. 1; UStG § 4 Nr. 10 Buchst. b

 

Verfahrensgang

FG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 14.09.2006; Aktenzeichen 6 K 1584/04; EFG 2007, 797)

 

Tatbestand

I. Das Finanzgericht (FG) wies die Klage der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) mit Urteil vom 14. September 2006, das am selben Tage verkündet wurde, ab. Das vollständig abgefasste Urteil, dem auch eine Rechtsmittelbelehrung beigefügt war, wurde der Klägerin am 29. September 2006 zugestellt. In der Rechtsmittelbelehrung wird darauf hingewiesen, dass den Beteiligten gegen das Urteil die Revision zustehe. Der Tenor und die Gründe der Entscheidung enthalten keinen ausdrücklichen Ausspruch über die Zulassung der Revision.

Die Klägerin legte mit am 23. Oktober 2006 beim Bundesfinanzhof (BFH) eingegangenen Schriftsatz Revision gegen das Urteil des FG ein. Darin machte sie geltend, dass die Revision vom FG in dem angefochtenen Urteil zugelassen worden sei. Sie rügt Fehler bei der Anwendung von § 4 Nr. 10 Buchst. b des Umsatzsteuergesetzes.

Die Klägerin beantragt sinngemäß, das Urteil des FG aufzuheben und den Umsatzsteuerbescheid 1997 vom 10. Dezember 2001 unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 5. März 2004 dahin zu ändern, dass die Umsatzsteuer um … € vermindert wird.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt) beantragt sinngemäß, die Revision als unzulässig zu verwerfen, hilfsweise als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

II. Die Revision ist unzulässig und durch Beschluss zu verwerfen (§ 124 Abs. 1 i.V.m. § 126 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).

1. Eine Revision ist gemäß § 115 Abs. 1 FGO nur zulässig, wenn sie das FG in seinem Urteil oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung der BFH zugelassen hat. Keine der beiden Voraussetzungen liegt im Streitfall vor. Entgegen der Ansicht der Klägerin hat das FG die Revision in dem angefochtenen Urteil nicht zugelassen.

a) Die FGO regelt nicht, an welcher Stelle im FG-Urteil die Entscheidung über die Zulassung der Revision aufzunehmen ist. Nach der hierzu ergangenen Rechtsprechung des BFH muss die Zulassung der Revision --auch wenn dies im Hinblick auf die Rechtsklarheit erwünscht ist-- nicht ausdrücklich in die Urteilsformel aufgenommen werden (vgl. z.B. Beschluss vom 3. Dezember 1985 VII B 65/85, BFH/NV 1986, 419, m.w.N.). Es genügt, wenn sie sich aus den Urteilsgründen ergibt. Unter besonderen Voraussetzungen kann ausnahmsweise auch ein in der Rechtsmittelbelehrung des FG-Urteils enthaltener ausdrücklicher Ausspruch, dass die Revision zulässig sei, als Revisionszulassung anerkannt werden (BFH-Beschluss vom 12. April 1967 VI R 321/66, BFHE 88, 361, BStBl III 1967, 396). Erforderlich ist aber stets eine Entscheidung des FG über die Zulassung der Revision. Ergeben sich weder aus den Urteilsgründen noch aus der Formulierung der Rechtsmittelbelehrung Anhaltspunkte dafür, dass das FG die Revision tatsächlich zulassen wollte, so kann eine Revisionszulassung nicht schon darin gesehen werden, dass nach der Rechtsmittelbelehrung den Beteiligten gegen das Urteil die Revision zustehe (BFH-Beschluss vom 7. Juni 2004 X R 12/04, BFH/NV 2004, 1291, m.w.N.; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 115 Rz 107, m.w.N.; Lange in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 115 FGO Rz 277; Seer in Tipke/ Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 115 FGO Rz 124).

Eine Rechtsmittelbelehrung, in der --ohne Hinweis auf die besondere Entscheidung über die Zulassung-- von der Zulässigkeit der Revision ausgegangen wird, kann nur als unrichtige Rechtsmittelbelehrung verstanden werden. Eine unrichtige Rechtsmittelbelehrung führt nicht dazu, dass das nach dem Gesetz unzulässige Rechtsmittel als zulässiges Rechtsmittel behandelt wird (BFH-Beschlüsse vom 30. Oktober 1998 VI B 202/97, BFH/NV 1999, 636; vom 23. Mai 2002 II R 30/01, BFH/NV 2002, 1322; in BFH/NV 2004, 1291; vom 28. Oktober 2004 III R 53/03, BFH/NV 2005, 374, alle m.w.N.). Diese Sichtweise entspricht der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. z.B. Beschlüsse vom 20. März 1981  8 B 54/81, Buchholz, Sammel- und Nachschlagewerk der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts 310, § 131 der Verwaltungsgerichtsordnung --VwGO-- Nr. 1; vom 1. Dezember 1987  8 B 58/87, Buchholz § 131 VwGO Nr. 6), des Bundessozialgerichts --BSG-- (vgl. z.B. Urteile vom 26. April 1989  7 RAr 124/88, Die Beiträge 1989, 288; vom 18. März 2004 B 11 AL 53/03 R, RegNr. 26533, BSG-intern) und des Bundesarbeitsgerichts (vgl. z.B. Urteil vom 25. Juni 1986  4 AZR 206/85, BAGE 52, 242).

Im Streitfall hat das FG die Revision ausweislich des Protokolls über die mündliche Verhandlung weder bei der Verkündung noch im Tenor oder in den Entscheidungsgründen des Urteils zugelassen. Es sind auch keinerlei Hinweise darauf erkennbar, dass das FG der Sache grundsätzliche Bedeutung beigemessen oder die Rechtsprechung des BFH infrage gestellt hätte und die Revision etwa zur Klärung einer Rechtsfrage oder wegen Divergenz (§ 115 Abs. 2 Nr. 1, 2 FGO) hätte zulassen wollen. Auch die Rechtsmittelbelehrung enthält keinen Zusatz, der auf eine entsprechende Zulassungsentscheidung schließen lassen könnte.

2. Ein --wie im Streitfall-- ausdrücklich als Revision bezeichnetes Rechtsmittel kann nicht in eine Nichtzulassungsbeschwerde umgedeutet werden, weil deren Zulässigkeit von anderen Voraussetzungen abhängt (BFH-Beschluss in BFH/NV 2004, 1291, m.w.N.). Im Streitfall wäre das Rechtsmittel im Übrigen selbst dann unzulässig, wenn es als Nichtzulassungsbeschwerde behandelt würde, weil keiner der in § 115 Abs. 2 FGO abschließend genannten Zulassungsgründe in der erforderlichen Weise (§ 116 Abs. 3 Satz 3 FGO) dargetan worden ist.

3. Die Zulässigkeit der Revision lässt sich nicht aus dem Meistbegünstigungsgrundsatz herleiten. Nach diesem Grundsatz können ihrer Art nach inkorrekte Entscheidungen nicht nur mit dem Rechtsmittel angefochten werden, das bei korrekter Entscheidungsart zulässig ist, sondern auch mit dem, das für die inkorrekte Art der getroffenen Entscheidung vorgesehen ist (z.B. BFH-Urteil vom 12. August 1981 I B 72/80, BFHE 134, 216, BStBl II 1982, 128; BFH-Beschluss vom 21. Mai 1987 IV R 101/86, BFH/NV 1988, 258).

Im Streitfall ist die vom FG gewählte Urteilsform jedoch nicht zu beanstanden. Zu beanstanden ist lediglich der Inhalt der dem Urteil beigefügten Rechtsmittelbelehrung, der nicht erkennen lässt, dass die Revision gegen das Urteil des FG nur zulässig ist, wenn das FG oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung der BFH sie zugelassen hat. Eine unrichtige Rechtsmittelbelehrung hat aber nicht die Wirkung, dass sie eine Anfechtungsmöglichkeit gemäß ihrem unrichtigen Inhalt eröffnet (s.o.).

4. Rechtsfolge einer fehlerhaften Rechtsmittelbelehrung ist, dass sich gemäß § 55 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 FGO die Frist für das zulässige Rechtsmittel --hier die Monatsfrist gemäß § 116 Abs. 2 Satz 1 FGO für die Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision-- auf ein Jahr verlängert (vgl. BFH-Beschluss in BFH/NV 2005, 374, m.w.N.). Auch diese kraft Gesetzes verlängerte Frist ist indes zwischenzeitlich verstrichen.

Die Jahresfrist gilt nach § 55 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 FGO jedoch nicht, wenn vor deren Ablauf die Einlegung des Rechtsbehelfs infolge höherer Gewalt unmöglich gewesen ist. Höhere Gewalt ist ein außergewöhnliches Ereignis, das unter den gegebenen Umständen auch durch die äußerste, nach Lage der Sache von dem Betroffenen zu erwartende Sorgfalt nicht verhindert werden konnte. Darunter fällt auch ein Umstand, der dem Beteiligten die rechtzeitige Vornahme einer fristgebundenen Handlung unzumutbar macht und damit aus verfassungsrechtlichen Gründen dem Bereich der höheren Gewalt zuzuordnen ist. Dementsprechend kann nach der Rechtsprechung des BFH höhere Gewalt vorliegen, wenn ein Verfahrensbeteiligter durch ein --über die fehlerhafte Rechtsmittelbelehrung hinausgehendes-- Verhalten eines Gerichts von einer Prozesshandlung abgehalten wird (vgl. z.B. BFH-Beschluss in BFH/NV 2005, 374, m.w.N.).

Diese Voraussetzungen sind im Streitfall erfüllt. Die Klägerin ist nicht nur durch das Verhalten des FG davon abgehalten worden, rechtzeitig die allein zulässige Nichtzulassungsbeschwerde einzulegen. Es kommt vielmehr hinzu, dass auch der BFH die Klägerin während des vorliegenden Revisionsverfahrens nicht rechtzeitig innerhalb der Jahresfrist auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen hat.

Erst mit der Bekanntgabe der vorliegenden Entscheidung fällt der Hinderungsgrund der höheren Gewalt weg, so dass Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 56 FGO) beantragt werden kann. Dabei muss gemäß § 55 Abs. 2 Satz 2 FGO die Zwei-Wochen-Frist des § 56 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 FGO eingehalten werden.

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.

Von der Erhebung von Gerichtskosten für das Revisionsverfahren wird gemäß § 21 Abs. 1 des Gerichtskostengesetzes (GKG) abgesehen. Nach dieser Vorschrift sind Kosten, die bei richtiger Behandlung der Sache nicht entstanden wären, nicht zu erheben. Die Voraussetzung ist regelmäßig gegeben, wenn in einer Rechtsmittelbelehrung ein unzulässiges Rechtsmittel als gegeben bezeichnet wird und der Rechtsmittelführer dadurch veranlasst wird, dieses einzulegen. Im Streitfall ist davon auszugehen, dass die Revision bei zutreffend erteilter Rechtsmittelbelehrung nicht eingelegt und die Kosten des Revisionsverfahrens nicht verursacht worden wären (vgl. BFH-Beschlüsse in BFH/NV 1999, 636; in BFH/NV 2004, 1291; in BFH/NV 2005, 374, alle zu § 8 GKG a.F. und m.w.N.).

Im Übrigen hat jedoch die Klägerin gemäß § 135 Abs. 2 FGO die Kosten des Revisionsverfahrens zu tragen. § 21 GKG enthält eine abschließende Regelung, die wegen ihres eindeutigen Wortlauts nicht auf außergerichtliche Kosten übertragen werden kann (vgl. BFH-Beschluss vom 25. Juni 1999 XI R 76/98, BFH/NV 1999, 1617, m.w.N., zu § 8 GKG a.F.).

 

Fundstellen

Haufe-Index 1936699

BFH/NV 2008, 606

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