Entscheidungsstichwort (Thema)

Haftung bei mehreren Geschäftsführern; Anforderungen an die Verfahrensrüge

 

Leitsatz (NV)

1. Zur Haftung des Geschäftsführers, wenn dieser nach der internen Geschäftsverteilung für die Steuerangelegenheiten der Gesellschaft nicht zuständig ist.

2. Zu den Anforderungen an die Rüge der mangelnden Sachaufklärung als Verfahrensmangel i. S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO.

 

Normenkette

AO 1977 §§ 34, 69; FGO § 115 Abs. 2-3, § 120 Abs. 2

 

Tatbestand

Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) war Geschäftsführer einer GmbH, die ihrerseits geschäftsführende Komplementärin einer GmbH & Co. KG (KG) war. Über das Vermögen der KG wurde am 20. Dezember 1979 das Konkursverfahren eröffnet. Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt - FA -) nahm den Kläger wegen nicht abgeführter Lohnsteuer und Lohnkirchensteuer der KG sowie wegen Säumniszuschlägen für den Haftungszeitraum April bis September 1979 in Anspruch. Der Einspruch und die Klage des Klägers gegen den Haftungsbescheid blieben erfolglos.

Das Finanzgericht (FG) führte aus, der Kläger habe mit der Nichtabführung der einbehaltenen Lohnsteuer zum Fälligkeitszeitpunkt den Haftungstatbestand der §§ 34 Abs. 1, 69 der Abgabenordnung (AO 1977) zumindest grob fahrlässig erfüllt. Bei nicht ausreichender Liquidität der KG habe er zum Zwecke der anteiligen Befriedigung des FA die Löhne entsprechend kürzen müssen. Er könne sich nicht damit entlasten, daß der Mitgeschäftsführer nach dem Geschäftsverteilungsplan für die Einbehaltung, Anmeldung und Abführung der Lohnsteuer allein zuständig gewesen sei. Denn dieser sei nicht allein vertretungsberechtigt gewesen, so daß der Kläger immer habe mitzeichnen müssen und schon deshalb Überblick und Mitverantwortung über die Tätigkeit des Mitgeschäftsführers gehabt habe. Darüber hinaus habe der Kläger gewußt, daß sich die KG in Zahlungsschwierigkeiten befunden habe. Es sei deshalb seine Pflicht gewesen, sich auch darum zu kümmern, daß ausreichende Mittel für die Abführung der Lohnsteuern zur Verfügung standen. Er selbst habe im Klageverfahren vorgetragen, daß er wegen der schwierigen Verhandlungen mit der Hausbank gewußt habe, daß die einbehaltenen Lohnsteuern nicht abgeführt wurden. Dies habe er auch spätestens mit Eingang der Kontoauszüge ersehen können.

Der Kläger könne sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, die Nichtabführung der Lohnsteuerabzugsbeträge sei auf das Verhalten einer Bank zurückzuführen. Nach seinem Vortrag habe die Bank willkürlich die Abführung der einbehaltenen Lohnsteuern nicht veranlaßt. Ein Geschäftsführer, der in dieser Situation keine Möglichkeit finde, die einbehaltenen Lohnsteuerabzugsbeträge abzuführen, müsse entweder von seinem Amt zurücktreten oder schon früher einen Konkursantrag stellen. Denn ein nicht mehr existenzfähiges Unternehmen dürfe nicht auf Kosten des Fiskus fortgeführt werden (Beschluß des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 19. November 1985 VII S 13/85, BFH/NV 1986, 266, 268).

Mit der Nichtzulassungsbeschwerde macht der Kläger geltend, die Vorentscheidung weiche ab von der Entscheidung des Senats vom 4. März 1986 VII S 33/85 (BFHE 146, 23, BStBl II 1986, 384). Dort habe der BFH ausgeführt, daß bei Bestellung mehrerer Geschäftsführer die Verantwortlichkeit begrenzt sei, wenn vorweg eine schriftliche Klarstellung getroffen sei, welcher Geschäftsführer für welchen Bereich zuständig ist, und ein Geschäftsführer keinen Anlaß habe, an der exakten Erfüllung der steuerlichen Verpflichtungen durch den hierfür zuständigen Geschäftsführer zu zweifeln. So liege es auch im Streitfalle. Er sei nicht kaufmännischer Geschäftsführer gewesen und habe keinen Anlaß gehabt, der ordnungsgemäßen Geschäftsführung durch den hierfür schriftlich bestellten kaufmännischen Geschäftsführer zu mißtrauen.

Das FG habe auch den Begriff der groben Fahrlässigkeit verkannt. Ihn könne dieser Schuldvorwurf nicht treffen, weil er wegen der beherrschenden Stellung der Bank keine Möglichkeit gehabt habe, für die Entrichtung der Steuern zu sorgen. Er habe nicht gewußt und nicht damit rechnen müssen, daß die Bank Schecks für die Lohnsteuerzahlungen nicht einlösen würde. Denn seine Anweisungen an die Bank hätten sich innerhalb des gewährten Kreditrahmens bewegt. Der Sachverhalt im Streitfalle unterscheide sich damit von dem Urteilsfall in BFH/NV 1986, 266, auf den das FG seine Entscheidung gestützt habe. Die Frage, ob in solchen Fällen grobe Fahrlässigkeit vorliege, sei von grundsätzlicher Bedeutung.

Die Revision sei schließlich auch wegen mangelnder Sachverhaltsaufklärung zuzulassen. Es sei vorgetragen und unter Beweis gestellt worden,

- daß er im Innenverhältnis nicht verantwortlich gewesen sei,

- daß schriftliche Vereinbarungen über die Zuständigkeit existierten,

- daß er keinerlei Veranlassung hatte, an der ordnungsgemäßen Abwicklung der Lohnsteuerangelegenheiten durch seinen Mitgeschäftsführer zu zweifeln,

- daß er bei Anmeldung der Lohnsteuern und bei Fertigung der Anweisungen an die Bank, die Lohnsteuern an das FA zu entrichten, von der Einlösung ausgehen konnte und mußte,

- daß angesichts der Außenstände der Kreditrahmen nicht erschöpft war,

- daß er nach Kenntnis von der Nichtausführung der Anweisungen durch die Bank keine Möglichkeit mehr gehabt habe, anderweitig für die Begleichung der Steuerschuld Sorge zu tragen oder nachträglich die von der Bank ausgezahlten Arbeitnehmerlöhne zu kürzen.

Bei ordnungsgemäßer Sachverhaltsaufklärung hätte das FG zu dem Ergebnis kommen müssen, daß die Nichtabführung der Steuern dem Kläger weder objektiv noch subjektiv vorwerfbar gewesen sei.

Das FA beantragt, die Revision nicht zuzulassen.

 

Entscheidungsgründe

Die Nichtzulassungsbeschwerde hat keinen Erfolg.

1. Die von der Beschwerde behauptete Divergenz (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -) der Vorentscheidung von dem Beschluß des Senats in BFHE 146, 23, BStBl II 1986, 384 liegt nicht vor. Das FG ist bei seinem Urteil von den Rechtssätzen ausgegangen, die der BFH - auch in der angeführten Entscheidung - zur Verantwortlichkeit mehrerer GmbH-Geschäftsführer im Falle einer wirksamen (schriftlichen) Aufgabenverteilung zwischen ihnen aufgestellt hat. Es hat trotz Anerkennung der Tatsache, daß der Kläger nach dem Geschäftsverteilungsplan für die Lohnsteuerangelegenheiten der KG nicht zuständig war, dessen Verantwortlichkeit mit der Begründung bejaht, daß er mangels Alleinvertretungsberechtigung des Mitgeschäftsführers an dessen Maßnahmen habe mitwirken müssen und er deshalb auch einen Überblick über die Tätigkeit und die Pflichterfüllung des für die Steuern zuständigen Geschäftsführers gehabt habe. Darüber hinaus sei der Kläger selbst verpflichtet gewesen, sich um die Abführung der Lohnsteuern zu kümmern, weil er gewußt habe, daß sich die KG in Zahlungsschwierigkeiten befand.

Diese Ausführungen des FG stehen in Einklang mit der Rechtsprechung des BFH, wie sie auch in dem Beschluß des Senats in BFHE 146, 23, BStBl II 1986, 384 zum Ausdruck kommt. Danach lebt der Grundsatz der Gesamtverantwortung jedes Geschäftsführers für den an sich nach der internen Aufgabenverteilung nicht zuständigen Geschäftsführer insbesondere dann wieder auf, wenn er Anlaß hat, an der exakten Erfüllung der steuerlichen Verpflichtungen durch den hierfür zuständigen Geschäftsführer zu zweifeln oder wenn allgemein die wirtschaftliche Lage der Gesellschaft für eine Überprüfung der ordnungsgemäßen Erfüllung der steuerlichen Verpflichtungen Anlaß gibt. Nach den Feststellungen des FG, an die der Senat mangels zulässiger und begründeter Verfahrensrügen gebunden ist (§ 118 Abs. 2 FGO; vgl. auch unter 3.), hatte der Kläger aufgrund seiner Verhandlungen mit der Hausbank sogar positive Kenntnis davon, daß die Lohnsteuern nicht an das FA abgeführt wurden. Die Vorentscheidung beruht demnach nicht auf einer Abweichung von der genannten Entscheidung des BFH.

2. Soweit der Kläger Einwendungen gegen die tatsächliche und rechtliche Würdigung des FG vorbringt, kann er damit mit der Nichtzulassungsbeschwerde nicht gehört werden, da es sich nicht um Gründe handelt, die nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 FGO die Zulassung der Revision rechtfertigen können. Das gilt insbesondere für sein Vorbringen, er habe nicht damit rechnen können, daß die Bank die Überweisungsaufträge hinsichtlich der Lohnsteuern nicht ausführen werde und ihn treffe deshalb nicht der Vorwurf der groben Fahrlässigkeit i. S. des § 69 AO 1977.

Die Revision kann auch nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) hinsichtlich der vom Kläger aufgeworfenen Frage der groben Fahrlässigkeit zugelassen werden. Der Kläger knüpft diese Rechtsfrage an den von ihm vorgetragenen Sachverhalt, der aber mit den Feststellungen des FG nicht in Einklang steht. Da der BFH im Revisionsverfahren an die Feststellungen des FG gebunden ist (§ 118 Abs. 2 FGO), ist die als rechtsgrundsätzlich benannte Frage nicht entscheidungserheblich und damit nicht klärungsfähig.

3. Eine Zulassung der Revision wegen des geltend gemachten Verfahrensmangels (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) der mangelnden Sachaufklärung (§ 76 FGO) kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil der Kläger den Verfahrensmangel nicht in der nach den §§ 115 Abs. 3 Satz 3, 120 Abs. 2 Satz 2 FGO gebotenen Form bezeichnet hat. Diese Vorschriften erfordern eine genaue Angabe der Tatsachen, aus denen sich nach Auffassung des Klägers ein Verfahrensverstoß des FG ergibt. Dazu gehört bei der Rüge der Verletzung der Sachaufklärungspflicht die Angabe der Beweismittel, die das FG nicht erhoben hat, unter Bezeichnung des Beweisthemas, der genauen Angabe des Schriftsatzes, in dem der Beweisantritt erfolgt sein soll, und Ausführungen darüber, was das Ergebnis der Beweisaufnahme gewesen wäre und weshalb das angefochtene Urteil auf dem Verfahrensmangel beruhen kann (Klein/Ruban, Der Zugang zum Bundesfinanzhof, Rdnr. 170). Wird mangelnde Sachaufklärung mit der Begründung gerügt, das FG habe auch ohne Beweisantritt von Amts wegen aufklären müssen, so ist für eine ordnungsgemäße Verfahrensrüge die genaue Angabe der Beweismittel erforderlich, die das FG nicht erhoben hat, deren Erhebung sich ihm aber auch ohne besonderen Antrag als noch erforderlich hätte aufdrängen müssen (Klein/Ruban, a.a.O., Rdnr. 171). Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdeschrift des Klägers nicht.

Der Kläger hat lediglich eine Reihe von Tatsachen benannt, die er vorgetragen und unter Beweis gestellt haben will. Er hat aber hierfür insbesondere keine Beweismittel angegeben und die Schriftsätze, in denen der angebliche Beweisantritt erfolgt sein soll, nicht bezeichnet. Ferner hat er nicht vorgetragen, daß er den Mangel der Beweiserhebung in der mündlichen Verhandlung vor dem FG gerügt hat. Die gerügten Verfahrensmängel können deshalb für die Nichtzulassungsbeschwerde nicht berücksichtigt werden.

Im übrigen weist der Senat darauf hin, daß die angeblich unter Beweis gestellten Tatsachen zum Teil der Entscheidung des FG zugrunde gelegt worden sind (Aufgabenverteilung zwischen den Geschäftsführern), die zum Teil aber den ausdrücklichen Feststellungen des FG widersprechen (Unkenntnis des Klägers von der Nichteinlösung der Anweisungen oder Schecks über Lohnsteuern durch die Bank). Abgesehen davon, daß der BFH hinsichtlich der letztgenannten Feststellungen an die tatsächlichen Schlußfolgerungen des FG gebunden ist, ergibt sich die Kenntnis des Klägers von der Nichtüberweisung der Lohnsteuern durch die Bank schon daraus, daß es sich insoweit nicht um einen einmaligen Vorgang handelt, sondern um ein nachhaltiges, mehrere Monate betreffendes Verhalten der Bank. Die daran anknüpfenden rechtlichen Schlußfolgerungen des FG (Gebot des Rückstritts vom Amt als Geschäftsführer) stimmen überein mit der von der Vorinstanz zitierten ständigen Rechtsprechung des Senats.

 

Fundstellen

Haufe-Index 415961

BFH/NV 1989, 149

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