Entscheidungsstichwort (Thema)

Prozeßkostenhilfeantrag beim BFH durch nichtvertretenen Antragsteller

 

Leitsatz (NV)

1. Für den beim BFH als Prozeßgericht zu stellenden Antrag auf Bewilligung der Prozeßkostenhilfe besteht kein Vertretungszwang.

2. Der Antrag auf Bewilligung der Prozeßkostenhilfe sowie die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse müssen innerhalb der Rechtsmittelfrist beim BFH eingereicht werden. Soweit nicht besondere Umstände (z. B. Erfahrungen des Antragstellers aus früheren Rechtsstreitigkeiten) etwas anderes ergeben, ist dem nicht vertretenen Antragsteller wegen Versäumung dieser Frist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Das gilt auch, wenn die Frist deshalb versäumt worden ist, weil der Prozeßkostenhilfeantrag nicht beim BFH als dem Prozeßgericht, sondern wie die Revision beim FG angebracht worden ist.

3. Der von dem (nicht vertretenen) Antragsteller in der Revisionsinstanz selbst eingereichte Antrag auf Bewilligung von Prozeßkostenhilfe zur Durchführung eines noch nicht anhängigen Rechtsmittelverfahrens braucht keine Begründung zu enthalten; insbesondere braucht nicht dargetan zu werden, welcher Zulassungsgrund mit einer evtl. Nichtzulassungsbeschwerde geltend gemacht werde.

4. Der von dem Prozeßgericht vorzunehmenden Prüfung der Erfolgsaussichten ist in der Rechtsmittelinstanz das Rechtsmittel zugrundezulegen, das geeignet ist, zu der vom Antragsteller erkennbar erstrebten revisionsrechtlichen Überprüfung des FG-Urteils zu führen. Das sind, wenn das FG die Revision nicht zugelassen hat, die zulassungsfreie Revision gemäß § 116 FGO sowie die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision. Der Prüfung der Erfolgsaussichten sind insbesondere die Vorentscheidung und das Protokoll über die mündliche Verhandlung zugrundezulegen.

 

Normenkette

FGO §§ 56, 142, 155; ZPO § 78 Abs. 3, §§ 114, 117-118; BFHEntlG Art. 1 Nr. 1

 

Tatbestand

Die Antragstellerin ist Alleinerbin des H. Der dem Erbschaftsteuerbescheid vom 24. April 1983 zugrunde gelegte steuerpflichtige Erwerb der Antragstellerin betrug . . . DM, wobei für das auf die Antragstellerin übergegangene Betriebsvermögen des Erblassers ein negativer Betrag von . . . DM berücksichtigt wurde. Als Erbschaftsteuer setzte das Finanzamt (FA) . . . DM fest.

Durch Verfügung vom 5. April 1984 lehnte das FA den Antrag auf Erlaß der Erbschaftsteuer ab, weil der Antragstellerin ausreichende Mittel zur Tilgung der Erbschaftsteuerschuld zur Verfügung gestanden hätten, die sie jedoch für betriebliche und private Investitionen verwendet habe. Die Beschwerde der Antragstellerin zur Oberfinanzdirektion (OFD) hatte keinen Erfolg; die Klage wurde vom Finanzgericht (FG) im Rahmen der dem Gericht durch § 102 der Finanzgerichtsordnung (FGO) eingeräumten Prüfungs- und Entscheidungskompetenz gegenüber Ermessensentscheidungen als unbegründet zurückgewiesen. Die Revision hat das FG nicht zugelassen. Das Urteil ist der Antragstellerin am 17. Oktober 1990 zugestellt worden.

Mit Schreiben vom 9. November 1990 an das FG, das dort am 13. November 1990 eingegangen ist, hat die - nicht postulationsfähige - Antragstellerin persönlich Revision eingelegt; eine Begründung hat sie nicht eingereicht. In einem weiteren Schreiben vom 9. November 1990, beim FG ebenfalls am 13. November 1990 eingegangen, hat die Antragstellerin für das Revisionsverfahren Prozeßkostenhilfe (PKH) beantragt. Durch Schreiben vom 15. November 1990 hat der Vorsitzende des zuständigen Senats des FG der Antragstellerin mitgeteilt, daß ihr Antrag auf PKH an den Bundesfinanzhof (BFH) weitergeleitet werde und darauf hingewiesen, daß die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse auf amtlichem Vordruck innerhalb der Revisionsfrist vorgelegt sein müsse.

Die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse ist am 28. November 1990, der Antrag auf PKH am 3. Dezember 1990 beim BFH eingegangen.

 

Entscheidungsgründe

Der Antrag auf PKH ist zulässig, aber unbegründet.

1. Der Zulässigkeit des Antrags steht nicht entgegen, daß die Antragstellerin sich nicht durch einen Rechtsanwalt, Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer hat vertreten lassen. Gemäß § 78 Abs. 3 der Zivilprozeßordnung (ZPO) i. V. m. § 155 FGO entfällt der Vertretungszwang für alle Prozeßhandlungen, die vor dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle vorgenommen werden können, also auch für den Antrag auf PKH (§ 117 Abs. 1 Satz 1, 2. Halbsatz ZPO i. V. m. § 142 FGO). Art. 1 Nr. 1 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs (BFHEntlG) hat hinsichtlich dieses Antrages hieran nichts geändert (vgl. BFH-Beschlüsse vom 25. März 1976 V S 2/76, BFHE 118, 300, BStBl II 1976, 386; vom 20. April 1988 X S 13/87, BFH/NV 1988, 728).

Der Zulässigkeit des Antrages steht auch nicht entgegen, daß sowohl der Antrag auf Bewilligung von PKH als auch die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse (§ 117 Abs. 2 ZPO i. V. m. § 142 FGO) erst nach Ablauf der Rechtsmittelfrist beim BFH eingegangen sind. Zwar müssen nach ständiger Rechtsprechung der Antrag sowie die Erklärung nach § 117 Abs. 2 ZPO innerhalb der Rechtsmittelfrist beim Prozeßgericht eingereicht werden (BFH-Beschlüsse vom 10. Juli 1981 VII S 8/81, BFHE 133, 350, BStBl II 1981, 677; vom 30. Juli 1985 VII S 4-5/85, BFH/NV 1985, 47 und vom 11. Dezember 1985 I B 44/85, BFH/NV 1986, 557, m.w.N.; Beschluß des Bundessozialgerichts - BSG - vom 13. April 1981 11 BA 46/81, Monatsschrift für Deutsches Rechts 1981 - MDR -, 1052; Beschluß des Bundesgerichtshofs - BGH - vom 9. Juli 1981 VII ZR 127/81, Versicherungsrecht 1981 - VersR -, 884). Im vorliegenden Verfahren ist der Antragstellerin jedoch wegen der Versäumung dieser Frist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren (§ 56 FGO).

Der Senat geht davon aus, daß der Antragstellerin ohne Verschulden unbekannt war, sie hätte den Antrag auf Gewährung von PKH einschließlich der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse innerhalb der Rechtsmittelfrist beim BFH einreichen sollen. Es würde die Anforderungen an die der rechtsunkundigen Antragstellerin zumutbare Sorgfalt überspannen, wenn von ihr verlangt würde, daß sie die oben dargestellten von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze kennen müßte oder sich jedenfalls über sie hätte Kenntnisse verschaffen müssen. Der Senat weicht damit nicht von dem Beschluß des BGH vom 19. Mai 1988 VII ZB 6/88 (VersR 88, 943) ab, denn dort war entscheidungserheblich, daß dem Antragsteller die Notwendigkeit, den Vordruck über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse innerhalb der Rechtsmittelfrist einzureichen, aus einer Mehrzahl anderer Rechtsstreitigkeiten bekannt war. Erfahrungen der genannten Art hatte die Antragstellerin im vorliegenden Verfahren offensichtlich nicht.

Der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand steht auch nicht entgegen, daß die Antragstellerin durch das Schreiben des Vorsitzenden Richters am FG vom 15. November 1990 darüber informiert worden ist, daß die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse innerhalb der Revisionsfrist vorgelegt werden muß, denn sie hat die Erklärung innerhalb der in § 56 Abs. 2 Satz 1 FGO vorgesehenen Frist von zwei Wochen ab dem Zeitpunkt vorgelegt, in dem sie von der Fristgebundenheit Kenntnis erlangt hatte. Unschädlich ist auch, daß auch der Antrag selbst, den die Antragstellerin innerhalb der Rechtsmittelfrist beim FG eingelegt hatte, erst nach Ablauf der Rechtsmittelfrist beim BFH eingegangen ist. Es kann ihr nicht als schuldhaftes Versäumnis angelastet werden, daß sie den Antrag nicht beim BFH als dem Prozeßgericht, sondern wie die Revision (§ 120 Abs. 1 Satz 1 FGO) beim FG angebracht hat; insbesondere ist der Rechtsmittelbelehrung des finanzgerichtlichen Urteils kein Hinweis darauf zu entnehmen, daß im Geltungsbereich der FGO - anders als nach der ZPO (§ 518 Abs. 1, § 553 Abs. 1 ZPO) - unterschiedliche Gerichte für die Einlegung der Revision und den für die Durchführung des Revisionsverfahrens zu stellenden Prozeßkostenhilfeantrag vorgesehen sind. Die Antragstellerin hatte aufgrund der Mitteilung des FG vom 15. November 1990, daß der Antrag an den BFH weitergeleitet werde, auch keinen Anlaß, von sich aus etwas Zusätzliches zu unternehmen; insbesondere mußte sie auch nicht damit rechnen, daß der Antrag erst am 3. Dezember 1990 beim BFH eingehen würde.

2. Der (zulässige) Antrag auf Gewährung von PKH ist jedoch unbegründet, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 114 Satz 1 ZPO i. V. m. § 142 FGO).

Der gemäß § 118 ZPO von dem Prozeßgericht vorzunehmenden Prüfung der Erfolgsaussichten ist in der Rechtsmittelinstanz das Rechtsmittel zugrunde zu legen, das geeignet ist, zu der von der Antragstellerin erkennbar erstrebten revisionsrechtlichen Überprüfung des FG-Urteils zu führen. Das sind, weil das FG die Revision nicht zugelassen hat, im vorliegenden Fall die zulassungsfreie Verfahrensrevision gemäß § 116 Abs. 1 FGO sowie die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision gemäß § 115 Abs. 3 i. V. m. Abs. 2 FGO (Art. 1 Nr. 5 BFHEntlG). Der (unzutreffenden) Auffassung der Antragstellerin, bei dem einzulegenden Rechtsmittel handle es sich (nur) um die Revision, kommt keine Bedeutung zu. Eine entsprechende Beschränkung der vom Gericht vorzunehmenden Prüfung der Erfolgsaussichten würde dem Zweck des PKH-Verfahrens zuwider laufen, der dahin geht, dem unbemittelten Bürger eine sachgerechte Rechtsverfolgung zu ermöglichen, wenn von der Antragstellerin die Kenntnis gefordert würde, derer sie sich durch die begehrte Beiordnung eines sachkundigen, beim BFH zugelassenen Vertreters (Rechtsanwalt, Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer, Art. 1 Nr. 1 BFHEntlG) erst versichern will.

Aus vergleichbaren Erwägungen hat es das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) im Beschluß vom 12. Februar 1965 (BVerwG V ER 224/64, Neue Juristische Wochenschrift - NJW - 1965, 1293) darüber hinaus nicht für erforderlich gehalten, daß in dem von dem Antragsteller in der Revisionsinstanz selbst eingereichten Armenrechtsgesuch zur Durchführung eines noch nicht anhängigen Rechtsmittelverfahrens ein Mindestmaß an Begründung enthalten sein müsse, insbesondere dargetan werde, welcher Zulassungsgrund mit der Beschwerde geltend gemacht werde, damit das Gericht in die Lage gesetzt werde, die Erfolgsaussichten des Rechtsmittels zu prüfen (§ 117 Abs. 1 Satz 2, § 118 Abs. 2 ZPO, i. V. m. § 142 FGO). Der erkennende Senat schließt sich dieser Auffassung für das Verfahren über die Gewährung von PKH an, denn der Antragsteller würde sonst in seiner Rechtsverfolgung wegen seiner Mittellosigkeit gerade in einem Verfahren benachteiligt, für das in Art. 1 Nr. 1 BFHEntlG u. a. wegen der zu berücksichtigenden besonderen rechtlichen Schwierigkeiten die Vertretung durch sachkundige Personen vorgeschrieben ist (vgl. auch die Erwägungen im BFH-Beschluß vom 18. Juli 1985 V S 3/85, BFHE 143, 528, BStBl II 1985, 499 zur Gewährung von PKH für das Beschwerdeverfahren gegen die Ablehnung von PKH).

Die danach vom Senat insbesondere anhand der Vorentscheidung und des Protokolls über die mündliche Verhandlung vorzunehmende Prüfung ergibt, daß weder die zulassungsfreie Revision (§ 116 Abs. 1 FGO) noch die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision (§ 115 Abs. 2, 3 FGO) hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. Wesentliche Mängel des Verfahrens vor dem FG i. S. des § 116 Abs. 1 FGO sind nicht erkennbar. Es ist auch nicht ersichtlich, daß die Vorentscheidung mit einem nach § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO geltend zu machenden Verfahrensfehler behaftet ist. Da das FG über die Klage gegen die Ablehnung des von der Antragstellerin begehrten Erlasses aus Billigkeitsgründen auf der Grundlage der von der Rechtsprechung und Literatur anerkannten Rechtsgrundsätze entschieden hat, kommt auch eine Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung oder Abweichung von einer Entscheidung des BFH (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 und 2 FGO) nicht in Betracht.

Eine Kostenentscheidung ist nicht zu treffen. Es entstehen keine Gerichtsgebühren (§ 142 FGO i. V. m. § 118 Abs. 1 Sätze 4, 5 ZPO, § 1 Abs. 1 Buchst. c i. V. m. § 11 Abs. 1 des Gerichtskostengesetzes).

 

Fundstellen

Haufe-Index 417572

BFH/NV 1991, 338

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