Entscheidungsstichwort (Thema)

Verfahrensrecht/Abgabenordnung

 

Leitsatz (amtlich)

Die Frist zur Begründung der Revision endet nach § 120 Abs. 1 FGO zwei Monate nach der Zustellung des Urteils des FG. Der Senat tritt insoweit der Rechtsprechung des BVerwG bei.

Eine Revision, die nicht innerhalb der in § 120 Abs. 1 FGO vorgeschriebenen Frist begründet und für die kein bestimmter Revisionsantrag gestellt wird, ist als unzulässig zu verwerfen.

Zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei Versäumung von Fristen in einem Rechtsstreit von zusammen veranlagten Eheleuten.

 

Normenkette

FGO § 120 Abs. 1-2, § 56/1, § 56 Abs. 2

 

Tatbestand

Streitig ist die Zulässigkeit der Revision gegen das am 15. April 1966 mit Postzustellungsurkunde zugestellte, die Einkommensteuer der zusammen veranlagten Eheleute für die Jahre 1959 bis 1962 betreffende Urteil des Finanzgerichts (FG). Das als Revisionsschrift anzusehende Schreiben der Ehefrau vom 13. Mai 1966 ist am 15. Mai 1966 beim FG eingegangen. Die Ehefrau hat am 14. Juni 1966 an das FG zwei Schreiben gerichtet, die beide am 16. Juni 1966 dort eingetroffen sind. Das eine dieser Schreiben hat folgenden Wortlaut:

"Ihr Schreiben vom 17. Mai 1966 haben wir erhalten. Leider kann ich es noch nicht beantworten, wie Sie es wünschen, weil ich keine juristischen Kenntnisse habe. Sie schreiben, es bedarf keiner Revision, wenn der Streitwert mehr wie DM 1.000 beträgt. Besteht nun für uns keine Möglichkeit mehr, die zuviel gezahlten Steuern zurückzubekommen?

Ich schrieb das Schreiben vom 13. 5. 1966, damit das Urteil nicht rechtskräftig werden sollte, weil wir in den Jahren 1959 bis 1962 wesentlich zuviel Steuern bezahlt haben, allein schon die nicht angerechneten Bausparkassenbeträge machen an Steuern einen höheren Wert an Steuern wie DM 1.000 aus. Klären Sie mich bitte auf und teilen mir mit, was ich tun muß, um dann das Urteil nicht rechtskräftig werden zu lassen."

In dem anderen Schriftstück teilt die Ehefrau mit, daß sie sehr schwer krank sei, daß sie operiert werden müsse und eine Pflegestelle für ihre vier kleinen Kinder suche und daß sie nur schreibe um eine Fristversäumnis abzuwenden.

Mit Schreiben vom 29. Juli 1966 stellte der Vorsitzende des erkennenden Senats den Steuerpflichtigen (Stpfl.) unter Hinweis auf die bereits eingetretene Versäumung der Revisionsbegründungsfrist (§ 120 Abs. 1 Satz 1 FGO) anheim, innerhalb der in § 56 Abs. 2 FGO vorgeschriebenen Frist von zwei Wochen einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Revisionsbegründungsfrist zu stellen und etwaige Tatsachen, die diesen Antrag begründen könnten, glaubhaft zu machen. Auf dieses den Stpfl. am 2. August 1966 mit Postzustellungsurkunde zugestellte Schreiben hat die Ehefrau in einem beim BFH am 18. August 1966 eingegangenen Brief vom 15. August 1966 geantwortet, daß sie immer noch krank sei, ständig große Schmerzen habe und daß sie Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantrage.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Stpfl. ist wegen Versäumung der Revisionsbegründungsfrist als unzulässig zu verwerfen.

Die Frist zur Einlegung der Revision für das am 15. April 1966 zugestellte Urteil lief nach § 54 FGO in Verbindung mit § 222 Abs. 2 ZPO erst am 16. Mai 1966 ab, da der 15. Mai 1966 ein Sonntag war. Die am 15. Mai 1966 beim FG eingegangene Revision ist daher rechtzeitig eingelegt worden.

Nach § 120 Abs. 1 Satz 1 FGO war sie "spätestens innerhalb eines weiteren Monats zu begründen". Aus dem Wortlaut der Vorschrift könnte entnommen werden, daß mit dem Ablauf der Frist zur Einlegung der Revision eine neue selbständige Frist zur Begründung des Rechtsmittels beginne. Falls die Rechtsmittelfrist an einem Sonn- oder Feiertag endet, würde die Begründungsfrist dann also erst mit Ablauf des darauf folgenden Wochentags beginnen. Im Streitfall wäre bei dieser Auslegung eine am 16. Juni 1966 eingegangene Revisionsbegründung noch rechtzeitig. Der Senat vertritt jedoch nicht diese Auffassung. § 120 Abs. 1 FGO stimmt wörtlich mit § 139 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) überein. Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) legt diese Vorschrift so aus, daß die Frist zur Begründung der Revision eine Verlängerung der Frist zur Einlegung des Rechtsmittels sei, so daß die Revisionsbegründungsfrist zwei Monate nach der Zustellung der angefochtenen Entscheidung endet (Urteile bzw. Beschlüsse des BVerwG III B 19.58/III C 24.58 vom 28. Oktober 1958, Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts - BVerwGE - Bd. 7 S. 293; VI C 70.58 vom 17. Dezember 1959, BVerwGE Bd 10 S. 75; III C 99.65 vom 29. September 1965 in "Die öffentliche Verwaltung" - DöV - 1965 S. 860; ebenso Eyermann-Fröhler, Verwaltungsgerichtsordnung, 4. Aufl. § 139 Bem. 12). Da sich für den Bereich der VwGO eine feststehende, mit dem Wortlaut des Gesetzes vertretbare Rechtsübung gebildet hat, die außerdem die leichtere Feststellung der Rechtzeitigkeit der Revisionsbegründung ermöglicht, schließt sich der Senat im Interesse der einheitlichen Auslegung gleichlautender Vorschriften der Auffassung des BVerwG an (ebenso Görg-Müller, Finanzgerichtsordnung, § 120. Bem. 653; Ziemer-Birkholz, Finanzgerichtsordnung, § 120, Bem. 21).

Bei dieser Auslegung ist im Streitfall die Frist zur Begründung der Revision am 15. Juni 1966 abgelaufen. Die am 16. Juni 1966 beim FG eingegangenen Schreiben sind daher, auch wenn man sie als Revisionsbegründung auffaßt, verspätet.

Aber selbst wenn man zugunsten der Stpfl. annähme, daß die Revisionsbegründungsfrist erst mit dem 16. Juni 1966 geendet habe, wäre die Revision unzulässig; denn die beiden am 16. Juni 1966 beim FG eingegangenen Schreiben enthalten keine Revisionsbegründung im Sinn von § 120 Abs. 2 FGO. Nach dieser Vorschrift muß eine Revisionsbegründung insbesondere einen bestimmten Antrag enthalten und die verletzte Rechtsnorm angeben. Da die FGO nicht vorschreibt, daß die Steuerpflichtigen in dem Verfahren vor dem BFH durch sachkundige Personen vertreten sein müssen, können diese Bestimmungen zwar nicht so streng und formal gehandhabt werden, wie z. B. in der Revision vor den ordentlichen Gerichten. Aber es muß doch für das steuergerichtliche Verfahren wenigstens gefordert werden, daß die Steuerpflichtigen zum Ausdruck bringen, inwiefern sie sich durch die angefochtene Entscheidung beschwert fühlen und in welchem Ausmaß sie eine änderung erstreben. Die beiden Schreiben der Stpfl. vom 14. Juni 1966 genügen auch bei wohlwollender Beurteilung diesen Anforderungen nicht. Es wäre den Stpfl. zuzumuten gewesen - insbesondere bei dem nicht geringen Streitwert - sich eines sachverständigen Vertreters zur Wahrung ihrer Interessen zu bedienen, wenn sie - was nach ihren Schreiben allerdings kaum anzunehmen ist - nicht selbst zum Ausdruck bringen konnten, weshalb sie mit dem Urteil des FG nicht einverstanden waren. Bei Bedürftigkeit hätte ihnen unter Umständen im Armenrecht (§ 142 FGO, § 118 Abs. 1 ZPO) ein sachkundiger Vertreter beigeordnet werden können.

Auf das Schreiben des Senatsvorsitzenden vom 29. Juli 1966, das ihnen am 2. August 1966 zugestellt wurde, sind die Stpfl. auf die Notwendigkeit der Begründung ihrer Revision und die Möglichkeit einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Begründungsfrist ausdrücklich hingewiesen worden. Ihr am 18. August 1966 beim BFH eingegangenes Schreiben, das wiederum erst nach Ablauf der ihnen gesetzten Frist eingegangen ist, entsprach nicht den Anforderungen des § 56 FGO. Diese Vorschrift bestimmt nicht nur, daß eine entsprechende Begründung mit Glaubhaftmachung gegeben werden muß, sondern daß innerhalb der Frist auch die versäumte Rechtshandlung nachgeholt werden muß, im Streitfall also die Revisionsbegründung mit einem entsprechenden Revisionsantrag. Selbst wenn man die von der Ehefrau in ihrem Schreiben wiederum angeführte Erkrankung als ausreichenden Grund für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ansehen könnte, wäre das Schreiben unerheblich, denn in ihm wurde die Revisionsbegründung mit Antragstellung nicht nachgeholt und ist auch bis zum Ergehen dieses Beschlusses am 20. September 1966 nicht eingegangen. Im übrigen kommt den Ausführungen der Ehefrau über ihren schlechten Gesundheitszustand für den Wiedereinsetzungsantrag keine Bedeutung zu; denn Steuerpflichtiger und Rechtsmittelbeteiligter ist nämlich auch der mit ihr zur Einkommensteuer zusammen veranlagte Ehemann. Daß dieser durch zwingende Umstände verhindert gewesen sei, die zur rechtzeitigen Begründung der Revision erforderlichen Angaben zu machen, wurde nicht vorgetragen. Es ist also davon auszugehen, daß er nicht verhindert war, so daß auch einem rechtzeitig gestellten Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Rechtsmittelfrist aus diesem Grund nicht entsprochen werden könnte.

Da die von den Stpfl. rechtzeitig eingelegte Revision demnach von ihnen nicht in der nach § 120 Abs. 1 und 2 FGO vorgeschriebenen Frist und Form begründet wurde, war sie als unzulässig zu verwerfen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 412274

BStBl III 1967, 4

BFHE 1966, 813

BFHE 86, 813

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