Entscheidungsstichwort (Thema)

Angebliche Weitergabe nicht erklärter Einnahmen an nicht benannte Dritte

 

Leitsatz (NV)

Macht der Steuerpflichtige geltend, er habe die nicht erklärten Einnahmen verwendet, um betrieblich veranlaßte Zahlungen an nicht benannte Dritte zu leisten, so hängt die Annahme einer vollendeten Steuerhinterziehung davon ab, ob das FA bei richtigen Angaben des Steuerpflichtigen über die Betriebseinnahmen und Betriebsausgaben die angeblichen Zahlungen ohne Empfängerbenennung als Betriebsausgaben anerkannt hätte.

 

Normenkette

AO 1977 §§ 160, 173 Abs. 2, § 370 Abs. 4 S. 3

 

Tatbestand

Die Antragstellerin und Beschwerdegegnerin (Antragstellerin), eine im Konkursverfahren befindliche GmbH & Co. KG, betrieb eine Grundstücksverwertungsgesellschaft, in der erhebliche Provisionen für die Vermittlung von Grundstückskäufen erzielt wurden. Einziger Gesellschafter neben der Komplementär-GmbH war Herr M als Kommanditist und Geschäftsführer. Im Jahre 1993 wurden die Einkünfte der Antragstellerin für die Streitjahre (1988 bis 1990) nach einer Betriebsprüfung bestandskräftig festgestellt. Später ermittelte die Steuerfahndung, daß die Antragstellerin in den Streitjahren weitere bisher nicht bekannte Provisionseinnahmen in Höhe von 2 600 500 DM (1988), 2 329 487 DM (1989) sowie 1 197 614 DM (1990) nicht erklärt hatte.

Herr M erklärte in dem gegen ihn durchgeführten Strafverfahren, er habe an eine große Zahl von Dritten, deren Namen er nicht angeben werde, Unterprovisionen zahlen müssen. Den Rest habe er mit dem mittlerweile verstorbenen Steuerberater K, dem eigentlichen Initiator und Hintermann des Unternehmens, teilen müssen. Die ihm verbliebenen Nettoprovisionen stellten sich wie folgt dar:

Zahlungen an Zahlungen an Nettoprovisionen

Dritte K M

1988 900 000 DM 850 250 DM 530 890 DM

1989 630 000 DM 821 244 DM 592 165 DM

1990 50 000 DM 586 000 DM 573 649 DM

Der Antragsgegner und Beschwerdeführer (das Finanzamt ―FA―) vertrat die Auffassung, daß die Antragstellerin keinerlei Beweismittel für ihre Behauptung vorgelegt habe. Die nicht erklärten Provisionseinnahmen seien daher nicht zu kürzen. Dementsprechend wurden die Gewinne der Antragstellerin für die Streitjahre mit zusammengefaßtem Änderungsbescheid vom 27. März 1996 unter ungekürzter Hinzurechnung der nicht erklärten Einnahmen erneut einheitlich und gesondert festgestellt. Gegen diesen Bescheid legte die Antragstellerin Einspruch ein, wobei sie sich auf die im Strafverfahren getroffenen Feststellungen berief.

Mit Urteil vom 13. Dezember 1996 hatte das Landgericht (LG) X Herrn M zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Dabei hatte es u.a. folgendes ausgeführt:

"Soweit der Angeklagte angegeben hat, von den Provisionseinnahmen Beträge an unbekannte Dritte bzw. K abgegeben zu haben, ist seine Einlassung den Feststellungen in vollem Umfang zugrunde gelegt worden. Die diesbezüglichen Feststellungen sind nicht zu Lasten dritter Personen erfolgt, da ein voller Beweis für derartige Zahlungen nicht geführt worden ist; es waren jedoch genug Anhaltspunkte dafür vorhanden, die entsprechenden Einlassungen des Angeklagten zu seinen Gunsten zugrunde zu legen".

Nachdem das FA einen im Rahmen des Einspruchsverfahrens gestellten Antrag auf Aussetzung der Vollziehung abgelehnt hatte, gab das Finanzgericht (FG) diesem Antrag mit Beschluß vom 30. September 1997, ausgefertigt am 2. Oktober 1997, statt. Zur Begründung führte es im wesentlichen aus, in Höhe der behaupteten Weitergabe von Provisionen an unbekannte Dritte und an den verstorbenen K bestünden ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide. Nach § 173 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) hätten die Feststellungsbescheide 1988 bis 1990, die im Anschluß an eine Betriebsprüfung ergangen und bestandskräftig geworden seien, durch die aufgrund der Steuerfahndungsprüfung ergangenen Bescheide nur insoweit wegen neuer Tatsachen geändert werden dürfen, als der Nachweis einer Steuerhinterziehung erbracht gewesen sei. Das LG X habe nur hinsichtlich der um Zahlungen an Dritte und K gekürzten Beträge eine Steuerhinterziehung angenommen. In Anbetracht dessen habe das FA seinerseits Feststellungen dazu treffen müssen, daß und ggf. aus welchen Gründen höhere Beträge als vom LG X festgestellt hinterzogen worden seien. Hinterzogen würden keine Einnahmen, sondern nur Steuern, deren Ermittlung Einkünfte zugrunde lägen. Wenn das FA von den vom LG ermittelten Beträgen habe abweichen wollen, treffe es die Feststellungslast dafür, daß es sich bei der Behauptung gewinnmindernder Zahlungen an Dritte und an K lediglich um Schutzbehauptungen handle.

Nachdem das FA eine Einspruchsentscheidung erlassen hatte, lehnte es einen nach Klageerhebung gestellten Antrag auf Aussetzung der Vollziehung erneut ab. Das FG gab dem daraufhin bei ihm gestellten Antrag wiederum statt. Es berief sich im wesentlichen auf die Gründe seines vorangegangenen Beschlusses (Entscheidungen der Finanzgerichte 1998, 1039).

Hiergegen richtet sich die vom FG zugelassene Beschwerde des FA. Zur Begründung macht das FA geltend, das FG verlange im angegriffenen Beschluß, die Finanzbehörde müsse eine bloße Behauptung des Steuerstraftäters widerlegen. Das sei regelmäßig unmöglich. Wäre die Auffassung des FG richtig, so gebe es die Steuerhinterziehung nur auf der Basis der Freiwilligkeit des Hinterziehers.

Das FA beantragt,

unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung abzulehnen.

Die Antragstellerin beantragt,

die Beschwerde als unbegründet zurückzuweisen.

Das FG hat der Beschwerde nicht abgeholfen.

 

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde ist teilweise begründet.

Es bestehen keine ernstlichen Zweifel i.S. des § 69 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide, sofern das FA die Zahlungen an nicht benannte Dritte nicht zum Abzug als Betriebsausgaben zugelassen hat. Dagegen ist es ernstlich zweifelhaft, ob das FA den Abzug der an K gezahlten Beträge verweigern durfte.

1. Zutreffend ist das FG davon ausgegangen, daß die im Anschluß an eine Betriebsprüfung ergangenen Änderungsbescheide vom 25. Januar 1993 nur unter den Voraussetzungen des § 173 Abs. 2 AO 1977 erneut geändert werden durften. Nach dieser Bestimmung ist eine erneute Änderung nur dann zulässig, wenn "eine Steuerhinterziehung oder eine leichtfertige Steuerverkürzung vorliegt". Das bedeutet, daß es sich bei den nachgeforderten Beträgen um hinterzogene (bzw. verkürzte) Steuern handeln muß (Urteil des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 21. Oktober 1988 III R 194/84, BFHE 155, 232, BStBl II 1989, 216). Die erhöhte Bestandskraft wird nur insoweit durchbrochen, als die Verkürzung durch den Steuerpflichtigen (oder einen Dritten) straf- oder bußgeldrechtlich relevant ist (Woerner/Grube, Die Aufhebung und Änderung von Steuerverwaltungsakten, 8. Aufl., S. 103; Schwarz/Frotscher, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 173 AO 1977 Rdnr. 124; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 173 AO 1977 Tz. 98). Handelt es sich bei dem ändernden Verwaltungsakt um einen Gewinnfeststellungsbescheid, darf demzufolge nur derjenige Gewinn zusätzlich erfaßt werden, der den hinterzogenen Steuern zugrunde liegt.

a) Hängt die Rechtmäßigkeit von Steuerbescheiden davon ab, daß der Steuerpflichtige eine Steuerhinterziehung begangen hat, so müssen zur Bejahung der Rechtmäßigkeit der Bescheide die objektiven und subjektiven Tatbestandsmerkmale einer Steuerhinterziehung vorliegen (BFH-Urteil vom 16. Januar 1973 VIII R 52/69, BFHE 108, 286, BStBl II 1973, 273). Das Vorliegen dieser Tatbestandsmerkmale ist nicht nach der Strafprozeßordnung, sondern nach den Vorschriften der AO 1977 und FGO zu prüfen. Da aber auch im finanzgerichtlichen Verfahren der strafverfahrensrechtliche Grundsatz "in dubio pro reo" zu beachten ist, trägt das FA insoweit die Feststellungslast. Allerdings ist für die Feststellung der Steuerhinterziehung, die nach § 76 Abs. 1 Sätze 1 und 5 FGO von Amts wegen zu treffen ist, kein höherer Grad von Gewißheit erforderlich als für die Feststellung anderer Tatsachen, für die das FA die Feststellungslast trägt (Beschluß des Großen Senats des BFH vom 5. März 1979 GrS 5/77, BFHE 127, 140, BStBl II 1979, 570; BFH-Urteile in BFHE 155, 232, BStBl II 1989, 216, und vom 14. August 1991 X R 86/88, BFHE 165, 458, BStBl II 1992, 128).

b) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) ist eine strafrechtliche Verurteilung nur dann möglich, wenn die Besteuerungsgrundlagen nach Grund und Höhe in einer Weise festgestellt werden, daß sie nach der Überzeugung des Tatrichters als erwiesen anzusehen sind (BGH-Urteil vom 10. September 1985 4 StR 487/85, Steuerrechtsprechung in Karteiform, Abgabenordnung, § 370, Rechtsspruch 85). Diese Rechtsprechung, die auf dem Grundsatz "in dubio pro reo" beruht, ist steuerrechtlich zu übernehmen (BFHE 165, 458, BStBl II 1992, 128). Das bedeutet nicht, wie das FA befürchtet, daß jede Behauptung des Steuerstraftäters, die nicht erklärten Einnahmen seien um Betriebsausgaben zu kürzen, zu berücksichtigen wäre. Deshalb wäre der angefochtenen Entscheidung des FG auch nicht zu folgen, soweit in ihr die Auffassung vertreten werden sollte, das FA müsse jede noch so fern liegende Behauptung des Steuerstraftäters über Art und Höhe seiner Betriebsausgaben widerlegen. Das gilt selbst dann, wenn das Strafgericht die entsprechenden Einlassungen des Täters seinem Urteil zugrunde gelegt hat. Vielmehr hat das FG nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung (§ 96 Abs. 1 FGO) zu entscheiden, ob es sich bei derartigen Angaben um reine Schutzbehauptungen handelt, oder ob sie geeignet sind, vernünftige Zweifel an der Höhe der vom FA angenommenen Gewinne bestehen zu lassen (vgl. Dörn, Die Steuerberatung 1996, 153, 158).

2. Im Streitfall kann ―jedenfalls im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes― angesichts der Umstände angenommen werden, daß die Zahlungen an K nicht völlig unwahrscheinlich sind. Nach den Feststellungen des LG X war K auch nach seinem Ausscheiden aus der Antragstellerin die bestimmende Person in dem Unternehmen. Es ist daher naheliegend, daß er an den vom Kläger erzielten Vermittlungsprovisionen beteiligt werden wollte. Dem Betriebsausgabenabzug steht auch nicht § 160 AO 1977 entgegen. Die Benennung eines verstorbenen Empfängers kann nicht ohne weiteres mit der Nichtbenennung des Empfängers gleichgesetzt werden. Der Betriebsausgabenabzug kann nicht davon abhängen, ob der Empfänger noch lebt.

3. Demgegenüber sind die angeblichen Zahlungen an unbenannte Dritte nicht geeignet, die den angefochtenen Änderungsbescheiden zugrundeliegenden Gewinne zu mindern. Zwar sind auch Schmiergeldzahlungen im Rahmen der Ermittlung der hinterzogenen Steuern grundsätzlich als Betriebsausgaben zu behandeln (BGH-Urteil vom 12. Mai 1989 3 StR 55/89, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung ―HFR― 1990, 331). Im Streitfall scheitert die Berücksichtigung der angeblich an unbenannte Dritte gezahlten Beträge bei summarischer Prüfung jedoch am Kompensationsverbot des § 370 Abs. 4 Satz 3 AO 1977. Nach dieser Vorschrift liegt eine Steuerverkürzung auch dann vor, wenn die Steuer aus anderen Gründen hätte ermäßigt werden können. Macht der Steuerpflichtige geltend, er habe die nicht erklärten Einnahmen verwendet, um betrieblich veranlaßte Zahlungen an nicht benannte Dritte zu leisten, so hängt die Annahme einer vollendeten Steuerhinterziehung nach der Rechtsprechung des BGH davon ab, ob das FA bei richtigen Angaben des Steuerpflichtigen über die Betriebseinnahmen und Betriebsausgaben die angeblichen Zahlungen ohne Empfängerbenennung als Betriebsausgaben anerkannt hätte (BGH-Urteil vom 26. Januar 1990 3 StR 472/89, Zeitschrift für Wirtschaft, Steuer, Strafrecht 1990, 232, HFR 1990, 520). Handelt es sich bei den mutmaßlichen Empfängern um Steuerinländer, wird das FA derartige Aufwendungen in der Regel nicht zum Abzug zulassen (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 30. März 1983 I R 228/78, HFR 1983, 455). Daher muß auch im Streitfall bei summarischer Prüfung davon ausgegangen werden, daß das FA für die Zahlungen an nicht benannte Dritte den Betriebsausgabenabzug versagt hätte.

 

Fundstellen

Haufe-Index 170962

BFH/NV 1999, 1188

DStRE 1999, 682

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