Leitsatz (amtlich)

Der Antrag nach § 68 FGO muß nicht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Änderungsbescheids gestellt werden.

 

Normenkette

FGO § 68

 

Tatbestand

I. Der IV. Senat des BFH hat durch Beschluß IV R 57/70 vom 13. August 1970 (BFH 99, 462, BStBl II 1970, 726) den Großen Senat des BFH gem. § 11 Abs. 3 FGO - hilfsweise nach § 11 Abs. 4 FGO - zur Entscheidung folgender Rechtsfragen angerufen:

1. Muß der Antrag nach § 68 FGO innerhalb eines Monats nach Zustellung des Änderungsbescheids gestellt werden?

2. Falls der Große Senat die Frage zu 1. bejaht:

Muß in der dem Änderungsbescheid beigefügten Rechtsmittelbelehrung auf die Frist hingewiesen werden?

3. Falls der Große Senat die Frage zu 1. bejaht und die Frage zu 2. verneint:

Wie ist zu entscheiden, wenn der Steuerpflichtige, der den Antrag nach § 68 FGO nicht rechtzeitig gestellt hat, weder die Klage oder das Rechtsmittel zurücknimmt noch die Hauptsache für erledigt erklärt?

II. Der Revisionskläger (Steuerpflichtiger) hatte bei der Einkommensteuerveranlagung 1965 (Streitjahr) erfolglos für einen Teil seiner Einkünfte die Tarifvergünstigung des § 34 Abs. 4 EStG beantragt.

Während des finanzgerichtlichen Verfahrens berichtigte das FA den Einkommensteuerbescheid nach § 218, § 222 AO durch einen Bescheid vom 7. November 1967. Der Steuerpflichtige stellte am 10. November 1967 den Antrag, den geänderten Bescheid zum Gegenstand des Klageverfahrens zu machen (§ 68 FGO). Das FG wies die Klage als unbegründet zurück.

Der Steuerpflichtige legte Revision ein. Während des Revisionsverfahrens änderte das FA den angefochtenen Bescheid wiederum nach § 218 Abs. 4 AO, und zwar wegen einer Änderung des Anteils des Steuerpflichtigen am Gewinn eines gewerblichen Unternehmens. Dabei vermerkte das FA: "Dieser Bescheid tritt an die Stelle des Bescheides vom 7. November 1967." Die dem Änderungsbescheid beigefügte Rechtsbehelfsbelehrung enthielt keinen Hinweis auf § 68 FGO. Der Änderungsbescheid wurde am 10. April 1970 zur Post gegeben, so daß er nach § 17 Abs. 2 VwZG als am 13. April 1970 zugestellt gilt.

Mit Schriftsatz vom 25. Juni 1970, eingegangen beim BFH am 29. Juni 1970, beantragte der Steuerpflichtige, den Änderungsbescheid vom 10. April 1970 zum Gegenstand des Verfahrens zu machen. Er führte aus, daß der Antrag nach § 68 FGO auch nach Ablauf der gegen den Änderungsbescheid laufenden Einspruchsfrist gestellt werden könne. Durch den Änderungsbescheid sei seinem Klagebegehren nicht entsprochen worden. Die Änderung habe mit dem von ihm angegriffenen Streitpunkt nichts zu tun. Durch die Änderung sei er nicht beschwert, so daß er den geänderten Bescheid nicht habe anfechten können. Er beantrage, die Vorentscheidung aufzuheben und das FA anzuweisen, die Tarifvergünstigung des § 34 Abs. 4 EStG zu gewähren.

Das FA beantragte, die Revision als unzulässig zu verwerfen, da der neue Bescheid an die Stelle des früheren Bescheids getreten und nicht rechtzeitig zum Gegenstand des schwebenden Verfahrens gemacht worden sei.

III. Der IV. Senat beabsichtigt, durch Urteil die Hauptsache für erledigt zu erklären und über die Kosten nach § 138 Abs. 1 FGO zu entscheiden. Er ist entgegen der Auffassung des II. Senats des BFH (vgl. Urteil II 113/65 vom 30. Januar 1968, BFH 91, 27, BStBl II 1968, 210) der Ansicht, daß der Antrag nach § 68 FGO nur innerhalb der für den Änderungsbescheid geltenden Rechtsbehelfsfrist angefochten werden könne (vgl. BFH-Urteil IV R 110/67 vom 28. Mai 1968, BFH 92, 322, BStBl II 1968, 541).

An seiner in dieser Entscheidung eingehend begründeten Auffassung halte der Senat auch insoweit fest, als dort ausgeführt sei, daß in der Rechtsmittelbelehrung nicht auf die - bei zutreffender Auslegung des § 68 FGO - einzuhaltende Frist hingewiesen werden müsse.

Der IV. Senat führt außerdem aus, daß im Streitfall Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht gewährt werden könne. Der Steuerpflichtige habe keinen Wiedereinsetzungsantrag gestellt und auch keine Gründe vorgetragen, die eine Wiedereinsetzung von Amts wegen rechtfertigen könnten.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

I. Die Anrufung des Großen Senats ist zulässig (§ 11 Abs. 3 FGO).

Der IV. Senat weicht mit der beabsichtigten Entscheidung von dem Urteil des II. Senats II 113/65 (a. a. O.) ab. Dort ist ausgeführt, daß der Antrag, einen ersetzenden Steuerbescheid zum Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens zu machen (§ 68 FGO), nicht fristgebunden sei und zur sachlichen Prüfung des ersetzenden Bescheids auch nach Ablauf der Einspruchs- oder Klagefrist führe. Die Entscheidung des II. Senats beruht auf dieser Rechtsauffassung.

Die Frage, ob der Antrag nach § 68 FGO fristgebunden ist, ist im Ausgangsverfahren IV R 57/70 entscheidungserheblich. Der Steuerpflichtige stellte den Antrag mit Schriftsatz vom 25. Juni 1970, beim BFH eingegangen am 29. Juni 1970, nachdem der Änderungsbescheid am 10. April 1970 zur Post gegeben worden war und am 13. April 1970 als zugestellt gilt (§ 17 Abs. 2 VwZG). Die Einspruchsfrist lief am 13. Mai 1970 ab. Der Antrag vom 25. Juni 1970 wurde somit erst nach dem Ablauf der Rechtsbehelfsfrist gestellt.

Der IV. Senat ist der Auffassung, daß Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht zu gewähren sei (§ 56 Abs. 2 FGO). Diese Frage hat der vorlegende Senat in eigener Zuständigkeit zu prüfen. Seine Beurteilung ist für den Großen Senat maßgebend.

II. Die Prüfung der dem Großen Senat vorgelegten Rechtsfragen ergibt folgendes:

1. Der Wortlaut des § 68 FGO enthält keine Fristbestimmung. Deshalb ist grundsätzlich davon auszugehen, daß der Antrag nicht fristgebunden ist. Es widerspräche dem Wesen der Fristvorschriften als formalen Ordnungsvorschriften, die als strenges Recht allein der Rechtssicherheit dienen, eine Befristung nach Maßgabe der für Rechtsbehelfsverfahren geltenden Vorschriften als objektiven Inhalt des § 68 FGO aufzufassen. Denn Fristen müssen aus dem Gesetzestext eindeutig und klar erkennbar sein. Sie können nicht erst aus dem Sinn und Zusammenhang des Gesetzes durch - vielleicht überraschende - Auslegung gefunden werden (vgl. Urteil des BVerfG 2 BvK 2/54 vom 11. August 1954, BVerfGE 4, 31 [37], mit weiteren Nachweisen; Friedrich, BB 1969, 439 [441]).

Eine Ausnahme könnte allenfalls in Betracht kommen, wenn ohne die Hinzufügung einer Fristbestimmung die Vorschrift des § 68 FGO eine Lücke enthielte, d. h. sinn- und zweckwidrig und daher vom Gesetzgeber nicht entsprechend ihrem Wortsinn gewollt wäre. Es würde sich dann um eine verdeckte Regelungslücke handeln, die von der Rechtsprechung in der Weise geschlossen werden müßte, daß die Gesetzesfassung auf den ihr nach der Systematik und dem Gesetzeszweck innewohnenden Sinn zurückgeführt würde (vgl. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 2. Aufl. 1969, S. 355 ff., 369 ff.; BFH-Urteile IV 26/62 S vom 21. Februar 1964, BFH 78, 490, BStBl III 1964, 188; I R 22/68 vom 3. Februar 1971, BFH 101, 364, BStBl II 1971, 406). In der Hinzufügung einer vom Gesetz nicht geregelten Fristbestimmung läge eine solche zweckgerichtete Einschränkung des gesetzlichen Wortsinnes. Sinn und Zweck des § 68 FGO gebieten indessen, wie sich aus den folgenden Erwägungen ergibt, die Hinzufügung einer Fristbestimmung nicht.

2. a) Der Antrag nach § 68 FGO stellt einen gesetzlichen Fall der Klageänderung dar (§ 67 Abs. 1 Halbsatz 2, § 123 Satz 2 FGO; vgl. Grunsky, Grundlagen des Verfahrensrechts, 1970, S. 107 ff.; v. Wallis-List, in Hübschmann-Hepp-Spitaler, Kommentar zur Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Rdnr. 1 zu § 68 FGO; Ziemer-Birkholz, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl. 1970, Rdnr. 4a zu § 68). Nach der systematischen Stellung der Vorschrift in Abschn. III des 2. Teils (Verfahren im ersten Rechtszug) statt in Abschnitt I des 2. Teils der FGO (Klagearten, Klagebefugnis, Klagevoraussetzungen, Klageverzicht) handelt es sich nicht um die Regelung eines Rechtsbehelfs und seiner Voraussetzungen, vielmehr um die Sonderregelung einer bestimmten Prozeßhandlung. Das Gesetz erklärt die Einführung des ändernden oder ersetzenden Verwaltungsakts (im folgenden kurz Änderungsbescheid) als neuen Verfahrensgegenstand für zulässig, ohne daß - wie im verwaltungsgerichtlichen Verfahren (vgl. Urteil des OVG Münster II A 295/60 vom 8. März 1966, Die Öffentliche Verwaltung 1966 S. 726, Deutsches Verwaltungsblatt 1967 S. 116) - die Voraussetzungen einer Klageänderung nach § 67 Abs. 1 und 2 FGO erfüllt sein müssen, und es erlaubt sie sogar im Revisionsverfahren (§ 123 Satz 2 FGO). Klageänderungen sind aber nach allgemeinen Grundsätzen ohne Fristbindung bis zum Schluß der mündlichen Verhandlung zulässig (vgl. § 67 Abs. 2 FGO; § 281 ZPO in Verbindung mit § 155 FGO).

b) Die Entstehungsgeschichte des § 68 FGO bestätigt, daß mit der Vorschrift nicht die Gewährung eines Rechtsbehelfs beabsichtigt war. Ursprünglich befand sich die Vorschrift als Satz 3 in § 42 des Regierungsentwurfs (Bundestags-Drucksache IV/1446), welcher das außergerichtliche Vorverfahren betraf. Aus systematischen Gründen wurde Satz 3 nach einem Vorschlag des Rechtsausschusses als § 64a im Zusammenhang mit der Regelung der Klageänderung in den Gesetzentwurf Bundestags-Drucksache IV/3523 aufgenommen (vgl. Bericht des Abgeordneten Bauer zu Bundestags-Drucksache IV/3523 Seite 6). Handelte es sich somit nicht um die Schaffung eines Rechtsbehelfs, bleibt für eine entsprechende Anwendung der Fristvorschriften für Rechtsbehelfe kein Raum.

3. Eine Fristgebundenheit des Antrags nach § 68 FGO ergibt sich auch nicht mittelbar daraus, daß der Änderungsbescheid nach Ablauf der Rechtsbehelfsfrist unanfechtbar und damit bestandskräftig wird, sofern der Kläger nicht innerhalb der Frist Einspruch (§ 236 Abs. 1 AO) oder Sprungklage (§ 45 Abs. 1, § 47 Abs. 1 FGO) erhoben hat.

Der IV. Senat geht in seinem Anrufungsbeschluß davon aus, daß ein bestandskräftiger Verwaltungsakt nicht mehr Gegenstand richterlicher Nachprüfung sein könne (vgl. BFH-Urteil IV R 110/67, a. a. O.; ebenso Urteil des FG Berlin III 128/64 vom 15. September 1967, EFG 1968, 23; Becker-Riewald-Koch, Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Kommentar, 9. Aufl., Bd. 3, Anm. 3 zu § 68 FGO; Kraft, BB 1967, 401; Rössler, DStZ A 1968, 256; Martens, StuW 1968 Sp. 54 [63]). Diese Rechtsansicht unterstellt, daß der Änderungsbescheid uneingeschränkt bestandskräftig werde. Er trete im ganzen an die Stelle des Erstbescheides und bilde hinfort die alleinige Vollziehungsgrundlage. Daher müßte eine spätere Entscheidung des Gerichts über die Rechtmäßigkeit des mittlerweile aufgehobenen oder geänderten Erstbescheides auf den Änderungsbescheid ohne Auswirkung bleiben (vgl. BFH-Urteile IV R 110/67, a. a. O.; IV 162/65 vom 29. Januar 1970, BFH 99, 157, BStBl II 1970, 623).

Diese Rechtsauffassung ist nicht zwingend. Für die hier zu entscheidende Rechtsfrage kommt es nicht darauf an, in welchem Sinn nach den allgemeinen abgabenrechtlichen Verfahrensvorschriften das Verhältnis des Änderungsbescheides zu dem geänderten (ersetzten) Bescheid zu verstehen ist, vor allem, welche Bedeutung den Begriffen "Änderung" und "Ersetzung", die in den in Betracht kommenden Vorschriften nicht einheitlich verwendet werden, beizulegen ist (vgl. Woerner, DStR 1965, 408; derselbe, BB 1969, 1391; Friedrich, a. a. O.; Söhn, StuW 1969 Sp. 217 f.). Bei der Schaffung des § 68 FGO sollte in diese, nicht in den Bereich des Prozeßrechts gehörende Diskussion nicht eingegriffen werden (vgl. Ziemer-Birkholz, a. a. O., Rdnr. 2 zu § 68). Entscheidend ist vielmehr die prozeßrechtliche Frage, ob die Bestandskraft des Änderungsbescheides den Anwendungsbereich des § 68 FGO einschränkt oder ob sich umgekehrt aus dieser Vorschrift eine Einschränkung der Bestandskraft des Änderungsbescheides ergibt (vgl. BFH-Urteil II 113/65, a. a. O.). Der Große Senat bejaht die Frage in dem letzteren Sinne. Denn diese Auffassung entspricht dem Wesen des Antrages nach § 68 FGO als einer Klageänderung. Die Vorschrift läßt die Auslegung zu, daß der Änderungsbescheid bis zum Schluß der letzten mündlichen Verhandlung oder - bei Entscheidung ohne mündliche Verhandlung - bis zur Beschlußfassung des Gerichts, und zwar auch im Revisionsverfahren (§ 123 Satz 2, § 127 FGO), unbeschadet der im übrigen gegebenen Bestandskraft im Wege der Klageänderung zum Gegenstand des anhängigen Steuerprozesses gemacht werden kann.

4. Der Zweck des § 68 FGO und Gesichtspunkte der Verfahrenswirtschaftlichkeit sprechen für die Auslegung im Sinn grundsätzlich unbefristeter Antragstellung.

a) Der Zweck einer prozeßrechtlichen Norm ist aus ihrer Stellung und ihrem Funktionszusammenhang zu ermitteln (vgl. Henckel, Prozeßrecht und materielles Recht, 1970 S. 41 ff., 47). Die Funktion des § 68 FGO im steuergerichtlichen Rechtsschutzsystem beruht auf der in der FGO getroffenen Neuregelung des Verhältnisses von Gericht und Verwaltungsbehörde.

Vor dem Inkrafttreten der FGO hatte das FG die Stellung einer unabhängigen, in erster Linie der Verwaltungskontrolle dienenden Rechtsmittelbehörde im Rahmen eines "verlängerten Veranlagungsverfahrens". Mit der Rechtshängigkeit der Streitsache ging deshalb grundsätzlich die Verfahrensherrschaft vom FA auf das FG über (vgl. die im BFH-Urteil VI 132/63 U vom 16. Oktober 1964, BFH 81, 93, BStBl III 1965, 32 angeführte Rechtsprechung).

Durch die FGO wurde den FG vorrangig die Aufgabe zugewiesen, den Steuerpflichtigen Rechtsschutz zu gewähren (vgl. § 40 Abs. 2, § 96 Abs. 1 Satz 2 FGO). Steuerbehörde und Steuerpflichtige stehen sich einerseits im finanzgerichtlichen Verfahren als gleichgestellte Prozeßparteien gegenüber. Andererseits behält das FA seine vollen, sich aus dem Steuerverwaltungsrecht ergebenden Befugnisse in bezug auf den Verfahrensgegenstand. Es kann Verwaltungsakte nach den Vorschriften der AO (§§ 92 bis 96, §§ 222 bis 225 a) oder anderer Gesetze (z. B. § 4 StAnpG, § 35b GewStG) ändern oder ersetzen. Von dieser Rechtslage geht § 68 FGO aus.

Nach der Vorschrift des § 68 FGO wird der Änderungsbescheid nicht - wie nach § 96 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) - automatisch, sondern nur auf Antrag des Klägers Gegenstand des anhängigen Prozesses. § 68 FGO ermöglicht es dem Kläger, den Änderungsbescheid in den schwebenden Prozeß einzuführen, ohne daß es eines außergerichtlichen Vorverfahrens (§ 44 Abs. 1 FGO) bedarf. Ohne diese Vorschrift müßte der Kläger gesondert den Änderungsbescheid anfechten, so daß zwei Verfahren anhängig wären. Für die Einführung im Wege der Klageänderung wäre er zudem den Beschränkungen der §§ 67, 123 FGO unterworfen. Die Vorschrift stellt somit einen Ausgleich gegenüber der Befugnis des FA dar, während des finanzgerichtlichen Verfahrens den angefochtenen Bescheid jederzeit ändern zu können. Zugleich dient sie der Vereinfachung. Der Kläger soll wählen können, ob er den Änderungsbescheid in den Steuerprozeß einführen will oder nicht. Die Ausübung des Wahlrechtes kann von dem sich abzeichnenden Ergebnis des laufenden Prozesses abhängen. Insofern unterscheidet sich die Lage nicht von der sonst bei Klageänderungen gegebenen. In Anbetracht der Häufigkeit, mit der im Besteuerungsverfahren Änderungsbescheide ergehen, ist die Auslegung sinnvoll, daß der Gesetzgeber durch die Vorschrift des § 68 FGO die Möglichkeit schaffen wollte, in einem anhängigen gerichtlichen Verfahren, welches dieselbe Steuersache betrifft, ohne Rücksicht auf Fristen den bisher schon streitigen und den neuen Sachverhalt zu prüfen.

b) Der Große Senat vermag dem IV. Senat nicht darin zu folgen, daß das Fehlen einer Fristgebundenheit des Antrags nach § 68 FGO schwerwiegende, nicht vertretbare Nachteile für die Durchführung der steuergerichtlichen Verfahren zur Folge haben könne, denen nur durch eine Auslegung der Vorschrift im Sinn der Auffassung des IV. Senats vorgebeugt werden könnte. Der IV. Senat meint, daß der Kläger, wenn der Antrag nicht fristgebunden sei, das Verfahren ungebührlich in die Länge ziehen könne, zumal er berechtigt sei, den Antrag auch erst in der Revisionsinstanz zu stellen, mit der Folge der Zurückverweisung an das FG (§ 127 FGO). Der Antrag könne sogar erst in einem zweiten oder späteren Rechtsgang gestellt werden.

Es kann dahingestellt bleiben, ob einem Mißbrauch des unbefristeten Antragsrechts zur Verschleppung des Prozesses nicht schon mit dem Rechtsinstitut der Verwirkung begegnet werden könnte (vgl. Urteil des BVerfG 2 BvK 2/54, a. a. O.). In jedem Falle hat das Gericht es weitgehend in der Hand, auf den Fortgang des Verfahrens Einfluß zu nehmen:

aa) Das Gericht erlangt aufgrund der Vorschrift des § 77 Abs. 3 FGO alsbald Kenntnis von dem Änderungsbescheid. Denn die Finanzbehörde, die nach Klageerhebung den angefochtenen Verwaltungsakt durch einen anderen Verwaltungsakt geändert oder ersetzt hat, hat dem Gericht eine Abschrift dieses Verwaltungsakts zu übersenden. Nach § 76 Abs. 2 FGO hat der Vorsitzende darauf hinzuwirken, daß sachdienliche Anträge gestellt werden. Dazu gehört auch die Antragstellung nach § 68 FGO. Der Vorsitzende hat den Kläger zur Erläuterung unklarer Anträge und - nach Maßgabe des § 65 Abs. 2 FGO - zur Ergänzung der Klage aufzufordern. Schließlich hat der Vorsitzende oder ein von ihm zu bestimmender Richter schon vor der mündlichen Verhandlung alle Anordnungen zu treffen, die notwendig sind, um den Rechtsstreit möglichst in einer mündlichen Verhandlung zu erledigen (§ 79 Satz 1 FGO).

bb) Wird der Antrag erst in der Revisionsinstanz gestellt, so ist der BFH nicht gehindert, die Rechtsfragen sachlich zu entscheiden, soweit sie entscheidungsreif sind, und bei der Zurückverweisung gem. § 127 FGO nur die neu aufgetretenen Fragen offen zu lassen.

Schließlich wird der Kläger in der Regel bestrebt sein, einen Änderungsbescheid, der eine zusätzliche Beschwer enthält, anzufechten oder gem. § 68 FGO alsbald zum Gegenstand des anhängigen Rechtsstreits zu machen, weil er nur unter dieser Voraussetzung eine Aussetzung der Vollziehung des Änderungsbescheides erreichen kann (§ 242 AO, § 69 FGO).

Aus alledem ergibt sich, daß das Fehlen einer Fristbestimmung in § 68 FGO systemgerecht ist und einer vernünftigen praktischen Handhabung der Vorschrift durch das Gericht und durch die Beteiligten nicht entgegensteht.

5. Da der Große Senat die Rechtsfrage 1 verneint, hat er auf die nur für den Fall ihrer Bejahung - insoweit wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 11 Abs. 4 FGO) - hilfsweise vorgelegten Rechtsfragen 2 und 3 nicht einzugehen. Er nimmt deshalb insbesondere nicht zu der Frage Stellung, wie zu entscheiden ist, wenn der Kläger weder den Änderungsbescheid anficht noch den Antrag nach § 68 FGO stellt. In dem von dem anrufenden IV. Senat zu entscheidenden Streitfall hat der Kläger den Antrag gestellt.

Der Große Senat entscheidet die vorgelegte Rechtsfrage (1.) zusammenfassend wie folgt:

Der Antrag nach § 68 FGO muß nicht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Änderungsbescheids gestellt werden.

 

Fundstellen

Haufe-Index 413033

BStBl II 1972, 219

BFHE 103, 549

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