Entscheidungsstichwort (Thema)

Verfahrensrüge: fehlende Begründung des Urteils

 

Leitsatz (NV)

Zu den Anforderungen an die Rüge, das Urteil sei nicht mit Gründen versehen.

 

Normenkette

FGO § 116 Abs. 1 Nr. 5, § 119 Nr. 6; StBerG § 46 Abs. 2 Nr. 6

 

Tatbestand

Das beklagte und revisionsbeklagte Finanzministerium hat die Bestellung des Klägers und Revisionsklägers (Kläger) als Steuerberater nach § 46 Abs. 2 Nr. 6 des Steuerberatungsgesetzes (StBerG) mit der Begründung widerrufen, daß der Kläger in Vermögensverfall geraten sei. Ein solcher werde aufgrund der Eintragung des Klägers in das vom Vollstreckungsgericht zu führende Verzeichnis gemäß § 915 der Zivilprozeßordnung (ZPO) wegen zahlreicher Haft befehle zur Erzwingung der Abgabe der eidesstattlichen Versicherung gesetzlich vermutet. Die Klage gegen die Wider rufungsverfügung blieb erfolglos.

Das Finanzgericht (FG) führte aus, der Kläger habe die sich aus der Eintragung in das Schuldnerverzeichnis (§ 915 ZPO) ergebende Vermutung des Vermögensverfalls nicht widerlegt. Von dem Widerruf seiner Bestellung als Steuerberater sei auch nicht deshalb ausnahmsweise abzusehen, weil durch seinen Vermögensverfall die Interessen der Auftraggeber nicht gefährdet wären. Der Kläger sei der ihm insoweit obliegenden Darlegungs- und Feststellungslast nicht nachgekommen.

Eine konkrete Gefährdung der Auftraggeberinteressen (Hinweis auf das Senatsurteil vom 22. September 1992 VII R 43/92, BFHE 169, 286, BStBl II 1993, 203) könne im Streitfall nicht ausgeschlossen werden. Auf das (schwer überprüfbare) Vorbringen des Klägers, er besitze keinerlei Vollmachten seiner Mandanten, die ihn in die Lage versetzen könnten, zu deren Nachteil über ihr Vermögen zu verfügen, komme es nicht an, weil sich die Gefährdung der Auftraggeberinteressen anderweitig ergebe. Denn der Kläger habe nachhaltig seine eigenen Steuererklärungspflichten verletzt. Aus diesem pflichtwidrigen Verhalten in eigenen Steuerangelegenheiten sei zu folgern, daß er auch in Steuerangelegenheiten seiner Mandanten die Steuererklärungen nicht oder nicht fristgerecht erstelle, so daß diesen Vermögensschäden durch Schätzungen des Finanzamts (FA) erwachsen könnten, wie sie beim Kläger selbst eingetreten seien (Urteil des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 3. November 1992 VII R 95/91, BFH/NV 1993, 624; Urteil des Niedersächsischen FG vom 21. Februar 1990 IV 320/89, Entscheidungen der Finanzgerichte -- EFG -- 1991, 217). Daß der Kläger unter äußerstem Druck, nämlich unmittelbar vor der gerichtlichen Entscheidung über den Widerruf seiner Bestellung als Steuerberater, seine ausstehenden Steuererklärungen doch noch abgegeben habe, sei nicht entscheidend. Aller Wahrscheinlichkeit nach würde der alte Schlendrian, der vor seiner Betei ligung an der A-Steuerberatungsgesellschaft mbH begonnen hätte, alsbald wieder einreißen.

Die Vorwürfe der Eheleute M (unvoll kommene und verspätete Abgabe ihrer Steuererklärungen durch den Kläger sowie Nichtherausgabe von Unterlagen nach Kündigung des Mandats) zeigten, daß es zwischen dem Kläger und seinen Mandanten zu erheblichen Schwierigkeiten komme, die deren Vermögensinteressen gefährdeten. Vor allem aber müsse dem Kläger in diesem Zusammenhang vorgeworfen werden, daß er die Aufklärungs- und Schlichtungsmaßnahmen der für ihn zuständigen Steuerberaterkammer wiederholt zunichte gemacht habe, indem er auf sie nicht reagiert habe.

Schließlich würden die Interessen der Auftraggeber auch dadurch gefährdet, daß sich der Kläger Honorare auf das Girokonto seiner Tochter überweisen lasse oder entsprechende Verrechnungsschecks über dieses vereinnahme. Denn durch den auf diese Weise ermöglichten unmittelbaren Zugriff durch einen Dritten und angesichts der Vermögenssituation des Klägers müßten die Mandanten befürchten, überhöht angeforderte oder auch nur irrtümlich zuviel gezahlte Honorare nicht mehr zurückzubekommen.

Der Kläger hat gegen das Urteil des FG Nichtzulassungsbeschwerde und gleichzeitig Revision eingelegt. Mit der Revision rügt er, daß die Entscheidung des FG gegen die §§ 116 Abs. 1 Nr. 5, 119 Nr. 6 der Finanzgerichtsordnung (FGO) verstoße. Das FG habe in dem angefochtenen Urteil nicht begründet, daß eine konkrete Gefährdung von Mandanteninteressen vorliege. Anstatt den Sachverhalt aufzuklären und die von ihm angebotenen Beweismittel zu prüfen, enthalte das Urteil -- teilweise unter Auslassung entscheidungserheblichen Vorbringens seinerseits und des Kenntnisstandes einer Richterin aus der Vergangenheit -- lediglich Allgemeinplätze und floskelhafte Ausführungen.

Diesen Mangel in der Begründung könne die zitierte Rechtsprechung nicht ersetzen, zumal die den zitierten Urteilen zugrundeliegenden Sachverhalte mit seinem Streitfall nicht identisch seien.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unzulässig; sie ist gemäß § 126 Abs. 1 FGO durch Beschluß zu verwerfen.

1. Gemäß Art. 1 Nr. 5 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs (BFH EntlG) findet abweichend von § 115 Abs. 1 FGO die Revision nur statt, wenn das FG oder auf die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der BFH sie zugelassen hat oder weil ein Fall der zulassungsfreien Revision gemäß § 116 FGO gegeben ist. Das FG hat im Streitfall die Revision nicht zugelassen; die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers wurde -- worauf es im vorliegenden Verfahren nicht ankommt --, durch Beschluß des Senats vom heutigen Tage als unbegründet zurückgewiesen. Gründe, die eine zulassungsfreie Revision nach § 116 FGO gerechtfertigt erscheinen lassen, liegen nicht vor. Zwar hat der Kläger das Fehlen von Entscheidungsgründen und damit einen wesentlichen Verfahrensmangel i. S. des § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO geltend gemacht. Verfahrensmängel i. S. des § 116 Abs. 1 FGO sind jedoch nur dann ordnungsgemäß gerügt, wenn die zur Begründung vorgetragenen Tatsachen, ihre Richtigkeit unterstellt, die Mängel ergeben, d. h., wenn sie schlüssig vorgetragen sind (ständige Rechtsprechung, vgl. Senatsbeschluß vom 19. Januar 1993 VII R 121/92, BFH/NV 1994, 40 m. w. N.). Daran fehlt es im Streitfall.

2. a) Gemäß § 105 Abs. 2 Nr. 5 FGO müssen Urteile begründet werden. Die Wiedergabe der Entscheidungsgründe dient der Mitteilung der wesentlichen rechtlichen Erwägungen, die aus der Sicht des Gerichts für die getroffene Entscheidung maßgeblich waren. Ein Fehlen von Entscheidungsgründen liegt deshalb dann vor, wenn den Beteiligten die Möglichkeit entzogen ist, die getroffene Entscheidung auf ihre Richtigkeit und Rechtmäßigkeit hin zu überprüfen (BFH-Urteil vom 23. Januar 1985 I R 292/81, BFHE 143, 325, BStBl II 1985, 417). Das ist insbesondere der Fall, wenn nicht erkennbar ist, welcher Sachverhalt der Entscheidung zugrunde liegt, oder wenn nicht ersichtlich ist, auf welche rechtlichen Erwägungen sich die Entscheidung stützt (BFHE 143, 325, BStBl II 1985, 417). Nach der Rechtsprechung des BFH fehlen die Entscheidungsgründe auch dann, wenn das FG einen selbständigen prozessualen Anspruch oder ein selbständiges Angriffs- oder Verteidigungsmittel mit Stillschweigen übergangen hat (vgl. BFH- Beschlüsse vom 28. April 1993 II R 123/91, BFH/NV 1994, 46, und vom 12. April 1991 III R 181/90, BFHE 164, 179, BStBl II 1991, 638, m. w. N.). Unter selbständigen Ansprüchen und selbständigen Angriffs- und Verteidigungsmitteln sind die eigenständigen Klagegründe und solche Angriffs- und Verteidigungsmittel zu verstehen, die den vollständigen Tatbestand einer mit selbständiger Wirkung ausgestatteten Rechtsnorm bilden (BFH-Beschluß vom 9. Februar 1977 I R 136/76, BFHE 121, 298, BStBl II 1977, 351).

b) Der Kläger hat nicht schlüssig gerügt, daß das Urteil insgesamt nicht begründet oder wenigstens selbständige Angriffs- oder Verteidigungsmittel vom FG nicht beschieden seien. Mit der Revision wendet er sich im wesentlichen gegen die Begründung des FG-Urteils zum Tatbestandsmerkmal des § 46 Abs. 2 Nr. 6 StBerG "Gefährdung von Mandanteninteressen". Damit räumt er selbst ein, daß die Vorentscheidung mit Gründen versehen ist. Diese reichen nach seiner Auffassung nur nicht aus, um hinsichtlich eines einzelnen Tat bestandselements einer Rechtsnorm die getroffene Entscheidung rechtlich zu begründen. Die Rüge umfaßt damit nicht den vollständigen Tatbestand einer mit selbständiger Wirkung ausgestatteten Rechtsnorm. Sie enthält nur die Behauptung einer unvollständigen, unzureichenden und auch sonst fehlerhaften Begründung. Eine lückenhafte rechtliche Begründung stellt aber keinen Verfahrensmangel i. S. des § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO dar; das gilt erst recht für die in Form einer Verfahrensrüge vorgetragene Rüge der Verletzung sachlichen Rechts (vgl. BFH in BFHE 121, 298, BStBl II 1977, 351, und BFH-Beschluß vom 9. Juni 1988 VI R 77/86, BFH/NV 1989, 179).

c) Auch aus den umfangreichen Einwendungen des Klägers gegen das FG-Urteil im einzelnen lassen sich keine Tatsachen entnehmen, die einen wesentlichen Begründungsmangel der Vorentscheidung schlüssig ergeben:

aa) Da das FG aus anderen Gründen -- insbesondere wegen pflichtwidrigen Verhaltens des Klägers in eigenen Steuerangelegenheiten -- eine Gefährdung der Auftraggeberinteressen als nicht ausgeschlossen angesehen hat, bedurfte es keiner Sachverhaltsfeststellung und Beweiserhebung zu dem vom Kläger behaupteten Fehlen von Mandantenvollmachten, die ihm Vermögensverfügungen ermöglichen würden. Die Begründung des FG mag aus der Sicht des Klägers lückenhaft und unbefriedigend sein. Sie besteht aber nicht lediglich aus inhaltsleeren Floskeln, da jedenfalls erkennbar ist, welche rechtlichen Überlegungen zur Annahme der Gefährdung der Auftraggeberinteressen für das FG maßgeblich waren.

bb) Die Einwendungen der Revision gegen die vom FG angenommene und der Entscheidung zugrunde gelegte Verletzung der eigenen Steuererklärungspflichten durch den Kläger richten sich gegen die tatsächliche und rechtliche Würdigung der Vorinstanz. Aus ihnen ergibt sich die Rüge, daß das FG-Urteil fehlerhaft, nicht aber, daß es nicht mit Gründen versehen sei. Daran ändert sich auch dann nichts, wenn die vom FG zur Stützung seiner Rechtsauffassung zitierten Urteile des BFH (BFH/NV 1993, 624) und des Niedersächsischen FG (EFG 1991, 217) -- wie der Kläger vorträgt -- mit dem Streitfall nicht vergleichbar sein sollten.

Dasselbe gilt hinsichtlich des Revisionsvorbringens gegen die Würdigung des FG, der Kläger habe seine noch ausstehenden Steuererklärungen nur unter dem Druck der bevorstehenden gerichtlichen Entscheidung abgegeben, und er werde wahrscheinlich alsbald wieder in den alten Schlendrian verfallen.

cc) Soweit sich das FG wegen der von ihm angenommenen Gefährdung der Auftraggeberinteressen auch auf "Schwierigkeiten" des Klägers mit seinen Mandanten M beruft, stellt auch dies eine Begründung dar, wobei es nicht darauf ankommt, ob sie aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen zu beanstanden ist. Die Einwendungen des Klägers gegen die Schlußfolgerung des FG betreffen die materielle Richtigkeit der Vorentscheidung und nicht das Fehlen der Urteilsbegründung.

dd) Ebenso verhält es sich mit dem Revisionsvorbringen gegen die Begründung des FG, die Interessen der Auftraggeber würden auch dadurch gefährdet, daß sich der Kläger Honorare auf das Girokonto seiner Tochter überweisen lasse. Selbst wenn diese tatsächliche Schlußfolgerung aus den vom Kläger genannten Gründen fehlerhaft sein sollte, ändert das nichts daran, daß die Vorentscheidung mit Gründen versehen ist.

ee) Die Behauptung des Klägers, es sei nicht erkennbar, welcher Sachverhalt der Entscheidung zugrunde liege, ist unschlüssig und kann deshalb die zulassungsfreie Revision nach § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO nicht begründen. Aus dem Revisionsvorbringen insgesamt ergibt sich nur, daß der Kläger die Tatsachenfeststellung und Würdigung durch das FG zum Teil für fehlerhaft hält.

ff) Einen Begründungsmangel i. S. des § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO belegt der Kläger schließlich auch damit, das FG-Urteil nehme nicht zur Verfassungsmäßigkeit des § 46 Abs. 2 Nr. 6 StBerG Stellung.

Das Finanzministerium weist mit Recht darauf hin, daß diese Rechtsfrage erstmals mit der Revision aufgeworfen worden ist. Das FG hatte also keinen Anlaß, in den Urteilsgründen hierauf einzugehen; jedenfalls hat es insoweit kein selbständiges Angriffs- oder Verteidigungsmittel des Klägers gegen die Widerrufsverfügung mit Stillschweigen übergangen.

Soweit der Kläger vorträgt, die Verfassungsmäßigkeit der der Entscheidung zugrundeliegenden Rechtsnorm müsse stets geprüft werden, ist zu berücksichtigen, daß ein ordnungsgemäß zustandegekommenes Gesetz die Vermutung der Verfassungsmäßigkeit für sich hat. Das muß in den Urteilsgründen -- jedenfalls dann, wenn die Verfassungswidrigkeit von den Beteiligten nicht in Zweifel gezogen worden ist -- nicht ausdrücklich ausgesprochen werden.

Der Kläger hat sich erst mit der Revision auf die Verletzung seiner Grundrechte aus Art. 3 Abs. 1, 12 Abs. 1 GG berufen und Einwendungen gegen das Senatsurteil vom 12. November 1991 VII R 81/90 (BFHE 166, 304, BStBl II 1992, 309, 311, 312) erhoben, das allerdings nur zur Verfassungsmäßigkeit des § 46 Abs. 2 Nr. 5 StBerG Stellung genommen hat. Allein aus der Tatsache, daß bei den Wirtschaftsprüfern der Widerruf der Bestellung wegen Vermögensverfalls noch immer anders geregelt ist als bei den Steuerberatern (vgl. § 20 Abs. 3 Nr. 1 der Wirtschaftsprüferordnung: Ermessensvorschrift) ergibt sich nicht die schlüssige Rüge der mangelnden Entscheidungsgründe, wenn das FG auf die Frage der Verfassungsmäßigkeit des § 46 Abs. 2 Nr. 6 StBerG nicht ausdrücklich eingegangen ist.

 

Fundstellen

Haufe-Index 420234

BFH/NV 1995, 241

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