Entscheidungsstichwort (Thema)

Arrestanordnung gegen Haftungsschuldner

 

Leitsatz (NV)

1. Zu den Voraussetzungen einer Arrestanordnung (summarische Beurteilung von Arrestanspruch und -grund im Rahmen eines Kostenbeschlusses).

2. Liegt ein erhebliches Verschulden des Haftungsschuldners vor, so ist seine volle Inanspruchnahme selbst bei schadensursächlichem Mitverschulden des Finanzamts in der Regel ermessensgerecht.

 

Normenkette

AO 1977 § 324 Abs. 1, §§ 69, 34 Abs. 1, § 191 Abs. 1; UStG 1973 und 1980 § 2 Abs. 1, 2 Nr. 1; FGO § 138 Abs. 1

 

Tatbestand

Der Kläger war in der Zeit vom 11. März 1974 bis 14. Juli 1979 Geschäftsführer einer GmbH, die sich mit technischer Beratung befaßte. Zur Durchführung ihrer Beratungsaufgaben nahm die GmbH nach eigenen Angaben hochspezialisierte Fachkräfte (Ingenieure) unter Vertrag, die sie nach Bedarf Unternehmen mit größeren technischen Planungs- und Entwicklungsvorhaben zur Behebung von Personalengpässen teils befristet, teils unbefristet zur Verfügung stellte. Die GmbH stellte ihre Geschäftstätigkeit so dar, daß zwischen ihr und den Unternehmen Werkverträge geschlossen gewesen seien, zu deren Erfüllung sie als Generalunternehmer sich der freiberuflichen Tätigkeit der Ingenieure als Unterauftragnehmer bedient habe. Sie machte die von den Ingenieuren im Rahmen ihrer Vergütung in Rechnung gestellte Umsatzsteuer gegenüber dem Finanzamt - FA - als abzugsfähige Vorsteuer geltend. Das FA behandelte die Ingenieure als Arbeitnehmer, versagte der GmbH den Vorsteuerabzug und forderte für 1973 bis Oktober 1977 Umsatzsteuer nach. Über die Rechtmäßigkeit der von der GmbH angefochtenen Nachforderung ist noch nicht entschieden. Das FA ordnete gegen den Kläger zur Sicherung der auf § 71 der Abgabenordnung (AO 1977), hilfsweise auf §§ 69, 34 AO 1977 gestützten Haftungsinanspruchnahme wegen geschätzter Ansprüche für Umsatzsteuer der GmbH (Vorsteuern 1978; Januar bis Juni 1979) den dinglichen Arrest an. Die Klage gegen die Arrestanordnung hatte nur zum Teil, nämlich insoweit Erfolg, als das Finanzgericht (FG) die zu sichernden Ansprüche um etwa die Hälfte niedriger festsetzte. Das FG hielt es nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme für hinreichend wahrscheinlich, daß die GmbH die in der angefochtenen Arrestanordnung aufgeführten Umsatzsteuerbeträge schulde, weil die Ingenieure nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse steuerrechtlich als Arbeitnehmer anzusehen seien. Hinreichend wahrscheinlich sei auch das Bestehen eines Haftungsanspruchs gegen den Kläger wegen der von der GmbH zu Unrecht geltend gemachten Vorsteuern, soweit die jeweiligen Fälligkeitszeitpunkte in der Zeit seiner Geschäftsführertätigkeit gelegen hätten. In Betracht komme insoweit aber nur eine Haftung wegen grob fahrlässiger Verletzung von Geschäftsführerpflichten (§§ 69, 34 AO 1977); von einer Haftung nach § 71 AO 1977 könne nicht ausgegangen werden. Es erscheine allerdings ermessensfehlerhaft, den Kläger in voller Höhe der zu sichernden Ansprüche als Haftenden heranzuziehen. Das FA treffe offensichtlich ein nicht unwesentliches Mitverschulden daran, daß die in Frage stehenden Steueransprüche gegenüber der GmbH nicht festgesetzt worden seien. Das mitwirkende Verschulden ergebe sich daraus, daß das FA aus den bei einer Lohnsteueraußenprüfung der GmbH Ende 1980 gewonnenen Erkenntnissen zunächst keine Folgerungen gezogen habe und daß es - in Kenntnis des mit der GmbH geführten Rechtsstreits wegen der Umsatzsteuer - die Umsatzsteuererklärungen der GmbH für 1978 bis 1980 ohne Änderungen übernommen habe.

Einen Arrestgrund sah das FG darin, daß die GmbH ihre Geschäftstätigkeit infolge der steuerlich zutreffenden Behandlung der Ingenieure als Arbeitnehmer und der sich daraus ergebenden Versagung des Vorsteuerabzugs für die in den ,,Honorarrechnungen" ausgewiesene Umsatzsteuer voraussichtlich als nicht mehr lohnend einstellen müsse; überdies sei mit Nachforderungen und womöglich mit der Eröffnung des Konkursverfahrens zu rechnen. Mit dem Untergang der GmbH würde dem Kläger die wirtschaftliche Grundlage im Inland genommen. Sein Ausweichen ins Ausland erscheine damit naheliegend.

Gegen dieses Urteil richteten sich die Revisionen beider Parteien.

Der Kläger machte im wesentlichen geltend, bei den in Rede stehenden Ingenieuren habe es sich um Unternehmer im umsatzsteuerrechtlichen Sinne gehandelt. Bei verfassungskonformer Auslegung der Steuervorschriften sei es der GmbH möglich und erlaubt gewesen, die Ingenieure als freie Mitarbeiter zu behandeln. Auf die Tätigkeit freiberuflicher und beschränkt einsatzfähiger Spezialisten sei die GmbH angewiesen gewesen; ihr, als kleinem Unternehmen, könne das Risiko mangelnder Einsetzbarkeit der hochbezahlten und -qualifizierten Ingenieure nicht aufgebürdet werden. Hier komme es ausnahmsweise auch auf den Willen der Beteiligten an. Das FG habe verkannt, daß die Ingenieure nicht ihre Arbeitskraft, sondern den Erfolg ihrer Tätigkeit geschuldet und sie keiner Leitung unterlegen hätten, daß sie durch Bestimmung der Zeit ihrer Tätigkeit die Höhe ihres Einkommens selbst hätten steuern können und auch gleichzeitig für andere Auftraggeber hätten tätig werden dürfen. Ihm - dem Kläger - könne ein Verschulden im Zusammenhang mit der steuerlichen Behandlung der Ingenieure nicht vorgeworfen werden, weil er sachkundige Auskünfte eingeholt und darauf vertraut habe, daß die Finanzverwaltung die bisherige Handhabung dulden werde.

Mindestens hätte es im Rahmen des Ermessens zu einem Haftungsanspruch nicht kommen dürfen, weil das FA unter grober Verletzung seiner Pflichten nicht gegen die GmbH vorgegangen sei. Den Arrestgrund habe das FG mit unzulässigen Unterstellungen begründet.

Das FA trug im wesentlichen vor, das FG habe zu Unrecht eine Hinterziehung verneint und ein Mitverschulden des FA angenommen.

Die Parteien haben übereinstimmend erklärt, das Verfahren sei mit Bekanntgabe des gegen den Kläger gerichteten Haftungsbescheids vom 17. Januar 1984 in der Hauptsache erledigt.

 

Entscheidungsgründe

Nachdem der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt ist, ist nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes über die Kosten des Verfahrens zu entscheiden (§ 138 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

Nach Ansicht des Senats entspricht es billigem Ermessen, dem Kläger die Kosten des gesamten Verfahrens aufzuerlegen. Unter Berücksichtigung des Sach- und Streitstandes ergibt sich bei der hier veranlaßten nur summarischen Prüfung (vgl. Gräber, Finanzgerichtsordnung, 1977, § 138 Anm. 7), daß die Revision des Klägers erfolglos geblieben wäre, die des FA dagegen zur vollständigen Abweisung der Klage geführt hätte.

Summarisch betrachtet hat das FG zutreffend entschieden, daß die Voraussetzungen der Arrestanordnung (§ 324 Abs. 1 AO 1977) - Arrestanspruch und -grund, beide mit einem hinreichenden Maße an Wahrscheinlichkeit (vgl. Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 11. Aufl., § 324 AO 1977 Tz 6 und 7) - vorgelegen haben. Der Senat teilt die Auffassung des FG, daß der durch den Arrest gesicherte Anspruch - der auf § 69, § 34 Abs. 1 AO 1977 gegründete Haftungsanspruch gegen den Kläger als Geschäftsführer wegen Umsatzsteueransprüchen gegen die GmbH aus 1978 und dem ersten Halbjahr 1979 - mit hinreichender Wahrscheinlichkeit gegeben war. Die Steueransprüche - damit den Haftungsanspruch - hat das FG dem Grunde nach für gegeben erachtet, weil es davon ausging, daß in der Zeit, während der der Kläger Geschäftsführer der GmbH war, diese zum Abzug der geltend gemachten Vorsteuerbeträge nicht berechtigt war. Zu dieser Auffassung ist das FG gelangt, weil es die Ingenieure nicht als ,,Unternehmer" (§ 2 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 des Umsatzsteuergesetzes 1973 und 1980), sondern als Arbeitnehmer angesehen hat. Die Arbeitnehmereigenschaft der Ingenieure, ihre ,,Eingliederung" in Unternehmen, hat das FG aufgrund der Beweisaufnahme unter Berücksichtigung mehrerer Umstände nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse bejaht (vgl. hierzu Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 10. September 1976 VI R 80/74, BFHE 120, 465, 469, BStBl II 1977, 178, 180, und vom 14. Oktober 1976 V R 137/73, BFHE 120, 301, 303, BStBl II 1977, 50). Diese Beweiswürdigung erscheint dem Senat jedenfalls möglich; sie wäre, da sie weder verfahrensfehlerhaft getroffen ist noch gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstößt, für das Revisionsgericht bindend gewesen (§ 118 Abs. 2 FGO; vgl. auch BFH-Urteil vom 1. April 1971 IV R 195/69, BFHE 102, 85, 88, BStBl II 1971, 522). Daß die zugrunde liegende Auslegung der Steuervorschriften durch das FG, wie der Kläger unter Berufung auf den zu Art. 5 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes (Rundfunkfreiheit usw.) ergangenen Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 13. Januar 1982 1 BvR 848/77 u. a. (BVerfGE 59, 231, 259, Neue Juristische Wochenschrift 1982, 1447) zu meinen scheint, gegen Verfassungsrecht verstoße, ist schon deshalb nicht ersichtlich, weil das FG die Möglichkeit, freie Mitarbeiter zu beschäftigen, nicht etwa ausgeschlossen, sondern im Streitfall nur entschieden hat, es habe sich nicht um freie Mitarbeiterverhältnisse aufgrund von Werkverträgen gehandelt.

Der Senat geht auch mit dem FG davon aus, daß die subjektiven Voraussetzungen der Geschäftsführer-Haftung (§ 69 Satz 1, § 34 Abs. 1 AO 1977) sowie ein Arrestgrund, summarisch beurteilt, mit hinreichender Wahrscheinlichkeit vorgelegen haben. Das FG hat sich mit den Gesichtspunkten, die dafür sprechen, daß der Kläger bei der unberechtigten Geltendmachung der Vorsteuer grob fahrlässig gehandelt habe, weil er dem von ihm eingeholten Rat nicht ohne weiteres hätte vertrauen dürfen, und daß ohne den Arrest die Beitreibung vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte, eingehend und ohne einen bei summarischer Betrachtung erkennbaren Rechtsfehler auseinandergesetzt.

Nicht zu folgen vermag der Senat dem FG jedoch darin, daß es wegen eines dem FA vorzuwerfenden nicht unerheblichen Mitverschuldens ermessensfehlerhaft erscheine, den Kläger in voller Höhe als Haftenden heranzuziehen. Zwar könnte die Inanspruchnahme des Haftungsschuldners ermessensfehlerhaft sein, wenn sein Verschulden gering ist und der Steuerausfall auch durch das Verhalten der Finanzbehörde verursacht worden ist (BFH-Urteil vom 11. August 1978 VI R 169/75, BFHE 125, 508; BStBl II 1978, 683, m. w. N.). Ist aber, wie im Streitfall, von einem erheblichen Verschulden des Haftungsschuldners auszugehen, so ist seine - volle - Inanspruchnahme unter Ermessensgesichtspunkten (§ 191 Abs. 1 Satz 1, § 44 Abs. 1 Satz 1 AO 1977) regelmäßig gerechtfertigt (vgl. BFH-Urteil vom 13. April 1978 V R 109/75, BFHE 125, 126, 129, BStBl II 1978, 508, 510), dies selbst dann, wenn von einem schadensursächlichen Mitverschulden der Finanzbehörde auszugehen wäre. Das bedeutet zugleich, daß die Revision des FA, summarisch beurteilt, im Ergebnis voraussichtlich Erfolg gehabt hätte.

 

Fundstellen

Haufe-Index 414491

BFH/NV 1986, 508

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