Entscheidungsstichwort (Thema)

Zur Aussetzung der Vollziehung wegen Verweigerung des ermäßigten Steuersatzes

 

Leitsatz (NV)

1. Ob die Voraussetzungen für eine auf ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit gestützte Aussetzung der Vollziehung vorliegen, ist bei Steuerbescheiden, derentwegen ein Rechtsstreit in der Revisionsinstanz anhängig ist, unter Berücksichtigung revisionsrechtlicher Grundsätze zu entscheiden.

2. Zur Rechtmäßigkeit der Verweigerung des ermäßigten Steuersatzes (§ 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG 1967/73) für den Verkauf von einem an Aufenthaltsräume angrenzenden Verkaufsraum aus in einer Kaserne.

 

Normenkette

FGO § 69 Abs. 3; UStG 1967/73 § 12 Abs. 2 Nr. 1

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Anwendung des ermäßigten Umsatzsteuersatzes gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 1 des Umsatzsteuergesetzes (UStG 1967/1973).

Der Kläger, Revisionskläger und Antragsteller (Kläger) betreibt die Kantine der X-Kaserne. Er hat die Küche, einen Lagerraum sowie einen Verkaufsraum von . . . (X) gepachtet. Der Verkauf wird vom Verkaufsraum aus über Theken vorgenommen. Die vom Kläger gepachteten Räume, insbesondere die Verkaufstheken, grenzen an Aufenthaltsräume für die X-Angehörigen. Diese Aufenthaltsräume sind teilweise mit Tischen und Stühlen versehen und stehen den X-Angehörigen auch außerhalb der Verkaufszeiten des Klägers zum Aufenthalt zur Verfügung. Der Kläger bietet Lebensmittel, Zeitungen, Getränke und eßfertig zubereitete Speisen an. Die Waren werden ausschließlich an den Verkaufstheken ausgegeben; eine Bedienung in den Aufenthaltsräumen erfolgt nicht. Teller und Bestecke werden von der X-Verwaltung zur Verfügung gestellt. Das vom Kläger ausgegebene Geschirr wird nach Gebrauch von den Kunden an die Theken zurückgebracht und vom Kläger gespült. Gereinigt werden die Aufenthaltsräume von X. Neben den Aufenthaltsräumen liegt der von X bewirtschaftete Speisesaal der Kaserne.

In den Streitjahren (1974 bis 1977) erklärte der Kläger unter den ermäßigten Steuersatz (5,5 v. H.) fallende Lieferungen, und zwar aufgrund des Verkaufs von eßfertigen Speisen, Butter, Milch, Brot, Back- und Süßwaren sowie Zeitungen. Für die Jahre 1974 bis 1977 wurde der Kläger entsprechend seinen Erklärungen nach § 100 Abs. 2 der Reichsabgabenordnung (AO) bzw. unter dem Vorbehalt der Nachprüfung nach § 164 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) zur Umsatzsteuer veranlagt.

Im Jahre 1979 fand beim Kläger eine Betriebsprüfung statt, die den Prüfer zu dem Ergebnis kommen ließ, daß etwa Y% der Lieferungen an Milch-, Brot- und Backwaren sowie an eßfertigen Speisen von den Kunden in den Aufenthaltsräumen verzehrt würden, so daß insoweit der ermäßigte Steuersatz nicht anzuwenden sei, weil die Waren zum Verzehr an Ort und Stelle geliefert würden.

Der Beklagte, Revisionsbeklagte und Antragsgegner (das Finanzamt - FA -) folgte der Auffassung des Prüfers und erließ entsprechend geänderte Umsatzsteuerbescheide.

Mit der nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobenen Klage machte der Kläger geltend, die Aufenthaltsräume und deren Ausstattung seien ausschließlich im Interesse der X-Angehörigen vorhanden. Sie würden nicht in seinem wirtschaftlichen Interesse bereitgehalten und könnten nicht als seine Vorrichtungen angesehen werden. Die Verkaufstheken schlössen den Bereich seines Unternehmens und von dessen Tätigkeit ab. Der Aufenthaltsraum sei daher nicht in einen Zusammenhang mit dem Unternehmen zu bringen. Er, der Kläger, sei ferner zur Einhaltung von sozialgerechten Preisen verpflichtet. Die Preise für Essenslieferungen würden sogar von der X-Verwaltung festgesetzt. Eine Erhöhung der Verkaufspreise sei nur über ein kompliziertes Verfahren zu bewirken.

Die nachträgliche Heraufsetzung der Umsatzsteuer durch das beklagte FA verstoße gegen Treu und Glauben. Es sei zwar grundsätzlich und auch formell richtig, daß die unter Vorbehalt ergangenen Bescheide änderbar seien. Das FA habe jedoch für eine zutreffende Besteuerung zu sorgen. Außerdem müsse es seine Fürsorgepflicht gegenüber dem Steuerbürger beachten, dem die Möglichkeit zu geben sei, aus den steuerlichen Verhältnissen Konsequenzen für sein Wirtschaften zu ziehen. Lege das FA jahrelang der Besteuerung Sachverhalte ausschließlich nach der Darlegung des Steuerpflichtigen zugrunde, so könne der Steuerbürger auf die Richtigkeit dieser Besteuerung vertrauen. Der Anteil der unter den ermäßigten Steuersatz fallenden Umsätze sei bei ihm, dem Kläger, im Verhältnis zu den mit dem normalen Steuersatz besteuerten Umsätzen hoch gewesen. Bei Gastwirten lägen im allgemeinen die begünstigten Umsätze nur bei ca. 3-5% des Gesamtumsatzes.

Der Kläger rügt ferner, daß im Anschluß an die Betriebsprüfung keine Schlußbesprechung stattgefunden habe.

Zu dem Hinweis auf das während des Klageverfahrens ergangene Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 16. Dezember 1982 V R 81/78 (BFHE 137, 507, BStBl II 1983, 349) trug der Kläger vor, sein Klagebegehren betreffe die Jahre 1974 bis 1977. Der BFH sei erst 1982 zu einer Abweichung von seiner langjährigen Beurteilung ähnlicher Fälle gekommen. Wenn insoweit Rechtsunsicherheit bestanden haben sollte, dürfe dies nicht zu Lasten des Steuerpflichtigen gehen. Es wäre überdies ein Verstoß gegen Treu und Glauben, wenn das zitierte BFH-Urteil zu einer Klagabweisung führte.

Die Klage wurde vom Finanzgericht (FG) mit der Begründung abgewiesen, das FA habe zu Recht die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG 1967/1973 abgelehnt, weil die Ermäßigung des Steuersatzes nicht für die Lieferungen von Speisen und Getränken zum Verzehr an Ort und Stelle gelte. Im Streitfall sei zwischen den Beteiligten unstreitig, daß die eßfertig zubereiteten Speisen und der seitens des Betriebsprüfers festgestellte Anteil an Milch-, Brot- und Backwaren von den X-Angehörigen in den Aufenthaltsräumen der Kantine verzehrt worden seien. Dies habe auch dem bestimmungsgemäßen Zweck des Verkaufs dieser Waren entsprochen. Diese hätten zwar von den Käufern sowohl in die Kasernengebäude mitgenommen als auch unmittelbar in der Kantine verzehrt werden können. Die Waren seien aber ihrem Wesen nach zum sofortigen Verzehr geeignet gewesen, und die Aufenthaltsräume der Kantine mit ihren Einrichtungen hätten, ähnlich wie in einer Selbstbedienungsgaststätte, den Verzehr der Waren an Ort und Stelle ermöglicht. Deshalb sei die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 UStG 1967/1973 ausgeschlossen. Mit dem Erlaß der Änderungsbescheide habe das FA nicht gegen Treu und Glauben verstoßen.

Die Übergangsregelung der Verwaltung (Hinweis auf Umsatzsteuer-Richtlinien - UStR - 1983, 162) im Hinblick auf das BFH-Urteil in BFHE 137, 507, BStBl II 1983, 379 greife im Streitfall nicht ein.

Gegen das Urteil hat der Kläger Revision eingelegt (Az.: V R 179/83), über die noch nicht entschieden ist. Er hat beantragt, unter Aufhebung der Vorentscheidung die Sache an das FG zurückzuverweisen. Er rügt Verletzung materiellen und formellen Rechts und macht geltend, die in der Vorentscheidung enthaltene Aussage darüber, daß der Verzehr der der Steuerheraufsetzung zugrunde liegenden Waren in den Aufenthaltsräumen der Kantine zwischen den Beteiligten unstreitig sei, treffe nicht zu und habe ihn, den Kläger, überrascht, so daß sein Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt sei (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes - GG -; § 96 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Überdies habe das FG seine Pflicht aus § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO verletzt, den Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen, sowie gegen anerkannte Grundsätze der Beweiserhebung (§§ 81 f. FGO) und der Beweiswürdigung (§ 96 FGO) verstoßen. Die Verneinung eines Verstoßes gegen Treu und Glauben stelle eine Verletzung der diesbezüglichen Grundsätze dar sowie einen Verstoß gegen den Gleichheitssatz (Art. 3 GG). Schließlich weist der Kläger darauf hin, daß die vorläufige Festsetzung der Umsatzsteuer 1974 nicht mehr hätte geändert werden dürfen.

Der Kläger hat ferner beim BFH beantragt - dieser Antrag ist Gegenstand des vorliegenden Verfahrens -, die Vollziehung der Änderungsbescheide teilweise auszusetzen. Hierzu macht er geltend, das FA habe mit Verfügung vom 4. November 1983 einen Aussetzungsantrag abgelehnt. Er hält die beantragte Aussetzung der Vollziehung wegen ernstlicher Zweifel an der Rechtmäßigkeit der betreffenden Bescheide für geboten und verweist auf seine Ausführungen im Revisionsverfahren.

Das FA ist dem Aussetzungsbegehren des Klägers entgegengetreten.

 

Entscheidungsgründe

Der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ist nicht begründet.

1. Nach § 69 Abs. 3 Satz 1 i. V. m. Abs. 2 Satz 2 FGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsaktes aussetzen, wenn ernstliche Zweifel an dessen Rechtmäßigkeit bestehen. Ernstliche Zweifel in diesem Sinne sind zu bejahen, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Verwaltungsakts im Aussetzungsverfahren neben für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige gegen die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts sprechende Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung der Tatfragen bewirken (vgl. z. B. BFH-Beschluß vom 10. Februar 1967 III B 9/66, BFHE 87, 447, BStBl III 1967, 182).

Ob diese Voraussetzungen vorliegen, richtet sich bei Steuerbescheiden, derentwegen ein Rechtsstreit in der Revisionsinstanz anhängig ist, nach revisionsrechtlichen Grundsätzen. Ernstliche Zweifel können in einem solchen Fall nur dann bestehen, wenn auch unter Beachtung der nur noch beschränkten Prüfungsmöglichkeit des Revisionsgerichts ernstlich mit der Aufhebung oder Änderung der angefochtenen Verwaltungsakte zu rechnen ist. Das bedeutet, daß beim vermutlichen Durcherkennen des BFH zu prüfen ist, wie das Revisionsverfahren wahrscheinlich ausgehen wird. Bei vermutlicher Zurückverweisung der Sache an das FG ist der wahrscheinliche Ausgang des Klageverfahrens entscheidend (BFH-Beschluß vom 22. Oktober 1980 I S 1/80, BFHE 131, 455, BStBl II 1981, 99 unter 2. m. w. Nachw.).

2. Im Streitfall ist bei summarischer Prüfung nicht ernstlich damit zu rechnen, daß die Revision für begründet gehalten werden wird.

a) Soweit der Kläger seine Revisionsangriffe darauf stützt, daß die Vorentscheidung die Aussagen über eine zwischen den Beteiligten bestehende ,,Unstreitigkeit" enthält, ist nicht ernstlich damit zu rechnen, daß die Revision zum Erfolg führen wird. Insoweit hat der Senatsvorsitzende den Kläger im Revisionsverfahren mit Verfügung vom 30. März 1984 darauf hingewiesen, daß es denkmöglich sei, den betreffenden Satz aus der Vorentscheidung nicht in erster Linie als Tatsachenfeststellung zu betrachten, die nach Maßgabe der §§ 120 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 1, 118 Abs. 3 Satz 1 FGO angreifbar wäre, sondern als eine tatbestandliche Beurkundung des tatsächlichen Vortrages der Beteiligten in der mündlichen Verhandlung (§ 155 FGO i. V. m. § 314 Satz 1 der Zivilprozeßordnung - ZPO -; §§ 108, 155 FGO, § 314 Satz 2 ZPO), derzufolge erst eine tatsächliche Feststellung (vgl. § 118 Abs. 2 FGO) entsprechenden Inhalts getroffen worden sei. Hieraus könnte weiter der Schluß gezogen werden, angesichts des übereinstimmenden tatsächlichen Vorbringens der Beteiligten in dem erörterten Punkt seien in den tatsächlichen Grundlagen des angefochtenen Urteils (vgl. § 118 Abs. 2 FGO) weder Angriffs- noch Verteidigungsmittel des Klägers übergangen oder sei dessen rechtliches Gehör verletzt worden noch habe das FG gegen seine Verpflichtung zur Sachaufklärung verstoßen.

Dies gilt auch unter Berücksichtigung der Einlassung des Klägers hierauf im Schriftsatz seines Prozeßbevollmächtigten vom 6. April 1984, auf dessen Inhalt hier Bezug genommen wird.

b) Auch die übrigen Revisionsangriffe - einschließlich des Hinweises des Klägers auf Verjährung wegen des Jahres 1974 (siehe unten) - lassen bei summarischer Prüfung ein Obsiegen des Klägers nicht erwarten.

Dies trifft insbesondere für die Frage einer zutreffenden Anwendung des § 12 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 UStG 1967/1973 zu, wonach der ermäßigte Steuersatz nicht für die Lieferung von Speisen und Getränken zum Verzehr an Ort und Stelle gilt. Insoweit hat das FG - bezogen auf den seiner Feststellung nach nicht umstrittenen Verzehr von Y% der in Betracht zu ziehenden gelieferten Warensorten sowie der eßfertigen Speisen in den Aufenthaltsräumen - aus den folgenden Gründen angenommen, es hätten Speisen- und Getränkelieferungen zum Verzehr an Ort und Stelle vorgelegen: Der Verzehr habe dem bestimmungsmäßigen Zweck des Verkaufs dieser Waren entsprochen. Die Waren seien aufgrund ihrer Eigenschaften zum sofortigen Verzehr geeignet gewesen, und die Aufenthaltsräume mit ihren Einrichtungen hätten, ähnlich wie in einer Selbstbedienungsgaststätte, den Verzehr der Waren an Ort und Stelle ermöglicht. - Dies ist um die weitere im FG-Urteil enthaltene Feststellung zu ergänzen, daß das vom Kläger ausgegebene - der X-Verwaltung gehörende - Geschirr nach Rückgabe durch die Kunden vom Kläger gespült werde.

Die Ansicht des FG steht mit der Rechtsprechung des Senats in Einklang. In seinem bereits zitierten einschlägigen Urteil (BFHE 137, 507, BStBl II 1983, 349) hat der Senat zur Abgrenzung zwischen den nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 UStG 1967/1973 unter den ermäßigten Steuersatz fallenden Umsätzen und der von der Vergünstigung ausgeschlossenen Lieferung von Speisen und Getränken zum Verzehr an Ort und Stelle (§ 12 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 UStG 1967/1973) ausgeführt, es komme darauf an, ob die Tätigkeit des Lebensmittelhandels beim Verkauf von Lebensmitteln des lebensnotwendigen Bedarfs vorliege, der üblicherweise dadurch gekennzeichnet sei, daß handelsfertig hergerichtete Lebensmittel zur Mitnahme durch den Kunden abgegeben würden, oder ob es sich um die Abgabe von Speisen und Getränken zum sofortigen Verzehr an Ort und Stelle handele, wie sie für Gaststätten und ähnliche Restaurationsbetriebe typisch sei. Hierfür sei wesentlich, daß die für den Verzehr an Ort und Stelle liefernden Unternehmer sich regelmäßig nicht auf die Verteilerfunktion beschränken, sondern Dienstleistungen erbringen, die einen sofortigen Verzehr der Speisen und Getränke durch Zubereitung (Eßfertigmachen) und bzw. oder die Art und Weise der Darreichung (Anbieten bzw. Erleichterung des Verzehrs an Ort und Stelle) ermöglichen. Die Dienstleistungen könnten sowohl die Zubereitung des Liefergegenstandes als auch die Darreichung zum Gegenstand haben. Jede dieser Dienstleistungen bedeute eine Überschreitung des Bereichs der begünstigten Handels- und Verteilerfunktion des Lebensmittelhandels und -handwerks im Verhältnis zu der dem allgemeinen Steuersatz unterliegenden gaststättenmäßigen oder gaststättenähnlichen Betätigung. Hieran hat der Senat wiederholt festgehalten (vgl. BFH-Urteile vom 16. Dezember 1982 V R 46/82, BFHE 137, 516, BStBl II 1983, 354; vom 27. Januar 1983 V R 94/78, BFHE 137, 515, BStBl II 1983, 353; vom 6. Oktober 1983 V R 74/78, BFHE 140, 324, BStBl II 1984, 349).

Wird davon ausgegangen (siehe oben unter II. 2. a), daß in den umstrittenen Lieferungsfällen (eßfertige Speisen, Y% der Milch, des Brotes und der anderen Backwaren) ein Verzehr in den an die Theken anschließenden Aufenthaltsräumen stattgefunden hat, so kann nicht ernstlich angenommen werden, daß die Anwendung des § 12 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 UStG 1967/1973 durch das FA und das FG zu Unrecht geschehen sei. Die umstrittenen Lebensmittel waren ihren Eigenschaften nach verzehrfertig und, wenn nicht sogar zum Verzehr in einem örtlichen und zeitlichen Bezug zum Ort der Speisenabgabe bestimmt (vgl. Urteil in BFHE 140, 324, BStBl II 1984, 349), so doch mindestens hierzu geeignet. Die Form ihrer Darreichung (Ausgabe von Geschirr, dessen Reinigung vom Kläger übernommen wurde; Ausstattung der Aufenthaltsräume mit Tischen und Stühlen) bleibt nicht hinter der in den unter § 12 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 UStG 1967/1973 fallenden Selbstbedienungsgaststätten zurück, in denen ebenfalls die sonst in Gaststätten übliche Bedienung nicht stattfindet (vgl. Urteil in BFHE 137, 507, BStBl II 1983, 349). Daß das verwendete Geschirr dem Kläger nicht gehörte und daß die Aufenthaltsräume sowie deren Ausstattung von der X-Verwaltung zur Verfügung gestellt wurden, ist demgegenüber unerheblich (vgl. Urteil in BFHE 137, 515, BStBl II 1983, 353 am Ende).

c) Nicht begründet ist schließlich der Hinweis des Klägers darauf, daß die - vorläufige - Steuerfestsetzung 1974 nach der 1979 vorgenommenen Betriebsprüfung nicht mehr hätte geändert werden dürfen, wobei der Kläger auf die die Festsetzungsfrist betreffenden Vorschriften der AO 1977 verwiesen hat.

Nach Art. 97 § 9 des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung (EGAO 1977) sind die Vorschriften der AO 1977 über die Aufhebung und Änderung von Verwaltungsakten erstmals anzuwenden, wenn nach dem 31. Dezember 1976 ein Verwaltungsakt aufgehoben oder geändert wird, wobei dies auch dann gilt, wenn der aufzuhebende oder zu ändernde Verwaltungsakt vor dem 1. Januar 1977 erlassen worden ist, und wobei ferner auf vorläufige Bescheide nach § 100 Abs. 2 AO die Vorschrift des § 164 Abs. 2 und 3 AO 1977 anzuwenden ist. Außerdem ist in Art. 97 § 10 Abs. 1 Satz 2 EGAO 1977 bestimmt, daß für die vor dem 1. Januar 1977 entstandenen Ansprüche die Vorschriften der AO über die Verjährung und die Ausschlußfristen weitergelten.

Nach den Feststellungen des FG ist der Umsatzsteuerbescheid 1974 vom 29. Juli 1976 vorläufig gemäß § 100 Abs. 2 AO ergangen. Hinsichtlich seiner Bestandskraft gelten mithin die in § 164 Abs. 2 und 3 AO 1977 für Steuerfestsetzungen unter Vorbehalt der Nachprüfung enthaltenen Vorschriften, nicht § 164 Abs. 4 AO 1977, nach dessen Satz 1 der Vorbehalt der Nachprüfung mit Ablauf der Festsetzungsfrist entfällt. Die zeitliche Grenze für verbösernde Änderungen ergibt sich über Art. 97 § 10 Abs. 1 Satz 2 EGAO 1977 aus dem Rechtsinstitut der Verjährung alten Rechts (vgl. Kühn / Kutter / Hofmann, Abgabenordnung, 15. Aufl., EGAO 1977 Art. 97 § 9 Anm. 2).

Das FA durfte mithin gemäß § 164 Abs. 2 AO 1977 eine Änderung des vorläufigen Umsatzsteuerbescheides 1974 vornehmen. Die Umsatzsteuer 1974 war bei Erlaß des ändernden Sammelbescheids 1974 bis 1976 vom 7. März 1980 noch nicht verjährt. Die fünfjährige Verjährungsfrist (§ 144 Abs. 1 Satz 1 AO) hatte mit Ablauf des Jahres der Abgabe der Umsatzsteuererklärung 1974 (1976) zu laufen begonnen (§ 145 Abs. 2 Nr. 1 AO). Sie war mithin zum Zeitpunkt der Festsetzungsänderung (1980) noch nicht verstrichen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 415263

BFH/NV 1988, 401

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