Entscheidungsstichwort (Thema)

Keine Milchquotenerhöhung im Billigkeitsweg nach AO 1977

 

Leitsatz (NV)

1. Die Regelungen, die das gemeinschaftliche und nationale Recht für die Erhöhung einer Milchquote wegen besonderer Situationen vorsehen, sind erschöpfend und schließen einen Billigkeitserweis nach § 227 AO 1977 aus.

2. Die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung kommt nur in Betracht, wenn die betr. Rechtsfrage klärungsbedürftig ist. Daran fehlt es, wenn sich die streitige Rechtsfrage ohne weiteres aus dem Gesetz beantworten läßt.

 

Normenkette

AO 1977 § 227; MGVO § 6; FGO § 115 Abs. 2 Nr. 1

 

Tatbestand

Streitig ist, ob der Beklagte und Beschwerdegegner (das Hauptzollamt - HZA -) dem Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) Abgaben nach Art. 5 c der Verordnung (EWG) Nr. 804/68 (VO Nr. 804/68) über die gemeinsame Marktorganisation für Milch und Milcherzeugnisse im Billigkeitswege erstatten kann. Der Kläger bewirtschaftet einen landwirtschaftlichen Betrieb. Seine Anlieferungs-Referenzmenge i. S. von § 4 der Milch-Garantiemengen-Verordnung (MGVO) war im Juli 1984 zunächst mit . . . kg festgesetzt worden. Sie wurde im Jahre 1986 aus der Landesreserve auf . . . kg aufgestockt. Die zuständige Landwirtschaftskammer lehnte den Antrag des Klägers ab, ihm wegen der hohen Investitionen in den Ausbau seiner Milchwirtschaft zusätzliche Referenzmengen zuzuteilen. Die Klage dagegen blieb beim Verwaltungsgericht und Oberverwaltungsgericht ohne Erfolg. Die Nichtzulassungsbeschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) ab.

Die Molkerei behielt in den Jahren 1984 bis 1988 rd. . . . DM als Milchabgabe ein. Den Antrag des Klägers, ihm diese Abgaben nach § 227 der Abgabenordnung (AO 1977) wegen seiner schlechten finanziellen Lage und mit Rücksicht auf die Tatsache, daß er Hilfe zum Lebensunterhalt in Anspruch nehmen müsse, zu erstatten, lehnte das HZA mit Schreiben vom 3. September 1986 ab. Die Beschwerde des Klägers hatte keinen Erfolg.

Die Klage mit dem Antrag, das HZA zu der beantragten Billigkeitserstattung zu verpflichten, wies das Finanzgericht (FG) mit folgender Begründung ab:

Für eine Billigkeitsmaßnahme fehle es an einer Rechtsgrundlage. Weder das Gemeinschaftsrecht noch das deutsche Recht enthalte eine entsprechende Regelung. Soweit § 12 Abs. 1 des Gesetzes zur Durchführung der gemeinsamen Marktorganisationen (MOG) 1986 bestimme, daß auf Abgaben zu Marktordnungszwecken die Vorschriften der AO 1977 sinngemäß anzuwenden seien, sei dies dahin auszulegen, daß die Vorschriften der AO 1977 nur insoweit Anwendung fänden, als dadurch die Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts nicht in Frage gestellt werde. Eine Billigkeitsmaßnahme würde die Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts beeinträchtigen (vgl. Urteile des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften - EuGH - vom 30. November 1972 Rs. 18/72, EuGHE 1972, 1163, und vom 28. Juni 1977 Rs. 118/76, EuGHE 1977, 1177).

Ein Erlaß oder eine Erstattung von Abgaben nach der Milchquotenregelung würde auch deren Zielen zuwiderlaufen. Dieses System sehe Ausnahmen für den Fall, daß die Referenzmenge nicht ausreiche, um dem Erzeuger ein Existenzminimum zu sichern, nicht vor. Grundrechte würden dadurch nicht verletzt (vgl. auch Urteil des BVerwG vom 24. März 1988 3 C 48.86, BVerwGE 79, 172). Sowohl das nationale wie das Gemeinschaftsrecht gestatteten es, von der Allgemeinheit zu tragende Subventionen einzuschränken oder abzuschaffen. Der Kläger könne also nicht aus den von ihm geltend gemachten, auch durch Krankheit bedingten Gründen der Existenzgefährdung eine Erstattung der Abgaben erreichen. Er hätte sich als gesetzestreuer Bürger an die ihm zugeteilte Referenzmenge halten müssen, wenn er keine Abgaben habe entrichten wollen. Es würde unverständlich, wenn ein Milcherzeuger, der bewußt über die Referenzmenge hinaus Milch vermarkte und damit die Entstehung der Abgaben selbst freiwillig verursache, die Erstattung der Abgaben beanspruchen könne.

Das FG hat die Revision ausdrücklich nicht zugelassen mit der Begründung, die Rechtslage sei eindeutig.

In seiner Nichtzulassungsbeschwerde geht der Kläger nochmals ausführlich auf seine besonders schwierige persönliche Einkommenssituation ein. Im übrigen begründet er die Nichtzulassungsbeschwerde wie folgt:

Das Fehlen einschlägiger Regelungen dürfe nicht zu seinem Nachteil führen (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 27. Januar 1987 VII R 86/86, BFHE 148, 564). Es hätte die entsprechende Anwendung des Art. 13 der Verordnung (EWG) Nr. 1430/79 des Rates vom 7. Juli 1979 (Erstattungs / ErlaßVO) geprüft werden müssen. Bei sinngemäßer Anwendung der Vorschriften der AO 1977 werde auch nicht die Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts in Frage gestellt. Die Vorentscheidung weiche auch von dem Urteil des BVerwG vom 8. Dezember 1988 3 C 6.87 (Agrarrecht - AgrarR - 1989, 224) ab. Überdies habe das BVerwG mit Beschluß vom 27. Dezember 1989 3 B 93.89 die Revision in einer Sache zugelassen, in der es um die Rechtsfrage geht, ob § 6 Abs. 5 MGVO mit dem Grundgesetz vereinbar ist.

Die Rechtssache sei von grundsätzlicher Bedeutung und die Frage für Billigkeitserlasse im Rahmen der Existenzsicherung für eine Vielzahl von Fällen bedeutsam. Die Frage habe in der Rechtsprechung des BFH noch keine abschließende Klärung erfahren. Von grundsätzlicher Bedeutung sei auch die Frage, ob EG-Bestimmungen soziale Rechte und gesicherte Positionen in der Bundesrepublik Deutschland ausschalten dürften. Es müsse die Zweck-Mittel-Relation auch für kleinere und mittlere Landwirte wie für den Kläger gelten. Die Einbehaltung der Abgaben gefährde sein Existenzminimum. Das verstoße gegen das Sozialstaatsgebot. Das FG hätte auch von Amts wegen den Rechtsbehelf auf Beachtung sachlicher Erlaßtatbestände hin überprüfen müssen. Die unbillige Härte ergebe sich aus seinen persönlichen Verhältnissen. Hätte das FG die Sache dem EuGH vorgelegt, so hätte dort die Frage geklärt werden können, ob er, der Kläger, ganz aus dem Markt ausscheiden und ohne eine Vorwarnung die von ihm getätigten Investitionen entwerten lassen müsse. Er habe darauf vertrauen dürfen, daß er vom Markt nicht völlig ausgeschlossen werde.

Das HZA hält die Nichtzulassungsbeschwerde für unbegründet. Es verkenne zwar nicht die finanzielle Notlage des Klägers. Dieser habe sich in seiner besonderen Lage auch kaum an die ihm zugewiesene Referenzmenge halten können, so daß er quasi zwangsläufig in die abgabepflichtige Überlieferung gekommen sei. Jedoch könne das von ihm geltend gemachte wirtschaftliche Interesse für sich allein keine grundsätzliche Bedeutung i. S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) begründen.

 

Entscheidungsgründe

Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unbegründet.

Eine Zulassung wegen grundsätzlicher Bedeutung kommt nur in Betracht, wenn die Rechtsfrage klärungsbedürftig ist. An der Klärungsbedürftigkeit fehlt es, wenn sich die streitige Rechtsfrage ohne weiteres aus dem Gesetz beantworten läßt. So liegt es hier. Zur Begründung ist auf die Gründe der Vorentscheidung zu verweisen. Hinzuzufügen ist, daß das Gemeinschaftsrecht und das nationale Recht für besondere Situationen eine Erhöhung der normalen Referenzmenge vorsieht (vgl. z. B. § 6 MGVO); die Referenzmenge des Klägers ist bereits aus der Landesreserve um . . . kg aufgestockt worden. Den genannten Regelungen zur Aufstockung der Referenzmenge liegen auch Billigkeitsgründe zugrunde. Sie sind ihrem Wesen nach erschöpfend und schließen daher von vornherein die Anwendung des § 227 AO 1977 aus. Das ist eindeutig, so daß es einer entsprechenden höchstrichterlichen Entscheidung nicht bedarf. Eindeutig ist auch, daß Art. 13 Erstattungs / ErlaßVO hier nicht angewendet werden kann, da diese Regelung ausdrücklich nur für Eingangsabgaben gilt.

Der Kläger kann seine Nichtzulassungsbeschwerde auch nicht mit Erfolg auf Divergenz stützen. Das Senatsurteil in BFHE 148, 564 betrifft einen völlig unvergleichbaren Fall. Abgesehen davon, daß ein Abweichen vom Urteil des BVerwG vom 8. Dezember 1988 3 C 6.87 eine Zulassung der Revision wegen Divergenz nicht begründen könnte, liegt eine solche auch nicht vor. In diesem Urteil hat sich das BVerwG lediglich zu der nicht vergleichbaren Frage geäußert, ob die 80-Kuh-Grenze des § 6 Abs. 5 und 6 MGVO gegen Art. 14 des Grundgesetzes (GG) verstößt, und diese Frage bejaht. Daraus kann auch nicht mittelbar etwas für die Frage entnommen werden, ob die Milchabgabe aus allgemeinen Billigkeitsgründen über die spezifischen Billigkeitstatbestände des Gemeinschaftsrechts und des nationalen Rechts für die Milchabgabe hinaus erstattet werden kann. Das gleiche gilt in bezug auf den Beschluß des BVerwG vom 27. Dezember 1989 3 B 93.89 schon deswegen, weil das vom Kläger angestrengte Verfahren vor den Verwaltungsgerichten wegen der Zuteilung einer zusätzlichen Referenzmenge rechtskräftig abgeschlossen ist.

 

Fundstellen

Haufe-Index 416931

BFH/NV 1990, 747

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