Leitsatz (amtlich)

Ist ein Prozeßbevollmächtigter bestellt, so ist der Kostenansatz diesem zuzustellen; wird der Kostenansatz nicht dem Prozeßbevollmächtigten, sondern dem von ihm vertretenen Beteiligten selbst zugestellt, wird die Erinnerungsfrist nicht in Lauf gesetzt.

 

Normenkette

FGO § 53 Abs. 1, § 62 Abs. 3 S. 3, §§ 147, 148 Abs. 1 S. 1; VwZG §§ 8, 9 Abs. 1-2; ZPO § 176

 

Tatbestand

Der Erblasser der Steuerpflichtigen hatte gegen die Festsetzung der Einkommensteuer und der Gewerbesteuer durch das FA Berufung eingelegt. Während des gerichtlichen Verfahrens hatte das FA die Steuerpflichtigen wegen der Einkommensteuer klaglos gestellt und insoweit die Kosten übernommen. Das FG hatte die Berufung, soweit sie wegen der Gewerbesteuer anhängig geblieben war, zurückgewiesen, die Kosten unter Berücksichtigung der Klaglosstellung den Steuerpflichtigen zu 2/5 und dem FA zu 3/5 auferlegt und den Streitwert für das Berufungsverfahren - der Höhe der zunächst streitig gewesenen Einkommensteuer- und Gewerbesteueransprüche entsprechend - auf 9 138 DM festgesetzt. Die Revision der Steuerpflichtigen gegen dieses Urteil hatte der BFH zurückgewiesen. Er hatte die Kosten des Revisionsverfahrens den Steuerpflichtigen auferlegt. Einen Streitwert hatte er nicht bestimmt. Daraufhin setzte die Geschäftsstelle des FG den Streitwert für das Revisionsverfahren in einer Kostenrechnung fest und nahm dabei denselben Betrag wie für die Berufungsinstanz an, nämlich 9 138 DM. Diese Kostenrechnung ist den Steuerpflichtigen, die während des gesamten Rechtsstreites durch ihre Prozeßbevollmächtigten auf Grund einer uneingeschränkten Prozeßvollmacht vertreten waren, am 25. November 1968 persönlich zugesandt worden. Am 21. November 1969 legten die Steuerpflichtigen, vertreten durch ihre Prozeßbevollmächtigten, gegen die Kostenrechnung Erinnerung ein und machten geltend, bei der Festsetzung des Streitwertes für die Revisionsinstanz sei zu berücksichtigen, daß die Steuerpflichtigen vor dem FG in Höhe von 5 341 DM erfolgreich gewesen seien. Der Streitwert betrage daher nur 3 797 DM.

Das FG wies die Erinnerung als verspätet zurück.

Dagegen haben die Steuerpflichtigen die - zugelassene - Beschwerde eingelegt und beantragt, den angefochtenen Beschluß abzuändern und die zugrunde liegende Kostenrechnung aufzuheben.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Die Beschwerde führt zur Aufhebung der Vorentscheidung.

Das FG hält die Erinnerung gegen die Kostenrechnung (Kostenansatz) zu Unrecht deshalb für verspätet, weil die Steuerpflichtigen den Rechtsbehelf nicht innerhalb von zwei Wochen nach Erhalt des Bescheides am 28. November 1968 erhoben haben.

Die Erinnerung war am 21. November 1969 noch zulässig, denn die zweiwöchige Erinnerungsfrist (§ 148 Abs. 1 Sätze 1 und 2 FGO) ist mit der Zustellung der Kostenrechnung an die Steuerpflichtigen nicht in Lauf gesetzt worden. Das folgt aus § 62 Abs. 3 Satz 3 FGO in Verbindung mit § 9 Abs. 2 VwZG (vom 3. Juli 1952, BGBl I. 379, zuletzt geändert durch das Gesetz zur Änderung des Verwaltungszustellungsgesetzes vom 19. Mai 1972, BGBl I, 789). Die Steuerpflichtigen und vor ihnen schon ihr Erblasser hatten während des gesamten finanzgerichtlichen Verfahrens die Prozeßbevollmächtigten des anhängigen Verfahrens zu ihren Bevollmächtigten bestellt. Deshalb waren gemäß § 62 Abs. 3 Satz 3 FGO "die Zustellungen oder Mitteilungen des Gerichts an diese zu richten". Dazu gehörte auch die Zustellung des Kostenansatzes.

Die Festsetzung der Gebühren und Auslagen des Gerichts durch das Gericht des ersten Rechtszuges (Kostenansatz, § 147 Satz 1 FGO) setzt die Erinnerungsfrist nach § 148 Abs. 1 FGO in Lauf und ist deshalb gemäß § 53 Abs. 1 FGO zuzustellen.

Zwar ist die Kostenrechnung keine richterliche Entscheidung, sondern ein (Justiz-) Verwaltungsakt des Kostenbeamten (vgl. BFH-Entscheidung VII B 63/68 vom 18. November 1969, BFH 97, 340 [341], BStBl II 1970, 124). Aus einem Vergleich des Wortlautes der Vorschriften des § 62 Abs. 3 Satz 3 FGO und des § 147 Satz 1 FGO folgt jedoch, daß § 62 Abs. 3 Satz 3 FGO nicht nur auf Entscheidungen im Rahmen der rechtsprechenden Tätigkeit, sondern auf sämtliche Äußerungen des Gerichts aus Anlaß eines Rechtsstreites anzuwenden ist: § 147 erwähnt ebenso wie § 62 Abs. 3 Satz 3 FGO das Gericht, und zwar in Kenntnis der Zuständigkeit des Kostenbeamten für die Erstellung des Kostenansatzes (vgl. § 2 der nunmehr bundeseinheitlich gefaßten Durchführungsvorschriften zu den Kostengesetzen, zitiert nach Lauterbach, Kostengesetze, 16. Aufl. S. 585 [586]).

§ 62 Abs. 3 Satz 3 FGO ist auch anzuwenden, wenn Zustellungen und Mitteilungen des Gerichts - wie die angefochtene Kostenrechnung - erst nach Abschluß des eigentlichen Gerichtsverfahrens, nämlich nach Rechtskraft des FG-Urteils, erfolgt sind. Das ergibt sich schon aus der Wortfassung der Vorschrift: Sie enthält im Gegensatz zu den vergleichbaren Bestimmungen des § 176 ZPO und des § 8 VwZG keine Einschränkung auf Zustellungen in einem "anhängigen" Verfahren, sondern erwähnt schlicht die "Zustellungen und Mitteilungen des Gerichts". § 62 Abs. 3 Satz 3 FGO berücksichtigt somit bereits, daß nach Rechtsprechung und Literatur zu § 176 ZPO und § 8 VwZG auch diese Vorschriften weit auszulegen sind. Sie wollen die Vereinigung des gesamten Prozeßstoffes in einer Hand und zwar der berufensten, fördern, und beruhen auf der Annahme, daß eine Partei, die einen (Prozeß-) Bevollmächtigten bestellt hat, sich des eigenen Prozeßbetriebs begeben hat (vgl. Baumbach-Lauterbach, Zivilprozeßordnung, 30. Aufl., Anm. 1 A zu § 176; v. Wallis-List in Hübschmann-Hepp-Spitaler, Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, 1. bis 6. Aufl., Rdnr. 17 zu § 62 FGO; Eyermann-Fröhler, Verwaltungsgerichtsordnung, Kommentar, 5. Aufl., Anm. 18 zu dem dem § 62 Abs. 3 FGO entsprechenden § 67 und Rdnr. 1 zu § 181 VwGO). Für § 176 ZPO und § 8 VwZG ist anerkannt, daß die Vorschriften anzuwenden sind, solange das Gericht (im organisationsrechtlichen Sinn) mit einem Verfahren befaßt ist (vgl. Kohlrust-Eimert, Das Zustellungsverfahren nach dem Verwaltungszustellungsgesetz, Anm. 3 zu § 8 VwZG). Deshalb ist die Geltung für das Zwangsvollstreckungsverfahren, für formlose Mitteilungen vor Anhängigkeit und im Armenrecht, soweit ein Prozeßbevollmächtigter aufgetreten ist, für die Drittwiderspruchsklage aus § 771 ZPO, die Wiederaufnahmeklage und das Kostenfestsetzungsverfahren unbestritten (vgl. Baumbach-Lauterbach, a. a. O., Anm. 1 A und 2 C zu § 176; Rosenberg-Schwab, Zivilprozeßrecht, 10. Aufl., S. 354; Kohlrust-Eimert, a. a. O.).

Die Erwägung, daß es zweckmäßig ist, den gesamten Prozeßstoff in einer Hand zu vereinigen, unterstreicht die Notwendigkeit, auch die Kostenrechnung nach Abschluß eines finanzgerichtlichen Verfahrens gemäß § 62 Abs. 3 Satz 3 FGO an den Bevollmächtigten zuzustellen (im Ergebnis auch Entscheidung des FG Düsseldorf V 281/66 EK vom 17. März 1967 in EFG 1967, 413 [414]). Im Zweifel ist allein er mit dem Prozeßstoff und dem Kostenrecht genügend vertraut, um die Rechtmäßigkeit der Kostenforderung beurteilen zu können.

Darüber hinaus ergibt sich nach Ansicht des beschließenden Senats auch der Wille der Steuerpflichtigen, ihren Prozeßbevollmächtigten zuerst die Nachprüfung der Kostenrechnung zu ermöglichen und sie deshalb ihnen zustellen zu lassen, aus der Prozeßvollmachtsurkunde. Darin hatten die Steuerpflichtigen nämlich ihre Bevollmächtigten u. a. ermächtigt, die von der Justizkasse oder anderen Stellen zu erstattenden Kosten in Empfang zu nehmen und darüber zu verfügen. Dieser weitergehende Wille schließt den Willen ein, die Überprüfung der Kostenrechnung vollständig in die Hände der Prozeßbevollmächtigten zu legen.

Die Geschäftsstelle des FG hat gegen § 62 Abs. 3 Satz 3 FGO verstoßen, indem sie die Kostenrechnung an die Steuerpflichtigen selbst gesandt hat. Dieser Fehler ist auch nicht geheilt worden, als die Steuerpflichtigen den Bescheid an ihre Prozeßbevollmächtigten weitergeleitet haben.

Die Kostenrechnung ist jedoch nicht aufzuheben und neu zu erlassen, wie die Steuerpflichtigen meinen. Diese Folge träte nur ein, wenn der Bescheid selbst wegen der soeben dargelegten Gesetzesverletzung fehlerhaft wäre oder wenn die mangelhafte Zustellung seine Unwirksamkeit zur Folge hätte.

Beides trifft nicht zu.

Die Kostenrechnung wäre fehlerhaft, wenn § 62 Abs. 3 Satz 3 FGO so zu verstehen wäre, daß das FG den Bescheid an den Bevollmächtigten selbst hätte richten, d. h. ihn selbst in Anspruch hätte nehmen müssen; denn es gehört zu den Wirksamkeitsvoraussetzungen eines Verwaltungsaktes, daß er sich an den richtigen Adressaten wendet. Die Frage, wer aufgrund einer Kostenrechnung verpflichtet wird, beantwortet sich nach dem Kostenrecht; danach ist die unterlegene Partei eines Rechtsstreites Schuldner der Gerichtskosten (vgl. § 135 FGO). Die Kostenrechnung ist also nicht deswegen zu beanstanden, weil sie sich an die Steuerpflichtigen wendet. § 62 Abs. 3 Satz 3 FGO ist eine reine Zustellungsvorschrift.

Auch die fehlerhafte Zustellung macht die Kostenrechnung nicht unwirksam; denn die Prozeßbevollmächtigten haben sie nachweislich erhalten.

Ob Fehler bei der Zustellung von Verwaltungs- oder Gerichtsentscheidungen, gegen die fristgebundene Rechtsbehelfe bzw. Rechtsmittel zu einem Gericht gegeben sind, die Unwirksamkeit der gesamten Entscheidung zur Folge haben oder nur dazu führen, daß die Rechtsbehelfs- bzw. Rechtsmittelfrist nicht zu laufen beginnt, ist allerdings umstritten.

Das Gesetz bringt dazu in § 9 VwZG die nachstehende unvollständige Regelung (vgl. Entscheidung des BVerwG VIII B 65/65 vom 16. Dezember 1965, - NJW 1966, 1042 [1043] - rechte Spalte): Gemäß Abs. 1 der Vorschrift gelten Zustellungsmängel grundsätzlich als geheilt, wenn der Empfangsberechtigte das Schriftstück nachweislich erhalten hat. Nach Abs. 2 ist Abs. 1 jedoch nicht anzuwenden, wenn mit der Zustellung eine Frist für die Erhebung der Klage, eine Berufungs-, Revisions- oder Rechtsmittelbegründungsfrist beginnt.

Auf diese gesetzliche Regelung berufen sich die beiden erwähnten Meinungen in Rechtsprechung und Literatur.

Für die Vertreter der ersten ist ein Verwaltungsakt oder eine Gerichtsentscheidung nur dann ordnungsgemäß bekanntgemacht, wenn die Bekanntgabe nach den gesetzlichen (Zustellungs-) Vorschriften erfolgt ist, gleichgültig, ob der Empfangsberechtigte das Schriftstück schließlich erhalten hat oder nicht. Andernfalls soll der Akt nicht wirksam werden (vgl. BFH-Beschluß II 15/58 U vom 11. Februar 1959, BFH 68, 476, BStBl III 1959, 181, mit insoweit zustimmender Anmerkung von Fließbach in StuW 1959 Spalte 461; Tipke-Kruse, Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Kommentar, 2. bis 5. Aufl., Anm. 3 am Ende zu § 9 VwZG; Mattern-Meßmer, Reichsabgabenordnung mit Nebengesetzen, Tz. 3164 zu § 9 VwZG).

Die Gegenmeinung entnimmt § 9 Abs. 2 VwZG einen allgemeinen, das Zustellungsrecht beherrschenden Rechtsgedanken, wonach die Zustellung niemals Selbstzweck ist, und sieht deshalb auch Entscheidungen, gegen die ein Rechtsbehelf oder Rechtsmittel gegeben ist, als wirksam an, wenn sie der Empfangsberechtigte trotz des Zustellungsfehlers nachweislich erhalten hat. Allerdings soll nach dieser Ansicht die Rechtsbehelfs- bzw. Rechtsmittelfrist nicht zu laufen beginnen (vgl. BFH-Bescheid vom 24. Juli 1958 und Urteil IV 181/56 U vom 4. Dezember 1958, BFH 68, 534, BStBl III 1959, 203 f.; Urteil III 330/61 vom 30. Juli 1963, HFR 1964, 31; Urteil VIII R 14/68 vom 8. Februar 1972, BFH 105, 85 [87], BStBl II 1972, 506; Kohlrust-Eimert, a. a. O., S. 54; v. Wallis in Hübschmann-Hepp-Spitaler, a. a. O., Rdnr. 2 zu § 9 VwZG; Tietgen in Deutsches Verwaltungsblatt 1956 S. 415 [417]; wohl auch Becker-Riewald-Koch, Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Kommentar, 9. Aufl. Bd. IV, Anm. 2 [3] zu § 9 VwZG).

Der beschließende Senat folgt der zuletzt wiedergegebenen Meinung. Er ist mit Kohlrust-Eimert und v. Wallis (a. a. O.) der Ansicht, daß der Empfänger, nachdem er das Schriftstück unstreitig erhalten hat, sachlich nicht schlechter gestellt ist, als wenn die Zustellung dem Gesetz entsprechend durchgeführt worden wäre. Sein Nachteil ist, daß im Hinblick auf den Lauf der Fristen über den Zeitpunkt des tatsächlichen Zugangs gestritten werden könnte und er Gefahr liefe, in Beweisschwierigkeiten zu geraten. Dieser Nachteil ist indessen vollständig ausgeglichen, wenn die Frist, deren Beginn von der Zustellung abhängt, nicht in Lauf gesetzt wird. Der Empfänger einer mangelhaft zugestellten Gerichts- oder Behördenentscheidung kann diese anfechten, solange er sein Anfechtungsrecht nicht verwirkt hat (vgl. v. Wallis, a. a. O., Rdnr. 5 zu § 9 VwZG), es sei denn, daß der Mangel bereits nach § 9 Abs. 1 VwZG geheilt ist.

Nach der oben gebilligten Auslegung des § 9 Abs. 2 VwZG ist im Streitfall die Erinnerungsfrist nicht in Lauf gesetzt worden.

Es ist anerkannt, daß die Vorschrift keine abschließende Aufzählung enthält, sondern alle Fristen für Rechtsbehelfe an ein Gericht betrifft (vgl. BVerwG-Entscheidung VIII B 65/65 vom 16. Dezember 1965, a. a. O., und Kohlrust-Eimert, a. a. O., S. 53). Ein solcher Rechtsbehelf ist auch die Erinnerung gegen die Kostenrechnung des Urkundsbeamten des FG, denn sie geht nach § 148 Abs. 1 Satz 1 FGO "an das Gericht".

 

Fundstellen

Haufe-Index 70158

BStBl II 1973, 84

BFHE 1973, 163

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