Entscheidungsstichwort (Thema)

Zu den Anforderungen an eine zulassungsfreie Revision

 

Leitsatz (NV)

Die wirksame Rüge von wesentlichen, die zulassungsfreie Revision begründenden Verfahrensmängeln setzt voraus, daß die zur Begründung vorgetragenen Tatsachen - unabhängig von der Frage ihrer Beweisbarkeit - als solche ausreichend und geeignet sind, den behaupteten Mangel darzutun.

Die Rüge, der Vorentscheidung fehle eine ordnungsgemäße Begründung, ist nur dann als schlüssig erhoben anzusehen, wenn unter Angabe konkreter Tatsachen geltend gemacht wird, das FG habe seine Entscheidung überhaupt nicht begründet oder hinsichtlich eines wesentlichen Streitpunkts nicht mit Gründen versehen.

 

Normenkette

FGO § 116 Abs. 1

 

Verfahrensgang

Hessisches FG

 

Tatbestand

Die Kläger und Revisionskläger (Kläger), zusammenveranlagte Ehegatten, beantragten in ihrer Einkommensteuererklärung 1983, Aufwendungen u.a. für die Beschaffung von Möbeln und anderen Einrichtungsgegenständen sowie für Kosten einer Sprachschule zugunsten der aus Polen in die Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik) übergesiedelten Schwester der Klägerin und deren 10jährigen Sohn als außergewöhnliche Belastung (§ 33 des Einkommensteuergesetzes - EStG -) zu berücksichtigen. Zur Begründung ihres Antrages machten sie geltend, sie hätten sich zu der Hilfeleistung gegenüber den Verwandten sittlich verpflichtet gefühlt.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) versagte den Abzug der geltend gemachten Aufwendungen. Das Einspruchsverfahren blieb ohne Erfolg. Das Finanzgericht (FG) wies die hiergegen gerichtete Klage als unbegründet ab.

Das FG hat die Revision gegen seine Entscheidung nicht zugelassen.

Mit ihrer Revision rügen die Kläger einen Verstoß der Vorentscheidung gegen die §§ 119 Nr. 6, 118 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) sowie fehlerhafte Auslegung des § 33 Abs. 2 EStG.

Die Kläger beantragen, die Vorentscheidung aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.

Das FA beantragt, die Revision nicht zuzulassen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht statthaft und somit unzulässig (§ 124 FGO).

1. Gemäß § 115 Abs. 1 FGO i.V.m. Art. 1 Nr. 5 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs (BFHEntlG) findet die Revision nur statt, wenn das FG oder - auf Beschwerde - der Bundesfinanzhof (BFH) sie zugelassen hat. Diese Voraussetzungen liegen im Streitfall nicht vor. Das FG-Urteil enthält keinen Ausspruch über die Zulassung der Revision. Damit fehlt es am Erfordernis der Zulassung; denn diese muß ausdrücklich erfolgen (vgl. u.a. Beschluß des BFH vom 28. Juli 1977 IV R 127/76, BFHE 123, 117, BStBl II 1977, 819). Auch der BFH hat die Revision nicht zugelassen.

2. Mangels wesentlicher Verfahrensmängel i.S. des § 116 FGO ist eine zulassungsfreie Revision nicht gegeben. Voraussetzung dafür wäre, daß die Kläger einen Verfahrensmangel i.S. des § 116 Abs. 1 FGO behauptet und Tatsachen vorgetragen hätten, die als solche ausreichend und geeignet wären, den behaupteten Mangel darzutun (Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 12. Aufl., § 116 FGO, Tz. 23). Die Kläger haben zwar behauptet, der Vorentscheidung fehle eine ordnungsgemäße Begründung, es liege deshalb der Fall einer zulassungsfreien Revision i.S. des § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO vor. Die Kläger haben indes keine Tatsachen dargetan, die die Folgerung rechtfertigen könnten, die Vorentscheidung sei nicht mit Gründen versehen.

a) Nach ständiger Rechtsprechung ist ein solcher wesentlicher Mangel des Verfahrens nur anzunehmen, wenn das FG seine Entscheidung überhaupt nicht begründet oder hinsichtlich eines wesentlichen Streitpunktes nicht mit Gründen versehen hat. In Anwendung dieser Grundsätze wird eine Rüge nach § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO z.B. als schlüssig begründet angesehen, wenn mit ihr geltend gemacht wird, daß die Vorinstanz einen bestimmten Sachverhaltskomplex überhaupt nicht berücksichtigt, oder daß sie nur zum Grund des Steueranspruchs, nicht auch zu dessen Höhe Stellung genommen habe, obgleich auch die Höhe streitig war; weiter, wenn etwa das FG den Antrag, einen niedrigeren Steuersatz anzuwenden, übergangen hat (vgl. z.B. BFH-Beschluß vom 9. Februar 1977 I R 136/76, BFHE 121, 298, BStBl II 1977, 351 m.w.N.). Dagegen braucht sich das FG nicht mit jeder rechtlichen Erwägung, die ein Beteiligter vorbringt, in den Entscheidungsgründen auseinanderzusetzen, um den Einwand zu vermeiden, die Entscheidung sei nicht im Sinne des Gesetzes mit Gründen versehen. Die Beteiligten müssen lediglich durch die Entscheidung Kenntnis davon erhalten, auf welchen Festellungen, Erkenntnissen und rechtlichen Überlegungen das Urteil beruht (siehe insbesondere Urteil des Bundessozialgerichts - BSG - vom 7. Dezember 1965 10 RV 405/65, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung - HFR - 1966, 530).

b) Wenn die Kläger im Streitfall bemängeln, das FG-Urteil begründe nicht, warum der streitbefangene Lebenssachverhalt nicht unter § 33 EStG zu subsumieren sei, sondern behaupte einfach, die Subsumtion führe zu einem negativen Ergebnis, wenn die Kläger insoweit weiter rügen, daß das Tatbestandsmerkmal ,,aus sittlichen Gründen" i.S. des § 33 EStG nicht im geringsten definiert bzw. ausgeführt werde, was unter ihm zu verstehen ist, so machen diese Ausführungen deutlich, daß die vom FG gegebene Begründung den tragenden Gesichtspunkt für die Klageabweisung - nämlich das Fehlen einer sittlichen Verpflichtung zu den Unterstützungen - erkennen läßt. Wenn die Kläger weiter beanstanden, das FG habe bei der rechtlichen Würdigung des Sachverhalts bestimmte, in der Klageschrift vorgetragene Argumente übergangen, so handelt es sich auch insoweit nicht um die Rüge eines wesentlichen Verfahrensmangels i.S. von § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO, sondern um die Rüge unrichtiger Anwendung des sachlichen Rechts (vgl. Klein/Ruban, der Zugang zum Bundesfinanzhof, Rdnr. 230 m.w.N.). Der Einwand der Kläger, das FG sei zu Unrecht von der Vermutung ausgegangen, die Übergesiedelten hätten außerhalb der Sozialhilfe staatliche Mittel erhalten, wendet sich gegen die materielle Richtigkeit der Vorentscheidung, stellt jedoch keinen wesentlichen Verfahrensmangel i.S. von § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO dar. Dies gilt insbesondere auch für die Forderung der Kläger, das FG hätte den Sachverhalt insoweit weiter aufklären und seine ,,Annahme" im Urteilstatbestand als Tatsache erscheinen lassen müssen. Der Umstand, daß das FG in seiner Entscheidung möglicherweise rechtsfehlerhaft auf die Wiederbeschaffungsbeihilfe für Asylanten abstellt und insoweit eine Divergenz zwischen festgestellten Tatsachen und Entscheidungsgründen nicht auszuschließen ist, kann nicht den von den Klägern behaupteten wesentlichen Verfahrensmangel i.S. von § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO begründen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 414973

BFH/NV 1987, 311

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